FML JANSA
«Aus meinem Leben»
X
LEITER d. SEKTION III
im BMf.Landesverteidigung und
CHEF d. GENERALSTABES
für die bewaffnete Macht
1.VI.1935 - 16.II.1938
Soweit Originalquellen überhaupt noch vorhanden wären, sind sie im Kriegsarchiv für 50 Jahre gesperrt. Ich konnte bei der Darstellung daher nur über wenige persönliche Notizen; meinen Vortrag vom 30.11.1935 im Verband der katholischen Edelleute; die Ansprache vom 12.2.37 beim Appell der Frontmiliz; das Übergabsverzeichnis der unter persönlicher Sperre gehaltenen Geheimakten vom 1.3.38 an GM.Böhme; und über aufbewahrte Briefe an mich verfügen. Die Richtigkeit der Darstellung habe ich durch Hofrat GM.a.D. Dr.Liebitzky und den einzigen überlebenden Offizier aus der Operationsabteilung, Obersten Krische, prüfen lassen, denen ich für ihre Mühewaltung bestens danke.
Ostern 1935 verbrachten meine Frau und ich, von Berlin kommend, in Österreich, wo wir mit unseren Töchtern für die Dauer der kurzen Oster-Schulferien am Semmering Aufenthalt nahmen.
Der Zufall fügte es, daß der Staatssekretär für Landesverteidigung, GdI.Zehner, am Karfreitag ins gleiche Kurhaus kam und bis zum Ostersonntag blieb. Da ergab es sich ganz natürlich, daß wir die politische und militärische Lage zu zweit durchsprachen. Er erzählte, daß der Präsidialchef des Ministeriums, GdI.Brantner, sehr für die Aufstellung einer III.Sektion im Ministerium eintrete, welche alle Agenden des seinerzeitigen Chefs des Generalstabes bearbeiten sollte. Zehner erkundigte sich, wie ich diese Absicht beurteile: ich konnte ihm nur meine Zustimmung zum Gedanken Brantners versichern und aus meiner Erfahrung als Militärattaché auf die Rüstungen Hitlers verweisen, die Österreich zwängen, alles für seine Wehrhaftigkeit zu tun; Hitler weiche bisher bewaffneten Konflikten noch aus, aber in etwa zwei Jahren werde man mit Gewaltaktionen zu rechnen haben. Zehner fragte, ob ich Bundeskanzler Dr.Schuschnigg in diesem Sinne referiert hätte, da dieser eine ähnliche Meinung ausgesprochen habe. Das bejahte ich, worauf Zehner mich fragte, ob ich bereit wäre, die Leitung jener Sektion III zu übernehmen. Aus seinem zögernden Verhalten empfing ich den Eindruck, daß die Frage nicht auf Grund seiner eigenen Überlegung, sondern im Auftrag des Kanzlers gestellt wurde. Meine Antwort war: „Ja; selbstverständlich, wenn Ihr niemand Besseren findet! Aber Ihr müßt mich arbeiten lassen!” Zehner quittierte sie mit der Bitte, ich möge bald nach Wien kommen.
In Wien angekommen, machte ich Gen.Brantner im Ministerium von der Unterredung Mitteilung. Er zeigte sich bereits unterrichtet und sagte, daß die diesbezüglichen Erlässe in den nächsten Tagen herauskämen. So blieb nur meine Nachfolge in Berlin zu regeln, für die ich - schon im Rahmen meines neuen Wirkungskreises - Obst.Pohl vorschlug.
Meine Frau und ich kehrten nach Berlin zurück, wo wir mit den Vorbereitungen für den Umzug nach Wien und den Verabschiedungen begannen.
In den ersten Junitagen übernahm ich schließlich die Leitung der Sektion III im Bundesministerium für Landesverteidigung und damit die Aufgaben des Chefs des Generalstabes. Die allgemeinen Grundsätze, die mir während der ganzen Dauer meiner aktiven Tätigkeit vorschwebten, waren erstens einmal die engste gegenseitige Zusammenarbeit mit dem Bundeskanzleramt/Auswärtige Angelegenheiten; die außen- und innenpolitische Lage erachtete ich für derart schwierig, daß es keine persönlichen Eitelkeiten, Eifersüchteleien oder gar Gegensätzlichkeiten geben durfte. Zum zweiten erschien mir ein ängstliches Leisetreten gänzlich fehl; es durfte weder im eigenen Lager noch in Deutschland und den anderen Staaten den geringsten Zweifel an unserer unbeugsamen Entschlossenheit Raum gegeben werden. Ich war also gewillt, jedem, der es hören oder auch nicht hören wollte, immer wieder unzweideutig klar und laut zu sagen, daß ich alles in meinen Kräften liegende tun werde, um jedem Angriff - von wo immer er kommen möge - mit der ganzen Wucht der Waffen des Bundesheeres zu begegnen. Ebenso laut und deutlich sprach ich aus, daß mir auf diesem Weg ein jeder, der entschlossen zu Österreich stehe, willkommen sei und daß ich insbesondere von der „Heimwehr” den engsten Anschluß an das Bundesheer erwarte. Die Art, wie diese Absicht in die Tat umgesetzt werden sollte, hatte strengstes Dienstgeheimnis zu bleiben, dessen geringste Verletzung schärfste Ahndung erfahren würde.
Meine Antrittsbesuche, bei denen ich die vorstehenden Gedanken zur Aussprache brachte, beschränkte ich auf möglichst kleinsten Umfang. Beim Außenminister Berger-Waldenegg fand ich den gleichen Willen zur Zusammenarbeit wie insbesondere auch beim Leiter der politischen Abteilung dieses Ministeriums, dem Gesandten Hornbostel.
Anläßlich meiner Meldung bei Bundeskanzler Schuschnigg, der zugleich die Agenden des Bundesministers für Landesverteidigung führte, konnte ich meine Absichten ausreichend darlegen und fragen, ob die knappe Formulierung seiner Außenpolitik als Basis für die Wehrpolitik, wie ich sie auf einem Bogen niedergeschrieben hatte, richtig sei; diese Notiz lautete: „Ziel der Außenpolitik ist die Erhaltung der Unabhängigkeit Österreichs.” Der Kanzler besah diesen Satz, bejahte ihn nach kurzer Überlegung und ergänzte ihn durch die Hinzufügung, „um es (Österreich) politisch zu konsolidieren und wirtschaftlich aufzubauen.” Hierauf resumierte ich, daß dies Kampf mit Hitler bedeute und es meine Aufgabe sei, Österreich raschestens verteidigungsfähig zu machen, wofür das Söldnerheer nicht genüge, sondern das ganze Volk durch eine allgemeine Wehrpflicht herangezogen werden müsse. Die Kostenfrage und Beschaffung der Mittel wurde diesmal nur am Rand erwähnt, weil dafür Ausarbeitungen notwendig waren, die ich erst veranlassen mußte.
Wenn ich dieserart mit meinen Aussprachen am Ballhausplatz zufrieden war, so konnte ich das von meiner Meldung beim Heeresinspektor, dem Staatssekretär und den Besuchen bei den Sektionschefs und Abteilungsleitern des Ministeriums für Landesverteidigung nicht behaupten. Vielmehr traf ich auf Skepsis und Zurückhaltung. Besonders in Hinblick auf die Aussicht, die nötige Erhöhung der budgetären Mittel zu erhalten, herrschte eine Resignation, wie sie die 15jährige immer mehr oder weniger wiederkehrende Abwürgung des Bundesheeres folgerichtig erzeugen mußte.
Mit besonderer Herzlichkeit und großem aufmunterndem Vertrauen empfing mich der Präsident der Bundesbahnen, der langjährige, hochverdiente frühere Minister für Landesverteidigung, GdI.Carl Vaugoin. Bei dieser Gelegenheit sagte er mir: „Du wirst vielleicht staunen, lieber Freund, daß der Zehner Staatssekretär geworden ist. Da bin ich mitschuldig daran: weißt, wie der Fürst Schönburg zurückgetreten ist, da hat mich der Dollfuß um einen Nachfolger gefragt. Er wollte aber absolut keinen Generalstäbler. Wie ich im darauf g'sagt hab', daß Heeresminister sein nicht so einfach ist, daß man da doch eine höhere Ausbildung braucht, hat er mir geantwortet, daß ich selbst keine höhere Ausbildung gehabt hab' und doch ein ganz guter Minister war. Er will keinen Generalstäbler, er will einen Truppenoffizier. Und da hab' ich ihm halt den Zehner genannt, weil der wenigstens einen Intendanzkurs gemacht hat.” Ich erzähle diese Episode nur, um zu zeigen, daß Diktatoren keine Fachleute mit höherer Ausbildung um sich leiden wollen. Das hat aber an meiner Verehrung für Bundeskanzler Dollfuß, den ich ob seiner Kraft und Impulsivität, seines Mutes und seines reinen Österreichertums besonders geschätzt habe, nichts geändert. Hitler wußte intuitiv, daß er Dollfuß morden lassen mußte: denn wenn Dollfuß gelebt hätte, wäre die deutsche Wehrmacht nicht kampflos nach Österreich eingebrochen!
Von großer Bedeutung für das Vorwärtstreiben der militärischen Arbeiten war für mich die Gewinnung der Freundschaft und hingebungsvollen Unterstützung unseres hervorragend begabten, von Treue und glühendem Patriotismus erfüllten Militärattachés in Rom, Obst.Dr.Liebitzky. Dieser weilte kurz nach meiner Bestellung in Wien, und meine ihm dargelegten Absichten fanden seine freudige Zustimmung, was in der Folge zu einer idealen, sich gegenseitig ergänzenden, nie durch einen Mißton gestörten Zusammenarbeit führte, die bis zum traurigen Ende und noch darüber hinaus währte. Diese Zusammenarbeit war deshalb so wichtig, weil Oberst Liebitzky sowohl bei Kanzler Schuschnigg, als auch beim italienischen Ministerpräsidenten Mussolini volles Vertrauen und bei Mussolini sogar eine unseren Gesandten überragende Stellung gewonnen hatte. Mussolini war der einzige Freund des „selbständigen, unabhängigen” Österreich, der durch die Tat des Aufmarsches seiner Divisionen am Brenner nach der infamen Ermordung unseres Bundeskanzlers den Wert seiner Freundschaft unter Beweis gestellt hatte und der in der Folge großes Gewicht auf eine militärische Stärkung Österreichs legte. Er trug zu dieser auch durch wiederholte Überlassung von Gewehren, Maschinengewehren und Geschützen samt Munition tatkräftig bei.
Bevor ich mit der Erzählung meiner Arbeit als Leiter der Sektion III beginne, muß ich die damals bestandenen Verhältnisse im Bundesheer und jene im Ministerium kurz darlegen:
Der Friedensvertrag von Saint-Germain hatte die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft und die Freiwilligenergänzung mit zwölfjähriger Dienstzeit vorgeschrieben. Die Gesamtstärke des Heeres durfte nur 30.000 Mann einschließlich der 1.500 Offiziere und ebensovieler Unteroffiziere sowie 450 Maschinengewehre und 90 leichte Geschütze betragen. Besondere Kampfmittel wie Gas, Flammenwerfer, Panzerkraftwagen und Luftstreitkräfte waren verboten. Ergänzungskader durften nicht gebildet und Mobilisierungsmaßnahmen nicht bearbeitet werden. Die hochentwickelte österreichische Waffenindustrie mußte vernichtet werden; nur eine beschränkt leistungsfähige Staatsfabrik blieb zugestanden. Die Ein- und Ausfuhr von Waffen wurde verboten. Niemand außerhalb des Heeres durfte sich mit militärischer Ausbildung befassen.
In der Hauptsache den Ländergrenzen entsprechend wurden nach diesen Bestimmungen 6 gemischte Brigaden und einige heeresunmittelbare Formationen aufgestellt. Jede Brigade bestand aus 6 Bataillonen Infanterie, 1 Radfahrbataillon, 4 Batterien, 1 Schwadron, 1 Pionierbataillon und aus je 1 Telegraphen-, Kraftfahr- und Fahrkompanie. Alles in allem eine militärische Lösung, die trotz aller Beschränkungen bei einem normalen Verstandes- und Seelenzustand von Volk und Staatsleitung eine Nutzung des Heeres zur Erhaltung der Wehrhaftigkeit in höherem und weiteren Sinne wohl ermöglicht hätte. Aber die sattsam bekannte revolutionär-bolschewistische Führung der sozialdemokratischen Partei durch Otto Bauer einerseits, die Verängstigung, parteiische Zerklüftung und das mangelnde Staatsbewußtsein anderseits ließen die Politisierung des Heeres zu und stellten es in den Mittelpunkt eines leidenschaftlichen Parteienkampfes, der dem Heer in den folgenden eineinhalb Jahrzehnten nur die Mittel zum dürftigen Vegetieren, nicht jedoch zu einer Fortentwicklung gewährte.
Es ist das nie deutlich genug betonbare Verdienst des langjährigen Heeresministers Vaugoin sowie der aus der kaiserlichen Armee hervorgegangenen Offiziere und Unteroffiziere gewesen, in einer oft bis zur Selbstaufopferung gegangenen Zähigkeit den Revolutionsschutt nach und nach weggeräumt und dem Staat ein neues Heer aufgebaut zu haben, das nach soldatischem Können, Gesinnung und Zuverlässigkeit den schwersten Lagen mustergültig entsprach. Zahllos sind die Assistenzleistungen gelegentlich vieler Elementarereignisse gewesen, und oft mußte das Bundesheer als letzter Rückhalt der Regierung zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung dienen. Nach der von Deutschland geleiteten Ermordung des Bundeskanzlers und bewaffneten Erhebung der österreichischen Nationalsozialisten rettete das Heer im Kampfeinsatz die Existenz des Staates, wobei 4 tote Offiziere, 44 Soldaten, 8 verwundete Offiziere und 171 verwundete Soldaten zu Blutzeugen der militärischen Pflichterfüllung geworden sind. Wie sehr im Heer die Pflichterfüllung über dem Einzelempfinden stand, zeigt die Tatsache, daß zwei von den gefallenen Offizieren eingeschriebene Nationalsozialisten waren.
Es darf zur richtigen Beurteilung der Lage aber auch nicht verschwiegen werden, daß die ewige Ablehnung der vielen mahnenden Forderungen des Heeres jenen schier unfaßbaren Zustand der Selbstentwaffnung herbeiführte, der das Heer weit unter jenen Minimalstand sinken ließ, den die drakonischen Friedensdiktatoren von Saint-Germain für die Aufrechterhaltung der Ordnung im Innern als notwendig erkannt und vorgeschrieben hatten. Anstatt jener 30.000 Mann zählte das Heer bis zum ersten Durchgreifen der Regierung Dollfuß durchschnittlich nur 18-20.000. Dazu muß noch hervorgehoben werden, daß das uns aufgezwungene Söldnersystem von dem durchschnittlich 90 Millionen Schilling betragenden Heeresbudget 60 Millionen für Personalkosten infolge der hohen Mannschaftsentlohnungsgebühren verbrauchte, so daß bloß 30 Millionen für Sachausgaben verwendbar blieben. Wie sehr die lange Dauer so enger Verhältnisse den Geist, die Dienstfreude und die Zuversicht besonders bei den weiterschauenden Offizieren ungünstig beeinflußte, liegt für jeden Verständigen klar auf der Hand. Daß trotzdem für die zeitgemäße Entwicklung des Heeres einigermaßen etwas geleistet wurde, stellt die Sauberkeit und Gewissenhaftigkeit der Verwaltung sowie die geistige Spannkraft der leitenden Funktionäre in ein besonders helles Licht, so daß in diese gehemmte Entwicklungsperiode immerhin fielen:
die Einführung eines leichten Maschinengewehres,
die Konstruktion eines sehr guten Minenwerfers und
eines Panzerabwehrgeschützes, das mit seinem 4,7cm-Kaliber an Durchschlagskraft das damalige deutsche wesentlich übertraf,
die Einführung des Spitzgeschoßes für alle Infanteriewaffen,
eine wesentliche Leistungssteigerung der vorhandenen Geschütze,
die Umorganisierung der Radfahrbataillone in Jägerbataillone auf den ausgezeichneten sechsrädrigen, fast jedes Gelände glatt durchfahrenden Steyr-Kraftwagen,
die Schaffung neuer Pioniermotorboote mit besonderer Leistungskraft,
die Gründung der militärischen Fliegerschule in Thalerhof bei Graz,
die ersten theoretischen Vorarbeiten für den Luftschutz der Gesamtbevölkerung,
die Einführung neuer, bester Geräte bei den Telegraphenkompanien und schließlich
die Anlage eines das ganze Bundesgebiet umspannenden Radionetzes rein militärischen Charakters.
Mit Übernahme der Regierung durch Dollfuß, der die notwendige Stärkung der Wehrkraft zur Sicherung seiner Unabhängigkeitspolitik mit soldatischer Klarheit erfaßte, begann für das Bundesheer eine Zeit des Aufschwungs. Als erstes gab er im Frühjahr 1933 dem österreichischen Bundesheer die schöne, im Volk unvergeßlich gebliebene altösterreichische Uniform wieder. Er behob damit den groben Fehler vom Jahr 1919, der dem Bundesheer die reichsdeutsche Bekleidung aufgezwungen hatte.
Von Mussolini ermutigt trat er sodann folgerichtig mit seinem mitreissenden Elan an den Völkerbund in Genf heran und forderte, Österreich wenigstens teilweise von der unpopulären und kostspieligen 12jährigen Dienstzeit der Söldner zu befreien und die Komplettierung der Truppenstände auf die im Friedensvertrage vorgesehenen 30.000 Mann durch kurz dienende Mannschaften zu ermöglichen. Er hatte Erfolg und wurde ermächtigt, dem Bundesheer 8.000 kurz dienende Leute als „Assistenzkorps” anzugliedern. Darauf gründend wurde das Wehrgesetz vom Jahr 1920 durch eine provisorische Wehrordnung ersetzt, wonach die „bewaffnete Macht” (welch schöne altösterreichische Benennung) aus dem Militärassistenzkorps und dem Bundesheer bestehen sollte. Praktisch trat diese dem Völkerrecht Rechnung tragende juristische Formulierung der Unterscheidung von zwei Teilen im Heere nicht in Erscheinung. Der energische, sehr gescheite und zielklare GdK.Brantner, der unter GO.Schönburg neben dem Präsidialbüro des Landesverteidigungsministeriums auch die Leitung der Sektion I übernommen hatte, trieb diesen beginnenden Aufschwung im Heerwesen kräftig vorwärts. Alle Anwerbungen für das Bundesheer geschahen nun ausnahmslos über das Assistenzkorps, was bedeutete, daß alle Bewerber vorerst nur mit höchstens ein-jähriger Dienstverpflichtung als „A”-Männer aufgenommen und die Bewerber um eine längere Dienstverpflichtung erst nach ihrer erwiesenen Qualität zu „B”-Männern übersetzt wurden.
Die hierdurch erzielten Vorteile waren mehrfach:
durch einen raschen Wechsel von jährlich rund 8000 Männern (gegenüber etwa 2000 vorher) wurde endlich mit der Bildung der so dringend notwendigen Reserve an ausgebildeten Soldaten begonnen,
die länger dienenden, ausgewählten „B”-Männer konnten zu einem hochwertigen reinen Instruktionsrahmen für spätere Heeresvergrößerungen werden,
die Anwärter für die Offizierslaufbahn kamen aus einem größeren Personenkreis und erfuhren vor ihrer Einteilung in die Militär-Akademie nach Wr.Neustadt durch die größer gewordene Zahl der Konkurrenten eine schärfere Auslese,
die Verringerung der Löhnung für die nur ein Jahr dienenden Männer von täglich 5 S auf 50 g ließ endlich (bei dem auch 1935 mit 116 Millionen Schillingen noch immer sehr schmalen Budget) die volle Ausnützung des im Friedensvertrag zugebilligten Standes von 30.000 Männern zu und schließlich
besserte sich das Verhältnis zwischen Personal- und Sachaufwand von 33% auf 57% zugunsten des Sachaufwandes im Heeresbudget.
Es konnten deshalb
für die Infanterie eine seit längerer Zeit in Erprobung gestandene Maschinenpistole,
für die Fortbringung von schweren Maschinengewehren, Munition und technischem Gerät, als Ersatz für die in Österreich nicht erhältlichen Tragtiere, ein kleines auf Raupen geländegängiges Fahrzeug beschafft werden, das heute als „Motormuli” bezeichnet in der Forstwirtschaft unentbehrlich geworden ist;
zu Ausbildungszwecken eine Anzahl kleiner, italienischer, mit Maschinengewehren bewaffneter Panzerwagen gekauft werden;
die bei Bofors in Schweden schon länger betriebenen Studien für eine 15cm-Haubitze, aber auch für eine 4cm-Flugzeugabwehrkanone intensiviert und Vorbereitungen für den Lizenzbau dieser Waffen in Österreich getroffen werden;
der Artillerie sehr leistungsfähige Zugwagen für mittlere Geschütze besorgt werden;
die gute österreichische Autoindustrie zum Bau von Panzerspähwagen und Traktoren für leichte Geschütze und Minenwerfer angeregt werden;
der Flugzeugmotorenbau und auch der Flugzeugbau eingeleitet und eine größere Zahl englischer Übungsmaschinen gekauft werden.
Aber auch die organisatorische Gliederung des Heeres erfuhr die schon lange erstrebte Ausweitung von 6 Brigaden zu 7 Divisionen, die, wenn sie auch mangels genügender Mittel oft mehr optischen als realen Gehalt hatte, immerhin achtbare Fortschritte brachte.
[Anm.v.Liebitzky: „Die Umorganisation (in Divisionen) wurde mehrmals von Mussolini angeregt. Ich fuhr nach Wien und legte dar, wie man vorerst durch Umbenennung der bisherigen Verbände in Divisionen den Rahmen schaffen könne, der sich nach und nach ausfüllen ließe. Sofort sei aber eine optische Wirkung erreicht, weil die Armeen meist nach der doppelten Zahl der Divisionen (Linien- und Reservedivisionen) eingeschätzt würden. Es kostete ziemliches Drängen, bis man in Wien darauf einging.”]
Die 7.Division wurde in den wehrgeographisch zusammengehörenden Ländern Osttirol und Kärnten gebildet und bekam durch Neuaufstellung je eines Bataillons beim Kärntner InfRgt.Nr.7 und in Spittal einen guten Ansatz zum weiteren Ausbau. Im Bereiche der Tiroler 6.Division wurde je ein neues Bataillon in Hall und Salzburg formiert und für die Regimenter die alten Namen Kaiserjäger und Landesschützen wieder eingeführt.
Die Brigadeartillerieabteilungen wurden mit Hilfe der von Italien überlassenen Geschütze zu Artillerieregimentern erweitert. Etwas ganz Neues, den zeitgemäßen Anforderungen Rechnung tragendes, war die Aufstellung einer „Schnellen Division” durch Zusammenfassen der Kraftfahrjägerbataillone in eine Brigade, Beigabe einer Kraftfahr-Artillerieabteilung, Vereinigung der Schwadronen zu zwei Regimentern in einer Kavalleriebrigade, Schaffung einer motorisierten Pionierkompanie und Zuteilung der ersten aus Schulwagen entwickelten Panzerwagenkompanie.
So bedeutsam alle aufgezählten Fortschritte erscheinen, so war das ganze Heer doch hauptsächlich auf die innerstaatlichen Bedürfnisse hingerichtet; für seine Bereitstellung zum Kampf gegen äußere Feinde fehlten durch die peinlich genaue Einhaltung der Verbote des Friedensvertrages alle geistigen und materiellen Vorbereitungen. Erst Dollfuß vertrieb den Ungeist der militärischen Beschränkung. Er erkannte als erster Politiker nach Minister Vaugoin die Bedeutung und Kraft der österreichischen Idee. Er war sich klar, daß für diese Idee und die Erhaltung der Unabhängigkeit gekämpft und dieser Kampfwille ins Volk getragen werden mußte. Dieser Wille von Bundeskanzler Dollfuß wurde von seinem Nachfolger Schuschnigg weitergetragen und vom Landesverteidigungsministerium durch den gescheiten Vorstand der 2.Abteilung, GM.Friedländer, und den Fachbearbeiter Obst.Koske in Form gebracht.
Mit Beginn des Schuljahres 1934/35 hatte an allen Lehranstalten Österreichs die vormilitärische Jugenderziehung eingesetzt. Sie erstreckte sich nur auf die Knaben, begann mit dem 10.Lebensjahr und wirkte gleichermaßen auf Moral, geistiges Wissen und körperliche Fähigkeiten. Auf wie fruchtbaren Boden diese großzügigen Entschlüsse gefallen waren, zeigte die Tatsache, daß in den Sommerferien des Jahres 1935 die von Offizieren des Bundesheeres geleiteten Unterweisungskurse von 1800 Lehrern freiwillig besucht worden waren. Damit fand ich die erste und wichtigste Forderung jeder Landesverteidigung angebahnt und habe in der Folge allen Wünschen der 2.Abteilung auf diesem Gebiet meine bestmögliche Förderung angedeihen lassen. Denn von der vormilitärischen Jugenderziehung konnte erhofft werden, daß sie mit fortschreitender Charakterbildung und Altersreife nicht nur den Stolz auf Österreich und den Willen zu seiner Verteidigung vertiefen werde, sondern auch die praktische Übung mit Waffen, insbesonders die elementare Schießausbildung und schließlich das Interesse für die Wehrhaftigkeit über den Rahmen der Schulausbildung hinaus auch für die zwischen dem Schulende und dem Beginn der militärischen Dienstpflicht gelegene Zeit, namentlich bei der ländlichen Bevölkerung, erfassen werde. In das gleiche Gebiet gehörte der große Entschluß der Regierung, alle Jugendorganisationen zum Zwecke einheitlich vaterländischer Erziehung, in der „Staatsjugend” als Dachverband zusammenzufassen.
Um dieses Gebiet der Vertiefung des Sinnes der Bevölkerung abzurunden, nenne ich gleich auch die gesetzlichen Verfügungen, die bereits unter meiner Mitwirkung als Leiter der Sektion III entstanden:
ein Gesetz, das den Militärdienst als Voraussetzung für die Erlangung einer Lebensstellung im öffentlichen Dienst des Bundes, der Länder und Gemeinden festlegte;
das Gesetz über die Einwohnerverzeichnung, das die Bevölkerungsevidenz auf neue Grundlagen stellte und lückenlos gestaltete. Dieses Gesetz war die notwendige Voraussetzung für eine allgemeine Erfassung der Bevölkerung zum Wehrdienst;
eine Novelle zum Militärvorspanngesetz samt seinen Durchführungsverordnungen, welche die vorher möglich gewesene Beanspruchung ziviler Pferde, Tragtiere und Pferdefuhrwerke für militärische Zwecke, nun auch auf sämtliche motorischen und sonstwie angetriebenen Land-, Wasser- und Luft-Transportmittel ausweitete.
Die Sektion III war aus der mir schon vom Jahre 1932/33 bekannten Abteilung des Ministeriums hervorgegangen und umfaßte nach kurzer Zeit eine Operations-, Mobilisierungs- und Nachrichtenabteilung, ein Kriegswirtschaftsamt und die Luftabteilung. Zu beeinflussen hatte ich die dreijährige Schule zur Heranbildung von Generalstabsoffizieren, die „Höherer Offizierskurs” hieß. Die Errichtung der Sektion III, der die Arbeiten für die Kriegsbereitstellung Österreichs zukamen, konnte, gleich anderen nach dem Vertrag von Saint-Germain verbotenen Maßnahmen, nunmehr durchgeführt werden, weil Schuschnigg die von Dollfuß inaugurierte Politik der Freiheit und Unabhängigkeit Österreichs in ruhiger Konsequenz fortführte. Diese auch im Interesse der großen Mächte gelegene Politik bedurfte des Rückhaltes in einem schlagkräftigen Heer, was auch die Zwingmächte von Saint-Germain nicht leugnen konnten; so wurden die von Schuschnigg mit viel Mut und großem Geschick geleiteten Aufbauarbeiten unter belanglosen diplomatischen Scheineinwänden Stück für Stück durchgeführt, was einige Jahre vorher von den Alliierten noch absolut verhindert worden wäre.
