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Zitatensammlung
Teil 2
Zitate von Hannah ARENDT zum
SAMMELN von ZITATEN
1a Seit dem Wahlverwandtschaften-Essay steht im Zentrum jeder Arbeit Benjamins das Zitat. Schon dadurch unterscheiden sie sich von gelehrten Abhandlungen aller Art, in denen Zitate die Aufgabe haben, Meinungen zu belegen, und daher ruhig in den Anmerkungsapparat verwiesen werden können. Davon kann bei Benjamin keine Rede sein. Als er die Arbeit über das deutsche Trauerspiel vorbereitete, rühmte er sich einer Sammlung von »über ca. 600 Zitaten ... in bester Ordnung und Übersichtlichkeit«¹¹¹, und diese Sammlung, wie die späteren Notizbücher, war nicht eine Anhäufung von Exzerpten, welche die Niederschrift erleichtern sollten, sondern stellte bereits die Hauptarbeit dar, der gegenüber die Niederschrift sekundärer Natur war. Die Hauptarbeit bestand darin, Fragmente aus ihrem Zusammenhang zu reißen [zu dekonstruieren] und sie neu anzuordnen [zu rekonstruieren], und zwar so, daß sie sich gegenseitig illuminieren und gleichsam freischwebend ihre Existenzberechtigung bewahren konnten. Es handelte sich durchaus um eine Art surrealistischer Montage. Sein Ideal, eine Arbeit herzustellen, die nur aus Zitaten bestand, also so meisterhaft montiert war, daß sie jeder begleitenden Rede entraten konnte, mag skurril und selbstzerstörerisch anmuten, war es aber so wenig wie die gleichzeitigen surrealistischen Versuche, die ähnlichen Impulsen ihre Entstehung verdanken. [...]
S.232f
1b Dies Denken, genährt aus dem Heute, arbeitet mit den »Denkbruchstücken«, die es der Vergangenheit entreißen und um sich versammeln kann. Dem Perlentaucher gleich, der sich auf den Grund des Meeres begibt, nicht um den Meeresboden auszuschachten und ans Tageslicht zu fördern, sondern um in der Tiefe das Reiche und Seltsame, Perlen und Korallen herauszubrechen und als Fragmente an die Oberfläche des Tages zu retten, taucht es in die Tiefen der Vergangenheit, aber nicht um sie so, wie sie war, zu beleben und zur Erneuerung abgelebter Zeiten beizutragen. Was dies Denken leitet, ist die Überzeugung, daß zwar das Lebendige dem Ruin der Zeit verfällt, daß aber der Verwesungsprozeß gleichzeitig ein Kristallisationsprozeß ist; daß in der »Meereshut« - dem selbst nicht-historischen Element, dem alles geschichtlich Gewordene verfallen soll - neue, kristallisierte Formen und Gestalten entstehen, die, gegen die Elemente gefeit, überdauern und nur auf den Perlentaucher warten, der sie an den Tag bringt: als »Denkbruchstücke«, als Fragmente oder auch als die immerwährenden »Urphänomene«.
S.236
111 Briefe I [Suhrkamp, Frankfurt/M.1966], S. 339.
S.360
in „Walter Benjamin”, 1971
aus «Menschen in finsteren Zeiten»
https://wfgw.diemorgengab.at/zit/WfGWzit015380232.htm