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Zitatensammlung
Teil 2
Zitat von Walter ABENDROTH zu den
GOLDENEN ZWANZIGERJAHREN
1 Hier ist nun wohl eine genauere Untersuchung der zur Erörterung stehenden Epoche am Platze. Man hat für sie in unseren Tagen ein Kennwort erfunden, das in vielen Köpfen, die von der damaligen Wirklichkeit kein zutreffendes Bild mehr bewahren, schon große Konfusion anrichtete: das Wort von den Goldenen Zwanziger Jahren. Geprägt von Leuten, die »noch dabei waren«, beruht es indessen nicht auf Irrtum, sondern auf Geschichtsklitterung. Denn »golden« war jenes Jahrzehnt höchstens hinsichtlich seines allerdings außergewöhnlichen Reichtums an Talenten und intellektuellen Kräften. Fragt man jedoch, was deren glückliche Besitzer damit anfingen, so fällt, zum weit überwiegenden Teil, die Antwort schon weniger erbaulich aus. Alles in allem genommen, waren es Jahre der allerunerfreulichsten, verantwortungslosesten, zerstörerischten, wahnwitzigsten und verworrensten Art. Jahre, von denen man nur sagen kann: wie es Tatsachenlogik ist, daß auf solche Zwanziger solche Dreißiger folgten; auf solches Falschgold solche totale Falschmünzerei und solcher Existenzbankrott.
2 Die erste Grundvoraussetzung für die totale Diktatur von 1933 wurde schon mit der Neuordnung des Deutschen Reiches von 1919 geschaffen, welche die Länderhoheiten erheblich reduzierte und eine vordem nicht geahnte Zentralisation der Regierungsgewalt herstellte. Das Weitere besorgte die deutsche Unfähigkeit, Freiheit richtig zu verstehen und vernünftig zu gebrauchen, eine liberale Staatsordnung freiwillig zu respektieren. Da damals ja kein weltpolitisch bedingtes Sicherheitssystem die anarchischen Kollektivegoismen in Schach hielt, taten diese sich keinerlei Zwang an, ihre Machtkämpfe nicht hemmungslos auszutragen. Aber dem Siege einer der beiden extremen Richtungen, der nationalistischen oder international-kommunistischen, stand die »Indifferenz« der breiten bürgerlichen Mittelschicht entgegen. Sie wurde von beiden Seiten beschimpft und verachtet. Allein nur eben dieser Indifferenz - die im Grunde gar nicht bloß Trägheit, sondern, im Gegenteil, Entscheidung für Ruhe, Ordnung, Maß und fruchtbare Arbeit war -, nur eben dieser vermeintlichen Indifferenz war es zu verdanken, daß der offene, »heiße« Bürgerkrieg nicht zum Zuge kam. Doch gelang es der stetigen gemeinsamen Bemühung der radikalen Rechten wie der radikalen Linken, die friedliebende, teils konservativ, teils liberal, teils maßvoll sozialdemokratisch gesonnene, konfessionell wie parteipolitisch zersplitterte Mitte allmählich völlig lahmzulegen, sie moralisch zu entkräften, politisch zu diskreditieren und somit das eigentliche Fundament jedes Staatswesens - denn das war noch jederzeit das solide Bürgertum - zu untergraben. Indem die Extremisten von rechts und links - vornehmlich aber die von links, dank ihrer intellektuellen Überlegenheit - alle Autoritäten aushöhlten, auf denen die Weimarer Republik ruhte, schufen sie schließlich die tabula rasa, an welcher sich die Diktatur dann widerstandslos etablieren konnte.
