FML JANSA
«Aus meinem Leben»
VI G
DER ERSTE WELTKRIEG
Bevollmächtigter Stabsoffizier des AOK beim 6.k.u.k.Armeekommando in Italien,
dann Krankenurlaub,
schließlich Generalstabschef der 10.Kavalleriedivision und Kriegsende
15.III.1918 -15.XI.1918
Von Großwardein kam ich am 15.März in Wien an. Tags darauf deponierte ich meine Friedensuniformen wieder beim Schneider. Meine Schwägerin Vilma hatte mir das Wäschegeschäft Gießauf in der Dorotheergasse empfohlen, um meinen durch den Krieg sehr mitgenommenen Wäschebestand für den künftigen Ehestand zu ergänzen. Dort konnte man mir leider nur Maß nehmen, denn irgendwelche Wäschestoffe gab es zu jener Zeit nicht; vielleicht würde ich bei den Etappenbehörden in Italien etwas kaufen können. Dafür hatte ich in einer Lederhandlung in der Leopoldstadt mehr Glück: ich erstand Material für ein Paar Lackschuhe, die ich für die Hochzeit zu brauchen glaubte.
Für den 18. waren alle Armee- und Korpsgeneralstabschefs nach Baden zusammengerufen worden, um in einem von GM.Waldstätten gehaltenen mehrstündigen Vortrag eingehende Übersicht über Kriegslage, eigene materielle Lage, Friedensbemühungen usw. zu erhalten. Zum ersten Mal erlebte ich die Bedeutung meiner neuen Stellung: als rangjunger Major durfte ich mitten unter Generälen und Obersten geheimste Orientierung hören.
Die war allerdings ernst genug: Am 19.Dezember 1917 hatte Frankreich die tschechoslovakische Deserteur-Armee als verbündete kriegsführende Macht anerkannt und am 7.Dezember hatte der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Wilson, Österreich-Ungarn den Krieg erklärt. Am 8.Jänner wurden von Wilson 14 Punkte als Voraussetzungen für einen Frieden verlautbart, die in exakter Durchführung die Auflösung der Monarchie bedeuten konnten. Dagegen waren Russland und Rumänien völlig zusammengebrochen, so daß die verbündete Ostfront zur Auflösung bestimmt war und alle dort freiwerdenden Kräfte an die Westfronten in Frankreich und Italien gelangen sollten. Und wir erfuhren, daß die in Frankreich gerade begonnene deutsche Offensive die Kriegsentscheidung zu bringen suche; ein die deutschen Anstrengungen unterstützender Angriff unserseits in Italien werde erwogen. General Krauß werde in die Ukraine entsendet, um dort Lebensmittel für die Monarchie zu beschaffen.
In der Präsidialabteilung hatte ich meine Verlobung angemeldet und war nachher ins Kriegsministerium gegangen, um mich genau zu orientieren, welche Dokumente für das Gesuch um Heiratsbewilligung benötigt werden. Schließlich nahm ich von Heinrich und seiner Familie Abschied und bestieg den Zug nach Conegliano. Mir war gelungen, ein Halbabteil für mich allein zu bekommen; ich wollte nicht in Gesellschaft reisen. In meinem nun durch Wochen von Kriegsgedanken halbwegs freigebliebenen Kopf mußte ich nach allen in Baden gehörten sehr ernsten Mitteilungen erst wiedereinmal Abklärung und Ordnung schaffen, wofür sich eine lange Eisenbahnfahrt bestens eignete, wenn man nicht durch Gespräche abgelenkt wurde.
Am meisten beschäftigte mich das Heikle meiner neuen Stellung. FML v.Willerding, der Generalstabschef der k.u.k. 6.Armee, war mir in Baden kühler begegnet als acht Wochen vorher bei unserem ersten Zusammentreffen in Vittorio. Das schien mir begreiflich, gab doch mein Recht unmittelbarer Berichterstattung ans AOK alle Möglichkeiten für Indiskretionen, abfällige Kritiken, Zwischenträgereien usw.; Willerding kannte mich noch nicht, natürlich begegnete er mir mit Vorsicht. Nur konnte sich das übel auf meine Lage auswirken, wenn nämlich sein ganzer Stab die Weisung bekäme, mir gegenüber Zurückhaltung zu üben; dann würde ich nur wenig von ihrem Denken, ihren Planungen erfahren und hätte womöglich auch bei den dem AK unterstehenden Truppen einen schweren Stand. Wenn meine Berichte wertvoll sein sollten, so mußten sie aus völlig offener Zwiesprache über alle Dinge aller Art Erfahrung schöpfen. Vertrauen bei Unbekannten erwerben kostet Zeit; soviel Zeit war mir aber nicht gegeben. Willerding wird ja beim AOK gewiß Informationen über mich eingeholt haben, aber das genügte nicht.