Die Flieger arbeiteten schon länger in größerem Maße an ihrer Ausbildung und ihrem Aufbau unter Führung von GM.Löhr, bei dem sich bei persönlicher Bescheidenheit große militärische Fähigkeiten und zähe Energie paarten. Sein Aufbauwerk umfaßte eine ganze neue Waffe, die nun aus dem Verband einer Sektion gelöst und selbständig gemacht werden mußte, worin ich mit Löhr übereinstimmte. So wurde das Kommando der Luftstreitkräfte geschaffen, dem zunächst ein Fliegerregiment im Raume nördlich der Alpen (Wien-Wels), das zweite südlich des Alpenhauptkammes (Graz-Klagenfurt), die Fliegerwerft in Thalerhof bei Graz und als Schulformation eine Flak-Batterie mit Scheinwerferzug, dann eine Fla-Mg-Kompanie mit einem Entgiftungstrupp unterstanden. Das Kommando der Luftstreitkräfte hatte gleichzeitig als „Luftabteilung” namens des Bundesministeriums für Landesverteidigung den behördlichen „zivilen Luftschutz” zu bearbeiten, der aus dem Luftspäh- und Meldedienst, dem Fla-MG-Dienst sowie der Unterrichtung der Bevölkerung und Feststellung von Schutzräumen für diese zu bestehen hatte.
Alle beschriebenen immer bestgeschulte Offiziere erfordernden Arbeiten zwangen mich, innerhalb der Sektion III mit der geringsten Zahl von Abteilungen und Offizieren das Auslangen zu finden, was nach meiner langjährigen Erfahrung durchaus kein Nachteil war. Denn bei wenigen tüchtigen Männern besteht wohl die Gefahr ihrer vorzeitigen Abnützung durch Überlastung, dafür aber gewinnt das Arbeitstempo sehr viel an Schwung, weil die andernfalls unvermeidlichen langen Konferenzen und sonstigen durch die Vielzahl entstehenden Verzögerungen wegfallen. Zudem gewinnt die Geheimhaltung an Sicherheit, wenn nur wenig Personen arbeiten. Beides war für mich von wesentlicher Bedeutung.
Im Aufgabenkreis der Sektion III ist der Arbeitsumfang der Operationsabteilung besonders groß gewesen. Für deren Leitung hatte ich, nach Ausscheiden des Vorgängers, eine glückliche Wahl getroffen. Der leider sehr früh nach dem deutschen Einmarsch in Österreich verstorbene Oberst Basler war ein außerordentlich kluger Berater für mich und ein umsichtiger, rascher und zäher Arbeiter von absoluter Zuverlässigkeit und Verschwiegenheit, der bei seinen Mitarbeitern ebensolche Leistungen zu erzielen verstand.
Es ist vielleicht gut, wenn ich hier die Geschichte des ersten Leiters der Operationsabteilung erzähle, um nicht den Eindruck zu erwecken, daß ich der sehr wichtigen Frage der Zuverlässigkeit der Offiziere in dieser schweren Zeit aus dem Weg ginge. Selbstverständlich lastete der Konflikt mit Deutschland auf jedem einzelnen Österreicher wegen der Gleichheit der Sprache, der Kultur, aber auch vieler Perioden der Geschichte schwer; auch mich selbst nehme ich von dieser Feststellung nicht aus. Dollfuß, der Schöpfer der Unabhängigkeitspolitik Österreichs, und erst recht sein Nachfolger Schuschnigg litten schwer unter der Zwietracht mit Deutschland, wie man auf jeder Seite in «Dreimal Österreich» und im «Requiem» Schuschniggs lesen kann. Es galt aber einen Trennungsstrich zu ziehen zwischen dem Deutschland, das wir liebten, und dem alles Üble aufputschenden Nationalsozialismus. Die ersten Seiten von «Mein Kampf», die Hitlers Unverständnis für sechs Jahrhunderte segensreichen Wirkens des Kaiserhauses für die Freiheit Europas, seinen pathologischen Haß gegen das Haus Habsburg und die Stadt Wien wie schließlich gegen ganz Österreich darlegten, mußte jeder anständige Österreicher wie Faustschläge ins Gesicht empfinden. Für die Offiziere kam aber noch dazu, daß sie durch einen der Republik Österreich freiwillig geschworenen Treueid besonders verpflichtet waren. Die zwangsweise Politisierung des Bundesheeres durch das Wehrgesetz 1920 ließ den Angehörigen die volle politische Betätigung frei. Es konnte also auch jemand - wenn sein Geschmack es ihm erlaubte - Bolschewik und Nationalsozialist sein. Als aber Bundeskanzler Dollfuß nach der Selbstausschaltung des Parlamentes die Parteien aufhob, die ständische Verfassung mit Zustimmung des Rumpfparlamentes erließ und das Bundesheer endlich entpolitisierte, hatte kein Mann und kein Offizier mehr das Recht sich politisch zu betätigen. Wollte er es trotzdem tun, so stand ihm frei, aus dem Heer auszuscheiden. Jedes andere Verhalten war mit den dem österreichischen Offizier in der kaiserlichen Zeit zueigen gewordenen Begriffen von Ehre und Pflicht unvereinbar. Zur Ehre des Offizierskorps des Bundesheeres stelle ich hier ausdrücklich fest, daß nur wenige (spätere Erhebungen stellten nicht ganz 5% fest), sagen wir aus politischer Leidenschaft, gefehlt haben.
Zu diesen gehörte jedoch der erste Leiter der Operationsabteilung, dem ich von Haus aus mit Zurückhaltung begegnete. Kurz nach Übernahme der Sektion III ließ mich Staatssekretär Zehner zu sich bitten. Er erzählte mir, daß der bisherige Vorstand der 1.Abteilung und nun zum Chef der Operationsabteilung gewordene General ihm ein Abschlußreferat über seine bisherige Tätigkeit erstattet habe, worauf Zehner ihm, als einem seiner besten Freunde, dem er volles Vertrauen geschenkt hatte, die Absichten des Kanzlers über die durch mich zu leistenden Arbeiten erzählt habe. Durch einen Zufall sei Zehner der Wortlaut des von diesem Mann unmittelbar nachher mit dem deutschen Militärattaché, Glt.Muff, geführten Gespräches gemeldet worden, in dem er die ihm vom Staatssekretär gemachten vertraulichen Mitteilungen sofort weitergab. Zehner fragte mich, ganz erschüttert von diesem Treubruch, was er machen solle. Ich antwortete, der Mann wäre sofort zu entfernen und wegen Hochverrats vors Strafgericht zu bringen. Dazu war der Staatssekretär nicht zu bewegen; als schärfste Maßnahme wollte er eine sofortige Pensionierung veranlassen. Ich riet von solcher Schonung ab und sagte, daß eine dem Strafgesetz verfallene Handlung schonungslos zu ahnden sei, was übrigens auch eine sehr heilsame abschreckende Wirkung haben werde. Leider wurde meine Meinung nicht befolgt. Der Mann wurde mit vollen Gebühren pensioniert und wollte dann noch den Gekränkten spielen. Ich hatte in meiner Sektion in der Folge gottlob nur einmal, bei einem niederen Offizier, dessen verdachterregende Verfehlung aber nicht so klar lag, durchzugreifen. Aller meiner anderen Mitarbeiter gedenke ich voll Anerkennung ihres Wirkens dankbar.
Um die Geheimhaltung unserer Arbeiten, soweit sie über den in aller Öffentlichkeit immer wieder laut bekundeten Willen zum bewaffneten Widerstand gegen jeden Angreifer Österreichs hinausgingen, zu gewährleisten, verbot ich allen meinen Herren über ihre Arbeiten ohne meine ausdrückliche Bewilligung mit einem Kameraden oder Vorgesetzten zu sprechen. Die Koordinierung der Arbeiten behielt ich mir vor. Dadurch konnte im Falle einer erkannten Indiskretion sofort festgestellt werden, wer daran Schuld trug; allgemeine Verdächtigungen gab es nicht. Selbst vermied ich es tunlichst, Bundeskanzler und Staatssekretär mit den Einzelheiten meiner Absichten zu belasten. In Konsequenz des mir geschenkten Vertrauens mußte ihnen das Wissen genügen, daß ich alles in meiner Kraft Stehende nicht nur leisten, sondern auch rasch leisten werde; denn ich betrachtete nach Hitlers Rüstungstempo mein Arbeiten - um ein Wort Mussolinis zu gebrauchen - als einen Wettlauf mit der Zeit.
Die Mobilisierungsabteilung fand in GM.Rudolf Materna einen versierten Fachmann, der aber wegen eines quälenden Nierenleidens, dem er später auch erlag, mitten in den angelaufenen Arbeiten durch den sehr tätigen Obst.Sohn ersetzt wurde.
Die Nachrichtenabteilung führte während der ganzen Zeit der mir aus seiner Dienstzeit in St.Pölten vertraute, sehr umsichtige und ehrgeizige GM.Böhme. Er wurde nach der Besetzung Österreichs durch Hitler als Divisionär in das deutsche Heer übernommen. Böhme stammte von einem reichsdeutschen Vater, der sich zu Österreich bekannt hatte. Er mußte in seiner sehr schwierigen Arbeit der Abwehr von Spionage, angesichts der Hemmungslosigkeit des Nationalsozialismus', vielleicht mehr deutsche Komplexe überwinden als irgendein anderer Offizier. Deshalb muß ich zu seinem Andenken (er stürzte sich als Angeklagter in Nürnberg aus einem Fenster zu Tode) feststellen, daß er seinen Obliegenheiten mit beispielhafter Treue und Gewissenhaftigkeit untadelig nachgekommen war.
Über die Nachrichtenabteilung unterstanden mir die österreichischen Militärattachés in London und Paris, Berlin und Bern, Budapest, Prag, Warschau und Belgrad sowie der hervorragendste unter ihnen, Obst.Dr.Liebitzky in Rom. Anderseits wies ich die ausländischen in Wien bevollmächtigten Militärattachés zur fallweisen Information an GM.Böhme. Öfter sprach ich - wie noch zu erzählen sein wird - nur mit dem englischen, französischen und ungarischen Militärattaché; den deutschen Militärattaché habe ich ablehnend behandelt, weil mich seine den gebotenen Takt eines Militärattachés verletzende Agitation für den Nationalsozialismus anwiderte.
Das Kriegswirtschaftsamt hatte der hochbegabte Leiter der materiellen Sektion, GdI.Luschinsky, kurz vor Errichtung meiner Sektion ins Leben gerufen und es in glücklichster Weise mit dem Generalmajor iR. der kaiserlichen Armee, Ottokar Pflug, besetzt. Dieses Amt trat nun zu mir, worüber ich große Freude hatte, weil ich in GM.Pflug den erfolgreichen Organisator der öst-ung. Artillerie im I.Weltkrieg verehrte, der mit großer Kraft die durch dauernde Budgetverweigerungen arg zurückgebliebene Artillerie erstaunlich rasch vermehrt und mit erstklassigen Geschützen versehen hatte. Durchdrungen von der hohen Wichtigkeit seiner sich nun in alten Tagen selbst gestellten und sich immer erweiternden Aufgabe auf dem unermeßlich großen Gebiet der Vorbereitung des Gesamtstaates nach landwirtschaftlicher, industrieller und Rohstoffkapazität für ein Kriegsgeschehen, habe ich sein Amt durch Zuführung geeigneter Persönlichkeiten rasch erweitert und seine Tätigkeit mit allen meinen Kräften gefördert. Trotz des bedeutenden Altersunterschiedes (Pflug war zu Ende des ersten Weltkrieges schon General, während ich erst 1917 Major im Generalstab geworden war) lag in unserer Zusammenarbeit eine wunderbare Harmonie. Leider konnte ich keine angemessene und von ihm so verdiente Abgeltung seiner unschätzbar wertvollen Tätigkeit durchsetzen, weil eine gesetzliche Regelung festlegte, daß ein Bundespensionist monatlich nicht mehr als 300,- Schilling Zuzahlung zu seinem Gehalt empfangen durfte. Dieser prachtvolle Mann hat aus reinem Idealismus und militärischem Pflichtbewußtsein seine reiche Erfahrung und sein großes Können gegen einen Bettellohn zur Verfügung gestellt. So habe ich wenigstens versucht durch eine hohe Auszeichnung ihm zu danken und ihm diese dann mit einem Begleitschreiben zugestellt. Als Antwort erhielt ich einen Brief, der noch in meinen alten Tagen nun, da den Absender längst grüner Rasen deckt, zu den schönsten Erinnerungen meines Lebens zählt.
Kommandant der „Höheren militärischen Fachkurse” war GM.Paul Wittas, eine nach Gesinnung, theoretischem und praktischem Können für diese schwierige Aufgabe bestgeeignete Persönlichkeit. Als Lehrkörper habe ich ihm die besten Generalstabsoffiziere verfügbar gemacht, was er mir durch ausgezeichnete Arbeitserfolge lohnte. Die von uns ausgebildeten jungen Generalstabsoffiziere kamen durch den Ablauf der Ereignisse für das Bundesheer leider nicht mehr zur Geltung. Im Rahmen des großen deutschen Heeres haben sie aber durchwegs vorzüglich entsprochen, was eine wohl ungewollte, jedoch eindrückliche Bestätigung für die Güte unserer Lehr- und Ausbildungsmethoden war, auf deren wissenschaftliche Vertiefung ich Kommandanten und Lehrkörper wiederholt gewiesen habe.
Mitte 1936 forderte die Bearbeitung aller Verbindungsmittel, des Chiffrierdienstes und die Organisierung derselben für den Krieg eine Entlastung der Operationsabteilung, so daß ich mich zur Aufstellung einer „Telegraphenabteilung” entschloß, die bei Obst.Dworschak in sehr guten Händen lag.
Nach Darstellung der bestandenen Verhältnisse ist es nun Zeit, die Grundlagen meiner Arbeit anzuschauen:
Meine Überlegungen gingen davon aus, daß unser Österreich, wie immer sich bei einer europäischen Konflagration die Lage gestalten möge, stets in Mitleidenschaft gezogen werden würde uzw. entsprechend dem uralten Völkerweg der Donau und den Nord-Süd gerichteten Alpenübergängen. Dabei steht einem außerordentlich kleinen Flächenraum eine außerordentlich lange, nur im westlichen Hochgebirgsteil leichter zu verteidigende Grenze gegenüber. Schließlich war das Ziel der österreichischen Außenpolitik, die Wahrung der Unabhängigkeit nach allen Seiten, ein fester Entschluß geworden.
Diese drei Gegebenheiten forderten die Landesverteidigung so stark zu gestalten, daß das hohe Ziel der Unabhängigkeit sich auf eine militärische Kraftentfaltung gründen konnte, zu der das Inland Zuversicht und Vertrauen und vor der das Ausland jenen sachlichen Respekt gewinnen mußte, den der harte Lebens- und Verteidigungswille eines durch Jahrhunderte kampfgeschulten Gebirgsvolkes in der Kriegsgeschichte stets erzwungen hat. Diese militärische Selbstverständlichkeit, gepaart mit der Kleinheit des Landes, zeigt in Hinblick auf motorisierte Erd- und Luftstreitkräfte sinnfällig, daß bei einem Kriegsgeschehen das ganze Volk ausnahmslos (auch mit seinen Greisen, Frauen und Kindern) von allem Anfang an in den Strudel der Ereignisse gerissen werden. Wenn man dazu noch die große Länge unserer Grenze bedenkt, so forderte dies die Organisation aller Bewohner Österreichs nach ihrem geistigen und physischen Vermögen zur Verteidigung. Das wiederum bedeutete mit anderen Worten: die Pflicht aller zur Wehr für die Heimat oder die Allgemeine Wehrpflicht.
Damals hielt ich es für richtig, klipp und klar auszusprechen, daß Bedenken aller Art gegenüber der Tatsache zurücktreten müßten, daß Österreich unzweifelhaft ausgelöscht würde, wenn es nicht in den ersten Stunden und Tagen einer europäischen Konflagration gelänge, den Einbruch von Streitkräften in unser Land zu verhindern. In solcher Lage wäre es ein schwerer Trugschluß, sich auf zeitgerechte Hilfe irgendwelcher Mächte zu verlassen.
Die Motorisierung der Heere und die rapide Entwicklung der Luftstreitkräfte begünstigten den Überfall in einer bis dahin nie gekannten Weise. Den ersten Anprall hätten daher immer wir allein, die wir an Ort und Stelle waren, abzuwehren; alles andere käme verspätet. Die Kriegseinleitung 1914 in Belgien sprach deutlich. Der Österreich in Saint-Germain aufgezwungene Zustand, in dem der eine aus Pflicht, der andere vielleicht freiwillig sein Leben für die Heimat einsetzt, während die Überzahl der dritten die Arme verschränken sollte, als ob sie alles nichts anginge, war unhaltbar. Die gesetzliche Festlegung der Pflicht aller zur Verteidigung der Heimat war unabweislich und dringlich geworden, selbst für den Fall, daß der Mangel an Geld die sofortige Ausschöpfung eines solchen Gesetzes im vollen Umfang zunächst nicht erlauben sollte.
Die geographischen Gegebenheiten unseres Landes forderten nach meinem Dafürhalten weiters, daß die Landesverteidigung anders gestaltet werden mußte als sie in der großen öst-ung. Monarchie organisiert worden war. Die Gliederung, wonach zuerst das Heer, dann der Landsturm und dahinter viel Vorbereitungen für Ersätze aller Art und allmähliche Steigerung des ganzen Kriegspotentials kam, paßte nicht für das kleine Österreich - ja seine Lage forderte vielfach eine komplette Umkehrung der Dinge: alle Vorbereitungen mußten das Ziel haben von allem Anfang an so stark wie nur möglich zu sein. Denn es stand zu erwarten, daß das Schicksal Österreichs sich in den allerersten Stunden und Tagen eines Krieges entscheiden werde; könnte es da sein Gebiet, wenigstens in großen Teilen, halten, so war es gerettet. Andernfalls wären alle Vorsorgen für eine allmähliche Kraftsteigerung, wie das große Staaten mit Deckungsarmeen planen konnten, sinnlos geworden. Österreich war ein kleines Land, es hatte kaum Ausweich- und Etappenräume; es schien mir am ehesten einer großen Festung zu gleichen, deren vordersten Gürtelrand die Grenze bildete. Nur durfte man nicht an eine Gürtellinie denken, sondern an einen viele Kilometer tief gegliederten Gürtelraum, dessen Einrichtungen von bodenständigen Elementen, gestützt auf die im Gürtelraum dislozierten aktiven Verbände, uzw. auch der Gendarmerie, Polizei und Zollwache, jederzeit raschestens besetzt und verteidigt werden konnten. Dieser Gürtel- oder Grenzraum bedurfte, als Rückhalt für die Verteidiger und zur sicheren Verhinderung des überraschenden Einbruchs motorisierter Kräfte, in tiefer Gliederung angelegte, permanente, armierte Sperren und Hindernisse aller Art, alles zusammen ein Tätigkeitsgebiet, das sich am besten unter dem Namen „Grenzschutz” zusammenfassen ließ.
Die bereits früher erwähnten Maßnahmen zum Schutz des Luftraumes durch den Luftspähdienst, durch eigene Flieger und Bodenabwehr, bedurften einer Ergänzung zur Einkreisung und Niederhaltung abgesetzter Luftlandetruppen. Hierzu war die Aufgliederung des Territoriums in Verteidigungsrayone mit eigenen Befehlshabern für die aktiven und nichtaktiven Verteidiger innerhalb jedes Rayons nötig, was ich „Luftlandeabwehr” nannte.
In weiterer Verfolgung dieses Gedankenganges ergab sich als nächste Forderung der Bestand einer starken, von allen zersplitternden Nebenaufgaben frei zu haltenden Hauptreserve, die mit ihrer ganz überlegen wuchtig zu gestaltenden Schlagkraft rasch und sicher dorthin geworfen werden konnte, wo jeweils der Einbruch starker Feindkräfte über die Grenze auf der Erde oder aus dem Luftraum kommend festgestellt und gemeldet wurde. Daß sich zu dieser Hauptreserve nur das aktive Bundesheer eignete, war klar. Um ihm aber von Haus aus höchstmögliche Schlagkraft zu geben, bedurfte es der Vorsorgen für eine automatisch rasch und sicher funktionierende personelle Komplettierung seiner Einheiten auf Kriegsstärke und die Bereitstellung von Transporteinheiten auf Eisenbahnen und durch Autokolonnen auf Straßen, also Mobilisierungs- und Aufmarscharbeiten, Vorsorgen für die rasche Beschaffung von Waffen und Munition und Vollendung sowie Perfektionierung des im Aufbau befindlich gewesenen militärischen Verbindungs- und Meldedienstes in solcher Parallelität aller seiner Mittel, daß man unter allen Umständen mit automatisch sicherer Funktion rechnen durfte.
Weil aber selbst im Fall unbeschränkter Geldmittel der personelle Aufbau aller vorbedachten Notwendigkeiten durch das Bundesheer und dessen auszubildende Reserven allein noch viele Jahre gebraucht hätte, während nach Hitlers Rüstungstempo höchste Eile geboten war, so lag es für mich nahe, die bisher neben dem Bundesheer und unabhängig von diesem mehr oder weniger sich durch Eifersucht gegenseitig behindernden vielen Freiwilligenverbände (wie Frontkämpfer, Heimwehr, Heimatschutz, ostmärkische Sturmscharen, Schutzbund) planmäßig der Landesverteidigung nutzbar zu machen, besonders dem Grenzschutz, der Luftlandeabwehr und den verschiedenen Sicherungsaufgaben an Bahnen, Telegraphen, Fabriken usw.
Schließlich galt mir als letzte grundlegende Überlegung, daß ich bei theoretisch und offiziell zu bekennender Gleichheit aller Grenzgebiete, angesichts der deutlichen Bedrohung durch Hitler, alle Vorbereitungen einschließlich der theoretischen Studien und Schulungen und alle verfügbar zu machenden Geldmittel mit einem 90%igen Schwergewicht an die deutsche Grenze zu legen hatte.
Auf den geschilderten Überlegungen gründend begann ich im Ministerium die Besprechung der jedem Ressort zukommenden Aufgaben. Daß ich dabei seitens der Ressortleiter auf Einwände gegen deren Durchführbarkeit stieß, fand ich ebenso natürlich und nur mit Zähigkeit nach und nach überwindbar, wie ihre äußerst kühle Aufnahme beim Staatssekretär, dem sich begreiflicherweise die Haare bei dem Gedanken sträubten, alle meine zu erwartenden Geldforderungen im Ministerrat und bei den ständischen Körperschaften vertreten zu müssen.
Einigermaßen verblüfft war ich aber über den hartnäckigen Widerstand des Rechtsbüros des Ministeriums gegen den von ihm zu bearbeitenden Gesetzesentwurf zur allgemeinen Wehrpflicht. Das wurde mit seiner Sinnlosigkeit begründet, solange nicht die Geldmittel dafür in sichere Aussicht gestellt würden. Das war bei der schwierigen, aber auch engherzigen Finanzgebarung Österreichs nicht bald zu erwarten. Ich vertrat den gegenteiligen Standpunkt unter Hinweis auf die vielen personellen Erfordernisse des Grenzschutzes und der Komplettierung des Bundesheeres; diese konnten nicht durch den ständigen leidvoll unsicheren Appell an die Freiwilligkeit gelöst werden, sondern bedurften der gesetzlichen Verpflichtung. Hiezu war ein langes, zähes Ringen mit allen seinen zeitraubenden Mißhelligkeiten nötig, und ich mußte sogar Obst.Liebitzkys Unterstützung aus dem Rom Mussolinis anrufen, um durchzudringen. Darüber war das Jahr 1936 gekommen.
Ebenso stieß mein Verlangen auf Nutzbarmachung der Wehrverbände für die Landesverteidigung und die enge Zusammenarbeit mit diesen auf fast allgemeine Ablehnung innerhalb des Ministeriums. Die Ursache lag in einer im Alltag und nur von Gedanken der Innenpolitik beherrschten Eifersucht auf diese Verbände und die bis zum Überdruß vertretene Meinung, daß die diesen Verbänden von privater Seite zugewendeten Mittel beim Bundesheer besser angelegt wären. Meine Gegenargumente in den langwierigen Auseinandersetzungen lagen in den Hinweisen, daß ein guter und echter patriotischer Wille in den Wehrverbänden liege; daß neben Nullen auch sehr viel hervorragend qualifizierte und vor dem Feind im Weltkrieg bewährte Offiziere mit Eifer tätig waren; daß diese Verbände in ganz prächtiger Weise sich im Kärntner Freiheitskampf bewährt haben; daß wir die für die Wehrverbände freiwillig aufgewendeten Mittel nie für das Bundesheer bekommen würden; und daß wir bei der drängenden Zeit für den Aufbau der Landesverteidigung auf die bereits vorhandenen Wehrverbände einfach nicht verzichten können.
Dieses Ringen wäre wahrscheinlich doppelt so langwierig und erbittert geworden, da auch der Staatssekretär ganz entschieden gegen die Wehrverbände eingestellt war. Da ich aber sofort mit den Wehrverbänden direkt zu arbeiten begann, entstand mir in Bundeskanzler Schuschnigg ein Förderer, dem es mit seinem Verhandlungsgeschick nach und nach gelang, alle Wehrverbände in der freiwilligen Miliz unter Führung des Generals Hülgerth zusammenzufassen, der in den Kärntner Freiheitskämpfen für die junge Republik den ersten Lorbeer erstritten hatte. Mit diesem hervorragenden Mann verband mich eine langjährige, auf gegenseitiger soldatischer Achtung ruhende Freundschaft, die sich auch in der Vorbereitung der Landesverteidigung bewährte. Aber auch mit Hülgerths Stabschef, dem kriegsbewährten Obersten des Generalstabes Albin Judex und später mit Kubitza verband mich herzliche Sympathie.
Auch innerhalb meiner eigenen Sektion war der Anfang schwierig, weil in Sachen konkreter Verteidigungsvorbereitung durch Jahre so gut wie nichts geschehen war. Zwar fand ich theoretisch Zustimmung, dahinter aber gleich lähmende Zweifel an der Durchführbarkeit. Ich mußte die ersten Einzelheiten der Planung mit den Herren der Operations- und Mobilisierungsabteilung selbst durchzuarbeiten beginnen, um nach und nach den Glauben an den Ernst der Arbeiten zu wecken und das erforderliche rasche Arbeitstempo in Schwung zu bringen.
Als erstes legte ich mir mit der Operationsabteilung die beste mir erfüllbar scheinende Kriegsgliederung der Infanteriedivisionen und die zur Erreichung dieses Zustandes notwendigen personellen und materiellen Erfordernisse in allen Einzelheiten zurecht. Dabei hatte ich viel mit dem Leiter der Sektion II, GdI.Luschinsky, zu besprechen, um genau zu klären, was auf dem Gebiet der Waffenbeschaffung gerade lief, was auf meine Minimalbedürfnisse fehle, wie es mit den Munitionsvorräten für jede Waffe stehe, den technischen Geräten, Autos, Artillerietraktoren, Bekleidung, Ausrüstung, den Unterkünften für Neuformationen. Zudem wollte ich wissen, ob ich für Sperrungen mit der Erzeugung von Senfgas rechnen könnte, was der Leiter des kriegstechnischen Amtes, GM.Leitner, bei Zuweisung verhältnismäßig bescheidener Mittel bejahte. Bei GdI.Luschinsky fand ich nach kurzer Zeit volles Verständnis und eine einfühlende Hilfsbereitschaft, so daß wir verhältnismäßig bald einen klaren Überblick gewannen und auch zahlenmäßig die Erfordernisse an Geld festlegen konnten. Zu Ende jeder solchen Besprechung sagte mir Luschinsky stereotyp: „Lieber Freund, alle Deine Wünsche sind durchführbar; nur muß das nötige Geld her.”