3 Es muß festgehalten werden, daß nach dem Novemberumsturz von 1918 nicht zuerst Rechtsradikalismus da war und Unruhe stiftete, sondern der Linksradikalismus mit seinen verschiedenen Versuchen, das besiegte Deutschland dem Kommunismus zu unterwerfen. Ohne Spartakus[bund] keine Freikorps, ohne Münchner Räterepublik keine Chance für Adolf Hitler. Ohne das alles kein militanter Antisemistismus. Weder Hitlers Putsch noch sein Buch MEIN KAMPF (erschienen 1925) noch gar die Fememorde der »Schwarzen Reichswehr« wären nach dem Geschmack der Bürger gewesen, die vielmehr, soweit sie nicht schon Sozialdemokraten waren, der Ordnungskraft der deutschnationalen legalen Haltung vertrauten, wie sie sie nach dem Tode Friedrich Eberts durch den greisen Landesvatertyp Hindenburg am sichersten gewährleistet glaubten. Dagegen hätten sie sehr gern der lautstarken Linksparole »Nie wieder Krieg!« zugestimmt, wären deren Verkünder ihnen glaubwürdig erschienen; was jedoch angesichts der von den Friedensaposteln immer wieder (1923 noch in Hamburg) angezettelten Revolten etwas viel verlangt gewesen wäre. Wollte man die ganze tragische Verfilzung von Irrtümern und Gewaltsamkeiten, an der die Weimarer Republik unfehlbar eingehen mußte, auf ihre tieferen Ursachen zurückführen, so sollte man nicht immer nur das Bürgertum beschuldigen. Dessen natürliche staatspolitische Rolle ist es, »ruhender Pol in der Erscheinungen Flucht« zu sein. Eine Rolle, welche, zu gut gelernt, freilich diesmal tragisch auslaufen sollte, indem das unbegründete Vertrauen der mehr oder minder arglosen Bürgerseelen in die Altersweisheit eines politisch unfähigen ehemaligen Vaterlandsretters sie verführte, auch dessen schließliche Kapitualtion vor dem »böhmischen Gefreiten« widerspruchslos hinzunhemen. Die »Mitte« hatte eben zu viel Mittelmäßigkeit konserviert, und an deren Schwergewicht scheiterten immer wieder die Bemühungen selbst der tüchtigsten Politiker um einen Kurs verantwortungsfreudiger Besonnenheit. Allein - kann man es dem erklärten Willen zur Gewaltlosigkeit denn als Verbrechen ankreiden, wenn er vor dem dauernden Ansturm der Rigorosität zweier Gewaltsysteme allmählich in Fatalismus umschlägt? Ich denke: nein. Hingegen dürfte man sehr wohl den beiden extremen Gegenspielern ihre Wirklichkeitsblindheit vorwerfen: die »Rechten« begriffen nicht, daß nur neue liberale Ideen ihre Sache vor dem Gang der Geschichte gerechtfertigt hätten; die »Linken« waren auf eine Ideologie versessen, die einem Lande angemessen war, in welchem das neunzehnte Jahrhundert nicht stattgefunden hatte, die aber auf Mitteleuropa anzuwenden eine geschichtliche Fehlentscheidung von unabsehbarer Folgenschwere bedeutete. Von der verhältnismässig kleinen Klasse spezifisch bürgerlicher Intelligenz indessen, von der Gelehrtenwelt, eine »mittlere« Fortschrittsinitiative zu erwarten, hätte geheißen, das Wesen des Akademismus zu verkennen, der noch niemals freiwillig Impulse von außerhalb der Hochschulmauern aufnahm. Was aus diesen und aus national gesonnenen Literaten- oder Künstlerkreisen an vereinzelten, individuellen Stimmen der Mahnung zur Vernunft und Verantwortung vernehmbar wurde, verhallte wirkungslos gegenüber dem aggressiven Sprechchor der linksradikalen Kulturpropagandisten. Mehr als alles, was sich auf Straßen, Plätzen und in Versammlungslokalen an Demonstrationen, Radauszenen und Saalschlachten abspielte, »machte Geschichte«, was in der kulturpolitischen Sphäre geschah, (Wie ja fast alle Revolutionen, und gerade die blutigsten, nicht im »Volke« geboren wurden, sondern im Literatencafé ...)