Ich beschloß, das Vertrauenskapitel gleich bei meiner ersten Meldung zur Sprache zu bringen. Dabei wollte ich Willerding mit meinem Ehrenwort versichern, ihm alle meine Berichte vor deren Absendung nach Baden zu unterbreiten; zwar nahm ich damit eine mich unter Umständen hemmende Verpflichtung auf mich, doch der Vertrauensgewinn wog diese auf; bei gegensätzlichen Auffassungen würde sie zu den so notwendigen Aussprachen führen und mich notfalls nur zwingen, meinen Auffassungen eine Willerding nicht unangenehme Stilisierung zu geben oder gewisse Momente einen ihm genehmen Zeitpunkt vorzubehalten. Am 24.März traf ich in Vittorio ein und war mit mir und meinem Verhalten im Reinen, hatte die innere Sicherheit gewonnen, mein Verhalten werde richtig sein.
Zunächst sprach ich beim lokalen Ortskommando vor und erfuhr meine Unterkunft in einer einfachen, sauberen Villa. Meine Pferde, recht mager und schwach, hatten ihren Stall gleich nebenan. Der brave Pferdewärter Kern und mein Offiziersdiener begrüßten mich freudig und schilderten mir die Hausfrau, eine alte, dicke Italienerin, als gutmütig. Ich sprach auch gleich bei ihr vor; freundlich bedeutete sie mir, froh zu sein, Österreicher und keine Deutschen einquartiert zu haben. Frauen und ihre Kinder sind durchwegs in ihren Behausungen belassen worden; mit den italienischen männlichen Einwohnern, die ja zumeist ältere Menschen waren, sind unsere Ortskommandanten ebenfalls rücksichtsvoll verfahren. Fast niemand war delogiert worden; alle mußten in ihren Wohnungen lediglich enger zusammenrücken, um Raum für die Einquartierungen zu schaffen.
In der großen Villa Morosini, in welcher der operative Teil des AK amtete, war für mich ein schönes, geräumiges Zimmer im I.Stock reserviert. Gleich meldete ich mich bei FML v.Willerding und trug ihm meine Auffassung so vor, wie ich sie auf der Bahnfahrt überlegt hatte. Die Richtigkeit meiner Haltung konnte ich sofort bemerken: Willerdings Ton wurde herzlich, und beim Abschied sagte er mir mit kräftigem Händedruck: "Sie sind ein anständiger Mensch!"
Die Offiziersmesse, in die wir uns anschließend begaben, war spartanisch einfach geführt. Erzh.Josef nahm täglich an ihr teil. Vor dem Essen meldete ich mich bei ihm; im Gegensatz zu Erzh.Eugen war sein Umgangston geradezu bürgerlich einfach. Auch verfügte er über ein ausgezeichnetes Personengedächtnis; mir sagte er gleich: "Sie waren doch in den Karpathen bei der 18.Gebirgsbrigade! Da sind wir ja alte Bekannte!" Meinen Platz bekam ich neben Willerding angewiesen, der links vom Erzherzog saß. Mir gegenüber saß der Artilleriechef der Armee, Obst.Eimannsberger, rechts vom Erzherzog der Chef der Operationsabteilung, Obst.Schattel.
Der geographische Raum der Armee war verhältnismäßig klein. Er umschloß am östlichen Piave-Ufer den Montello, eine Erhebung in der italienischen Tiefebene, die, von italienischen Truppen besetzt, diesen guten Einblick in unser Stellungsgebiet gewährte. Anfänglich gehörte auch noch das Gebiet von Quero und Alano zu unserer Armee, wurde aber bald an die Heeresgruppe Conrad abgegeben. Bei Quero war übrigens das Regiment meines künftigen Schwiegervaters eingesetzt und ich besuchte ihn dort wiederholt.