Jetzt auf festeren Grundlagen stehend, konnten wir die Kriegsgliederung der Infanteriedivision mit dem Einverständnis des Heeresinspektors und des Staatssekretärs endgültig als Basis für alle weiteren Arbeiten festlegen und zwar 9 Bataillone in 3 Regimentern;
jedes Bataillon sollte aus
3 Infanteriekomp.,
1 schweren MG-Komp. und
1 Kommandokomp. bestehen, welche
4 Minenwerfer,
4 Infanteriekanonen,
1 Pionier- und
1 Telegraphenzug vereinte;
dazu je Regiment noch
1 RgtMG-Komp. mit
12 schweren MG (alle auch flugzeugbekämpfungsfähig).
Die Feuerkraft eines Inf.Baons umfaßte hiernach
600 Gewehre,
27 Maschinen-Pistolen,
27 leichte MG,
4 leichte Minenwerfer,
4 Infanteriekanonen, und
16 schwere MG einschließlich des Anteils der RgtMG-Komp.;
1 DivisionsaufklärungsAbt., bestehend aus
je einem Reiter-, Radfahrer-, Motorrad(geländegängig)-, Telegraphen- und Funk-Zug mit der entsprechenden Zahl automatischen Waffen;
1 DivisionsArtRgt, bestehend aus
der Rgt-Beobachtungsabteilung,
3 Abteilungen zu
je einer Feld(Geb)Kanonen und zwei Feld-(Geb)Haubitzbatterien zu je 4 Geschützen, zusammen also 36 Geschützen und einer Anzahl automatischer Nahkampfwaffen;
1 FlaAbt zu
8 Bofors-FlaKanonen und
8 überschweren MG;
1 Pionierbaon zu
3 Komp.
3 Bau-Komp.,
1 Telegraphen-Baon;
1 KraftfahrAbt. mit einer dreigliedrigen Transportkolonne je Baon, oder Munition und andere Güter, und
1 Sanitätskolonne.
Besondere Verpflegungs- und Nachschubkolonnen wurden wegen der ausschließlichen Verwendung im Inland nicht vorgesehen.
Die verhältnismäßig schwache Dotierung mit Artillerie bereitete uns viel Kopfzerbrechen, aber sie erschien uns bei reeller Abschätzung der Möglichkeit von Materialbeschaffung und personeller Ergänzung das Maximum des in den nächsten Jahren aller Wahrscheinlichkeit nach Erreichbaren. Die infanteristische Kampfkraft, namentlich an automatischen Feuerwaffen, schätzten wir zufriedenstellend.
Die Infanteriekanonen hatten mit ihrem Kaliber von 4,7cm eine doppelte Bestimmung: als Infanteriegeschütz zur Angriffsbegleitung und als Panzerabwehr. Für beide Zwecke wäre wohl ein Panzerschild von Vorteil gewesen, das konnte aber bei dem schon seit zwei Jahren in Serienfertigung stehenden Geschütz nicht mehr nachgeholt werden. Dafür behielt ich die Möglichkeit ihrer zahlenmäßigen Verdoppelung im Auge. Ihre friedensmäßige Zusammenfassung in Regimentskanonenabteilungen schien aus Ausbildungsgründen vorteilhaft.
Es bestanden in der Friedensgliederung, zum Teil noch lückenhaft aber ausbaufähig, 7 Infanteriedivisionen und 1 schnelle Division. Für den später noch auszuführenden Verteidigungsplan gegen Deutschland erschien es mir günstig, Salzburg von der Tiroler 6.Division abzutrennen und in Salzburg eine selbständige 8.Brigade zu bilden, die einmal zu einer Division ausgeweitet werden konnte.
Das heeresunmittelbare Artillerieregiment wurde bereits an österreichischen und italienischen 15cm-Haubitzen ausgebildet. Es war nur mehr eine Geld- und Zeitfrage, wann die veralteten italienischen Haubitzen durch den Lizenzbau der bei Bofors ausgewählten Konstruktion eines hochwertigen, die neuesten Erfahrungen berücksichtigenden Modells ersetzt werden konnten.
Die nächste dringliche Arbeit war die personelle Ergänzung des Bundesheeres für den Abwehrfall auf den vollen Kriegsstand, was rund 50.000 bei den verschiedenen Waffengattungen ausgebildete Leute erforderte. Statistische Erhebungen zeigten bald, daß von den im Lauf der vergangenen Jahre beim Bundesheer Ausgebildeten und im zivilen Erwerbsleben Tätigen nur mit einer Höchstzahl 5.000 sicher gerechnet werden konnte. Aber selbst für diese Leute war keine Vormerkung und Einrichtung zu ihrer Erfassung getroffen worden. Wohl bestand die Aussicht, daß sich diese bedrückende Lage über das kurz dienende Assistenzkorps von Jahr zu Jahr bessern werde; aber es war völlig unwahrscheinlich, daß Hitler uns so lange Zeit lassen würde. Nach den uns bekanntgewordenen deutschen Rüstungen war anzunehmen, daß ab Ende 1937 mit vereinzelten, ab 1939 bereits mit großen bewaffneten Aktionen gerechnet werden mußte. Das zwang uns zu einem Aushilfsmittel, das wohl nicht voll befriedigte, aber die einzige Möglichkeit bedeutete: auf die letzten 2-3 Jahrgänge ausgebildeter Soldaten aus dem I.Weltkrieg zu greifen, wobei es sich um 37-40 Jahre alte Männer handelte; für deren Erfassung bestanden aber ebenfalls keine Unterlagen. Dafür kam uns die von der Regierung beschlossene neue Einwohnerverzeichnung sehr zustatten. Die Mobilisierungsabteilung legte in Zusammenarbeit mit der Personalabteilung des Landesverteidigungs- und den entsprechenden Ressortabteilungen des Innenministeriums die militärischen Fragebogen auf, die gleichzeitig mit der Einwohnerverzeichnung beantwortet werden sollten. Wenn uns in der Folge das von mir so sehr betriebene Gesetz der allgemeinen Wehrpflicht den Griff auf diese Männer ermöglichte, so war durch eine vorübergehende Notmaßnahme ein Schwächezustand überbrückt worden.
Allen sich aus diesen Entschlüssen folgerichtig ableitenden Arbeiten gab ich den Namen „Notmobilisierung”. Zweierlei war hierbei noch zu überlegen und auszugleichen: zunächst, daß die Notmobilisierung der freiwilligen Miliz an Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften einen Teil ihrer besten Kräfte entziehen werde, und weiters, daß dieser Personenkreis sofort nach seiner Erfassung und Aufteilung an die einzelnen Einheiten des Bundesheeres zu Waffenübungen eingezogen und gefechtsmäßig nachgeschult werden mußte. Hierzu waren Unterkunfts- und Übungsraumerweiterungen notwendig, wofür mir die Ausbildungs- und die Bauabteilung des Ministeriums die Unterlagen mit Kostenberechnungen beschaffen mußten. Ich legte Wert darauf, daß jede Division über einen eigenen Übungsplatz verfüge.
Zusammen mit den erhöhten Waffen- und Materialbeschaffungen ergaben diese Kostenvoranschläge rund 90 Mio.Schilling Mehrerfordernis über das Heeresbudget für 1936, zu denen ich noch 10 Mio. für die Befestigungen und Sperrungen der Grenzräume schlug, so daß ich dem Staatssekretär Ende Juli für die im August beginnenden Budgetverhandlungen zu dem mit 116 Mio. Schilling vorgesehenen Normalbuget ein Mehrerfordernis von 100 Mio.Schilling übergab. Das gesamte Heeresbudget hätte also 216 Mio.Schilling betragen sollen. Dazu erläuterte ich Zehner gleich, daß die 100 Mio. für die Landesverteidigungsmaßnahmen nur eine erste Rate bedeuten, weil innerhalb des ersten Anlauf-Jahres praktisch nicht mehr geschaffen werden könne, für 1937 also eine zweite, etwas höhere Rate von etwa 120 Millionen erforderlich sein werde.
Das verursachte beim Staatssekretär und in der Budgetabteilung einen begreiflichen Schock - ich konnte die Befürchtung nicht unterdrücken, daß die Forderungen des Chefs des Generalstabes in alter österreichischer Tradition als überspitzt betrachtet und nur eine lahme Vertretung finden würden. Allerdings waren alle Zahlen, aus denen sich die Gesamtsumme zusammensetzte, Posten für Posten genau kalkuliert worden, nur die für den Grenzschutz verlangten 10 Millionen waren als Pauschalbetrag eingesetzt, weil die zur Detaillierung notwendigen Geländeerkundungen, Vermessungen und Planungen der Einzelheiten zeitmäßig noch nicht hatten geleistet werden können.
Wenn ich heute, nachdem wir alle durch das furchtbare Geschehen des II.Weltkrieges wissen, was andere für ihre Rüstung aufgewendet haben, der seinerzeit geforderten Summe gedenke, so glaube ich, daß sie ein beredtes Zeugnis für die Gewissenhaftigkeit ablegen, mit der nur das unbedingt nötige Minimum gefordert wurde. Das aber durfte nicht zurückgewiesen werden, wenn man die Unabhängigkeit Österreichs wirklich wollte. Damals besprach ich diese Erfordernisse auch eingehend mit dem Gesandten Hornbostel vom Bundeskanzleramt, mit der Bitte um Unterstützung aus seinem Ressort; bei ihm fand ich volles Verständnis und Hilfsbereitschaft.
Inzwischen waren Einladungen zu den italienischen Manövern im früheren österreichischen Südtirol und, für Ende September, zu den ungarischen nach Budapest eingelangt. Ich nahm beide Einladungen gern an, um die führenden Männer dieser Länder kennenzulernen.
Für Italien hatte ich in mehrfacher Korrespondenz mit unserem Militärattaché in Rom die Frage angeschnitten, ob Italien uns nicht mit einer Anleihe helfen könnte, die aber ausschließlich nur für Rüstungszwecke gewährt werden dürfte.
Als ich auf der Mendel, in deren Hotels die große Zahl der fast aus der ganzen Welt geladenen Gäste untergebracht war, eintraf, eröffnete mir der Souschef des Generalstabes, Gen.Roatta, daß der Staatssekretär im Kriegsministerium, Gen.Baistrocchi, die Manövergäste in Gegenwart des Chefs des italienischen Generalstabes, Gen.Pariani, mit einer Ansprache begrüßen werde. Die Antwortrede sollte ursprünglich der rangälteste General der Gäste halten; nun wäre aber als Höchster an der Spitze der russischen Delegation ein Armeegeneral erschienen, der angeblich nur russisch sprach; also wäre das Formale des Empfanges dahin abgeändert worden, daß die Vertreter nach dem Alphabet der italienischen Benennung ihrer Staaten geordnet würden, und da Afghanistan nicht erschienen sei, hätte Austrias General als Doyen zu gelten; so bäte er mich, mir für den Abend eine Erwiderung an Gen.Baistrocchi zurecht zu legen, die ich in französischer Sprache halten könne. Auf eine solche Möglichkeit hatte mich unser Militärattaché schon brieflich aufmerksam gemacht, weshalb ich bereits in Wien eine entsprechende Rede in deutscher Sprache entworfen und dann unseren besten französischen Sprachmeister im Außenministerium gebeten hatte, sie mir in ein wirklich gutes französisch zu übertragen. Der Erfolg war gut: nicht nur die Italiener waren zufrieden, sondern auch die englischen und französischen Delegationschefs drückten aus, daß ich ganz in ihrem Sinn gesprochen hätte.
Das Bedeutsamste jedoch war, daß dem Duce offenbar sofort günstige Meldung erstattet worden war, was ich am nächsten Morgen, als wir am Manöverfeld in Gegenwart Mussolinis dem König vorgestellt wurden, an der überaus herzlichen Art wahrnehmen konnte, mit welcher mich der Duce begrüßte. Seine Majestät der König äußerte seine Zufriedenheit über unseren Aufrüstungsentschluß, worauf ich erwiderte, daß wir noch viel mehr könnten, wenn wir mehr Geld bekämen. König und Duce lachten, und der König meinte, daß Geld die ewige Klage aller Soldaten sei.
An jedem Manövertag nahm der Duce zwei Delegationsführer in seine unmittelbare Begleitung. Am ersten waren es der Franzose und der Engländer, am zweiten wurden der Russe und ich zu ihm gebeten. Das war die mir von Obst.Liebitzky fein zugespielte Gelegenheit, da Mussolini deutsch, englisch und französisch fast fließend beherrschte, aber kein Wort russisch sprach; so konnte ich die Unterhaltung mit Mussolini während des ganzen Manövertages allein führen. Ich erzählte anfangs von meiner Attachézeit in Berlin. Der Duce stand noch immer unter dem wenig günstigen Eindruck, den seine erste Begegnung mit Hitler in Venedig in ihm zurückgelassen hatte. Er stellte viele Fragen, die ich ziemlich erschöpfend beantworten konnte. Ich gewann den Eindruck, daß der Duce, auch des Mordes an Dollfuß gedenkend, nie ein Zusammengehen mit Hitler erwogen hätte, wenn die vom stellvertretenden Außenminister Eden in Genf betriebenen Sanktionen gegen die italienische Kriegführung in Abessinien Italien in seiner chronischen Rohstoffnot nicht direkt in die Arme Hitlers getrieben hätten.
Beim Manöverimbiß in einem Gasthof an der Seite Mussolinis sitzend, lenkte ich die Unterhaltung auf die ausgesprochene Agressionspolitik Hitlers gegen Österreich und sagte ihm, so wie ich das systematisch überall tat, daß ich fest entschlossen sei, jeder Gewalt von deutscher Seite mit aller Wucht der Kampfkraft Österreichs zu begegnen. Der Duce sagte: „Bravo!” „Darauf trinken wir! Baistrocchi, Champagner her!” Dann erhob sich der Duce und sagte laut: „Ich trinke auf Österreich und auf Sie, Herr General!”, worauf ich mit einem „Eviva il Duce!” replizierte. Eine solche Auszeichnung Österreichs war mehr als ich zu hoffen gewagt hätte. Deshalb versuchte ich die gute Gelegenheit zu nützen und sprach ihn am Nachmittag auf das noch immer rund 1000 österreichische Geschütze mit Munition umfassende Beutegut aus dem I.Weltkrieg an, ob es nicht Österreich zur Verfügung gestellt werden könnte; in groben Umrissen erläuterte ich meine Abwehrabsicht und wies darauf hin, wie bittere Not wir an Artillerie leiden, während diese Geschütze nur italienische Depots belasten. Darauf erwiderte er: „Wenn wir diese Geschütze wirklich nicht brauchen, bekommen Sie sie. Ich muß da noch mit Baistrocchi reden.” Als ich weiter das Gespräch auf eine italienische Rüstungsanleihe an Österreich lenkte, meinte Mussolini, dazu nichts ohne Suvich sagen zu können; ich müsse ihn in Rom besuchen; er lade mich hierzu ausdrücklich ein.
Am nächsten Morgen begrüßte mich Gen.Roatta - mir liegt heute noch fast das ganze Gespräch in Ohr - mit den Worten: „Sie haben gestern eine Schlacht gewonnen, Herr General. 1000 Geschütze, das ist ein Erfolg! Zudem hat der Duce gesagt, daß man mit Ihnen zusammenarbeiten könne.” Darauf antwortete ich, daß der Transport der Geschütze je eher beginnen möge. Sonst aber bitte ich noch um etwas Zeit; ich müsse den ganzen dem Duce in groben Zügen dargelegten Abwehrplan in allen Details durcharbeiten und werde dann nach Rom kommen. Obst.Liebitzky, dem ich zur Weiterverfolgung der Dinge an Ort und Stelle in vollem Umfang über die Unterhaltung mit Mussolini und Roatta informierte, war ebenso zufrieden wie ich.
Wenn mich jemand gefragt hätte, ob ich mich wegen des gleichsprachigen Deutschland nicht bedrückt fühlte, hätte ich ihm damals genauso geantwortet wie heute: Garnicht! Bismarck als Angreifer hatte uns 1866 nicht nur die Italiener, sondern auch die aufständischen ungarischen Legionen in den Rücken gehetzt; er war auch davor nicht zurückgeschreckt, die Tschechen gegen die Deutschen Österreichs aufzustacheln. Jetzt revanchierte ich mich einfach uzw. lediglich in der Verteidigung gegen einen Hitler als Angreifer.
Die beim Duce gewonnene Sympathie kam in den folgenden Manövertagen dadurch zum Ausdruck, daß der Duce uns Österreicher bei jeder Gelegenheit in der großen Gästereihe mit seinen Augen suchte und auffällig herzlich begrüßte. Das übertrug sich auf alle ausländischen Offiziere, besonders aber auf die italienischen Generäle. So war die Aufgeschlossenheit des italienischen Unterstaatssekretärs für Krieg und des Chefs des Generalstabes mir gegenüber sehr angenehm und unsere Zwecke fördernd. Gen.Pariani sagte, daß er, wohl schweren Herzens, aber doch dem Duce die Abgabe der österreichischen Beutegeschütze mit Munition an uns zugestanden habe. Er erklärte sich zu jeder gewünschten Auskunft auch über alle neu in Erprobung stehenden Waffen bereit. Ich besprach mit ihm die mir besonders am Herzen liegende Panzerfrage. Der von uns in einer Anzahl von etwa 30 Stück gekaufte kleine italienische mit Maschinengewehren ausgerüstete Kampfwagen, der aufgrund der abessinischen Erfahrungen auch Flammenwerfer eingebaut bekam, schien mir nicht ausreichend. Ich suchte einen dickgepanzerten, schwer mit Kanonen armierten Wagen, den ich als Begleiter der Infanterie bei Gegenangriffen auf einen eingebrochenen Feind dachte. Das lehnte Gen.Pariani leider gänzlich ab; er vertrat den Standpunkt, daß ein künftiger Krieg nur kurz sein werde, weshalb für die Panzerwaffe höchste Beweglichkeit und Unauffälligkeit im Gelände erforderlich sei. Wo sollte ich die von mir gesuchten Wagen herbekommen? Diesbezüglich konnte ich auch von den Manövergästen anderer Staaten nichts Befriedigendes erfahren. Schließlich gab Pariani doch die Zusage, die Konstruktion eines schweren Panzers versuchen zu lassen.
Die sympathische Gestalt des Fliegermarschalls Balbo sahen wir nur kurz. Dafür konnte seinem Stellvertreter der Gedanke nahegebracht werden, uns die besten italienischen Jäger und Bomber gegen langfristige Kredite zu liefern. Obst.Liebitzky realisierte das später auch tatsächlich.
Die Manöver selbst beeindruckten mich wenig. Die Nordarmee in fester Stellung durch eine schon aufmarschierte Südarmee angreifen zu lassen bot keiner Partei operative Möglichkeiten. Die Eintönigkeit des Verlaufs wurde zwar durch eine eingelegte Schießübung aller Waffen mit scharfer Munition belebt, wobei sich die Schießtechnik der Artillerie auf guter Höhe zeigte. Die infanteristische Detailausbildung reichte jedoch an das Können unseres Bundesheeres nicht heran. Die Organisation von Autotransportkolonnen zur Verlegung ganzer Infanteriedivisionen erschien uns zu schwerfällig, selbst bei den großartig breit ausgebauten italienischen Straßen.
Sehr angenehm empfand ich dagegen das taktvolle Verhalten Mussolinis gegenüber Seiner Majestät dem König. Mit großer Aufmerksamkeit überließ der Duce dem König überall den Vortritt, und wenn irgendwo die Zivilbevölkerung den kleinen König übersehend „Eviva il Duce!” rief, korrigierte dieser sofort und streng auf „Eviva il Ré!” Vor der Persönlichkeit Mussolinis gewann ich auch sonst große Hochachtung. Seine straffe, kraftvolle Gestalt und Haltung waren ebenso imponierend wie seine Sprachenkenntnis. Wenn man wußte, daß der Duce vor seinem frühzeitigen Erscheinen auf dem Manöverfeld bereits alle wichtigen Zeitungen gelesen, ein Pferd durch einen Sprunggarten geritten, das eine oder andere Ministerreferat entgegengenommen und sein Flugzeug selbst auf das Manöverfeld pilotiert hatte; beim Manöver sein Auto selbst lenkte, ununterbrochen Truppen besichtigte, Ansprachen hielt, die ausländischen Gäste mit großer Zuvorkommenheit regardierte und bei den Cerclen immer etwas Gescheites sagte, so mußte einem so viel Männlichkeit, Verstand und Tatkraft imponieren.
Mit vielen anderen Persönlichkeiten teilte Mussolini, daß er kein richtiges militärisches Verständnis hatte; daß sich aber außer Balbo in der Flugwaffe kein überragender italienischer General mit weitschauender Planung und realer Organisationskraft als sein Berater fand, war ein bedauernswerter Mangel, der dem Duce wahrscheinlich nicht allein angelastet werden darf.
Wie hoch seine geistvolle Schlagfertigkeit war, möge folgende kleine Szene bei der Schlußparade am letzten Manövertag zeigen. Die italienischen Divisionen waren nicht in der üblichen Masse, sondern auf den die Defilierstraße umschließenden Geländerippen einzeln aufgestellt, was, von strahlender Sonne durchglüht, ein malerisch schönes Bild ergab, worüber ich mit dem neben mir stehenden deutschen Gen.Liebmann, einem Bekannten aus dem I.Weltkrieg, sprach. Da erscheint Mussolini, schaut suchend zu den ausländischen Manövergästen, kommt uns Österreicher erblickend auf mich zu und fragt, wie mir die Paradeaufstellung gefalle. Als ich ihm in etwa erwidere, prächtig, aber die Truppenaufstellung allein sei es nicht, die mir gefalle, vielmehr auch die Gewißheit, daß die Truppen von seinem Geist erfüllt seien, meint er nachdenklich: „Ja, der Geist! Goethe sagt es zwar anders, am Anfang war ...” - Liebmann, dem sich der Duce fragend zuwendet, antwortet „Die Tat” - „Ja, die Tat,” fährt er fort, „aber ich glaube doch, daß es der Geist war, denn erst dieser schafft die Tat”. Darauf wendet sich Mussolini zum rechts von mir stehenden französischen Korpsgeneral Sarraut und spricht mit diesem französisch weiter über Napoleon.
Kurz nach meiner Rückkehr fand in Hernals ein Offiziers-Kameradschaftsabend statt, zu dem sich auch der Bundeskanzler angesagt hatte. Für die Heimfahrt wurde ich vom Kanzler gebeten, zu ihm in seinen Wagen zu steigen und ihm über die italienischen Manöver zu berichten. Dabei machte ich den Kanzler mit der bevorstehenden militärischen Zusammenarbeit nur in großen Zügen bekannt. Wohl orientierte ich ihn über die versprochene Überlassung der Beutegeschütze, wollte ihn aber angesichts seiner rigorosen Auffassung von unserem durch gemeinsame Sprache und Kultur bedingtes Verhältnis zu Deutschland nicht mehr belasten als unumgänglich notwendig. Ich berichtete ihm noch, daß Mussolini mich nach Rom eingeladen habe und schloß daran die Bitte, der Kanzler möge sich durch meine radikal vorgetriebenen Arbeiten für die Abwehr deutscher Gewalt nicht beschwert fühlen, vielmehr möge er mich, falls ihm aus meiner Tätigkeit politische Unannehmlichkeiten entstünden, ruhig fallen lassen. Dagegen drang ich in ihn, meine Mehrforderung von 100 Mio.Schilling dem Finanzminister abzuzwingen.
Später orientierte ich den Staatssekretär und den Kommandanten der Luftstreitkräfte über die Möglichkeit, modernste Flugzeuge aus Italien gegen langfristige Kredite zu erhalten, und empfahl eine Reise Löhrs nach Rom zur Absprache der Einzelheiten im italienischen Luftfahrtministerium.
Nach Rücksprachen mit den Abteilungsleitern meiner Sektion über den Fortgang der Arbeiten reiste ich zu den ungarischen Manövern nach Budapest. Dort traf ich meinen italienischen Kollegen Gen.Pariani, meinen deutschen GdA.Beck und eine starke polnische Offiziersabordnung. Vor Manöverbeginn wurden wir nach Gödöllö zu einem Dejeuner bei Reichsverweser Admiral Horthy geladen; vor dem Speisen empfing er uns einzeln zu kurzer Audienz. Horthy war ein entfernter Verwandter meiner Frau und kannte mich bereits. Er sagte mir, daß er mit Sorge die Spannung zwischen Deutschland und Österreich verfolge, mit welchen Ungarn in einem besonders guten Verhältnisse leben möchte; es wäre ein Vorteil für alle, je eher sich Österreich mit Deutschland arrangieren würde. Darauf konnte ich nur erwidern, daß sowohl Dollfuß wie Schuschnigg jedes mögliche Entgegenkommen bewiesen hätten und unser Kanzler sich dauernd abmühe, mit Deutschland zu einem Ausgleich zu kommen, allerdings nur unter der Voraussetzung rückhaltloser Anerkennung der österreichischen Unabhängigkeit und Nichteinmischung in die politischen Verhältnisse. Auf seine Bemerkung, daß aber kein Fortschritt wahrzunehmen sei, antwortete ich, meinen Berliner Eindrücken zufolge gäbe es nur zwei Möglichkeiten: bedingungslose Unterwerfung oder Kampf, und für letzteren bereite ich alles in meinen Kräften Stehende vor; es läge im Interesse Ungarns, das österreichische Unabhängigkeitsringen, - das Ungarn ja aus seiner eigenen Verantwortung vertraut sei - mit aller Kraft zu unterstützen. Er sagte darauf mit einer Geste der Resignation, daß die Lage fürchterlich sei und eben deshalb ein Ausweg gefunden werden müsse. Als ich erwiderte, daß ich an die Möglichkeit eines solchen Auswegs nicht zu glauben vermöge, beendete er die Audienz.
Um das Politische hier abzuschließen füge ich noch an, daß ich an einem der nächsten Abende beim ungarischen Chef des Generalstabes, Somkuthy, welcher unter dem Namen Schitler während der drei Kriegsschul-Jahre mein Studienkamerad gewesen, zum Abendessen geladen war. Zu diesem Diner erschien auch Ministerpräsident Gömbös, der ein im Dienstrange jüngerer Generalstabsoffizier gewesen war. Er brachte das von Horthy angeregte Arrangement mit Deutschland in gröberer Form zur Sprache, wobei er äußerte, daß Österreich durch schärfste Diktatur die Volksmeinung überdecke. Dies wies ich mit dem Hinweis zurück, daß auch in Ungarn im Hinblick auf das Wahlrecht keine echte Demokratie bestehe. Diese unangenehme und aussichtslose Unterhaltung wurde durch ein Eingreifen des Hausherrn beendet.
Die Anlage und Durchführung der Manöver hingegen gefielen mir sehr: es sollte eine aus der Tschechoslowakei bei Raab und Komorn über die Donau gegangene und südlich des Stromes auf Budapest vorrückende überlegene Armee von schwachen ungarischen Kräften zum Stehen gebracht werden, um für die Heranführung ungarischer Kräfte aus dem Osten Zeit zu gewinnen. Diese Aufgabe bot beiden Parteien viel Möglichkeit zu freien Entschlüssen. Auf beiden Seiten wurde mit viel Geschick disponiert, und ich fand bei der Ostpartei vielfach Sperrungen angewendet, wie ich sie auch für unseren Grenzschutz erwog. Das Vértes-Gebirge und der Bakonyer Wald waren hierzu besonders geeignet. Sonst gewann ich den Eindruck, daß die Führungsausbildung der höheren Offiziere durch viel theoretische Schulung sehr gut und der praktischen Truppenausbildung überlegen war. Der gänzliche Mangel an modernem Kriegsgerät (ausgenommen die Flieger), das nur durch Attrappen angedeutet war, enttäuschte mich: da hatte ich mehr erwartet. Im Ganzen aber gaben mir die Manöver manche Anregung.