S.129ff
4 Alle politischen Radikalismen aber leben vom Haß und für den Haß, und schon deshalb überwiegen in ihnen die zerstörerischen Kräfte die aufbauenden durchaus. Das gilt - zum mindesten betreffs der Lage am Jahresanfang 1933 - von der »Kommune« ebenso wie vom Nationalsozialismus. Ich gäbe viel darum, zu wissen, ob es aus bewußter Unwahrhaftigkeit oder unter der urteilstrübenden Einwirkung gegenwärtiger Gesinnungsmoden geschieht, wenn heute immer so getan wird, als sei nach dem Zusammenbruch der Weimarer Demokratie die Freiheit in Deutschland erloschen, weil es die »Nazis« waren, die an die Macht kamen. Als seien Persönlichkeitsrecht, Meinungsfreiheit und Unantastbarkeit des schöpferischen Geistes erhalten geblieben, wenn anstatt der radikalen Rechten die radikale Linke das Rennen gemacht hätte. Bezüglich des allerwichtigsten menschlichen Interesses hängt aber die Frage, welcher politischen Richtung, welcher Staatsvorstellung der Vorzug zu geben sei, gar nicht so sehr von den unterschiedlichen Konzepten, Ideologien und Phraseologien ab, sondern von dem Bekenntnis zur Respektierung oder zur Ignorierung der Menschenwürde in jedem Betracht. Dem freiheitsbedürftigen und verantwortungswilligen Individuum kann es schließlich gleichgültig sein, im Namen welcher Redensarten es vergewaltigt, verbogen, verdorben, erniedrigt und beleidigt wird. In der Perspektive von 1933 nahmen die Dinge sich so aus: vom Marxismus war bekannt, verbucht, verbrieft und durch Erfahrung bestätigt, daß sein Ziel (nach Friedells Formulierung) »die in Permanenz erklärte Tyrannei einer einzelnen Klasse« war, »noch ungerechter als alle jemals in die Geschichte getretenen, weil sie die der Niedrigsten wäre«; daß mithin dieses System darauf hinauslaufe, »alle anderen Klassenangehörigen auszurotten oder zu Proletariern zu kastrieren«. Die Nationalsozialisten hingegen waren so gerissen, ihre hemdsärmelige Primitivität nur als vorübergehendes Erfordernis der »Kampfzeit« auszugeben, im übrigen aber ihre angebliche Zielsetzung den Hoffnungen, Wünschen und Erwartungen des konservativen Bürgertums anzupassen. Dadurch konnte ihnen die Täuschung gelingen, sie seien die Retter vor drohender Versklavung, ja, noch mehr: die Wiederhersteller überlieferter Wertbegriffe, die kämpferischen Bewahrer alter Kulturtradition. Nicht wenige intelligente Menschen glaubten daher, die zynische Offenheit von Hitlers Buch als bloße Großsprecherei eines noch machtlosen Ehrgeizigen deuten zu dürfen; und sie vertrauten darauf, daß auch in diesem Falle nichts so heiß gegessen werden würde, wie es gekocht war. [...] Aus heutiger Sicht darüber zu spotten oder gar jenen Gutwilligen zweideutige Motive zu unterstellen, ist ein billiges und nicht besonders redliches Beginnen. Man sollte vielmehr bedenken, daß auch das gesamte in Mitleidenschaft gezogene Ausland noch jahrelang eine ähnliche positivistische Haltung zum Hitlerstaat einnahm. Weder versagten die anderen Nationen diesem Staate die Anerkennung, noch setzten sie den bald einander auf dem Fuße folgenden Vertrags-, Rechts- und Abmachungsbrüchen ernstlichen Widerstand entgegen. [...]
S.177ff
aus «Ich warne Neugierige»
https://wfgw.diemorgengab.at/zit/WfGWzit006450129.htm