In diese Zeit des Frühjahrs 1918 fiel die organisatorische Neugliederung der gesamten Armee, die von den Kommandos und Truppen wenig freundlich aufgenommen wurde, was ich in vielen Rücksprachen feststellte und auch berichtete. Die Verbände kamen zu keiner rechten Konsolidierung; es herrschte ein ewiges Kommen und Gehen. Dazu kam die Einrückung zahlreicher aus russischer Kriegsgefangenschaft befreiter Offiziere und Mannschaften, die nachgeschult werden mußten.
Zur turnusweisen Schulung aller Offiziere war vom Heeresgruppenkommando Boroevic im großen Schlosse von Passariano ein Kurs eingerichtet worden, in dem die halbe Armee zu treffen war. Dort konnte ich in allergrößtem Umfang fragen und wieder fragen, Vorträge von Truppen- und Generalstabsoffizieren, Artilleristen, Fliegern und Pionieren hören und als Abklärung den Eindruck gewinnen, daß eine einheitliche Ausrichtung des Denkens dringend nötig war. Wer sollte die aber bringen?
Bei jedem Kurs zeigte sich FM Boroevic, hörte zu und fuhr nach einer Stunde wieder ab, ohne ein Wort gesagt zu haben; sein Eindruck auf die Offiziere war unterschiedlich, jedoch gewiß nicht begeisternd; verglichen mit Erzh.Eugen oder den Generälen Krauß, Mackensen und Below fehlte ihm das von allen diesen Persönlichkeiten mehr oder weniger ausstrahlende Fluidum völlig.
Erzh.Josef dagegen war ein ungemein reger Geist, der gern und oft sprach; er hatte auch viel zu sagen aus seiner jahrelangen, mit bravouröser Tapferkeit stets in den vordersten Linien seiner Truppen gewonnenen Erfahrung. Leider schwächten sein bei jeder Gelegenheit überbetontes Bekenntnis zum Magyarentum und seine stets laut ausgesprochene Meinung, daß die ungarischen Truppen die unübertroffen besten der ganzen Armee seien, den Eindruck seiner Persönlichkeit ab. - Unsere deutschen, kroatischen, südslavischen Regimenter schlugen sich mindestens ebensogut wie die Ungarn, ohne dafür Sonderrechte zu verlangen, wie das die Ungarn dauernd taten.
In Passariano faßte ich die Absicht, den alle meine Erfahrungen bei deutschen Verbänden und mit unseren eigenen Truppen festlegenden Entwurf einer Vorschrift über die Führung und das Zusammenwirken aller Waffen im Gefecht zu schreiben und nach Baden zu senden. Ende Mai stellte ich diesen fertig. FML v.Willerding sah meine Arbeit genau durch; grundsätzlich zeigte er sich mit allem einverstanden, nur meinte er, die Arbeit habe oft mehr den Charakter eines Lehrbuches als jenen einer Vorschrift, ich möge den Entwurf gleichwohl nach Baden senden, wo man ihn gut werde brauchen können. Ich sandte den Entwurf ab und hörte nichts mehr von ihm. Eine Durchschrift blieb mir jedoch erhalten; später förderte sie meine Tätigkeit in St.Pölten enorm.
Von Passariano fuhren eine Gruppe von Offizieren und ich einmal nach hinten, um die jahrelangen Kampfstellungen beider Armeen bei Görz und am Doberdo zu studieren. Auffallend war dabei die große Überlegenheit der Italiener in Steinarbeiten und ihre künstlerische Begabung. Während unsere Kampfgräben meist aus armseligen Steinbrocken geschichtete Brustwehren aufwiesen und kaum in den gewachsenen Stein vertieft waren, zeigten sich die italienischen Gräben als solide, tief ins feste Gestein eingearbeitete Kampfwerke mit starken Brustwehren, deren Klaubsteine durch Mörtel zu festen Mauern verbunden waren; alle italienischen Kaverneneingänge waren mit Skulpturen geschmückt und innen auch vielfach künstlerisch ausgestaltet. Dabei lagen in den einstigen italienischen Stellungen, trotz unserer laufenden Aufräumungs- und Bergungsarbeiten, noch immer so große Vorräte an Baumaterial, Handgranaten, Munition aller Art und auch noch Lebensmittelkonserven, daß unsere Armut und Not an allem besonders eindrucksvoll wurde. Meine Hochachtung vor der Haltung unserer dauernd unterernährten und hungrigen Truppen, die hier in vergleichsweise ungenügenden Kampfanlagen mit immer nur knappster Munition einer doppelten, ja oft mehr als drei- und vierfachen feindlichen Überlegenheit durch zweieinhalb Jahre Widerstand geleistet hatten, stieg ins Unermessliche!