Auf der Margaretheninsel, wo wir Gäste in bekannter ungarischer Großzügigkeit erstklassig untergebracht waren, freute ich mich, mit meiner Frau und meinen Töchtern zusammenzutreffen, die auf der Heimreise vom Landgut meines Schwiegervaters nach Wien in Budapest ihre alljährlich gewohnte Station machten. Meine Frau wurde von Gen.Beck und den Herren seines Gefolges, die sie aus unserer Berliner Zeit kannten, mit ausgesuchter Zuvorkommenheit begrüßt. Auch mir begegneten die deutschen Herren hier im Ausland wieder mit der alten herzlichen Kameradschaft, die uns im ersten Weltkrieg verbunden hatte.
Aufgrund meines vorangegangenen Manöverbesuches in Italien kam mir Gen.Pariani mit besonders freundschaftlicher Aufmerksamkeit entgegen und lud mich immer ein, mit ihm gemeinsam in seinem Wagen zu fahren. Daraufhin bat mich der feinfühlige und taktvolle Gen.Beck nach Abschluß der Manöver zu dem uns Gästen gegebenen Abschiedsessen mit ihm zu fahren. Diese etwa zehn Minuten dauernde Fahrt von der Margaretheninsel zum Hotel Gellért, die mich seit Jahren zum erstenmal mit Beck ohne Zeugen ins Gespräch kommen ließ, benutzte ich zu einem Appell, an der Herstellung eines vernünftigen Verhältnisses zwischen Deutschland und Österreich mitzuhelfen, um ein Unglück zu verhindern. Als Beck dazu schwieg, sagte ich ihm in unverblümter Weise, daß ich als Chef des Generalstabes alles täte und auch in der Folge tun würde, um jedem etwa von Deutschland versuchten Gewaltakt mit vollem Einsatz der ganzen österreichischen Wehrmacht zu begegnen. Beck erwiderte mir darauf resigniert: „Ich kann Sie sehr gut begreifen, Herr General.”
Nach meiner Rückkehr legte ich das Schwergewicht auf Detailstudien dazu, wie sich die Abwehr eines deutschen Einmarsches am besten bewerkstelligen ließe. Den naheliegenden Gedanken, das Bundesheer an der zwischen Donau und Gebirge bloß 30 km langen Enns zu versammeln, um dort eine Abwehrschlacht durchzukämpfen, erwogen wir in der Operationsabteilung von allen Seiten und kamen zum Entschluß, diese Möglichkeit erst in zweiter Linie in Betracht zu ziehen. Denn die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Abwehrschlacht in den Gedankengängen des I.Weltkrieges waren weder nach Munitionsausrüstung, noch nach Stärke der Fliegerwaffe gegeben. Beide schweren Mängel konnten in der uns voraussichtlich zur Verfügung stehenden Zeit nicht mehr aufgeholt werden. Zudem hätte die kampflose Aufgabe von ganz Oberösterreich mit seiner Hauptstadt Linz für die Moral der eigenen Bevölkerung zu niederdrückend gewirkt.
Ein Gedanke ließ mich bei allen Erwägungen nie los: Es kam gar nicht auf einen Entscheidungskampf zwischen dem kleinen Österreich und dem zehnmal größeren Deutschland an - in einem solchen mußten wir schließlich hoffnungslos unterliegen; der Sinn des österreichischen Kampfes konnte nur darin liegen, diesen so laut, andauernd und zäh zu führen, daß Hitler nicht über Nacht vollendete Tatsachen schaffen konnte, und daß der Aufschrei und das entschlossene Wehren eines kleinen Volkes bei seiner versuchten Vergewaltigung den Großmächten Zeit zu Entschlüssen und Taten bringen mußte. Bedenken über eigene Verluste und Zerstörungen waren völlig abwegig: haben die Guerrilla in Spanien gegen Napoleon sich lange bedacht? Andreas Hofer in Tirol? Das Freikorps Schill? Die französischen Franctireurs 1871 und im I.Weltkrieg? Also hatten alle militärischen Aktionen genau so wie die Außenpolitik den Sinn des Zeitgewinns. War diese meine Überlegung richtig - und ich halte sie heute noch, nach Ablauf des ganzen Geschehens, für richtig -, dann hatten Widerstand und Kampf unmittelbar an der Grenze zu beginnen und sich in einem für seinen Zweck besonders eingerichteten Raum abzuspielen.
Es durfte erwartet werden, daß in einem solchen mit allen neuzeitlichen technischen Mitteln im Hindernischarakter verstärkten, etwa 50 km tiefen Raum einzelne vormarschierende Kolonnen aufgehalten, andere rascher und daher in den Flanken ungesicherter vorprellen würden. Diese vorprellenden Teile mit lokaler Überlegenheit anzufallen, dann selbst wieder auszuweichen, das war die gedachte Ausnutzung der Schlagkraft des infanteristisch und artilleristisch vorzüglich ausgebildeten Bundesheeres. Dieses dachte ich mit der 4.Linzer Division zur Stützung des Grenzschutzes im Vorfeld und der schnellen Division bei Linz zu versammeln, dazu mit der 1., 2., 3. und 5. Division und des Artillerieregiments an der Traun von Ebelsberg bis Lambach und der 8.Gebirgsbrigade mit der Hauptkraft bei Salzburg sowie einer Artillerieabteilung beim Paß Lueg, einem Bataillon bei Saalfelden und der 7.Division im Raume Paß Lueg-Radstadt-Schwarzach, während die tirolische 6.Division die aus Deutschland nach Tirol führenden Straßen, gestützt auf technische Sperrungen, zu verteidigen hätte.
Erst wenn sich die hinhaltende Kampfführung in dem eingerichteten 50 km tiefen Raum zwischen Inn, Salzach und Traun in ihren Möglichkeiten erschöpft hatte, sollte dem Feinde ein neuerlicher Aufenthalt mit versammelter Kraft hinter der Traun und schließlich der Enns bereitet werden, ohne daß das Heer sich dort völlig zerschlagen lassen durfte. Ich erwog für die weitere Folge das Heer nach Süden ins Hochgebirge abzudrehen, aus dem heraus es in kleineren Gruppen elastisch in Flanke und Rücken der nach Wien marschierenden deutschen Kolonnen immer wieder vorzustoßen gehabt hätte.
Dieser Plan war natürlich streng geheim. Von ihm wußten nur ich und der Chef der Operationsabteilung. Bei den konkreten Aufmarscharbeiten wurde er später dem ausgezeichneten Oblt.Weninger und dem vom Bundesbahnpräsidenten Vaugoin ausgewählten, besonders zuverlässigen Eisenbahnbeamten stückweise bekannt. Ich habe nie vernommen, daß diese Geheimhaltung irgendwo Lücken aufgewiesen hätte. Den Kommandanten der höheren militärischen Fachkurse wies ich an, alle taktischen und operativen Aufgaben der Generalstabsschule im deutsch-österreichischen Grenzraum spielen zu lassen. Ich nahm an diesen Aufgaben öfter teil, besonders wenn sie Führungsaufgaben des hinhaltenden Kampfes betrafen.
Für die Vorstudien zur Einrichtung des Grenzraumes und die nötigen technischen Erkundungen an Ort und Stelle vermochte ich zwei erfahrene Geniestabsoffiziere zu gewinnen: Mjr.Zahradnik für die Operationsabteilung und Hptm.Stiotta als Lehrer für die Generalstabsschule. Beide arbeiteten im Zusammenwirken mit der pioniertechnischen Abteilung der Sektion II des Ministeriums die Entwürfe für die Sperrungen zu Land und im Donaustrom, für die Zerstörungen an Straßen, Brücken, Eisenbahnen, Telegraphen- und Telephonlinien, für Panzerhindernisse, Minenfelder und die mit Senfgas zu verseuchenden Gebiete innerhalb der Sperrungen aus. Gemeinsam mit dem für die Zusammenfassung aller Grenzschutzmaßnahmen betrauten GeneralstabsObstlt.Krische berechneten sie die notwendigen Arbeitskräfte und Materialien aller Art; die zur Verteidigung der Sperrungen und Zerstörungen erforderlichen Waffen und Munition; die Besatzungen und deren Sammelräume, Deckungen und Unterstände, sowie Unterkünfte; schließlich in Zusammenarbeit mit der Telegraphen- und Luftabteilung die Einrichtung des Signal-, Verbindungs- und Meldedienstes.
In diese arbeitsreichen Wochen des Oktober 1935 platzte die Mitteilung des Staatssekretärs, daß meine 100 Mio.Schilling-Forderung an Rüstungsgeld für das Jahr 1936 im Rahmen der Budgetverhandlungen keinen Platz gefunden habe. Da ging mir im wahrsten Sinne des Wortes die Galle über. Daß meine Forderungen Abstreichungen erfahren würden, hatte ich mehr oder weniger erwartet; daß man sie aber überhaupt nicht berücksichtigte, konnte nur mangelnde Vertretung, absolutes Unverständnis oder gar böser Wille sein. An eine vernünftige Arbeit war in solcher Lage nicht zu denken, und ich bat den Staatssekretär kurzerhand um meine Enthebung. Zwei Tage darauf teilte mir Zehner mit, daß meine Enthebung nicht genehmigt würde und der Bundeskanzler mir sagen lasse, die Geldbeschaffung beschäftige ihn andauernd. Das war ein schwacher Trost, weil mir nur zu klar war, daß die erhöhte Arbeitsleistung und Stimmung im Ministerium, aber auch die Zuversicht und das Vertrauen draußen bei den Truppen nur gehalten werden konnten, wenn hinter Worte und Erlässe auch schaffende Taten gesetzt würden.
Am 17.Oktober trat Finanzminister Dr.Buresch zurück. Ein Heimwehrmann, Dr.Draxler, kam an seine Stelle; das war ein Hoffnungsstrahl.
Die folgenden Wochen waren trotzdem besonders schwer und niederdrückend für mich. Mein altes Gallenleiden war tatsächlich wieder akut geworden. Ende November traf mich dann wie ein Keulenschlag der plötzliche Tod meiner geliebten Frau; sie starb 39jährig innerhalb von acht Tagen an einer grippösen Lungenentzündung. Plötzlich stand ich mit zwei Töchtern im Alter von 15 und 12 Jahren allein da. Die überwältigende Anteilnahme an meinem Unglück in Österreich, aber auch die Kundgebungen aus unserem Berliner, Schweizer und ungarischen Bekanntenkreis hatten etwas Versöhnendes: mein deutscher, italienischer und ungarischer Kollege sandten prachtvolle Kränze, Reichsverweser Horthy den Wiener Gesandten als Vertretung zur Beisetzung. Diesen Anteilnahmen glaubte ich entnehmen zu können, daß meine gute Frau durch ihr mutiges Eintreten für Österreichs Recht sich überall Sympathien errungen hatte, unser gerader österreichischer Weg somit allseits Anerkennung fand.
Tiefbetrübt werkte ich denn weiter. Im Dezember 1935 gelang es uns, den auf den Ergebnissen der Einwohnerverzeichnung basierenden grundlegenden Erlaß für die „Notmobilisierung” des Bundesheeres unter Zahl 61.500/35 herauszubringen; er enthielt auch die Aufstellung der notwendigen Ergänzungsbezirkskommandos. Damit konnte die Weiterarbeit in den Divisionsbereichen beginnen.
Mit Fortschreiten der Planungen und Erkundungen zur Einrichtung des Grenzraumes zwischen Salzach-Inn und Traun, aber auch in Salzburg, Tirol und Vorarlberg konnten nach und nach die Zahlen von Verteidigern der Sperrungen und ihre Aufgliederung nach Infanteristen, Pionieren, Sprengmeistern und Telegraphisten aller Art festgestellt werden. Wegen der Notwendigkeit raschester Formierung dieser zahlreichen kleinen Kampfgruppen war die personelle Ergänzung aus Bewohnern in unmittelbarer Nähe der einzelnen Sperr-/Stützpunkte nötig. Wo vorhanden, mußten wir dazu auf Gendarmerie-, Zoll- und Polizeiorgane greifen und, wo aktive Verbände des Bundesheeres günstig lagen, auch auf Beistellungen von diesen. Diese Grenzschutzarbeiten führten zu meinem intensiven Zusammengehen mit den Heimwehren (später Miliz), dem sich, nach Überwindung anfänglicher Animositäten, auch die nachgeordneten Dienststellen bis herab zu den kleinsten Verbänden mit schließlich besten Erfolgen anschlossen. Da der Bedarf auf diese Art jedoch nicht völlig gedeckt werden konnte, trat ich an den Wiener Bürgermeister Schmitz heran, von dem ich wußte, daß er Beziehungen zur bestandenen sozialdemokratischen Partei aufrecht erhielt, damit die im Grenzraum wohnenden „Schutzbundmitglieder” sich freiwillig zur Verteidigung Österreichs eingliedern. Ich fand zu meiner größten Beruhigung Verständnis und Bereitwilligkeit. Alles vom Bundesheer nicht selbst benötigte Schießgerät wurde in den Grenzschutz eingeplant, darunter auch die rund 70 noch aus dem I.Weltkrieg mit Munition vorhandenen 14cm-Minenwerfer.
Die von den Geniestabsoffizieren entworfenen und auf Übungsplätzen erprobten Panzerwagenhindernisse hatten in mehrfachen schachbrettartig angeordneten Reihen aus 3 m langen alten Eisenbahn-Schienenstücken zu bestehen, die, feindwärts vorgeneigt, mit der Hälfte ihrer Länge in Aussparungen betonierter in den Straßenkörper eingelassenen Blöcke zu versenken waren. Vor einer Aktivierung des Grenzschutzes hatten die Aussparungen in den Betonblöcken mit Blechdeckeln verschlossen zu sein. Die erforderlichen Schienenstücke hatten auswärts der Kommunikation in unmittelbarer Nähe ihres Verwendungsortes zu lagern. Das Aktivieren dieser Hindernisse wie das Verlegen von Minen, die Errichtung von Verhauen und deren Verseuchung sollte von den ausgewählten Besatzungen in immer wiederholter Schulung mit immer gesteigerter Raschheit einexerziert werden.
Die Waffenaufstellungen zur Verteidigung dieser Sperrungen in beschußsicheren Deckungen waren bis ins kleinste Detail ebenso mit der zugehörigen Munitionslagerung vorzubereiten wie das Anlegen der Sprengladungen an den bestimmten Objekten zu üben.
Das Verbindungs- und Meldewesen in sich überdeckender Vielfalt vom anzuzündenden Strohwisch über die Leuchtpistole, Brieftaube, optischen und gedrahteten Telegraphen, sowie der Funkmeldedienst wurden von Sperrung zu Sperrung und nach rückwärts genau festgelegt und die Kenntlichmachung für die eigenen Flieger vorbereitet.
Alle diese Maßnahmen wurden in dem grundlegenden, im Februar 1936 unter Zahl 100.200/36 zur Ausgabe gelangenden Erlaß „Grenzschutz-Organisation” festgelegt und die Weiterbearbeitung durch die Divisionskommandos und die Frontmiliz (Heimwehr) befohlen.
Mit unserem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten hielt ich dauernde Verbindung; fast regelmäßig zweimal die Woche suchte ich abends auf dem Heimweg vom Stubenring in meine hinter der Universität gelegene Wohnung den Gesandten Hornbostel auf, wo er mich über den Lauf der auswärtigen Angelegenheiten orientierte und ich ihn über das Fortschreiten der militärischen Abwehrarbeiten. Diese Aussprachen nahm ich sehr ernst, weil mir der dauernde Gleichklang beider Aktionen als unabdingbare Notwendigkeit erschien. Der Bundeskanzler wußte von diesen vertrauensvollen Aussprachen, und da ich wegen seiner Überbeanspruchung vermied, ihn öfter als unbedingt nötig zu besuchen, nahm es Hornbostel auf sich, ihm kleinere Orientierungen, die ich für wissenswert hielt, gelegentlich seines täglichen Referates mitzuteilen.
Aus diesen Rücksprachen erkannte ich den Vorteil, die Aktivierung des Grenzschutzes elastisch zu gestalten. Ich schuf den Begriff „Grenzbeobachtung”. Auf Ausgabe dieses Wortes hin hatten alle im Grenzraum Eingeteilten zu ihren kleinen Kampfgruppen einzurücken, die Beobachtung des eigenen Raumes und jenes jenseits der Grenze, sowie den Verbindungs- und Meldedienst aufzunehmen; die Einrichtung der Sperrungen, besonders deren Hindernisse, scharfe Ladung, und der bestimmten Zerstörungen hatten jedoch noch nicht zu erfolgen. Gegen Grenzüberschreitungen war kein sofortiger Waffengebrauch anzuwenden; für diesen galten die Bestimmungen des Friedens. Das Wort „Grenzschutz” hingegen hatte automatisch die Aktivierung aller Abwehrmaßnahmen zu bedeuten, einschließlich des sofortigen Waffengebrauches ohne Vorwarnung gegen jeden, der die österreichische Grenze bewaffnet, einzeln oder in Abteilungen überschritt. Damit wollte ich der Politik die Möglichkeit der Sicherung Österreichs bei gespannter, aber noch unklarer Lage an die Hand geben, ohne daß es für die Gegenseite eine Provokation und Anlaß oder Vorwand zu Gewaltmaßnahmen gewesen wäre. - Eine „Grenzbeobachtung” konnte und sollte auch tatsächlich öfter zu Übungszwecken befohlen werden. Denn das sichere Funktionieren des Grenzschutzes setzte eine durch wiederholte Schulungen in kleinem und großem Umfang bis zur Perfektion gesteigerte Abwehrautomatik voraus. Die Aufgaben jeder kleinsten Kampfgruppe mußten in einem Plan niedergeschrieben werden, der jede Tätigkeit und die Person und Stellvertretung, von der die Tätigkeit auszuführen war, festlegte, damit jeder die immer gleichen Griffe mit schlafwandlerischer Sicherheit ausführen lernte.
Waren dieserart die geistigen und personellen Voraussetzungen ohne besondere Geldmittel geschaffen worden, so war die materielle Fundierung mit ausreichenden Waffen- und Munitionsbeständen, technischem und Baumaterial ohne solche nicht durchführbar. In meinem Kopf kreisten unablässig alle nur denkbaren Ideen rund um die Geldbeschaffung. Trotz der durch die schwere Wirtschaftskrise der Jahre 1929-1932 sicher nicht leichten Finanzlage, vermochte ich nicht zu begreifen, daß für die Existenz Österreichs 100 Mio.Schilling nicht beschaffbar sein sollten. Da stimmte etwas nicht! Entweder waren die Menschen geistig der Lage nicht gewachsen, was übrigens bei einigen unserer sogenannten Wirtschafts- und Finanzgrößen tatsächlich der Fall war, oder es lag böser Wille vor, den man ausjäten mußte.
Die Beschaffung der Geldmittel war organisationsgemäß Aufgabe des Staatssekretärs. Da ich Verstimmungen zwischen ihm und mir, die sich aus Kompetenzüberschreitungen leicht ergeben konnten, unbedingt vermeiden wollte, war es nicht leicht, die Geldbeschaffung vorwärts zu treiben. Allerdings brachte ich ihre Notwendigkeit bei jeder Begegnung mit dem Bundeskanzler vor, drängte Hornbostel zur Unterstützung meiner Forderungen und appellierte an Bürgermeister Schmitz sowie an den sehr klar sehenden Handelsminister Dr.Taucher. Zehner versicherte mir, daß er mit dem Finanzminister Draxler verhandle. Aber es war alles vergeblich. Kienböck war höchste Autorität und seine Sorge um den Wert des „Alpendollars” wurde höher geschätzt als die Existenz des Staates, dem dieser „Alpendollar” zu dienen hatte. Kleinlichkeit und Kurzsichtigkeit siegten anscheinend über die Vernunft, weshalb auch die Arbeitslosigkeit, das wesentlichste und gefährlichste Moment für die Stimmung der Bevölkerung, nicht eingedämmt werden konnte. Auch das Zustandekommen des Gesetzentwurfes über die allgemeine Wehrpflicht litt unter dieser argen Verweigerung der Mittel für die Verteidigungsnotwendigkeiten. In dieser Not wandte ich mich wieder an unseren Militärattaché in Rom mit der Bitte, einerseits Mussolini zu veranlassen, der österreichischen Regierung ein Budgetopfer für das Bundesheer und die allgemeine Wehrpflicht nahezulegen, anderseits meinen für die Osterzeit bei Mussolini in Aussicht genommenen Besuch vorzubereiten.
[Anm.v.Liebitzky: „Mussolini machte der Regierung in allen Fragen Mut. So bei der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht (Dienstpflicht). Mussolini ließ mich zwei- oder dreimal ganz unvermutet durch telephonischen Anruf zu sich kommen, um uns die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht immer wieder nahezulegen. Er ließ dem Bundeskanzler unter anderem sagen, wir sollten die kleine Entente nicht fürchten; sie würde nichts Wirkliches unternehmen; übrigens sei er bereit den Jugoslaven eventuell durch Mobilisierungsmaßnahmen entgegenzutreten, falls sie Schwierigkeiten machen würden. Mussolini dürfte auch auf diplomatischem Wege besonders Frankreich bewogen haben, nicht gegen die Einführung der Wehrpflicht und Heeresverstärkung in Österreich mit Rücksicht auf die Bedrohung durch das Dritte Reich aufzutreten. Dies war auch Andeutungen des französischen Militärattachés in Rom, Gen.Parisot, zu entnehmen.”]
Mit der Operationsabteilung bearbeitete ich nun den Aufmarsch des Bundesheeres an der Traun. Daraus ergab sich neuerdings die zwingende Notwendigkeit der raschen Erledigung des Gesetzes zur allgemeinen Wehrpflicht, wofür es gelang eine direkte Intervention des Bundeskanzlers als Heeresminister bei der Rechtsabteilung herbeizuführen. Aus irgenwelchen juristischen Gründen wurde in der Benennung des Gesetzes statt „Wehrpflicht” der Ausdruck „Dienstpflicht” gewählt. Diese, wenn auch nur formale, Abschwächung des Begriffes „Wehrpflicht” behagte mir in keiner Weise, doch stimmte ich zu, um nicht Anlaß zu neuerlichen Verzögerungen zu geben. Dieses für die Verteidigung des Vaterlandes wichtigste Gesetz konnte schließlich Ende März 1936 erlassen werden und am 1.Oktober mit der Einrückung der neuen Rekruten auch öffentlich sichtbar in Wirksamkeit treten. Fast gleichzeitig, am 27.März, wurde über Betreiben unseres Militärattachés in Rom, dem wegen der Beeindruckung Mussolinis und der italienischen Armee besonders daran gelegen war, meine bis dahin unter dem tit des Sektionschefs III getarnte Tätigkeit durch meine offizielle Bestellung zum „Chef des Generalstabes für die Bewaffnete Macht” in aller Öffentlichkeit bekannt gemacht.
Zwei so bedeutsame Kundgebungen des Wehr- und Verteidigungswillens Österreichs hatten ihre besondere Wirkung. Auf der einen Seite marschierten die Diplomaten und Militärattachés der Entente-Staaten mit lahmen Protesten auf, während sie im Inland und dem uns wohlwollenden Ausland, besonders in Italien, der Schweiz und Ungarn, mit viel Freude aufgenommen wurden. Bei mir trat eine Flut von Beglückwünschungen und Versicherungen des Vertrauens ein, die meine Verantwortung für die Sicherheit Österreichs nur noch mehr verpflichteten. Am bedeutsamsten waren mir natürlich die herzlichen Zustimmungen der meist sehr viel älteren Offiziere des Generalstabskorps der ehemaligen k.u.k. Armee, die - soweit sie österreichische Staatsbürger waren - mir auch ihre Dienste für den Notfall des Kampfes zur Verfügung stellten. Sogar meine Vorgesetzten aus dem I.Weltkrieg stellten sich mit Glückwünschen ein, deren prominenteste GdI.Ernst v.Horsetzky und GdA.Krafft v.Delmensingen, der ehemalige Chef des bayrischen Generalstabes, waren. Mir stärkte das Vertrauen von Männern, die mit mir arbeiteten oder unter denen ich im Leben und besonders im Krieg gewirkt hatte, die eigene Zuversicht; denn die seelische Einsamkeit in leitender Stellung gebiert auch bange Zweifel am Genügen, besonders im Fall Österreich-Deutschland, wo einen verwandtschaftliche Beziehungen nach Blut und Sprache schwer belasteten. Die großen Linien meines Wollens waren nach und nach bekannt geworden; wenn sie gut geheißen wurden, so gaben mir diese Zustimmungen viel Sicherheit im Handeln.
Unsere Berechnungen für den Aufmarsch des Bundesheeres im Raum zwischen Traun und Enns ergaben 2 Tage für die Alarmierung der Aktivstände, Einrückung, Bekleidung und Ausrüstung der Ergänzungen des Bundesheeres auf den Kriegsstand in den Friedensgarnisonen und 10 Tage für den in Zusammenarbeit mit den Bundesbahnen durchgerechneten Transport. Dieses Zeitmaß war mir zu langwierig, so daß ich die zusätzliche Bildung von Autotransportkolonnen aus zivilen Lastkraftwagen anregte. Immerhin war mit dieser ersten Durchrechnung eine reelle Basis für die von mir in Rom geplanten Besprechungen gewonnen worden.
Die Verweigerung der für Österreichs Verteidigung notwendigen Mittel brachte mich auf den Gedanken, die nötige Verstärkung unserer Abwehrkraft durch den Einsatz italienischer Truppen zu erreichen. Italien hatte 10 vollkommen motorisierte Divisionen mit erhöhter Kriegsbereitschaft. Wenn ein Teil dieser Divisionen beim Angriff Hitlers auf Österreich nicht wie 1934 anläßlich der Ermordung von Dollfuß am Brenner stehenbliebe, sondern dort und auch über den Plöckenpaß und die Glocknerstraße, über Villach-Katschberg-Radstadt und über Klagenfurt-Neumarkt-Liezen-Ischl vorgeführt würde, so hätte diese Flanken- und Rückenbedrohung deutscher Marschkolonnen eine sehr bedeutende Bremswirkung. Diese Zusage wollte ich in Rom erreichen und war entschlossen, niemanden mit der Verantwortung für solches Tun zu belasten, sondern sie ganz auf mich allein zu nehmen. Für den Besuch in Rom legte ich mir ungefähr folgendes Besprechungsprogramm zurecht:
1. Versuch, Italien trotz seiner durch Abessinien sehr angespannten finanziellen Lage zur Gewährung einer Rüstungsanleihe an Österreich in der Höhe von etwa 100 Mio.Schilling zu bestimmen;
2. Transporte der österreichischen Beutegeschütze samt Munition beschleunigen;
3. Mussolini in großen Zügen orientieren, wie ich die Abwehr eines Hitlerischen Gewaltaktes plane und vorbereite, und von ihm die prinzipielle Zusage der Mitwirkung italienischer Divisionen erwirken;
4. Besprechung und Festlegung des Einsatzes italienischer Divisionen über die Alpen in den Rücken und die Flanke nach Österreich einbrechender Feindkräfte;
5. Ausbildung österreichischer Fliegeroffiziere, besonders für den Blindflug, in Italien;
6. Feststellung, ob im Aufbau schwerer Panzer Fortschritte erzielt wurden.
Anfang April 1936 fuhr ich unter strikter Geheimhaltung nach Rom; von meiner Reise wußten nur der Kanzler und Gen.Zehner in Wien sowie Obst.Liebitzky in Rom. Meine Reise blieb auch einen ganzen Monat wirklich geheim; erst im Mai erfuhren die Reichsdeutschen davon - worüber ich noch erzählen werde -, vermutlich durch eine Indiskretion römischer Kreise.
