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Zitatensammlung
Teil 2
Zitat von Emil BOCK zur
PERIKLEÏSCHEN KULTUR
1 Das Hervortreten der perikleïschen Kultur in ihrer stolzen Außenentfaltung war wie das Aufbrechen von Knospen, die sich über Nacht in ein Meer von prächtigen, bunten Blüten verwandeln. Was in der Verborgenheit gereift war, das trat nun in seiner erstaunlichen reichen Schönheit hervor.
2 Die schlichten, dunkel-schweren altdorischen Tempel der griechischen Frühzeit waren, sparsam an Zahl und Größe, meist den Blicken der Menge entzogen. Wer nicht selber zum unmittelbaren Umkreis der Mysterien- oder Orakelstätten gehörte, ahnte jene Götterwohnungen mehr, als er sie sah. Nun setzt eine völlig neue Baugesinnung und Baufreude ein. Die Architektur bricht ihr Schweigen, reißt alle, die Künstler und das Volk, in ihren Bann und entzündet in ihnen die zum Schöpfertum drängende Begeisterung. Eine ganz neue Götterhierarchie scheint es zu sein, die jetzt will, daß man ihr Wohnstätten baut auf Erden. Jetzt erst ist endgültig die alte, titanisch-dunkle, chthonische Gestaltenreihe der kosmischen Urgewalten, zu denen noch Uranos und Kronos-Saturn gehörten, abgetreten, und die helleren, menschennahen Göttersöhne des Zeus-Geschlechts bleiben zurück. In dem Reichtum der hellen, schönheitsglänzenden Tempel, die im perikleïschen Griechenland entstehen, treten die olympischen Götter offen und frei mitten in den Lebenskreis der Menschen ein. Wie von der Akropolis zu Athen der Parthenon, so leuchten allenthalben die weißen Tempel als Wahrzeichen einer neuen Welt in die menschenwimmelnden Städte herein.
3 Eine Veränderung von allergrößter Tragweite tritt im Kulturschaffen dadurch ein, daß auf allen Gebieten des Geisteslebens plötzlich einzelne klarumrissene Künstler- und Gelehrtenpersönlichkeiten dastehen, deren Namen bald in aller Munde sind. Bisher war alles Schöpfertum streng gebunden geblieben an die überpersönlichen Schulen, die unter der Vormundschaft der Tempelpriesterschaften nach uralten ehrwürdigen Traditionen arbeiteten, vom Volk als Diener der heiligen Mysterien empfunden und anerkannt.
4 So gibt es nun auf einmal neben dem mutig-fortschrittlichen Baumeister die großen freischaffenden Plastiker, die sich nicht nur aus der priesterlichen Bevormundung, sondern auch von dem Gesetz des archaisch-strengen Stiles lösen: allen voran der große Altersgenosse und Freund des Perikles: der Athener Phidias, der kühne Schöpfer der goldenen und elfenbeinernen Götterbilder des Zeus in Olympia und der Athene auf der Akropolis (500-429). Die Plastik eines Phidias machte schnell Schule ähnlich wie die Architektur des Iktinos, der den Parthenon [mit]erbaute. Eine unermeßliche Fülle von plastischen Kunstwerken entstand. Denn darin lag das Unerhörte und doch zugleich Faszinierende: die neue Kunst folgte eine[r] Lehrmeister[in], d[ie] jedermann zur Verfügung stand: der Natur und vor allem dem Wunderbau des Menschenleibes. In ideal-schönen Menschengestalten wurden fortan die Götter gebildet.
5 Die übliche kunstgeschichtliche Meinung ist die: damals habe sich der bildhauerische und der künstlerische Stil überhaupt von einer primitiven Stufe schnell zu einer erstaunlichen Vollkommenheit emporentwickelt. Der Umschwung ist aber ein noch grundlegenderer, als es diese Auffassung erkennen kann. Der harte, strenge, archaische Stil, der in der Plastik noch voller Anklänge an die ägyptischen Kunstwerke ist, ist keineswegs die Frucht eines primitiven irdischen Sehens. Er ist vielmehr der Ausdruck dessen, was einst mehr übersinnlich-seherisch erlebt worden war und wovon die heilige Tradition im Bereiche der Mysterien gehütet wurde. Deshalb sind die Zeugnisse der vorperikleïsch-griechischen Kunst auch nie ohne ein gewisses, über das Menschliche hinausgehendes magisches Element. Das unerhört Neue an den Bildwerken z. B. eines Phidias war dies: der physisch-irdische Blick und Sinn war jetzt im Menschen so voll erwacht und herangereift, daß er es an Stelle der Kräfte des alten Schauens wagen konnte, kunst- und kulturschöpferisch zu werden. Die nächtlichen Sinne des Menschen sind nun endgültig durch die wachen Tagesorgane abgelöst; die Welt der Mysterien weicht dem zwar wunderreichen, aber geheimnisarmen Reich des irdischen Vordergrundes. Und damit gebiert sich das Schönheitsempfinden, das dann mehr als 2000 Jahre die Menschenseelen beherrscht hat: als schön galt die auf ihre ideale, reine Form und Proportion zurückgeführte, irdisch-sinnliche Gestalt.
6 In der Malerei, die im Griechentum eine stillere Kunst geblieben ist, tritt derselbe Umschwung in ein völlig neues Element hinein ein, als der Athener Apollodorus in die Bildfläche die perspektivische Dreidimensionaliät einführte und so eine solche naturalistische Annäherung des Bildes an die dargestellte sinnliche Wirklichkeit vollzog, daß die Zeitgenossen darüber zunächst erschrocken sein müssen. Auch hier war die bis dahin allein anzutreffende perspektivelose Malerei, die alle Gestalten aus der räumlichen Ordnung herausnahm und gleich der ägyptischen Mal- und Reliefkunst neben- oder übereinander in eine Fläche hineinbannte, keineswegs eine primitive Vorstufe, sondern die Ausgestaltung eines alten übersinnlichen und überräumlichen Schauens. Mit der Einführung des perspektivischen Bildes, das alle drei Dimensonen des Raumes abzubilden unternimmt, verdrängt wiederum der irdische Sinn den alten Mysterienblick und seine Magie.
aus «Cäsaren und Apostel»; S.24ff
https://wfgw.diemorgengab.at/zit/WfGWzit002590024.htm