Und jetzt am Piave war es nicht viel anders. Die Truppen hungerten permanent. Die zahlenmäßige Überlegenheit der vereinigten italienisch-englisch-französischen Flieger war so groß, daß alle Bewegungen, Versorgungen und Besichtigungen der Truppen nur bei Nacht vorgenommen werden konnten. Wenn man sich dabei verspätete und beim ersten Morgenlicht, besonders auf der Straße von Susegana am Piave nach Conegliano, zurückfuhr, dann sauste gleich ein englischer Flieger im Tiefflug die Straße entlang und schoß mit seinem Maschinengewehr alles zusammen, was sich auf der Straße noch bewegte, so daß diese Passage bei Tageslicht selbst den Unerschrockensten zuviel wurde. Andere Feindflieger erkundeten fortwährend die Einzelheiten unserer Stellungen für ihre Artillerie, die mit ihrer Munitionsfülle alles unter Feuer nahm, was die Flieger wahrgenommen hatten. Zu unserem Glück bot die dichte italienische Bodenbewachsung doch so viel Deckung, daß die mit der Örtlichkeit vertrauten Truppen ihre notwendigen Bewegungen immer wieder in ganz kleinen Gruppen wagen konnten. Unsere Flieger ließen es an Mut und Kampftüchtigkeit gegenüber den feindlichen Fliegern niemals fehlen; aber ihre zahlenmäßige Unterlegenheit war trotz der Heranholung aller früher an der russischen Front gewesenen Verbände riesig. Unseren Truppen fehlte es auch an Bekleidung, namentlich an Wäsche; immer wieder fand man Soldaten und auch Offiziere, die ihre fadenscheinigen Blusen und Hosen am bloßen Leib trugen, weil sie entweder keine Wäsche mehr hatten oder ihr einziges Hemd gerade gewaschen wurde. Nicht jeder Mann hatte einen Mantel; das machte in dem südlich heißen Klima bei Tag und bei Sonnenschein nicht viel aus, schädigte jedoch die Gesundheit bei Regen und kalten Nächten. Immer wieder klagten die Truppenärzte über die mehr und mehr schwindende Lebenskraft der Leute infolge der Unterernährung: bei anscheinend leichten Verwundungen, die früher in vierzehn Tagen ausgeheilt waren, starben die Leute unter den Händen der Ärzte auf dem Operationstisch.
Alle diese traurigen Umstände meldete ich völlig unverblümt ans AOK nach Baden, obwohl ich wußte, daß dieses auch keine Abhilfe schaffen konnte. Unter diesen Umständen wurde natürlich allgemein ein rasches Ende des Krieges herbeigesehnt. Dennoch schlug die durch das Ungeschick des Außenministers Graf Czernin provozierte Preisgabe der persönlichen Friedensbemühungen unseres Kaisers Karl über seinen in der belgischen Armee dienenden Schwager Sixtus wie eine Bombe ein. Leider bekannte sich der Kaiser nicht sofort öffentlich zu seinem an sich begreiflichen Schritt, so daß er sich in der Öffentlichkeit das uns tief beschämende Odium der Unwahrhaftigkeit zuzog. Nur unzureichend aus der Presse über diese Vorgänge informiert, bemächtigte sich aller Offiziere eine tiefe Niedergeschlagenheit. In der deutschen Presse wurde die schonungslose Preisgabe des Friedensversuches Kaisers Karl durch den französischen Ministerpräsidenten Clemenceau als Treubruch dargestellt, weil der Kaiser die französischen Ansprüche auf Elsass-Lothringen als berechtigt anerkannt hatte. Leider hatte die österreichische Presse vor Jahren die deutsche Pression auf Österreich zur Abtretung Südtirols, Görz und Triests an die Italiener verschwiegen, weshalb die deutsche Argumentation über die Unzuverlässigkeit des österreichischen Bundesgenossen mehr oder weniger unwidersprochen hingenommen werden mußte, was besonders unsere deutschsprachigen Offiziere und Truppen schwer verstimmte. Außenminister Graf Czernin trat ab. Man hörte auch, daß der Chef des Generalstabes Baron Arz zurücktreten wolle. Und die böse Legende entstand, Ihre Majestät die Kaiserin Zita mit ihrer bourbonischen Abstammung beeinfluße den Kaiser ungünstig.