Obst.Liebitzky hatte für meinen nur vom 6. bis zum 9. April währenden Aufenthalt ausgezeichnete Vorarbeit geleistet. Am ersten Tag konnte ich mit dem Unterstaatssekretär für Krieg, Gen.Baistrocchi, und dem Chef des Generalstabes, Gen.Pariani, in Ruhe alle meine Anliegen durchsprechen und Zustimmung mit größter Hilfsbereitschaft erfahren; der Einsatz italienischer Divisionen sollte - die Billigung des Duce vorausgesetzt - nach der Audienz bei diesem mit Gen.Roatta, dem Souschef des Generalstabes, in den Einzelheiten festgelegt werden. Pariani führte mich in seine sonst streng gesperrte kartographische Abteilung und zeigte mir die neuesten italienischen Karten, die durch Verschiebung des Druckes der Schichtenlinien bei Betrachtung durch blau-rote Gläser das Gelände plastisch greifbar sehen ließen, was eine große Zeitersparnis und eine gesteigerte Sicherheit vor Irrungen bei Dispositionen gewährte. Meiner Bitte, diesen Fortschritt auch durch unseren Generalstabsobersten Mlaker, dem die Verbindung mit dem österreichischen kartographischen Institut oblag, studieren zu lassen, wurde sofort entsprochen; in der Folge zogen wir daraus manche Vorteile. In der Konstruktion eines schweren Panzers waren leider keine Fortschritte erzielt worden. Pariani sagte mir, daß sich die kleinen Carri veloci in Abessinien sehr bewährten (ich hatte allerdings gegenteilige Nachrichten erhalten) und er größere Panzer nicht für notwendig halte. Als Vertreter eines kleinen, in Rüstungen bis vor kurzem zurückgebliebenen Staates durfte ich die Auffassungen des italienischen Chefs kaum korrigieren, also verfolgte ich dieses Thema nicht weiter. Der sofortige Abtransport der ersten Rate alter österreichischer Geschütze samt Munition (uzw. 1/3 Haubitzen, 2/3 Kanonen, zusammen 150 Geschütze) wurde mir bindend zugesagt. Dieses Versprechen ist auch wirklich prompt erfüllt worden.
Zum Mittagessen war ich von beiden Herren in das in einem alten Palast sehr vornehm neu eingerichtete zentrale Offizierskasino geladen worden, was mir im Interesse der Geheimhaltung meines Besuches, auch wenn er in Zivilkleidung vor sich ging, nicht zusagte. Aber als besonders intime Ehrung konnte diese Einladung nicht abgelehnt werden.
Am folgenden Vormittag war ich im hochmodernen Neubau des Luftfahrtministeriums, wo mir die Ausbildung eines Teils unserer Fliegeroffiziere mit großer Bereitwilligkeit zugesagt und gleichfalls die Lieferung der neuesten Flugzeuge nach Österreich angeboten wurde. Ich wußte wohl, daß Gen.Löhr die deutschen Konstruktionen für besser hielt, aber ich durfte die italienischen, auf den Erfahrungen des Abessinienkrieges ruhenden Maschinen nicht ablehnen. Als ein an sich belangloses, jedoch für das Arbeitstempo des Faschismus charakteristisches Detail dieses mit allen Finessen neuester Technik erbauten, eingerichteten und betriebenen Ministeriums möchte ich die Speiseräume für Offiziere erwähnen. Da gab es keine Tische, an denen man Platz nahm und serviert erhielt, vielmehr lange, hohe, von beiden Seiten zugängliche Bartische mit Warmhalteanlagen, aber ohne Sitzgelegenheiten. Für jeden Herrn stand ein schmaler, einer Bratröhre ähnelnder und mit aufklappbarem Deckel versehener Vorratskasten bereit, in dem die fertigen Speisen bereitstanden. Der Hungrige konnte also mit kürzestem Zeitaufwand an seinen Bartisch treten, das warme Mittagessen aus der Thermolade holen und stehend verzehren. Mir erschien solche Rationalisierung etwas weitgetrieben, weil ich bei regelmäßiger Büroarbeit die durch ruhige Einnahme des Mittagessens eintretende Entspannung als Vorteil für die Arbeitsqualität erfuhr.
Für den frühen Nachmittag war die Vorsprache beim Duce im Palazzo Venezia vereinbart. Vorerst sollten nur Liebitzky und ich empfangen, später auch Minister Suvich zugezogen werden. Liebitzky machte mich auf den überlangen Saal aufmerksam, an dessen Ende der Duce hinter seinem Schreibtisch saß und die eintretenden Besucher an sich herankommen ließ, um sie während dieser Zeit zu beobachten; er ermunterte mich, ohne Zögern und Befangenheit auf Mussolini zuzuschreiten. Nach einer Weile meldete das diensthabende Organ, daß der Duce uns erwarte und öffnete zugleich die breite Saaltür. Wie groß war unser Erstaunen, als Mussolini sich erhob, mir die halbe Länge des Saales entgegenkam, mich nach herzlicher Begrüßung an seinen Tisch führte und aufforderte Platz zu nehmen. Bei einer solchen Aufnahme, die den bestimmten Eindruck machte, bei einem sehr wohlwollend interessierten Freund zu sein, löste sich mir die Zunge und ich orientierte den Duce über meine Planungen für den Grenzraum und Aufmarsch des Heeres anhand einer mitgebrachten Karte, ja ich sprach über die erwogene hinhaltende Kampfführung eingehender, als ich ursprünglich beabsichtigt hatte, und wies auch auf die große Bedeutung eines aktiven Eingreifens schneller italienischer Divisionen hin. Mussolini hörte aufmerksam zu, nickte wiederholt zustimmend und erklärte sich einverstanden.
Nachdem ihm eine Depesche gereicht worden war, schaltete der Duce ein, daß es in Abessinien trotz der von England erzwungenen Sanktionen gut vorwärts gehe, und fragte mich plötzlich mit deutlichem Hinweis auf England, welche Meinung ich von einem italienisch-deutschen Zusammengehen hätte. Verblüfft fragte ich: „Gegen England?”, und als der Duce dazu nickte, sagte ich: „Nein, Exzellenz, da wären Sie viel zu schwach; gegen Englands Flotte können Sie auch im Verein mit Deutschland nicht aufkommen!” Darauf Mussolini: „Wir haben aber schnelle Schiffe und gute Flugzeuge.” Ich abschließend: „Trotzdem, Exzellenz, Sie wären viel zu schwach!” Mussolini sah mich scharf an; da schoß mir der Gedanke durch den Kopf, was für armselige Berater dieser Mann haben müsse.
Sodann begann ich auf die gegen eine erfolgreiche Durchführung meiner Planungen bestehenden materiellen Mängel und die zu ihrer Behebung nötige erste Rate von 100 Mio.Schilling hinzuweisen und erbat die Gewährung einer entsprechenden Rüstungsanleihe. Da wurde der Duce zurückhaltender, wiederholte, daß der abessinische Krieg gut stehe und bald beendet sein werde, Italien aber keine freien Gelder verfügbar habe; doch solle sich Suvich dazu äußern. Dieser wurde nun hereingerufen und stellte sich zu meiner Rechten an den Tisch. Nach einleitenden Worten Mussolinis faßte ich, direkt zu Suvich sprechend, meine geldlichen Forderungen nochmals zusammen und bat ihn, uns zu helfen, da der Betrag für das große Italien doch keine Rolle spielen könne. Suvich hielt sich sehr zurück; nach kurzer Rede und Gegenrede wurde vereinbart, daß ich am folgenden Tag Suvich in seinem Ministerium wegen des endgültigen Bescheides besuchen solle. Damit war die Besprechung beendet. Bei der Verabschiedung zeichnete mich der Duce wieder durch seine bezwingende Herzlichkeit aus, wobei er mich seiner dauernden Anteilnahme an der militärischen Erstarkung Österreichs versicherte. Im Vorraum beglückwünschte mich der treue Anwalt unserer guten Sache in Rom mit der staunenden Versicherung, daß er so viel herzliches Entgegenkommen Mussolinis noch nie erlebt hatte.
Ich nahm von der Unterredung das gute Gefühl der Ehrlichkeit mit. Was hätte den Duce andernfalls bewegen sollen, einen General eines Kleinstaates - auch wenn Österreich Traditionsträger einer 900jährigen ruhmvoll-großen Vergangenheit war - mit so viel Herzlichkeit zu begegnen? Es mußte neben dem politischen Interesse Italiens, Österreich als Puffer zwischen sich und Deutschland zu haben, an wirklicher Sympathie und Achtung für das mutige Ringen der kleinen Republik gegen ihre Vergewaltigung liegen. Mussolini habe ich damit zum letzten Mal gesehen; ich nahm das schon bei den Herbstmanövern gewonnene Bild eines „wirklichen Mannes” noch deutlicher mit auf den Weg. Mag auch persönliche Eitelkeit bei meiner Einschätzung des Duce mitgewirkt haben, so blieb nach Abzug dieser menschlichen Schwäche dennoch genug an vollem Vertrauen in Mussolinis Zuverlässigkeit, und ich wußte mich in dieser Einschätzung eins mit unserem klugen Militärattaché, der seine Überzeugung auf viel häufigerem Zusammensein mit dem Duce gründete.
[Anm.v.Liebitzky: „Am Juli-Abkommen Österreichs mit Deutschland hat Mussolini ohne Zweifel mitgewirkt, als er sich feste Zusagen bezüglich der Unversehrtheit Österreichs geben ließ. Hierzu die Äußerungen Gen.Parianis und Roattas im Sinne: bisher habe Italien Österreich im Schützengraben geschützt, jetzt würde dies durch ein gutes Verhältnis mit Deutschland geschehen.”]
Achtzehn Jahre sind seither vergangen. Das über die Welt gekommene Unglück kenne ich so gut wie jeder andere. Tief bedauere ich, daß Mussolini seine ursprünglich fein und richtig empfundene Ablehnung Hitlers unter dem bösen Druck englisch geförderter Sanktionen aufgab und dem Blendwerk der Unmoral erlag. Aber ich kann und will das gute Andenken, das ich ihm bewahre, nicht aus meinem Herzen reißen: Er war es, der den Frieden mit dem Heiligen Vater der katholischen Christenheit gefunden und dessen Befreiung aus der freiwilligen Gefangenschaft bewirkt hat; er hat seinen König anerkannt und diesem und dem monarchischen Gedanken edler die Treue gehalten, als der König ihm dies lohnte; für jeden, der sehen wollte, hat er in Italien Hervorragendes geleistet. - Hat er uns Österreichern die Treue gebrochen? Ich wage nicht, das zu behaupten. Wären wir nach der Berchtesgadener Erpressung zu tätiger Abwehr geschritten, so hätte Mussolini an unserer Seite gestanden, will mir scheinen. Nachdem wir damals jedoch dem Nazitum Türen und Tore geöffnet und uns unserer Kraft selbst begeben hatten, was hätte Mussolini tun sollen?
Mir persönlich hat der Duce seine Wertschätzung und die zu Ostern 1936 mit Handschlag besiegelte Treue bewahrt: Obst.Liebitzky teilte mir gelegentlich seiner Rückberufung im März 1938 mit, daß dieser ihm von einem Telegramm an Hitler Kenntnis gegeben habe, wonach „dem General Jansa kein Haar gekrümmt werden dürfe”. Selbstverständlich hatte ich um garnichts gebeten; die Intervention bei Hitler war aus Mussolinis freiem Entschluß entstanden. Wenn ich im Verhältnis zu anderem furchtbaren Geschehen eine unwahrscheinlich milde Behandlung erfuhr, die sich auf Gehaltskürzung, Ausweisung aus Österreich und Konfinierung in Erfurt beschränkte, ja wenn ich heute diese Erinnerungen niederzuschreiben vermag, so danke ich dies nur der Fürsprache des Duce, dessen Wohlwollen Hitler damals mehr bedeutete als der Kopf eines kaltgestellten Generals. Ich halte es für meine Pflicht und Schuldigkeit, dieses Bekenntnis zu Mussolini in aller Öffentlichkeit für die Nachwelt abzulegen zur richtigen Einschätzung seines großen und sauberen Charakters in der Zeit, da der Duce noch sein eigener Herr und ein gesunder, freier Mann war.
Zurück nun zum Rombesuch. Das Ereignis der gemeinsamen Audienz beim Duce wurde abends durch eine Einladung von Gen.Pariani in den Cave Nero, ein tief unter der Erde mitten in der Ruinenstadt gelegenes Weinlokal typisch römischen Charakters, in herzlicher Kameradschaft begangen. Hierzu waren auch die Generäle Baistrocchi und Roatta sowie Obst.Liebitzky mit ihren Damen erschienen. Bei wunderbar vollem süditalienischen Rotwein hörten wir die grandiosen Gesänge großer Künstler, unter ihnen Benjamino Gigli.
Am folgenden Vormittag war ich mit Liebitzky bei Minister Suvich. Eine Bar-Anleihe kam nicht zustande, der Wermuttropfen meines Rombesuches. Aber Suvich unterstrich neuerlich die schon von Liebitzky festgestellte und berichtete Bereitschaft, uns um annähernd den Betrag Flugzeuge, Panzerwagen und andere gewünschte Waffen gegen Kredit zu liefern, dessen Rückzahlung nach unserem Können und Ermessen erfolgen sollte. Das war immerhin etwas, und wir nützten diese Gelegenheit in der Folge auch teilweise. So konnte die Zahl unserer kleinen Panzerkampfwagen auf über 60 erhöht und ein Panzerbataillon zu drei Kompanien mit je 20 Kampfwagen und entsprechenden Reserven für Ausfälle aufgestellt werden. Zwar befriedigten mich diese kleinen Kampfwagen keineswegs, aber sie waren mangels anderer immerhin annehmbar. Auch die Luftwaffe bekam einige Flugzeuge.
[Anm.v.Liebitzky: „In der Folge wurden 72 ganz moderne Fiat-Kampfflugzeuge geliefert, das Beste, das damals vorhanden war. Die italienische Luftwaffe war damals auf der Höhe ihrer Leistung. Später ging es materialmäßig schon bergab. Die Flugzeuglieferungen erfolgten zum Teil gegen die von mir schon vorher eingeleiteten österreichischen Holzlieferungen.”]
Zum Déjeuner waren Liebitzky und ich bei unserem Gesandten Vollgruber geladen, dessen begreiflichen Wissensdrang über meinen Besuch und sein Ergebnis ich im Interesse der Geheimhaltung leider enttäuschen mußte.
Nachmittags besuchte ich vereinbarungsgemäß allein den Souschef des Generalstabes, Gen.Roatta, in seinem Büro, in dem an die Wände wohl eine Karte Oberitaliens geheftet waren, sonst aber viele die ganze Welt umfassende Karten. Ich erläuterte auch hier meine Absichten; der geistig sehr bewegliche General verstand sofort die Bedeutung schneller italienischer Divisionen für die geplante Kampfführung. Wir waren rasch einig und kalkulierten 5 Divisionen, von entsprechenden Luftstreitkräften begleitet, für ausreichend, von denen zwei über den Brenner und drei über Villach anzusetzen wären. Gen.Roatta verlangte meine Zustimmung zur sofortigen Erkundung der Straßen durch italienische Offiziere, was ich mit der Bitte zusagte, die Erkundung wegen der gebotenen Geheimhaltung in Zivil vornehmen zu lassen.
Dann überraschte mich der General mit der zweiten Frage, die tags zuvor der Duce mir gestellt hatte, wie ich über ein Zusammengehen Italiens mit Deutschland denken würde. Meine Gegenfrage, ob denn diese Erwägung plötzlich aktuelle Bedeutung gewonnen habe, verneinte er, schloß jedoch gleich an, daß Österreich von einer solchen deutsch-italienischen Einigung nur Vorteile hätte, da Italien keine gemeinsame Grenze mit Deutschland wünsche und bei Besprechungen die volle, unantastbare Integrität Österreichs als Voraussetzung fordern würde. Darauf erwiderte ich ungefähr, wenn Italien das zusammenbrächte, würde es damit einen Herzenswunsch jedes Österreichers erfüllen, doch fehle mir der Glaube daran. Darauf Roatta: „Sie brauchen an der Ehrlichkeit unserer Zusage, ihnen zu helfen, keinen Augenblick zu zweifeln. Das ist zwischen uns abgemacht und gilt; Ihre Unabhängigkeit liegt ja im italienischen Interesse. Aber Sie waren Militärattaché in Deutschland: was halten Sie von der deutschen Rüstung, wie beurteilen Sie ein festes Militärbündnis mit Deutschland? Mir scheint, daß wir zusammen sehr stark wären und nichts zu fürchten bräuchten.” Darauf antwortete ich sinngemäß, daß Ernst und Tempo der deutschen Aufrüstung außer Zweifel lägen, ebenso die Güte des deutschen Soldaten und die Klugheit des deutschen Generalstabes, und daß wir Militärattachés in Berlin übereinstimmend der Auffassung gewesen wären, nach Ablauf der drei zweijährigen Rüstungsperioden ab 1933, also mit Ende 1939, werde ein gewaltiges deutsches Rüstungspotential erreicht sein; aber gegen die das Meer beherrschenden Mächte England und Frankreich, von Amerika garnicht zu reden, seien Italien und Deutschland auch bei optimaler Rüstung viel zu schwach. Auf die zahlreichen Weltkarten weisend meinte ich abschließend, Italien möge vorsichtig sein und sich nicht auf ein so riskantes Spiel einlassen! Darauf machte Roatta eine Handbewegung, die ich dahin deutete, man könne Italien nicht übertölpeln, und sagte, ich möge seine Fragen nur als die Ausnützung der guten Gelegenheit deuten, mein Urteil zu dieser rein theoretischen Erwägung zu hören. Zwischen uns blieb alles wie besprochen. Da Roatta nicht deutsch und ich nicht italienisch konnte, war die Besprechung in französischer Sprache geführt worden, wobei ich mich knappster Formulierungen bediente, um Mißverständnisse möglichst auszuschließen.
Die Frage des deutsch-italienischen Zusammengehens zweimal gestellt, bereitete mir trotz meiner beidmaligen warnenden Antworten Sorge. Das besprach ich nachher auch mit Liebitzky, welcher ebenfalls aufhorchte, weil er darüber noch nichts Konkretes erfahren hatte. Damit war meine Mission in Rom beendet. Obst.Liebitzky und seine liebenswürdige Gemahlin danke ich für ihre vielen, die Kameradschaft weit überschreitenden Bemühungen: jede freie Minute zwischen den Besprechungen nutzten sie, um mir durch Fahrten zu den bedeutendsten alten und neuen Bauwerken über Rom, diese wunderbare Stadt, einen Überblick zu geben.
In Wien konnte ich den Kanzler nur kurz über die positiven Ergebnisse der Reise orientieren. Ich sagte ihm, daß wir im Notfall mit aktiver Unterstützung rechnen können, vermied es aber, ihn mit militärischen Einzelheiten zu belasten. Über die doppelt gestellte Frage eines Zusammengehens Italiens mit Deutschland orientierte ich aber nicht nur Dr.Schuschnigg, sondern auch den Gesandten Hornbostel. Ebenso wies ich den Kanzler auf die dringende Notwendigkeit hin, Geld flüssig zu machen, da der Anleiheversuch in Italien gescheitert war.
In meiner Sektion bekam ich bald Nachricht vom Eintreffen der ersten Geschützrate mit 150 Kanonen und Haubitzen, von denen 20 für den Grenzschutz in Tirol abgezweigt wurden, während das Gros der Sektion II für die Bewaffnung der erweiterten Divisionsartillerie und die Dotierung des unmittelbaren Grenzschutzraumes zugewiesen wurde. Mit einiger Aufregung meldete auch bald der Nachrichtendienst der 6. und 7. Division, daß italienische Offiziere Straßenerkundungen vornähmen. Da konnte ich beruhigen.
In diese Zeit fallen wiederholte Vorsprachen des französischen Militärattachés, der die Frage eines Zusammengehens Österreichs mit der Tschechoslovakei anschnitt, was sicher nahe gelegen hätte, wenn die geistige Mentalität unseres Nachbarn nicht in panischer Angst vor einer Restauration unseres Kaiserhauses erstarrt gewesen wäre. So wies ich den Gedanken einer Annäherungsbemühung an die Tschechoslovakei meinerseits ab, verschloß aber nicht die Möglichkeit eines Heranfühlens der Tschechen an uns, wenn sie ihre Einstellung ändern wollten. Das Angebot Colonel Sallands, einen Generalstabsoffizier in einen französischen Truppenführungs- und Artillerieschießkurs zu entsenden, nahm ich hingegen gern an.
Der ungarische Militärattaché, Obst.Veress, war immer wieder um die Knüpfung möglichst enger Beziehungen zwischen der Honvéd und dem Bundesheer besorgt. Ich habe seine Bemühungen gern und freundlich aufgenommen, war mir aber klar, daß es bei der guten Absicht bleiben werde. Denn aus meiner Berliner Attachézeit wußte ich, daß zwischen Ungarn und Deutschland langjährig enge Beziehungen bestanden. Damals hat der ungarische Militärattaché, Obstlt.v.Miklós, trotz seiner scharfen Ablehnung der nationalsozialistischen Überheblichkeit und seiner Anhänglichkeit an mich meinen Vorschlag einer Zusammenarbeit mit ihm, seinem Chef in Budapest melden müssen; er bekam darauf von dort unter Hinweis auf die besondere Vertrauensstellung Ungarns zu Deutschland einen ablehnenden Bescheid, was ihm selbst sehr unangenehm war. Ungarn war also nur interessiert, von uns möglichst viel zu erfahren, aber praktisch nichts zu geben. Um den Arbeitseifer unseres Militärattachés in Budapest, Obst.Dr.Regele, nicht zu schwächen, hatte ich ihm meine Berliner Erfahrung nicht mitgeteilt. Wir sind von ihm in voll ausreichendem Maß orientiert worden, aber die von ungarischer Seite oft beredete Zusammenarbeit überschritt auch seiner Erfahrung nach nie den Austausch von Höflichkeiten und Versprechungen.
Für den Ausbau des Bundesheeres auf volle Divisionen mußte man sich wegen Schaffung der erforderlichen Unterkünfte über die beste Dislozierung der Truppen klar werden. Mit der Operationsabteilung hatte ich seit Monaten an einem solchen Elaborat gearbeitet; es war mit März 1936 datiert und wurde nun in Reinarbeit dem Staatssekretär zur weiteren Verfügung übergeben. Dieser Dislokationsplan rief anfangs an mehreren Stellen des Ministeriums Widerspruch hervor, weil ich wegen der raschen Abwehrautomatik des Grenzschutzes, aber auch, um unserer Grenzbevölkerung das Bewußtsein militärischen Schutzes zu geben, die Verlegung einzelner Kompanien in unmittelbare Grenznähe an die Einbruchstraßen wünschte. So sollten in Tirol Lermoos, Seefeld, Jenbach, Kufstein, St.Johann, in Salzburg Lofer, Saalfelden, St.Johann und Mattsee, in Oberösterreich Burgkirchen Garnisonen errichtet werden, die mit den in Braunau, Schärding und Ried schon bestehenden Garnisonen das aktive Skelett für den Grenzschutz sein sollten. Das galt in ähnlicher Abwandlung auch für die übrigen Divisionsbereiche. Der Einwand, daß durch solche Abtrennungen die Ausbildung erschwert würde und Offiziere trostlose Garnisonsorte bekämen, hatte eine gewisse Berechtigung. Anderseits konnte ich auf die k.u.k. Armee hinweisen, in der etwa seit 1900 auch bei den im Innern der Monarchie liegenden Truppen, mangels ausreichender Übungsplätze, einzelne Kompanien abwechselnd zwecks besserer Gefechtsausbildung in verschiedene Örtlichkeiten gelegt wurden. Und mit der Begründung der operativen Notwendigkeit konnte dem neuen Dislokationsplan schließlich allseits gültige Anerkennung verschafft werden.
Bei der Luftwaffe legte ich zur Sicherung gegen Luftangriffe Wert auf den Einbau von Hallen, Depots und Werkstätten in die den Flugplatz umsäumenden Berghänge, was bei den Flugplatzbauten im Ennstal auch zur Ausführung kam.
Bald nach meiner Rückkehr aus Rom - es muß ein Samstag Nachmittag gewesen sein, weil ich daheim bei meinen Töchtern war -, rief mich der Bundeskanzler zu sich ins Amt. Beim Kanzler fand ich Finanzminister Dr.Draxler vor und noch zwei oder drei Herren, an die ich mich mit Sicherheit nicht mehr erinnern kann (es könnten Innenminister Baar, Sicherheitsdirektor Hammerstein und möglicherweise auch Vizekanzler Starhemberg gewesen sein). Nach Begrüßung sagte Schuschnigg zu mir, daß er mit den Herren eben noch vergeblich die Möglichkeit einer größeren Geldzuwendung an das Bundesheer besprochen habe; ich möge den Herren meine Geldforderungen selbst begründen. Daraufhin legte ich in eindringlicher Art die nahe Gefahr Hitlerischer Gewaltsamkeit gegen Österreich dar und erläuterte ziemlich eingehend, was ich militärisch für die Abwehr in Vorbereitung hatte; ich erklärte eine solche, gestützt auf italienischen Beistand, für durchaus nicht aussichtslos, besonders, um die lahmen Großmächte zu einem Einstehen für Österreich aufzuwecken; damals dürfte ich auch auf die vielen Gegner hingewiesen haben, die sich Hitler in Deutschland durch die Mordorgie anläßlich des sogenannten Röhm-Putsches geschaffen hatte; abschließend wandte ich mich direkt an den zu meiner Linken neben mir auf dem Sofa sitzenden Finanzminister mit den ungefähren Worten: „Sie sind doch Kaiserjägeroffizier, mit dem Kronenorden ausgezeichneter Flieger, Sie haben doch im Weltkrieg am eigenen Leib erfahren, was eine ungenügende Rüstung an Menschenopfern fordert. Wollen Sie jetzt, selbst auf dem Geldsack sitzend, sich dem Heer versagen? 100 Millionen können doch die österreichischen Finanzen nicht zugrunde richten, wenn es sich um die Rettung des Staates handelt!” Darauf erwiderte Draxler,noch etwas zurückhaltend: „Ja, Herr General, es ließe sich darüber schon reden, wenn ich im einzelnen wissen dürfte, worum es sich handelt.” Da Draxler der Heimwehr zugehörig war, hatte ich keine Bedenken, ihm zu antworten: „Ich habe alles genau ausgearbeitet. Heute ist Samstag; am Montag will ich meine Aufstellung mit unserer Sektion II noch einmal durchgehen und komme am Dienstag mit allen Unterlagen zu Ihnen. Ist Ihnen das recht?” Als Draxler bejahte, hob der Bundeskanzler die Sitzung sichtlich befreit lächelnd auf und sagte beim Abschied zu Draxler und mir: „Also die Herren arbeiten jetzt zusammen und machen mir dann vom positiven Ergebnis Mitteilung!”
Mir war eine große Last vom Herzen genommen. Sofort rief ich Gen.Luschinsky, den Leiter der Sektion II, an und bat ihn, sich den ganzen Montag für die letzte Durchfeilung unserer vor Monaten gemeinsam verfaßten Bedarfsaufstellung freizuhalten. Am Dienstag ging ich mit Luschinsky und allen Unterlagen ins Finanzministerium, dessen Sektionschefs in dem für militärische Bedürfnisse obligaten „völlig ausgeschlossen” einig waren. Diesmal kamen sie jedoch schlecht an, denn Draxler erklärte ihnen, daß er der Finanzminister sei und in seinem Ministerium das geschehen werde, was er anordne: das Heer werde Geld bekommen! An die Einzelheiten der Regelung kann ich mich nicht mehr zuverlässig erinnern; hier genügt es wohl mitzuteilen, daß meine Forderung von 100 Millionen volle Deckung fand und wir im Hinblick auf die Dringlichkeit die Hälfte noch im Jahre 1936 ausgeben durften, während die zweiten 50 Millionen erst Anfang 1937 flüssig gemacht werden sollten.
