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Zitatensammlung
Teil 2
Zitat von Ernst MOLL zu
ETYMOLOGIE und LAUTLINGUISTIK
1 Etymologie und Lautlinguistik, so hat es den Anschein, sind also nicht in Deckung zu bringen. - [...] Nicht nur, daß die beiden Betrachtungsweisen keine exklusiven sind: sie ergänzen sich gegenseitig und erhöhen sich in ihrer Bedeutung. Das Gesetz der Sprache der Laute hebt die Etymologie nicht auf. Wenn 'prägnant' von 'praegnans, schwanger' kommt, so steht das nicht im Gegensatz zum Wortinhalt von 'prägen'. Es ist das nur ein anderer Aspekt - und jedes Wort hat letztenendes seinen eigensten Aspekt - des Lautausdruckes der Verbindung P-R. Und die lautsprachliche Formel für die Verbindung P-R ist eben 'Druck', vor allem 'Ausdruck'. [...] Die Deutlichkeit der Ex-Pression ist vorhanden in 'prägen' wie 'praegnans', in 'protzig' wie 'prächtig', 'prunkend' und 'prahlend', 'predigend' und 'preisend'. Alles, was hervortritt ist P-R. Daher die Verbindung P-R in den Praefixen aller Sprachen: in latein. 'pro' (vor) und 'prae' (voran), altlat. 'pris' (vorlängst), lat. 'prior' (vorderer), 'pridie' (tagsvorher), 'primus' (erster), 'priscus' (uralt). griech. 'prin' [πριν] (vorher) und 'protos' [προτος] (erster), slaw. 'prv' (erster) und 'prĕžde' (vorher), 'prĕd' (vor) und 'pro-, prĕ-' (durch) sowie 'prĕ-' als Ausdruck höchster Steigerung usf., in allen Variationen s-pr-icht sich in allen S-pr-achen das Ausdrücken, Durchdrücken, Vordrücken aus in der Konsonantenverbindung P-R. In jeglichem Falle, woher ein Wort komme, spricht es durch die Sprache der Laute. An einem weiteren Beispiel wollen wir das Verhältnis der Bedeutungslinguistik zur etymologischen Forschung dartun. Wir verweisen dabei auf die kleine Schrift von Hermann Beckh: Etymologie und Lautbedeutung im Lichte der Geisteswissenschaft. Da Hermann Beckh einer der ersten gewesen ist, der die geisteswissenschaftlichen Anregungen Rudolf Steiners auf diesem Felde aufgenommen hat, so sind die Resultate seiner Arbeiten im allgemeinen als Grundlage für die vorliegende Schrift mit einbezogen worden.
2 Der B-Laut stellt dar die Gebärde des schützenden Umhüllens, und wir können ihn, seinem griechisch-hebräischen Namen [βέτα - בית] entsprechend ansehen als den Laut des 'Hauses'. Unter dieses Grundthema des Hauses können wir auch ein Wort mit einfügen wie beispielsweise das moderne Wort 'Büro'. In seinem B-Laut verkörpert sich der Begriff des Hauses oder Raumes. Nun werden wir durch die Etymologie belehrt, daß 'büro' aus dem Französischen kommt und dorthin aus dem Lateinischen. Da bezeichnet 'burra' ein bestimmtes Gewand. In altfranzösisch 'bure' wird es zu 'Tuch'. Die Verkleinerungsform ist 'burel', der 'mit Tuch bezogene Tisch' oder 'Amtstisch'. Endlich wird aus 'burel' das 'bureau', d. h. die 'Stube, in der der Amtstisch steht'. Fast bürokratisch genau, möchte man sagen, haben wir hier den mehrfachen Bedeutungswandel und die begriffshistorische Erklärung für das Wort durch die etymologische Forschung gegeben. Man kann sich damit zufrieden geben. Und dennoch bleibt ein Rest. Die etymologische Antwort befriedigt den Historiker. Nicht so den, der aus der Sprache selber schafft, den Künstler in uns, den Dichter. Etymologie läßt das Werden des Wortes bestimmt sein durch Faktoren, die außerhalb seiner selbst liegen. Historische Zufälle spielen eine Rolle. Gibt es da keine Möglichkeit, das Werden des Wortes aus sich selbst zu verstehen? Das Wort zum Sprechen zu bringen aus seinen Lauten, wie der Maler malt aus der Farbe? Das ist freilich ein völlig ungewohntes, ganz neues Anschauen der Sprache! In unserem Falle wird man sich z. B. folgendes sagen: die verschiedenen Sprachen drücken den Begriff des Kleides, Gewandes durch den Hüllenlaut B aus. So auch das lateinische 'burra'. Es spricht das Erlebnis des Schützens, Umhüllens, das uns die Kleidung vermittelt, durch den B-Laut aus. Dieses Erlebnis nun ist der bleibende Hintergrund, das Dauernde im Wechsel der Begriffe, die das Wort durchmacht von 'burra' als einem Gewande bis zu 'Büro' als einem Raume. In der Übergangsform 'bure, burel', das 'Tuch' haben wir wiederum das, was schützend als Decke über den Tisch gelegt wird. (Im Slawischen steht das P in 'plat' = 'Tuch'.) Das 'Büro' als Zimmer schließlich schildert den B-Laut als das Ergebnis der umschließenden Wände. Eine ganze Reihe von Begriffen haben wir durchlaufen. Das verborgene Worterlebnis, das sie zusammenhält, ist wesentlich das des Umhüllens. Die Sprache des Lautes ist das Bleibende im Wechsel der Begriffe. Nicht nur etymologisch-historisch haben wir das Wort begriffen, es wird uns bewußt aus dem (auch heute noch) schaffenden Sprachgeist heraus.
aus «Die Sprache der Laute»; S.8f
https://wfgw.diemorgengab.at/zit/WfGWzit006190008.htm