Ausdrücklich muß ich Minister Draxler hier ein Denkmal setzen, weil er meines Wissens der erste Finanzminister Österreichs war (des kaiserlichen und des republikanischen), der für die ernsten Forderungen des Chefs des Generalstabes für die bewaffnete Macht Verständnis und Erfüllung aufbrachte!
Der Schwung, der nun in die Verteidigungsarbeiten kam, machte sich in Tempo und Zuversicht bis in die kleinsten Einheiten bemerkbar; es war ein Aufbruch nach allzulanger Stagnation.
Die Erzeugung der neuen 15cm-Haubitzen lief parallel mit der Munitionserzeugung für alle Waffen sofort an, die Infanteriekanonenerzeugung wurde erweitert. Für die Waffen- und Munitionserfordernisse waren rund 60 Millionen vorgesehen. Zwei kleine Raten wurden für die sofortige Lieferung von 30 italienischen Panzerkampfwagen und Flugzeuge nach den Wünschen von Gen.Löhr eingebaut. Alle Erfordernisse der Einrichtung des Grenzschutzraumes fanden durch den Ankauf und die örtliche Bereitlegung der technischen Mittel und Baustoffe volle Befriedigung. Rund 25 Millionen blieben für zusätzliche Bekleidung, Ausrüstung, motorische Zugmittel der Artillerie, sowie für den Bau von Flugplätzen und neuen Truppenunterkünften. Ich behielt die Gebarung mit diesen Geldmitteln so lange in meiner Hand, bis ich die sichere Gewähr hatte, daß sie nicht mehr für irgendwelche anderen Zwecke umdisponiert werden konnten.
Nach einiger Zeit, es dürfte an einem der letzten April- oder ersten Mai-Tage 1936 gewesen sein, erschien der Adjutant des Bundeskanzlers, Mjr.Bartl, in meinem Büro und erzählte mir, wie sehr der Kanzler überlaufen werde und nie zur Ruhe käme. Dann sagte er wie von ungefähr, daß dem Kanzler an Zehner in letzter Zeit eine Bedrücktheit auffalle, so daß er daran denke, sich von diesem zu trennen. Bartl frage, ob ich das Staatssekretariat übernehmen wolle. Ich war völlig überrascht, dachte eine Weile nach und antwortete: „Wenn der Herr Bundeskanzler es wünscht, so übernehme ich auch das Staatssekretariat. Ich bitte aber ihm zu sagen, daß ich keinerlei Ambitionen habe und mir in unserer gefahrvollen Zeit der Posten des Chefs des Generalstabes für die Kontinuität der Arbeiten wichtiger erscheine. Zehner ist mutmaßlich bedrückt, weil nicht er den Rüstungskredit erreicht habe. Das wird sich geben; den vielen Verwaltungsagenden und den mit der Stellung des Staatssekretariats verbundenen Repräsentationen entspricht er ja ganz gut.” Bartl empfahl sich und ich hatte im Drang der Arbeiten das Gespräch bald vergessen. Mit der Zeit mußte ich aber leider erkennen, daß ich sehr unklug gehandelt hatte.
Anfang Mai meldete mir der Vorstand der Nachrichtenabteilung, GM.Böhme, der deutsche Militärattaché, Glt.Muff, habe von Berlin die Mitteilung erhalten, wonach ich zu Ostern in Rom gewesen sei; er habe Böhme angedeutet, daß es ihm unangenehm sei, von Berlin zu erfahren, was in Wien geschehe. Da Böhme von meiner Reise auch keine Kenntnis hatte, wußte er nicht, was er antworten sollte. Ich gab Weisung Muff zu sagen, daß ich es ablehne, ihm irgendwelche Mitteilungen zu machen. Einige Tage später, am 9.Mai, traf eine vom 6. datierte Meldung unseres Militärattachés in Prag, Obstlt.Longin, ein: die von deutschen Emigranten herausgegebene Aeropress bringe einen Artikel, wonach Berliner Nazikreise ihre Hoffnungen auf General Jansa setzten, der Ehrgeiz genug besäße, um eines Tages, gestützt auf die Armee, die Macht an sich zu reißen, Neuwahlen auszuschreiben und Hitler zum Bundespräsidenten zu erheben; in der Umgebung des Herrn Beneš werde die Ernennung Jansas zum Chef des Generalstabes mit Beunruhigung aufgenommen. Kaum hatte ich diesen Bericht gelesen, ging ich damit auch schon zu Staatssekretär Zehner und sagte ihm, man möge mich sofort entheben, wenn man diesem Blödsinn auch nur die leiseste Glaubwürdigkeit schenke. Das sei eine Goebbels-Nachricht, um mich, da man nun meine Rom-Reise erfahren habe, von Schuschnigg zu trennen. Diese Zeitungskampagne nahm immer größeren Umfang an, wobei varierte Verlautbarungen ähnlichen Inhaltes in Polen - New Chronicle - und Dänemark deutlich auf Goebbels' Pressemache hinwiesen. Am 27.Mai teilte mir Zehner mit, daß Schuschnigg mir einen besonderen öffentlichen Vertrauensbeweis durch meine Berufung in den Führerrat der Vaterländischen Front geben werde, die auch prompt erfolgte. Schon am 25. hatte unser Pressedienst eingegriffen und im Prager »Montag« auf der titseite in Balkenlettern als Wiener Sonderbericht einen Artikel gebracht, dessen Überschrift hieß: „Berliner Hetze gegen General Jansa, Berliner Verleumdungen des österreichischen Generalstabschefs.” Darauf hörte die drei Wochen lange Brunnenvergiftung prompt und endgültig auf.
[Anm.v. Liebitzky: „Es traten in Rom Gerüchte auf, daß FML Jansa zurücktreten wolle. Mussolini ließ mich rufen und sagte: ”Es darf keine Krise Gen.Jansa geben„. Das Gleiche sagte Mussolini bei den unmittelbar darauf folgenden Manövern 1936 im Raume südöstlich Neapel, als er die damals von GM.Beyer geführte österr. Mission ansprach, zu mir: ”Es darf keine Krise Gen.Jansa geben.„”]
Damals rechnete ich und rechne ebenso heute Bundeskanzler Dr.Schuschnigg seine vornehme Entscheidung umso höher an, als wir damals in einer Zeit lebten, die nicht nur Verleumdungen am laufenden Band, sondern leider auch Fälle von Untreue brachte, so daß es für ihn wirklich sehr schwer sein mußte zu erkennen, wer unbeirrbar zu ihm hielt.
War dieser Berliner, von den Tschechen mutmaßlich auf Grund meines Gespräches mit dem französischen Militärattaché sekundierte Versuch, die österreichischen militärischen Verteidigungsarbeiten zu torpedieren, mißlungen, so glückte eine andere mich sehr hart treffende Aktion: das Ausbleiben der längst fälligen zweiten Transportrate österreichischer Beutegeschütze aus Italien. Meine sofortigen Betreibungen der Transporte durch unseren Militärattaché in Rom blieben erfolglos. Liebitzky meldete, seine Interventionen direkt an Mussolini herangetragen zu haben; die Ursache der Verzögerung werde mit technischen Schwierigkeiten der Lösung des Materials aus den italienischen Depots begründet. Für mich bestand kein Zweifel mehr, daß konkrete Verhandlungen zwischen Rom und Berlin laufen mußten, und daß Rom mit der Einstellung oder Verschiebung der Transporte einem deutschen Verlangen nachgegeben hatte; ob nur vorübergehend oder definitiv, war damals noch nicht zu erkennen. Dr.Schuschnigg erzählt in seinem Buch «Ein Requiem in Rot-Weiß-Rot» auf Seite 246 im Zusammenhang mit dem starken italienischen Engagement ab Juli 1936 in Spanien „Für Österreich brachte der neue Konflikt zunächst aus Rom die freundschaftliche Mitteilung, daß wegen Eigenbedarfes die weitere Rücklieferung alten Artilleriematerials zurückgestellt werden müsse.” Mir ist trotz wiederholter Betreibungen über den Militärattaché in Rom von einer italienischen „freundschaftlichen Mitteilung” nichts bekannt geworden. Es muß sich da um ein diplomatisches Schriftstück handeln, von dem mir anscheinend keine Kenntnis zukam.
Hingegen schritten die eigenen Verteidigungsarbeiten gut vorwärts. Ich reiste zu Erkundungen wiederholt in den oberösterreichischen Grenzraum, nachdem ein Elaborat über die Neuorganisation der technischen Arbeitsgebiete fertig geworden war. Eine Denkschrift über die Munitionslage war noch im März und eine weitere unter dem tit «Gedanken zum Aufbau der Luftwaffe» im Mai fertiggestellt worden. Im Juni übergab ich dem Staatssekretär in einem geschlossenen Elaborat die konkreten Vorschläge für den Heeresausbau, die besonders die Aufstellung der nach festgelegter Gliederung der Divisionen fehlenden Formationen betrafen. Da nun Geld bewilligt war, konnte an die Durchführung geschritten werden.
Bei den Erkundungen im oberösterreichischen Grenzraum formte sich mir der Vorteil kleiner aktiver, spezieller Grenzschutzeinheiten als Rückhalt für die Grenzschutzalarmierung und zur Entlastung des Bundesheeres immer schärfer heraus. Mir schwebten dabei die öst-ung. Grenzjägerformationen in Bosnien und der Herzegovina vor, sowie die Landesschützenregimenter an der italienischen Grenze. Ich wußte aus meinen Rücksprachen mit dem Schweizer Generalstabschef Roost , daß die Schweiz an der Rheingrenze gegen Deutschland gleichfalls kleine Aktivformationen aufzustellen begann. Um das Bundesheer nicht zu zersplittern, erwog ich zur Aufstellung solcher kleiner aktiver Formationen die Heimwehrverbände (später Frontmiliz) heranzuziehen. Deshalb bedauerte ich die Ausbootung des obersten Führers der Heimwehren und Vizekanzlers aus der Regierung sehr; nicht, daß mich mit der Person Starhembergs irgendwelche besonderen persönlichen oder dienstlichen Beziehungen verbunden hätten, aber seine Schwungkraft und sein entschlossener Abwehrwille des „braunen Bolschewismus” sicherten mir bei den Absprachen mit Karg und Judex über die Aufgaben der Selbstschutzverbände deren freudige Einsatzbereitschaft.
Wohl stand ich mit dem später zum Vizekanzler berufenen Gen.Hülgerth seit vielen Jahren in herzlicher Beziehung, aber die vom Kanzler geschickt und mit Erfolg betriebene Zusammenfassung aller freiwilligen Wehrverbände in der „Frontmiliz” unter Hülgerth brachte in dieser Zeit doch eine gewisse Lähmung des Fortschritts der Verteidigungsarbeiten. Ich trug Hülgerth den Gedanken der Bildung aktiver Grenzschutzformationen durch die Frontmiliz vor, den er, einst selbst Landesschützenkommandant gewesen, zustimmend annahm; zu meiner Entlastung legte ich ihm nahe, die Geldforderungen hierfür als Vizekanzler für die Frontmiliz bei deren Gönnern und auch im Staatsbudget selbst zu vertreten; er war einverstanden. Allmählich reifte der Plan eines Appells der Frontmiliz, zu dem wir alle aktiven Förderer der tätigen Abwehr Hitlerischer Gewaltanwendung, darunter den Bürgermeister Schmitz, laden wollten und bei dem ich die Aufgaben der Frontmiliz im Rahmen meines Abwehrplanes darstellen sollte.
Bei meinen regelmäßigen Besuchen im Bundeskanzleramt/Auswärtige Angelegenheiten orientierte mich Hornbostel laufend über die andauernden Bemühungen des deutschen Gesandten v.Papen um ein österreichisch-deutsches Abkommen und zeigte mir auch den von Papen quasi als Besprechungsgrundlage liegengelassenen Plan. Darüber ist in seinen Büchern von Dr.Schuschnigg selbst erschöpfend berichtet worden. Von Hornbostel damals um meine Meinung befragt, stimmte ich seiner Ablehnungstendenz aller deutscher Anbiederungen voll zu, weil sie ja nur eine Schwächung unseres Abwehrwillens zum Ziel haben konnten. Anderseits mußten wir uns aber gestehen, daß eine glatte Ablehnung den Bundeskanzler innenpolitisch in eine untragbare Lage bringen mußte, wenn die deutsche Propagandamaschine den Kanzler unter Hinweis auf die deutsche Ausgleichs- und Friedensbereitschaft als Friedensstörer bloßstellen sollte. Ich beruhigte Hornbostel damals mit dem Hinweis auf den in seinem katholischen Glaubensbekenntnis ruhenden Charakter des Kanzlers.
Wenn ich mich erinnerte, wie bei meinen wiederholten Aussprachen mit dem Kanzler dieser stets, da er um einen Entschluß rang, den Blick auf die seinem Schreibtisch gegenüberliegende Totenmaske seines gemeuchelten Vorgängers richtete und dann unbeugsam entschlossen den Willen äußerte, das Testament des verehrten Toten, das in der bedingungslosen Aufrechterhaltung der Freiheit und Unabhängigkeit Österreichs gipfelte, zu erfüllen; wenn ich daran dachte, mit welcher Energie und ganzem Herzen der Kanzler die Aufrüstung des Heeres vorwärts trieb; wenn ich bedachte, daß man doch nicht Millionen in eine Heeresrüstung stecke, um dann ein faules Kompromiß zu schließen, so war mein Vertrauen in die Person des Kanzlers so unerschütterlich, daß ich selbst Hornbostels Sorgen über den letzten Passus des geplanten Abkommens, der besagte „in einer Reihe von Einzelmaßnahmen die hierzu notwendigen Voraussetzungen schaffen”, zu zerstreuen suchte: der staatskluge Kanzler werde doch keinerlei Maßnahmen treffen, die in den Kreisen seiner Getreuen, der Armee und der Bevölkerung auch nur den Schein einer Abweichung von der unbedingten Entschlossenheit zur Erhaltung der Unabhängigkeit hervorrufen könnten. Meine Hochachtung für den schwergeprüften Kanzler und mein Vertrauen in seinen männlichen, festen Charakter waren echt und ehrlich. So sah ich auch in dem schließlich am 11.Juli 1936 zustande gekommenen Vereinbarungen ein kluges Zurückwerfen des Balles an Hitler und glaubte nicht einen Augenblick an eine Aufgabe unserer bisherigen Linie. Ich ließ mich in der ernsten und immer wieder zur Raschheit antreibenden Verfolgung der Verteidigungsarbeiten nicht im geringsten stören.
[Anm.v.Liebitzky: „Dr.Schuschnigg schloß das Juli-Abkommen auch unter italienischem Druck. Mussolini wollte, bei der zunehmenden allgemeinen Spannung durch die französisch-englische Politik zu Deutschland gedrängt, offenkundig durch die Annäherung an Deutschland auch Österreich schützen. Er kannte damals Hitler noch nicht wirklich und vertraute auf die Zusicherungen Hitlers und auch auf das ”Ehrenwort Görings„. Auch der damalige Einfluß Cianos wirkte auf Mussolini. Ciano drängte zuerst zum Ausgleich mit Deutschland, um später der heftigste Gegner des Zusammengehens Italiens mit Deutschland zu werden.”]
Bald aber horchte ich auf: Edmund Glaise-Horstenau wurde als Vertrauensmann des Kanzlers Minister. Guido Schmidt als neuen Außenminister kannte ich nicht, mit Glaise jedoch war ich in der Kriegsschule gewesen und hatte seinen streberischen Ehrgeiz schon damals erstaunt wahrgenommen. Als ich ihn nach meiner Heimkehr aus Berlin im Kriegsarchiv besucht und bei meiner Schilderung der in Berlin üblichen Gestapomethoden ihn ganz befremdend dreinblicken und gewissermaßen entschuldigen gesehen hatte, da war mein Bild fertig. Und dieser Mann galt nun als Vertrauensperson des Kanzlers? Der Besuch, den Glaise mir als Chef des Generalstabes machte, wurde von mir mit voller Absicht nicht erwidert. Seine bei dieser Gelegenheit gemachte Mitteilung, daß er vom Kanzler ermächtigt worden sei, in alle Akten Einblick zu nehmen und daß er hoffe, ich werde ihm das aus alter Kameradschaft erleichtern, nahm ich wortlos zur Kenntnis, berief aber sogleich meine Abteilungsleiter und verbot ihnen mit aller Schärfe dem Minister Glaise irgendwelche Auskünfte ohne vorheriger Anfrage bei mir zu geben. Tatsächlich ist mir nicht bekannt geworden, daß Glaise bei meinem Generalstab je eine Anfrage gestellt hätte.
In den während meiner Amtszeit vielleicht dreimal stattgefundenen Sitzungen des Führerrates der „Vaterländischen Front” konnte ich erkennen, wie unendlich schwierig die Arbeit des Kanzlers war, ohne politische Parteien und ohne Gewaltmittel der Diktaturen, nur mit geistigen Argumenten eine einheitliche Willensbildung im Sinne österreichischer Unabhängigkeit zu formen. Selbst unter den Gutwilligen strebten die Interessen der Stände vielfach auseinander, gar nicht zu reden von den Eitelkeiten und Strebereien einzelner Persönlichkeiten. Trotz aller Sympathie für das im Reich lebende deutsche Volk kam aber doch stark zum Ausdruck, daß der überwiegende Teil der Bevölkerung einschließlich der alten Sozialdemokraten, als deren freiwilliger Verbindungsmann der christlichsoziale Bürgermeister Schmitz gelten konnte, eine Unterwerfung unter Hitler rundweg ablehnte. Gegenüber den unsicheren Opportunisten, die unentschlossen zwischen Österreichtreuen und Nationalsozialisten hin- und herschwankten, war es von entscheidender Bedeutung, auch nicht den leisesten Zweifel an der Entschlossenheit und guten Chance der Staatsführung aufkommen zu lassen. Darin lagen die Gefahren des Übereinkommens vom 11.Juli 1936, wenn es nicht mit unnachgiebiger Kraft in rein österreichischem Sinne gehandhabt wurde.
Auch am Bundesheer konnten Zweifel an der Festigkeit des Freiheits- und Unabhängigkeitswillen nicht spurlos vorbeigehen. Ich war deshalb in meinem Wirkungskreis jetzt noch mehr bemüht, die Unbedingtheit unserer Verteidigungspflicht zu unterstreichen und - soweit ich das konnte - das am Bestand Österreichs interessierte Ausland zu kräftigerer Stützung unserer Politik anzuregen. Alle Militärattachés, besonders auch Obst.Jahn für Paris und London, bekamen schriftlich und gelegentlich ihrer Wien-Aufenthalte mündlich die Anweisung, ihre Sprache so unzweifelhaft zu regeln, wie das Obst.Liebitzky in Rom und Obst.Regele in Budapest taten. Auch die in Wien bevollmächtigten Militärattachés Frankreichs und Englands sprach ich nun öfter und stellte, um sie zu häufigerer Berichterstattung an ihre Vorgesetzten zu veranlassen, auch Forderungen, wie zB. an den französischen um Überlassung schwerer, wenn auch alter Panzer, an den englischen um Zustimmung zur vermehrten Zulassung unserer Flieger für die Ausbildung im Blindflug; letzteren bat ich auch um Feststellung, ob wir von England schwere Panzer bekommen könnten. Beide ersuchte ich ihre Länder zu beeinflussen, zur Belebung der österreichischen Wirtschaft und damit der gesamten Stimmung größere Holzeinkäufe bei uns zu tätigen. Die Ergebnisse waren gering. Immer mehr gewann ich den Eindruck, daß in der drohenden Lage zur Aufrüttelung der Großmächte aus ihrer schon krankhaften Duldung Hitlerischer Methoden Worte nicht genügen, sondern Taten getan werden müssen.
Da nun schon mehr als ein Jahr seit meiner Bestellung zum Leiter der Sektion III vergangen war, in dem sich nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch die Teilung der Kompetenzen und Einflußgebiete zwischen Ministerium und Chef des Generalstabes herausgebildet hatte, hielt ich die Zeit für gekommen, um einerseits organische Bestimmungen für den Chef des Generalstabes, anderseits die Frage der Befehlsführung im Konflagrationsfall schriftlich festzulegen. Aus den langen Schwierigkeiten, die ich gehabt hatte, um das minimal erforderliche Rüstungsbudget zu erreichen, dachte ich auch daran, die Verantwortung für die Rüstung nicht dem Chef des Generalstabes allein aufzubürden, dem Mann, von dem FM Conrad sagte, daß man ihn zuerst ruft, ihm dann Schwierigkeiten bereitet und schließlich mit Steinen bewirft, sondern auf mehrere Schultern zu verteilen. Als Beispiel schwebte mir die Schweiz vor, in welcher der Bundesrat (bei uns also die Regierung) über Vortrag der Landesverteidigungskommission die Grundsätze und Erfordernisse für die Verteidigung der Heimat festlegt. Ich schlug vor, eine österreichische Landesverteidigungskommission aus den drei Ministern für Auswärtige Angelegenheiten, für Inneres und für Finanzen sowie aus den drei kompetenten militärischen Faktoren, also dem Staatssekretär im BMf.Landesverteidigung, dem Heeresinspektor und dem Chef des Generalstabes unter dem Vorsitz des verfassungsmäßigen Oberbefehlshabers des Heeres, des Bundespräsidenten, zusammentreten zu lassen. Die Verantwortung dieser sieben Persönlichkeiten für die Sicherheit des Landes wollte ich in einem besonderen Gesetz ausdrücklich festgelegt wissen.
Für die Frage der Befehlsführung schlug ich vor, den Oberbefehl tatsächlich durch den Bundespräsidenten ausüben zu lassen, zu welchem der Chef des Generalstabes mit seinen Abteilungen zu treten hatte. Die unmittelbare Führung der Heereseinheiten (Divisionen) sollte in den Händen des Heeresinspektors mit seinem Stabschef und seinen Waffeninspektoren liegen. Dem Bundesminister für Landesverteidigung (Staatssekretär) wären alle administrativen Pflichten für die personelle und materielle Versorgung des Heeres und der Miliz verblieben.
Als organische Bestimmungen für den Chef des Generalstabes beantragte ich jene aus der k.u.k. Monarchie mit geringfügigen Anpassungen an die kleiner gewordenen Verhältnisse zu übernehmen. Alle drei Vorschläge wurden von Staatssekretär Zehner mit Zurückhaltung entgegengenommen. Ihre Durchkämpfung hätte mehr Zeit gefordert als das Schicksal mir gewährte. Anstatt, wie es seine Dienstpflicht gewesen wäre, ausgleichend zu wirken hat der Adjutant des Staatssekretärs diesen zu stets neuen, meist kleinlichen Einwänden veranlaßt. Da der Staatssekretär die Ersetzung des Adjutanten durch einen anderen Offizier, zu dessen Auswahl ich ihm meinen ganzen Generalstab zur Verfügung stellte, ablehnte, entstanden Spannungen, die ich gern vermieden hätte. Das war das erstemal, daß ich meine Unklugheit erkannte, bei dem mir vor wenigen Monaten durch Obstlt.Bartl überbrachten Angebot des Bundeskanzlers zur Übernahme des Staatssekretariates nicht zugegriffen zu haben. Doch war dies nur der Anfang von Enttäuschungen und steigender Sorge.
Bei meinen regelmäßigen Besprechungen mit dem politischen Leiter unseres Außenamtes sagte mir Hornbostel mit nur zu begreiflicher Verärgerung, daß er seit der Ernennung Schmidts zum Außenminister nicht mehr alles erfahre. Schmidt bezeichne sich als deutschen Exponenten in der Regierung, dessen Aufgabe es sei, das Verhältnis zu Deutschland, das hieß also zu Hitler, gut zu gestalten. Auf meine Frage, ob Hornbostel Schuschnigg darauf aufmerksam gemacht habe, antwortete Hornbostel verdrossen, daß er nicht mehr beim Kanzler vorkommen könne. Als ich das Gehörte mit Zehner besprach und ihn aufforderte, Dr.Schuschnigg gelegentlich auf das Verhalten Schmidts aufmerksam zu machen, lehnte dieser ab. Meiner Erwiderung, daß halt dann ich selbst zum Kanzler gehen werde, begegnete er mit den ungefähren Worten, ob ich denn nun auch unter die Leute gehen wolle, die dem Kanzler die ohnedies so schwierige Lage mit Angebereien noch schwerer machen wollen; Schmidt sei doch Schuschniggs bester Freund und könne doch nichts tun, was dem Kanzler unangenehm wäre; daß Schmidt als ernannter Außenminister jetzt manches an sich ziehe, was Hornbostel früher allein gemacht habe, sei doch zu verstehen. Was Zehner sagte, war gewiß erwägenswert; ich wollte die Sache noch überdenken, aber auch gespannter achtgeben, was vorgehe.
Bald nachher überraschte mich die mir außerordentlich unangenehme Nachricht vom Ausscheiden Dr.Draxlers aus der Regierung und Übernahme des Finanzressorts durch einen Herrn Neumayer, bisher Finanzreferent bei der Gemeinde Wien. Ich war heilfroh, daß GdI.Luschinsky und ich die uns von Draxler gegebenen 100 Mio. Schilling schon so fest verteilt und ausgegeben hatten, daß eine nachträgliche Kürzung nicht mehr möglich war. Gelegentlich eines meiner Besuche, die ich im Rathause ab und zu im Interesse der Eingliederung von Schutzbundleuten in den Grenzschutz machte, teilte mir ein Herr des Präsidiums auf meine Erkundigung mit, daß Neumayer nicht auf unserer Seite stehe. Bei Vizebürgermeister Lahr, einem alten k.u.k. Offizier und Heimatschützer, konnte ich offener reden und fragen, was Neumayer charakterlich für ein Mann sei und was wir Soldaten von ihm erwarten könnten. Lahr zuckte die Achseln und sagte, daß Neumayer betont national sei. Sollte das auch eine Persönlichkeit sein, die das besondere Vertrauen des Kanzlers genoß? Jetzt begann ich mich nicht mehr auszukennen. Glaise, Schmidt, Neumayer, und im Führerrat der Vaterländischen Front Seyss-Inquart? Ich wollte den Kanzler selbst sprechen und ließ mich durch seinen Adjutanten anmelden. Antwort: der Kanzler sei überlastet, momentan sei nicht daran zu denken, mich ins Empfangsprogramm einzuschalten, ich möge mich gedulden.
An den Abenden, da ich Hornbostel aufsuchte, hörte ich wenig Erfreuliches über die häufigen Besuche, die Herr v.Papen jetzt im Außenamt machte. Auf Hornbostels Frage, ob man sich auf das Heer verlassen könne, gab ich ein unbedingtes Ja zur Antwort; dann aber schränkte ich doch ein: solange die Regierung den alten klaren Kurs einhalte. Unklarheiten, gerade so, wie sie jetzt einträten, könnten natürlich auch den Geist des Heeres schädigen. Wiederholt schloß ich unsere Unterredungen mit der Warnung, daß man das Heer nicht überraschend vor fertige Tatsachen stellen dürfe; es benötige zur Mobilisierung und zum Aufmarsch rund 8 Tage. Das möge er auch Herrn Schmidt eindringlich sagen.
Anläßlich der für Dezember 1936 vorgesehenen Konferenz der Römer-Protokollstaaten wurde ich von Hornbostel zur Verfassung eines militärischen Exposés eingeladen, das ich im November übergab. Es enthielt im Wesen meine für die Verteidigung der Unabhängigkeit Österreichs schon bekannten Grundsätze mit dem Beifügen, daß der Ausbau der Wehrkraft unbeschadet der momentan vielleicht befriedigender aussehenden politischen Lage fortgesetzt werden müsse. Bei einem Empfang kam ich erstmals mit Dr.Guido Schmidt ins Gespräch, in dessen Verlauf er mit Beziehung auf mein Exposé äußerte, durchaus gleicher Meinung über die Betreibung unseres Wehraufbaus zu sein; er fragte, ob es nicht möglich wäre, auch auf militärischem Gebiet eine Annäherung an Deutschland zu erzielen. Ich äußerte meine Zweifel an der Ehrlichkeit des deutschen Entgegenkommens; immerhin hielte ich es ohne Gefahr für uns möglich, die seinerzeit bestandene Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Spionageabwehr wieder aufleben zu lassen. Auch den Ankauf deutscher Flugzeuge, auf den Gen.Löhr stets dränge, erklärte ich in dem Fall für zulässig, daß Deutschland uns ebenso langfristige Kredite gewähren wollte wie Italien. Ich verlangte jedoch, diese Anbahnung möge direkt durch eine Reise Löhrs nach Berlin geschehen und nicht über Glt.Muff, zu dem ich kein Vertrauen hätte.
Vor Jahresende wurden von mir noch einige Arbeiten prinzipieller Natur fertiggestellt, so die Studie über die Ausnutzung der Bundesdienstpflicht für die Frontmiliz und die Gedanken zur Arbeitsdienstpflicht. Im Dezember war als Resultat vielfacher Besprechungen ein Elaborat fertiggestellt worden, das die Bezeichnung „Munitionslagerplan” erhielt. Er sollte in Berücksichtigung der aus der Luft drohenden Gefahren eine Dezentralisierung der hauptsächlich am „Großen Mittel” (nächst Wiener Neustadt) in den aus der kaiserlichen Zeit bestehenden Depots lagernden Munitionsbestände herbeiführen und die Grundlage für die Projektierungen neuer Depots durch die Bauabteilung des Ministeriums schaffen. In einer mit dem 27.Dezember datierten Arbeit gab ich schließlich dem Staatssekretär eine Übersicht der dringendsten Erfordernisse an die Hand, die in einem Sonderkredit für das Jahr 1938 bei den im Jahr 1937 zu führenden Budgetverhandlungen einzuplanen waren, deren Detaillierung ich mir aber noch vorbehielt.
Das Jahresende brachte die Ruhestandsversetzung der Generale Brantner und Luschinsky, die als Leiter der Sektionen I und II mir durch ihr hohes Verständnis, ihr großes militärisches und fachtechnisches Wissen und schließlich durch ihre vornehme Kameradschaftlichkeit in den vergangenen eineinhalb Jahren sehr viel geholfen hatten, der Verteidigungsfähigkeit Österreichs eine reale Grundlage zu geben. Ich bedauerte diese Verluste umsomehr, als für beide Generäle keine ebenbürtigen Nachfolger einrückten. Ich hätte es in unserer Lage gern gesehen, an den bewährten Kräften nicht zu rühren, da ja die Budgeterweiterung genug Raum für Beförderung vordrängender Herren bot. Meine diesbezüglich eindringliche Bitte beim Staatssekretär fand jedoch keine Berücksichtigung.
Wenngleich das Jahr 1936, rein militärisch gesehen, für Bundesheer und Landesverteidigung das Optimum des Möglichen gebracht hatte, so konnte ich mich dieses Fortschrittes angesichts der entstandenen politischen Lage nicht erfreuen - ohne an der Lauterkeit des Kanzlers zu zweifeln. Sehr wohl verstand ich die Bemühungen des Kanzlers, Zeit zu gewinnen für die Klärung der Lage, doch konnte ich das Gefühl des Bangens um die Auswirkungen dieser - wenn vielleicht auch nur vorübergehenden - Nachgiebigkeit auf die Haltung aller schwankend zu Österreich Stehenden nicht unterdrücken. Gelegentlich einer internen Besprechung mit den zwei neuen Sektionschefs fiel mir, im Gegensatz zu den temperamentvollen Debatten mit den abgetretenen, deren kühle Selbstbeherrschung auf; keine Zustimmung, keine Ablehnung. Nicht daß ich an der Grundgesinnung der beiden Herren zu zweifeln Anlaß fand, aber der Eindruck des „sich nicht exponieren wollens” blieb bestehen. Mit kritischen Augen besuchte ich öfter die höheren Offizierskurse, ergriff wiederholt das Wort, um Lehrer und Frequentanten darauf hinzuweisen, daß die patriotisch mitreißende Gesinnung jedes Generalstabsoffiziers offen wie ein Buch liegen müsse. Zwar gewann ich dort gute Eindrücke, hielt es jedoch für zweckmäßig, den Frequentanten auch die Auffassungen der nichtmilitärischen Kreise zu vermitteln. So bat ich den im Innenministerium mit der Aufdeckung nationalsozialistischer Umtriebe befaßten Sektionsrat Nagy um einen Vortrag, und war sehr erfreut, daß der Bundeskanzler, anscheinend von paralleler Sorge getragen, den Soziologen, Universitätsprofessor August Knoll für Vorträge vor Offizieren und in Offiziersschulen gewonnen hatte; auf Grund eingehender Studien in Deutschland legte dieser mit zwingender, beeindruckender Logik dar, daß es eine Synthese zwischen christlicher Weltanschauung und Nationalsozialismus nicht geben könne, der unüberbrückbare Gegensatz daher klare Entscheidung von jederman verlange. Der Eindruck dieser Vorträge war tief und nachhaltig selbst für mich, der ich ja den Nationalsozialismus aus meiner Berliner Zeit in seiner ganzen Verlogenheit gut kannte.
Es mag in dieser Zeit gewesen sein, daß mich der Kommandant der Militär-(Offiziers-)Akademie in Wiener Neustadt, der prächtige österreichische Patriot GM.Towarek aufsuchte. Er führte Klage, daß ihm Söhne bekannter nationalsozialistischer Familien zur Ausbildung zugewiesen würden, die dann von schlechtem Einfluß auf die Kameraden seien; er fragte nach meiner Meinung darüber. Ich war für die sofortige Entfernung von Akademikern unguter Gesinnung aus der Akademie und strengste Durchsiebung aller Neuaufnahmen. Towarek sagte mir darauf, daß er von Zehner zu mir gekommen sei, dem er in meinem Sinne eine radikale Reinigung der Akademie in Aussicht gestellt habe; dieser hätte ihm jedoch wegen des wahrscheinlichen politischen Aufsehens, das so ein energisches Ausscheiden unzuverlässiger Elemente machen würde, aufgetragen, die jungen Leute, hinter denen meist hohe Protektoren standen, nur langsam, einzeln und unauffällig auszuscheiden. Da die Akademie mir nicht unterstand, konnte ich nur auf Zehner einzuwirken versuchen; ich fragte ihn direkt, ob er dem Kanzler über solche Vorkommnisse berichte und ihn auf die Gefährlichkeit seiner, den Schein zu großer Nachgiebigkeit erweckenden Politik und über den Leumund, den die neuen Männer seines Vertrauens in der Öffentlichkeit haben, aufmerksam mache. Zehner meinte, der Kanzler wisse das alles, er habe keine ruhige Stunde; wir müßten mit unseren Dingen allein fertig werden.
Wie recht hatte doch Hornbostel gehabt, dem Abkommen vom 11.Juli 1936 zu widerraten!
Vielleicht ist es gut, in diesem Zusammenhang auch zu erwähnen, daß öfter Äußerungen an mein Ohr drangen, wonach Gen.Löhr sehr viele Nationalsozialisten zu Fliegern ausbilde. Ich besprach das mit Löhr; er gab zu, daß unter seinen Fliegern Nationalsozialisten seien, verbürgte sich aber für deren makellose Pflichterfüllung in allen Lagen. Als ich ihm im weiteren Gespräch sagte, er müsse auf die Auswahl seiner Leute mehr Gewicht legen, erwiderte er verärgert, das Möglichste stets getan zu haben; die Ergänzung der Flieger erfolge jedoch aus Freiwilligen, und wenn die Söhne aus den patriotischen Kreisen nicht die Schneid aufbrächten, sich zur Fliegertruppe zu melden, so müsse er die Menschen nehmen, die er bekäme. Eine Überprüfung der Umstände bestätigte Löhrs Mitteilungen in vollem Umfang. Ich muß darum der bürgerlichen Welt, die an der Erhaltung der christlichen freiheitlichen Gesellschaftsordnung in erster Linie interessiert ist, für die Zukunft ins Stammbuch schreiben, daß man mit korrektem passiven Verhalten allein, Gefahren nicht bekämpfen kann - man muß seine Jugend zur Bereitschaft für den Einsatz auf gefahrvollen Posten erziehen! Andernfalls wird die Zukunft gegen sie entscheiden.
Von Interesse werden auch ein paar Worte über die Treibstofflage sein. Die Erhebungen des Kriegswirtschaftsamtes hatten unter anderem ergeben, daß die Vorratshaltung von Benzin im allgemeinen, besonders aber an hochwertigem Fliegerbenzin, unzureichend war. Die Ölsuche nächst Zistersdorf lag damals in verschiedenen ausländischen Händen, die anscheinend gar kein Interesse an der Steigerung der Erdölförderung hatten. Die militärischen Erfordernisse verlangten eine größere Treibstoff-Vorratshaltung. Für weitere Sicht wäre aber auch die Erdölförderung nächst Zistersdorf mit Energie vorwärts zu treiben gewesen. Für beide Notwendigkeiten waren größere Investitionen erforderlich. In öffentlichen Vorträgen vor Industriellen, Handel- und Gewerbetreibenden wurde auf die militärischen Bedürfnisse hingewiesen und auch bei den zuständigen Ministerien die tatkräftige Förderung der Treibstoffbeschaffungen betrieben, wobei auf die durch Bohrungen zu gewärtigende Verringerung der Arbeitslosigkeit aufmerksam gemacht wurde. Erfolg hatten unsere Bemühungen nicht. Die geistige Spannkraft unserer damaligen Finanz- und Wirtschaftsgrößen hatte sich anscheinend in der Werterhaltung des Schillings erschöpft. Ja, es trat sogar eine sehr kritische Treibstoffnot ein. Die Rumänen verlangten plötzlich Dollar statt Schilling für ihre Erdölprodukte. Das veranlaßte unsere leitenden Stellen, die Erdöllieferungen von Rumänien auf Amerika umzustellen, wobei in der wochenlangen Umstellungszeit ein gefährlicher Treibstoffmangel bestand. Alle Hinweise des Chefs des Generalstabes auf die Bedeutung der Treibstoffe für die Landesverteidigung wurden verständnislos übergangen.
Immer mehr begann ich zu fürchten, daß uns die Politik plötzlich vor eine unlösbare Lage stellen werde. Jedenfalls wollte ich die Bereitstellung des Heeres beschleunigen und gab der Operationsabteilung den Auftrag, für die Versammlung des Heeres eine neue, beschleunigte Eventualität auszuarbeiten, wobei in einer ersten Transportstaffel das Bundesheer mit seinem Friedensstand in den Aufmarschraum zu bringen sei. Auch müßte im Fall einer vollständigen Überraschung die Ausladung der Truppen anstatt an der Traun, schon hinter der Enns möglich gemacht werden. Die Ergänzungstransporte auf den vollen Kriegsstand hätten nach erfolgter Bekleidung und Ausrüstung in den Friedensgarnisonen als zweiter Transportstaffel zu folgen und sich im Aufmarschraum mit den aktiven Truppen zu vereinigen. Die Bekleidungs- und Ausrüstungsvorräte der 8.Gebirgsbrigade seien von Salzburg in den Raum St.Johann/Pongau-Schwarzach zu verlegen. Über die Gefährlichkeit einer so geteilten Aufmarschbewegung war ich mir durchaus klar. Sie sollte darum nur als eine Eventualität für den Fall völlligen Versagens unserer Politik vorbereitet sein, damit überraschend einbrechende deutsche Truppen nicht widerstandslos bis Wien marschieren könnten. Die Organisation in dem zwischen Inn-Salzach und Traun gelegenen Grenzraum wurde laufend ausgefeilt und verbessert, damit der Grenzschutz schon sechs Stunden nach seiner Aufbietung funktionieren konnte.
Am 12.Februar 1937 war der große Appell der Frontmiliz, zu dem deren Offiziere aus ganz Österreich erschienen waren und der nicht nur militärisch, sondern auch stimmungsmäßig die Einsatzbereitschaft steigern sollte. Sogar der Bundeskanzler hatte sein Erscheinen in Aussicht gestellt; es waren die hohen Offiziere des Bundesheeres erschienen, der an der Verteidigung sehr interessierte Wiener Bürgermeister Schmitz, Vizebürgermeister Lahr und eine Reihe prominenter, sich freudig in den Dienst der Heimat stellender Persönlichkeiten. Den Vorsitz führte der Vizekanzler und Befehlshaber der Frontmiliz Gen.Hülgerth.
Meine Ansprache bringt für die diese Niederschrift Lesende nichts Neues, ist aber ein im Original erhaltenes historisches Dokument. Sie fand Beifall und übte nachhaltige Wirkung aus. Besonders wertvoll waren mir briefliche Zustimmungen alter kaiserlicher, kriegserfahrener Generalstabsoffiziere, weil sie mir die Richtigkeit meiner Auffassung bestätigten. Ich zitiere hier nur zwei im Wortlaut. So schrieb Oberst im Generalstabskorps Max Frhr.v.Pitreich: „Mit Interesse und Freude las ich Dein am Tage des Frontmilizappells gegebenes Exposé. Du hast uns alten Kriegern aus dem Herzen gesprochen; besonders Dein Wort von der Festung Österreich wird ebensosehr für die Frage der Rüstungen, als auch für sonstige militärische Gedankengänge als Devise von klassischer Prägnanz gelten.” Der in der kärntnerischen Miliz tätig gewesene Oberst des Generalstabskorps Rettl schrieb: „Es drängt mich Dir zu sagen, daß Deine Ausführungen beim Appell der Frontmiliz ganz prächtig waren und auch mit den Folgerungen, die sich aus dem zufallenden Aufgabenkreis für den weiteren Ausbau ergeben, den Nagel auf den Kopf getroffen haben.”
Leider war der Bundeskanzler erst nach Schluß erschienen. Ich bedauerte dies sehr, weil seine stets gern gehörten, stets klugen Reden gerade in diesem Kreis gut gesinnter, mit ihrem Leben zum Einsatz bereiter Offiziere aller Altersschichtungen aus ganz Österreich der Tagung einen eindrucksvollen Höhepunkt für Stimmung und Zuversicht gegeben hätten; denn schließlich war es ja die von ihm geführte Politik, für die wir einstanden. Mich stimmte das lange Fernbleiben des Kanzlers aber auch nachdenklich, weil ich sein feines und sehr richtiges Verständnis für militärische Notwendigkeiten kannte; dieses hätte ihn normalerweise veranlaßt, noch so dringlich scheinende anderweitige Bindungen abzusagen, um vor den Offizieren zu erscheinen. Sollte da auch schon außenpolitische Rücksichtnahme abschwächend gewirkt haben? Vizekanzler Hülgerth schrieb mir am folgenden Tag mit seinem Dank die Mitteilung, daß er die von mir erbetene Gleichschrift meiner „Ansprache, die den Bundeskanzler sicher interessieren wird, diesem am gleichen Tage” übermitteln werde. Über das Wesentliche vom Kanzler erwartete, nämlich daß er sich beim Finanzminister für den nötigen Geldbetrag zur Aufstellung der Aktivkader der Miliz einsetzen werde, hörte ich nichts. Auch eine von mir in dieser Sache über den Sekretär des Kanzlers Br.Fröhlichsthal verlangte Vorsprache beim Kanzler fand keine Erfüllung. Irgendwelche Förderer einer Entfremdung mußten am Werk gewesen sein. Das war das zweitenmal, daß ich erkannte, falsch und schädlich gehandelt zu haben, als ich das angebotene Staatssekretariat nicht angenommen hatte.
Dagegen machten die Grenzschutzarbeiten mit dem Einbau der Miliz in diesen Dienst gute Fortschritte. Die Hinterlegung der technischen Hindernisbau-Erfordernisse an den Stellen ihrer Verwendung wurde fortgesetzt.
Im Mai 1937 erwiderte der italienische General Roatta, auch namens der Generäle Baistrocchi und Pariani, in Begleitung seiner schönen Frau und eines Adjutanten meinen vorjährigen Osterbesuch. Er erzählte mir interessante Einzelheiten aus dem Abessinienkrieg, aus dem Einsatz von Truppen in Spanien und teilte schließlich mit, daß die von den italienischen Offizieren durchgeführten Straßenerkundungen für den Einsatz der schnellen Divisionen aufgearbeitet worden seien und sich keine technischen Schwierigkeiten ergeben hätten. Meine Frage, ob sich an der italienischen aktiven Hilfsbereitschaft durch die italienische Zusammenarbeit mit Deutschland etwas geändert hätte, verneinte Roatta mit dem Beifügen, daß Österreichs Unabhängigkeit auch ein italienisches Interesse sei; der Duce nehme an den Fortschritten unserer Verteidigungsarbeiten, wie sie ihm von Obst.Liebitzky von Zeit zu Zeit vorgetragen werden, immer regen Anteil.
[Fußnote: Daß der Duce tatsächlich auch nach dem Juli-Abkommen an der Unabhängigkeit Österreichs festhielt, zeigte ein Attachébericht vom 12.August 1936, demzufolge Mussolini in einer Lagebeurteilung seherisch das Jahr 1938 als für Österreich gefahrvoll bezeichnete und deshalb dem Kanzler eine innere Anleihe zur Verstärkung der Rüstungen (er dachte an 20 Divisionen) nachdrücklich empfahl, wozu er meinte, es sei besser sich jetzt anzustrengen als nachher zu jammern!]
Hingegen wich Roatta einer positiven Zusage des Weitertransportes der versprochenen Geschütze nach Österreich aus. Als ich ihm auf den Kopf zusagte, daß die Italiener da sicher einem deutschen Einwand nachgegeben hätten, sagte er natürlich nein und brachte technische Schwierigkeiten und spanische Bedürfnisse zur Sprache. Es ist halt ein Jammer, daß der Schwache nur bitten kann. Immerhin waren die tatsächlich gesendeten 150 Geschütze mit Munition eine sehr große Hilfe gewesen.
In die gleiche Zeit dürfte der Besuch des deutschen Chefs des Nachrichtendienstes, Admirals Canaris, gefallen sein. Da er in Begleitung des deutschen Militärattachés erschienen war, blieb unsere Aussprache sehr förmlich. Ich erklärte mich mit der gewünschten Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Spionageabwehr einverstanden, unterstrich, daß es sich dabei nur um freien Austausch von Nachrichten nach eigenem Gutdünken ohne jedes Weisungsrecht handeln könne und brachte ihn mit GM.Böhme, dem Leiter unseres Nachrichtendienstes, in Verbindung.
Aber auch Besuche aus dem „anderen” Deutschland kamen öfter, teils Bekannte aus meiner Attachézeit, teils eingeführt durch prominente Österreicher. Diese Besucher erkundigten sich meist mit ängstlicher Besorgnis, ob unsere Rüstungen auch tatsächlich mit allem Ernst und genügenden Mitteln betrieben würden; denn Hitler werde auf Österreich losschlagen und wehe uns, wenn wir dann nicht Paroli bieten könnten; seine Brutalität kenne keine Grenzen; das „andere” Deutschland hoffe auf uns! Es kamen mit diesen Besuchen auch vage Gerüchte über Männer, die an eine Ausschaltung Hitlers dächten und auf einen äußeren Anlaß hierzu warteten. Ich hätte den Kanzler nach solchen Besuchen immer gern selbst informiert, kam jedoch nicht mehr zu ihm! Schriftliche Mitteilungen solcher Art unterließ ich aus Sorge vor Indiskretionen der den Kanzler umgebenden „deutschen Männer seines Vertrauens”. So blieb nur übrig, Zehner und Hornbostel zu informieren; ob Zehner solche Nachrichten von mir dem Kanzler mitteilte, weiß ich nicht, und Hornbostel kam ebenfalls kaum mehr zum Kanzler.
Um die Reihe der Frühjahrsbesuche gleich ganz abzuschließen, muß ich jener des ungarischen Chefs des Generalstabes, GdK.Rácz, und einige Wochen später des ungarischen Kriegsministers, Gen.Röder, gedenken. Beide standen im Zeichen herzlich kameradschaftlicher Erinnerungen an gemeinsame Tätigkeit in der Monarchie, ohne irgendein praktisches Ergebnis für die Gegenwart. Hervorheben möchte ich hier nur, daß Röder durch den Leiter der Infanterieschule in Bruck-Neudorf, Obst.Raus, ein Angriff eines Verbandes aller Waffen gegen einen markierten Feind mit solcher Präzision des Zusammenwirkens von Infanterie, Artillerie, Panzern und Fliegern vorgeführt wurde, daß er dessen helle Begeisterung entzündete; diese steigerte sich noch, als Raus ihm die wahre Tatsache meldete, daß es keine vorgeübte Sache, sondern eine im Ausbildungsprogramm der Infanterieschule vorgesehen gewesene Übung war. Solche hervorragende Ausbildungsresultate, die im Bundesheer durchaus keine Einzelleistungen waren, stärkten auch immer meine Zuversicht für den Einsatz des Heeres im Falle ernster Notwendigkeit.
Im April hatte ich die schon im Dezember für den Staatssekretär in groben Zügen entworfene außerordentliche Rüstungskreditanforderung im Detail fertig. Sie betraf 120 Mio. Schilling für das Jahr 1938, wobei das Schwergewicht auf der Ergänzung schwerer Waffen, Munition und Flugzeugen lag. An einem der nächsten Tage fand eine Sitzung im Landesverteidigungsministerium statt, zu welcher Finanzminister Neumayer erschienen war. Zehner leitete die Besprechung mit den Worten ein, daß er meine Forderungen dem Finanzminister wohl zur Kenntnis bringe, sie aber für übertrieben ansehe, da das Heer seiner Ansicht nach schon übermotorisiert sei. Ich glaubte meinen Ohren nicht trauen zu dürfen und begann die Forderungen, die ja schriftlich niedergelegt waren und motorische Zugmittel nur im geringsten Umfang betrafen, durchzugehen, allerdings ohne von Seite der beiden Sektionschefs eine Unterstützung zu finden. Nur der Vorstand der Bauabteilung, Ingenieur Gen.Stelzel, vertrat den auf ihn entfallenden Rüstungsgeldanteil mit Nachdruck und Überzeugung. Als dann der Finanzminister meinte, er hätte das Programm wohl durchgesehen, wünsche aber Aufklärung, wozu ich diese Waffen brauche und wie ich sie verwenden wolle, lehnte ich eine solche Erörterung ab. Ich hätte das einer anderen Persönlichkeit wie zB. dem früheren Minister Draxler gegenüber nicht getan und mein zwischen dem Chef der Operationsabteilung und mir konsequent gehütetes Geheimnis über den Einsatz und die geplante Art der Kampfführung vielleicht angedeutet. Diesem „betonten Großdeutschen” traute ich hingegen nicht.
Diese Sitzung hatte eine groteske Folge, die ich hier nur erzähle, weil es zur Vollständigkeit des Gesamtbildes gehört, aufzuzeigen, wie im Österreich von 1937 Arbeit und Zeit des Chefs des Generalstabes gewertet wurden. Nach dem Tod meiner Frau hatte ich vom Staatssekretär die Zustimmung erhalten, den Dienstwagen des Ministeriums zur täglich einmaligen Hin- und Rückfahrt in meine nächst der Universität gelegene Wohnung zu benützen, damit ich meine minderjährigen Töchter wenigstens beim Mittagessen zu sehen und sprechen vermochte, denn bei der Fülle der Arbeiten war es oft unsicher, wann ich abends heimkommen konnte. Nun eröffnete mir der Staatssekretär, daß der Finanzminister gefunden habe, daß die Benzinkosten zu hoch wären; Zehner bitte mich, künftig die Fahrt mit dem Dienstwagen zum Mittagessen und zurück zu unterlassen. Ich konnte darauf nur sagen: „Selbstverständlich.” So eine mich privat betreffende Sache war kein Demissionsgrund. Doch hörte ich den Hahn zum drittenmal krähen: „Warum hast Du den angebotenen Staatssekretärsposten nicht genommen?” Künftig fuhr ich mit dem Omnibus und versäumte eine Stunde Arbeitszeit.
Sachlich wurde im April der Entwurf eines „Landesverteidigungsgesetzes” fertig, in dem alle militärischen Erfordernisse ihre Sicherung erfahren sollten, soweit sie die politische Verwaltung, die Beanspruchung der Gendarmerie, Zollwache, Post, Eisenbahn, Kraftwagenbetriebe sowie landwirtschaftliche, gewerbliche und industrielle Gütererzeugung betrafen.
Weiters bat ich den Heeresinspektor und gewann seine Zustimmung, die Herbstmanöver dieses Jahres in den oberösterreichisch-niederösterreichischen Grenzraum zu legen und als Thema den Angriff durch ein zur hinhaltenden Verteidigung vorbereitetes Gelände zu nehmen. Um an der deutschen Grenze nicht zuviel Staub aufzuwirbeln, legte ich als Gegengewicht die Generalstabsreise unter meiner Leitung in die Steiermark.
Die der Operationsabteilung aufgegebene erneute Bearbeitung des Aufmarsches erbrachte nun das befriedigende Ergebnis, daß vom Moment des Aufrufes der Grenzschutz nach 6 Stunden abwehrbereit, das Heer innerhalb vier Tagen mit seinen Friedensständen komplett an und ostwärts der Traun versammelt sein konnte. Für das Einlangen der bekleideten und ausgerüsteten Ergänzungen auf den vollen Kriegsstand im Aufmarschraum ergab die Transportdurchrechnung noch weitere sechs, also im Ganzen zehn Tage. Der Aufmarsch des in den Friedensgarnisonen voll mobilisierten Heeres konnte mit dem dritten Mobilisierungstag beginnen und am zwölften beendet sein. Auf dieser genügend elastischen Basis wurden nun die Instradierungsbefehle ausgefertigt und bereitgelegt. Dem jungen, hervorragenden Generalstabsoffizier Hptm.Weninger, der später gefallen ist, gebührt für seine kluge und rastlose, oft die Nachtstunden heranziehende Arbeit in Gemeinsamkeit mit den Instradierungsbeamten der Bundesbahnen meine Anerkennung und mein Dank, über sein frühes Grab hinaus! Er hätte verdient, für Österreich zu leben, nicht für Hitler zu sterben.
Ein sehr erfreulicher Fortschritt ergab sich auch in den Arbeiten der Mobilisierungsabteilung: ab Herbst 1937 konnten wir die Krücke der „Notmobilisierung” abwerfen und brauchten nicht mehr zur Heereskomplettierung auf ältere Männer aus dem ersten Weltkriege zu greifen.
Dagegen verzögerte sich die Fertigstellung der neuen von Böhler zu bauenden ersten 15cm-Haubitze, obwohl ausgezeichnete Fachkräfte am Werke waren. Von Bofors kam eine Reihe von Konstruktionszeichnungen verspätet nachgeliefert, so daß dieses qualitativ überragende Geschütz erst im Januar 1938 zur Dormentierung bereit wurde. Dann erst hätte die Serienerzeugung beginnen können, auf die schon eine Anzahl gegossener Rohrblöcke wartete. Man war uns von der Werkleitung großzügig entgegengekommen; wir durften jetzt nicht versagen.
So richtete sich wieder viel meiner Energie auf die Gewinnung der Rüstungsforderung von 120 Millionen. Da mir der Zutritt zum Kanzler verschlossen blieb, suchte ich ihn durch andere Personen zu interessieren. Ich arbeitete für den Staatssekretär den Entwurf zu einer Rede aus, die er im Ministerrat bei den Verhandlungen über das Budget halten sollte. Da sich damals im Juli, trotz des vor Jahresfrist mit Deutschland geschlossenen Befriedungsabkommens, durch immer neue Forderungen der Nationalsozialisten und Aufdeckung von ihnen geplanter Umsturzversuche die Lage immer schwieriger und bedrohlicher gestaltete, hoffte ich durch eine ruhige klare logische, nicht übertreibende Sprache die Notwendigkeit des Sonderkredites so darzulegen, daß es selbst den „betont Deutschen” Ministern schwer werden mußte, ein Gegenargument zu finden. Satz für Satz arbeitete ich mit dem Chef der Operationsabteilung Obst.Basler durch: die Rede hätte sogar in einer offenen Parlamentssitzung anstandslos gehalten werden können. Gleichschriften dieses Elaborates übergab ich dem Vizekanzler, dem Präsidialchef des Kanzleramtes und dem Gesandten Hornbostel; sonst bat ich alle Persönlichkeiten um ihre Unterstützung, von denen ich annahm, daß ihr Wort beim Kanzler ein williges Ohr finde, darunter Bürgermeister Schmitz und Heimatkommissär Walter Adam. Zu meinem nicht geringen Erstaunen teilte mir Hornbostel nach ein paar Tagen mit, daß Minister Schmidt sich bereit erklärt hatte, an Hand meines Elaborates den Kredit, der auch im Interesse der Außenpolitik liege, zu befürworten. Leise begann sich in mir eine Hoffnung auf Vernunft im Ministerrat zu regen.
Wie entsetzt war ich dann, als mir Obst.Basler bald nach dem Ministerrat mitteilte, daß sich Minister Glaise ganz empört über die Ausfälligkeiten der Budgetrede Zehners gegen Deutschland geäußert und gesagt habe, daß die von mir so gehässig entworfene Ansprache mit ein Grund gewesen sei, den Kredit abzulehnen! Basler konnte Glaise an Hand einer Gleichschrift nachweisen, daß der Entwurf rein sachlich ohne jede Spitze war, worauf Glaise gesagt haben soll, daß Zehner ganz anders gesprochen hätte. Was war da geschehen? Zehner hatte meinen Entwurf seinem überheblichen Adjutanten zur Durchsicht gegeben; der hatte ihn für zu schwach befunden und ihn durch Aufsetzen ausfälliger Lichter umgearbeitet. Die Sache war damit gründlich verfahren worden. Denn wenn ich auch nicht glaube, daß die Rede des Staatssekretärs die Ursache der Ablehnung war, so gab sie doch den „betont deutschen” Ministern einen billigen Grund für ihre Ablehnung der militärischen Forderungen. Die Finanzlage war sicher nicht leicht. Aber was Dr.Draxler vor Jahresfrist vermochte, hätte bei gutem Willen sein Nachfolger Neumayer auch zuwege bringen können. Man versagte der Sicherheit Österreichs 120 Millionen und ein halbes Jahr später trug Hitler (nach Aussage Professor Tauchers im Hochverratsprozeß gegen Dr.Guido Schmidt, Seite 216) 2,7 Milliarden Goldschilling aus Österreich hinaus! Das war das zehnfache des damaligen deutschen Goldbesitzes.
Nach meinem damaligen Dafürhalten lag der Grund der Ablehnung nicht im Mangel an Geld, sondern in der seit Jahresfrist betriebenen Politik des „Appeasements”, die Hitler versöhnlich zu stimmen hoffte. Das ging auch aus einer folgenden Aussprache mit Zehner hervor, den ich um Einwirkung auf die Sektion II bat, damit die Geschütze für den Grenzschutzraum rascher hinauskämen. Zehner sagte, er verstehe meinen Verteidigungswillen nicht: „wir würden aufmarschieren, hätten nach zwei Tagen die Munition verschossen und könnten dann wieder nachhause gehen.” Ich erläuterte ihm meine geplante Art der Kampfführung und versuchte ihm zum x-ten Mal auseinanderzusetzen, daß es sich nicht darum handle eine Schlacht zu gewinnen, sondern darum, daß durch unseren Kampf die Großmächte zum Eingreifen gezwungen werden und den deutschen gegen Hitler eingestellten Kräften eine Chance zum Handeln gegeben werde. Auf meine abschließende Frage, wie Zehner auf andere Weise der Aggression begegnen wolle, erwiderte er mir, das ruhig dem Kanzler zu überlassen, der werde schon das Richtige zu tun wissen.
Trotz arger Sorgen hatte ich selbst ja auch noch immer Vertrauen in die mannhafte Persönlichkeit des Kanzlers, doch nicht im passiven Sinn. Ich beurteilte die Lage und den Kanzler um diese Zeit dahingehend, daß er angesichts der doch immer wieder von Hitlers Emmissären aufgeputschten österreichischen Nationalsozialisten mit dem verlogenen Juli-Abkommen einmal Schluß machen werde; er - so wie Dollfuß es getan hatte - die Weltöffentlichkeit zum Zeugen anrufen werde, daß Österreich trotz seines bewiesenen guten Willens nicht in Frieden leben könne, weil es dem bösen Nachbarn nicht gefällt; und er schließlich durch die Mobilisierung und Bereitstellung des Bundesheeres und der Frontmiliz weltweit sichtbar den Willen bekunden werde, für Österreichs Unabhängigkeit und Freiheit zu kämpfen und dadurch zu versuchen, die Großmächte aus ihrer Passivität zu reißen. Diesem Moment galt meine ganze Arbeit, für ihn sollte die Verteidigungsfähigkeit des Landes achtunggebietend bereit stehen. Darum lehnte ich in dieser Zeit erhöhter Spannung den sonst naheliegenden Gedanken meiner Demission ab; ich wollte angesichts der steigenden Bedrohung weder Drückeberger sein, noch scheinen. Den neuen Rüstungskredit brauchten wir ja erst 1938. Bis dahin konnte ja der Kanzler statt Herrn Neumayer noch immer Dr.Draxler oder einen anderen weitschauenden Patrioten als Finanzminister berufen.
Aber klarer sehen wollte ich, als die - ohne mein Verschulden - lahmer gewordenen Informationen unseres Außenamtes es mir in dieser Zeit ermöglichten. So bat ich nacheinander den französischen und den englischen Militärattaché zu mir. Ich besprach mit jedem die bedrohlicher gewordene Lage, versicherte sie neuerdings meines festen Willens, jedem Einbruch Hitlers mit Waffengewalt zu begegnen und stellte das Ersuchen, bei ihren Chefs der Generalstäbe die Frage des Verhaltens ihrer Länder in einem solchen Falle aufzuwerfen. Unseren Militärattaché in Paris wies ich an, die gleiche Frage seinerseits an Général Gamelin zu richten.
Der englische Militärattaché Colonel Banfield, den ich nach einiger Zeit um Antwort urgierte, kam recht verzweifelt: General Gort hatte keine Antwort gegeben und Banfield sagte mir dazu, daß ich kaum ahnen könne, in welcher militärischen Inferiorität sich England zur Zeit befinde. Ich antwortete ihm, daß die Flotte Englands für Hitler jederzeit ein sehr achtunggebietender Faktor sein könnte, wenn ein Wille dahinter stünde. Auch der französische Militärattaché Commandant Salland erschien recht verlegen ohne positiven Bescheid und äußerte resigniert, daß Frankreich eine alte, vielleicht zu alte Nation geworden sei.
Hingegen kam nach einiger Zeit ein positiver Bericht von Obst.Jahn. Er hatte Gamelin gelegentlich einer Déjeuner-Einladung die Frage des Verhaltens Frankreichs im Falle eine Angriffes Hitlers auf Österreich gestellt, worauf dieser Général antwortete: „C'est la guerre!” Wenn ich diese Äußerung auch nicht als granitfesten Grund ansehen durfte, so schien sie mir jedenfalls logisch: wenn Frankreich bisher vor der deutschen Rheinlandbesetzung und Verkündigung der allgemeinen Wehrpflicht zurückgewichen war, so konnte man das als seine eigene Sache auslegen. Bei Österreich aber war Frankreich in wiederholter Forderung und Bestätigung seiner Selbständigkeit Garant und mit der Tschechoslovakei bestand ein verpflichtendes Militärbündnis. Hitlers Angriff auf Österreich mußte in kürzester Zeit die Tschechoslovakei durch ihre völlige Umfassung wehrunfähig machen. Das konnte Frankreich - wollte es als Großmacht nicht schmählich vertragsbrüchig werden - nie zugeben.
Inzwischen wurden in emsiger Kleinarbeit durch die Generalstabsabteilungen der Sektion III alle Maßnahmen auf ihre Durchführung geprüft, laufend ergänzt und verbessert.
(Regierungsrat und Oberst a.D. Krische erinnerte mich nach Durchsicht dieser Niederschrift daran, daß ich ihm in der zweiten Hälfte November 1937 den Auftrag gegeben hatte, zur Überprüfung der von uns getroffenen Abwehrmaßnahmen den deutschen Aufmarsch für einen überfallsartigen Angriff auf Österreich zu kalkulieren. Seine Studie gründete sich auf die der Operationsabteilung damals von der Nachrichtenabteilung bekanntgegebenen konkreten militärischen Verhältnisse in Süddeutschland über die Truppenverteilung, Stärken und Formationen, Bereitschaftsgrad der Truppen, Waffengattungen usw. Sie ergab im Großen die Richtigkeit unserer Maßnahmen; soweit sie einer Ergänzung bedurften, wurde dies von mir handschriftlich den betroffenen Abteilungen aufgegeben.)
Die erstmalige Abforderung von Schlagfertigkeitsberichten war für das Frühjahr 1938 in Aussicht genommen.
Bei den Herbstmanövern im Raum nördlich der Donau, bei denen sich eine Westgruppe durch ein mit Sperrungen vorbereitetes Gelände gegen die verteidigende Ostgruppe vorzukämpfen hatte, fanden meine Absichten eine praktisch zufriedenstellende Erprobung. Der hohe Stand der Ausbildung und der die Truppen erfüllende vorzügliche Geist zeigten sich in diesem schwierigen und klimatisch rauhen Gebiet sehr eindringlich für die zahlreichen in- und ausländischen Manövergäste. Die gute Zusammenarbeit der Fußtruppen und Artillerie mit der schnellen Division und der Luftwaffe beeindruckten allgemein. In Zwettl, wo sich das Gros der Manövergäste einfand, darunter zahlreiche Politiker und Staatsfunktionäre, war die Stimmung so gehoben, daß der Bundespräsident als Oberbefehlshaber in spontaner Ansprache das Heer belobte und auf dessen Gedeihen sein Glas erhob. Da Kanzler und Staatssekretär zufällig abwesend waren, oblag es mir, dem Oberbefehlshaber namens des Bundesheeres für seine Anerkennung zu danken. Gern tat ich dies und fügte absichtsvoll hinzu, daß das Gesehene nur ein Teil des Könnens war; darüberhinaus habe der Generalstab in den letzten Jahren in gründlicher Arbeit alles für die Bereitstellung des Heeres und die Verteidigungsfähigkeit des Landes so vorgesehen, daß der Bundespräsident und Oberbefehlshaber jederzeit mit voller Zuversicht die Soldaten Österreichs in Heer und Miliz zur Verteidigung der Heimat aufrufen könne. Neben mir saß der Staatsrat Gr.Hoyos, der mir ebenso freudig zustimmte wie alle vielen Anwesenden. Eine Ausnahme macht nur Minister Glaise, der mir über den Tisch zurief: „Aber es greift ja niemand Österreich an!” Ich rief ihm ebenso laut zurück: „Noch nicht, sonst säßen wir nicht da!” Ich war sehr zufrieden, Gelegenheit gehabt zu haben, den Zustand erreichter Abwehrfähigkeit mit allem Ernste dem Bundespräsidenten und der Öffentlichkeit kundzutun.
Im Laufe des Oktobers wurde nach vielen eingehenden Studien das Elaborat über die Verbindungen im Kriegsfall und die Studie über das Fernsprech- und Telegraphennetz und seine Sicherung fertiggestellt.
Um den 17.November kam der deutsche Reichsaußenminister Frhr.v.Neurath zu einem offiziellen Besuch nach Wien, was von den Nationalsozialisten zu einer demonstrativen Begrüßungskundgebung in der Mariahilferstraße ausgenützt wurde. Eine Luftaufnahme stellte jedoch fest, daß dieser Rummel, der Massen vortäuschen sollte, nur durch eine verhältnismäßig kleine, das Auto des Ministers umschließende Menschengruppe veranstaltet worden war, während die übrige Mariahilferstraße ganz schwache Frequenz zeigte. Bei dem am 17.November im Grand Hotel dem deutschen Außenminister gegebenen Déjeuner hielt Neurath eine ausgesprochen auf den nationalsozialistischen Jargon abgestimmte Rede, in der er Österreich in schulmeisterhaftem Ton über seine Pflichten gegenüber dem nationalsozialistischen deutschen Reich, sein Deutschtum und über die nötige Einheit des Volkes unter einem großen Führer ermahnte. Bundeskanzler Schuschnigg erwiderte mit seiner meisterhaften Sprachbeherrschung ungefähr, daß Österreich sich aus der Tradition seiner Jahrhunderte alten Aufopferung für Deutschland seiner Pflichten voll bewußt sei und deshalb fordere, daß man ihm in voller Achtung seiner Freiheit und Unabhängigkeit vertraue. Das war klar und eindeutig. Weniger eindeutig erwies sich damals Guido Schmidt, was ich allerdings erst nach Ablauf der ganzen Tragödie aus den vom British Element in Baden-Baden 1950 herausgegebenen Akten zur deutschen Politik, Dokument Nr.269, entnehmen konnte. Er sagte damals zu dem den deutschen Außenminister begleitenden Dr.Megerle: „Auf militärischem Gebiet wird es nach Abgang von Jansa, dh. spätestens im März 1938, zu einem intimeren Verhältnisse der beiden Generalstäbe kommen.”
Die Lage spitzte sich wie erwartet weiter zu und unser Berliner Gesandter Tauschitz berichtete nach einer Unterredung mit Göring von dessen nicht mißzuverstehender Äußerung, daß nun die Zeit gekommen sei, Österreich „so oder so” an Deutschland anzuschließen. Das war für mich das Alarmsignal und ich gab nach Rücksprache mit dem Staatssekretär und Orientierung Hornbostels den Befehl hinaus, die planmäßig vorgesehenen Sperrungen im Grenzschutzraume zwischen Inn und Traun durch Einbau des bereitgestellten Materiales auszuführen. Um der Außenpolitik die Möglichkeit zu geben, sich auf „allgemeine” militärische Maßnahmen berufen zu können, ließ ich auch einzelne der vorgesehenen Sperren an der tschechoslovakischen , ungarischen, jugoslavischen und italienischen Grenze ausbauen.
Mitte Dezember 1937 bekam ich durch Hornbostel eine deutsche Note zur Stellungnahme, in der versucht wurde unserer Geländebefestigung einen aggressiven Charakter anzudichten. Meine Stellungnahme wies auf die unmißverständliche Drohung Görings hin, die mich zu der rein defensiven Sicherung Österreichs zwinge, wobei ich nur bedauere, daß diese Sicherung infolge der beschränkten Mittel nicht in einem noch größeren Umfang durchgeführt werden könne. Auf eine weitere Frage unseres Außenamtes, wie man die Spannung lösen könnte, beantragte ich eine Aussprache mit der deutschen Heeresleitung, die uns Sicherheitsgarantien geben müßte. Gleichzeitig urgierte ich letztmalig über unseren Militärattaché in Rom (den ich laufend orientiert gehalten hatte) die Wiederaufnahme der Geschütztransporte von Italien nach Österreich.
Als letzte große Arbeit konnte mit Jahresende der Kriegswirtschaftliche Schlagfertigkeitsbericht (Zl.14/KWA v.1938) zur Vorlage an die betroffenen Ministerien fertiggebracht werden. Sein Inhalt war umfassend, wenn auch auf vielen Gebieten nicht befriedigend. Ich blickte den durch die verschärfte Spannung sich ankündigenden Ereignissen mit Ruhe entgegen. Die militärischen Vorbereitungen hatten wenn auch nicht eine ideale, so doch im Rahmen des Möglichen immerhin befriedigende Vollständigkeit erreicht.
Gleich in den ersten Tagen des Januar 1938 fand im BMf.Landesverteidigung eine Besprechung statt, zu der alle Divisionäre, die leitenden Sektionschefs, der Chef der Operationsabteilung, der Heeresinspektor und der Staatssekretär vereint waren. Ich hatte für diese Gelegenheit den mit der Beobachtung der illegalen nationalsozialistischen Tätigkeit in der Generaldirektion für Öffentliche Sicherheit befaßten Sektionsrat Nagy gebeten, uns die letzten neuen Nachrichten vorzutragen, was nach vorheriger Durchsprache der laufenden militärischen Angelegenheiten auch geschah. Das dargestellte Bild war düster genug und veranlaßte mich zu folgender, mir bis heute fast wörtlich in Erinnerung gebliebenen Ermahnung: „Wir müssen also mit der Möglichkeit rechnen, daß Sabotageakte da oder dort unsere Verbindungen stören werden. Ich möchte nicht, daß aus solcher Ursache irgendwelche Unklarheiten entstehen. Bitte, meine Herren, veranlassen Sie nach ihrer Heimkehr sofort die Orientierung aller ihrer Untergebenen bis zu den äußersten Grenzposten, wie ich sie jetzt ausspreche: wer immer einzeln oder in Abteilungen die österreichische Grenze bewaffnet überschreitet, ist Feind; auf ihn ist ohne Rückfrage zu schießen!” Als meine Frage, ob jemand noch etwas zu sagen oder zu fragen wünsche, verneint wurde, beendete der Staatssekretär die Besprechung.
In den folgenden Aussprachen mit den Vorständen der Generalstabsabteilungen überprüften wir noch einmal unsere Alarmautomatik und die Reihenfolge der Ausgabe vorbereiteter Befehle. Wir hatten die Überzeugung gute, saubere Generalstabsarbeit geleistet zu haben, so daß alles mit übereinstimmender Genauigkeit zur Ausführung gelangen werde.
[Anm.v.Liebitzky: An mich in Rom wurden wiederholt mehrfache gesprächsweise Anfragen gestellt, von Gl.Pariani, Roatta, dem Nachrichtenchef Trippiccione usw., wie sich das Bundesheer bei einem gewaltsamen Einmarsch der Deutschen verhalten würde. Ich antwortete - aus voller Überzeugung -, daß das Bundesheer seine Pflicht voll und verläßlich erfüllen werde, daß durch den Generalstabschef alle Vorkehrungen getroffen seien, um einem Einbruch überlegener Kräfte mit allen Mitteln entgegentreten zu können, daß dies aber naturgemäß nur für beschränkte Zeit möglich sein könnte (verfügbare Kräfte, Munitionslage) und daß dann „Europa” eingreifen müsse. Die maßgebenden Militärs (Pariani, sein Souschef Gl.Rossi, Roatta), mit welchen ich bis in die letzte Zeit vor dem 13.3.38 öfters und immer wieder sprechen konnte, äußerten spontan die bei ihnen als Maxime geltende Meinung, daß „es für Italien untragbar sei, wenn Österreich seine Unabhängigkeit verlöre und das Gewicht des großen Nachbarn Deutschland unmittelbar auf die italienischen Grenzen, besonders am Brenner drücke. Dies sei die schwerste Bedrohung Italiens.” (Ich habe die Herren, und auch einmal Mussolini selbst, an das italienische Sprichwort erinnert: „Wenn der Deutsche in Innsbruck frühstückt, ißt er zu Mittag in Mailand.” Man mußte den Eindruck haben, daß das Axiom „Österreich muß unabhängig bleiben” ein Grundpfeiler der italienischen Militärpolitik sei.]
Um die Januarmitte eröffnete mir der Staatssekretär, daß ich mit Rücksicht auf mein Dienstalter mit Ende März aus dem Aktivdienst auszuscheiden habe. Ich war nicht überrascht, hätte es aber nett gefunden, wenn der Bundeskanzler, der ja schließlich auch effektiv Minister für Landesverteidigung war, mir das persönlich gesagt haben würde. Da ich, mit der Möglichkeit nationalsozialistischer Attentate rechnend, dem GdI.Zehner wiederholt den Kommandanten der schnellen Division, GM.Hubicki als meinen bestgeeigneten Nachfolger und Stellvertreter genannt hatte, fragte ich ihn jetzt, ob ich alle Agenden gleich an Hubicki übergeben könne. Zehner erwiderte nein, General Beyer werde mein Nachfolger; dieser könne jedoch nicht gleich von Innsbruck abkommen, weshalb er mich bitte, mein Amt bis zum Eintreffen Beyers weiterzuführen. Da wendete ich mich ab, ging in mein Büro und wußte nun, daß die Unabhängigkeit und Freiheit Österreichs nur eine Chimäre für Gutgläubige und jetzt ausgeträumt war. Mein Dienstalter war nur Vorwand: General Beyer war mein Kriegsschulkamerad; er war genau so alt und hatte genau ebensoviel Dienstjahre wie ich. Aber er galt als „betont Nationaler”, wie Glaise-Horstenau. So schenkte man also der Freiheit und Unabhängigkeit Österreichs das Wort und gab dem Finis Austriae die Tat!
Der folgende Monat verlief verhältnismäßig ruhig; der Dienstbetrieb lief routinemäßig; irgendwelche Entscheidungen traf ich in meinem Stadium der Ausscheidung nicht mehr; die oblagen meinem Nachfolger, der aber sein Eintreffen in Wien immer wieder verzögerte.
Am 12.Februar veranstaltete der Verband der katholischen Edelleute im Hotel Imperial sein schönes, so ganz altösterreichisches Ballfest, das ich meiner beiden Töchter wegen besuchte. Es dürfte Mitternacht gewesen sein, als meine Töchter ganz aufgeregt auf mich zustürzten mit der Frage, ob es möglich sein könne, daß Schuschnigg zu Hitler nach Berchtesgaden gefahren sei. Jemand hätte in den Ballsaal diese Nachricht gebracht. Meine Töchter negierten sie nach dem gesunden Menschenverstand mit der Behauptung, da müßte doch der Vater, der Chef des Generalstabes, etwas davon wissen. Nein, der wußte garnichts. Ich rief Hornbostel an und fragte, ob an dem viel Aufsehen und Beunruhigung hervorrufenden Gerücht etwas Wahres sei. Ja, es sei wahr, aber streng geheim. Mich erstaunte nichts mehr. Ich hatte in der Überzeugung der unbedingten Notwendigkeit eines andauernden, engsten, vertrauensvollen Zusammengehens der Außenpolitik mit der Wehrpolitik unter Zurückstellung jeglicher Empfindlichkeit diesem Gedanken treu gedient; die andere Seite hat dieses vor zweieinhalb Jahren vom Kanzler selbst gutgeheißene Zusammenarbeiten zerbrochen. Als die Ballgäste mich um meine Meinung fragten, konnte ich doch nicht meine Überzeugung sagen, daß dies das Ende Österreichs sei. So beschränkte ich mich darauf, die Hoffnung auf Gott auszusprechen, damit diese Nacht- und Nebelreise ein gutes Ende finde.
Schon am nächsten Tag - mir bis heute unerklärlich wie - schwirrten in der Stadt Nachrichten, daß Hitler meine Absetzung verlangt habe; das Telephon schrillte in einem fort und auch die Mittagsausgaben der Zeitungen brachten ähnliche Nachrichten; die ganze Sache war in dieser Form ungut. Da ging ich zu Zehner und sagte ihm, daß die beste Ausschaltung aller Gerüchte die Herausgabe der Mitteilung sei, daß ich selbst um meine Ruhestandsversetzung gebeten habe. So schrieb ich ein entsprechendes Gesuch und wollte es am nächsten Tag, dem 14., dem Präsidialbüro zustellen lassen, als der Direktor der Gebietskrankenkasse, Burda, ein früherer hervorragend tapferer Generalstabsoffizier, den ich eine Ewigkeit lang nicht gesehen hatte, tief ernst bei mir erschien: er komme als Vertrauensmann der früheren Christlichsozialen mit dem Auftrag, mich zu bestimmen, meine Bitte um Ruhestandsversetzung nicht zu vollziehen; man brauche mich unbedingt auf meinem Posten. Auf meine Frage, was denn eigentlich los sei, was es in Berchtesgaden wirklich gegeben habe, sagte Burda, er wisse auch nur, daß Schuschnigg sich in allen Belangen Hitler gefügt habe und Österreich nationalsozialistisch werden solle. Deshalb werde die Bildung einer neuen Regierung besprochen, in die auch Sozialdemokraten eintreten würden, um eine geschlossene Front des Widerstandes gegen Hitler zu bilden; er frage mich, ob ich bereit sei, auf meinem Posten zu bleiben. Ich sagte ja, aber nicht mehr mit Zehner zusammen. Darauf fragte Burda, ob mir Hülgerth zusagen würde. Das bejahte ich, bat aber um baldige Entscheidung, weil ich Zehner mein Pensionierungsgesuch selbst angeboten hatte und ihn nicht warten lassen wollte. Doch am folgenden Tage telephonierte mir Burda, daß alles vergeblich gewesen wäre und stellte mich in meinen Entschlüsssen frei. Darauf sandte ich mein Pensionsgesuch ins Präsidialbüro. Von Gen.Beyer war noch immer keine Spur zu entdecken; so übergab ich alle persönlich verwahrten Akten mit Verzeichnis dem dienstältesten Abteilungsvorstand, GM.Böhme.
Am 16.Februar 1938 verabschiedete ich mich mit herzlichen, ehrlichen Dankesworten von den Herren der Sektion III, meldete mich bei GdI.Zehner ab und begab mich auf den Ballhausplatz zum Bundespräsidenten und Oberbefehlshaber des Heeres, Miklas. Eine Abmeldung beim Bundeskanzler und Heeresminister unterließ ich, weil ich bei seiner Inanspruchnahme wahrscheinlich nicht vorgekommen wäre. Der Bundespräsident empfing mich mit großer Herzlichkeit und forderte mich auf, Platz zu nehmen. Dann begann er mir sein Bedauern über meinen Rücktritt zu sagen und fügte seinen Worten der Anerkennung und des Dankes für meine Arbeit an, daß ich sozusagen das erste politische Opfer der unheilvollen Lage wäre; er wisse nicht, was noch alles folgen werde. Das gab mir die Möglichkeit zur Frage, was denn in Wirklichkeit geschehen sei; es werde so viel herumgeschwätzt und niemand wisse Bestimmtes. Darauf Miklas: „Schuschnigg ist von Hitler in Berchtesgaden unter Druck gesetzt und ihm die Zustimmung zur Nazifizierung abgepreßt worden.” Ich antwortete: „Und das läßt man sich gefallen? Das will man so ohneweiters annehmen?” Miklas: „Ja, ich habe Schuschnigg gesagt, er möge sich vors Mikrophon stellen und die Weltöffentlichkeit von dem Geschehenen orientieren.” Mir entschlüpfte ein herzliches „Bravo! Das wird doch hoffentlich auch geschehen; und denken Sie, Herr Oberbefehlshaber, an das Bundesheer! Es steht bereit!” Da stand Miklas resigniert auf mit den Worten: „Schuschnigg will nicht, und ich habe nach der Verfassung keine Handlungsfreiheit. Die Politik ist Sache des Kanzlers.”
Mit einer Handreichung war die Audienz zu Ende. Ich trat hinaus auf den Heldenplatz, sah die Denkmäler des Prinzen Eugen v.Savoyen und des Erzherzogs Karl, „des beharrlichen Kämpfers für Deutschlands Ehre” und über ihnen glaubte ich die Geißel Gottes zu sehen, die diesmal Hitler hieß.
 
Am 4.Mai 2011 präsentierte der Böhlau Verlag in Wien
das umfangreiche, bebilderte, kommentierte und
mit einer Einführung versehene Buch:

P.BROUCEK (Herausgeber)
Ein österreichischer General gegen Hitler
Feldmarschalleutnant Alfred Jansa
Erinnerungen
Auslage in Wien I im Mai 2011 © 2011 by DMGG