Wir Generalstabsoffiziere, auch nicht besser informiert als die anderen, traten dem üblen Gerede überall mit Schärfe entgegen; doch auch bei mir blieb, ganz im Stillen, ein ungutes Gefühl hängen. Dies spielte in der täglichen Korrespondenz mit meiner Braut eine Rolle: in Ungarn war nach dem hauptsächlich von Mackensen und Falkenhayn geführten erfolgreichen Feldzug gegen Rumänien eine große Sympathie für die Deutschen zurückgeblieben; und das calvinische Ostungarn hatte seine Abneigung gegen das Haus Habsburg ja niemals geheimgehalten.
Was wir vom Kriegsschauplatz in Frankreich zu hören bekamen, war ebenfalls nicht geeignet, den Glauben an den Endsieg zu bestärken. Die Märzoffensive der Deutschen hatte zwar einen schönen lokalen Erfolg, nicht aber den erhofften Durchbruch über Amiens hinaus gebracht.
Es war kein Wunder, daß die Absicht unseres AOK in Baden, im Juni die italienische Front durch einen Zangenangriff der Heeresgruppen Boroevic über den Piave und Conrad aus Tirol heraus zu fassen, mit Zurückhaltung aufgenommen wurde. Die 6.Armee, der ich zugeteilt war, war in den Planungen des AOK für den großen Angriff nicht vorgesehen. Aber gerade bei dieser Armee schienen FML v.Willerding und dem unterstellten, ganz hervorragend bewährten Kommandanten des XXIV.Korps, FML Ludwig Goiginger, Angriffschancen gegeben zu sein, weil es an dem uns zugewandten Teil des Montello für die Italiener schußtote Räume gab, die eine überraschende Überschiffung möglich erscheinen ließen.
Sowohl das 6.Armeekommando, als auch das XXIV.Korpskommando waren mit ganz hervorragend tüchtigen Generalstabsoffizieren versehen. Beim 6.AK wirkte Obst.Schattel als Chef der Operationsabteilung; ich kannte ihn aus der Zeit, da er als Generalstabschef bei unserem XXIX.Korps in Albanien sich immer einsichtig und hilfsbereit erwies, wenn ich von Üsküb aus Wünsche ans Korpskommando zu richten hatte. Er war ein ruhiger, sehr gebildeter Mann mit klarem Blick für das Wesentliche in allen Lagen und einem hervorragenden generalstabstechnischen Können. Beim XXIV.Korps war der ungarländische Obstlt.Röder ein ebenso hervorragend tüchtiger Generalstabschef.
Auf Grund vieler an Ort und Stelle vorgenommener Rekognoszierungen entstand in enger Zusammenarbeit ein Überschiffungs- und Angriffsplan für die von FML Goiginger zu führende 31.Budapester Infanterie- und die 13.Wiener Landwehrdivision, unterstützt durch die gesamte Armee-Artillerie, auf bloß 4 km Angriffsbreite, was die Überraschung des Feindes und eine ausreichende Angriffswucht gewährleistete. FML Willerding war der Meinung, daß beim geplanten Angriff der Raum um den Montello von ebenso entscheidender Bedeutung sein könnte, wie der Raum Flitsch-Karfreit bei der Herbstoffensive von 1917. Er gab dieser Meinung in einem von Erzh.Josef gutgeheißenem Antrag ans AOK in Baden Ausdruck. Da ich alle diese Vorarbeiten von Haus aus verfolgen konnte und selbst auch in der engen Zusammenfassung von zwei Divisionen zum Angriff eine echte Erfolgschance erblickte, berichtete ich in gleichem Sinne und bat zudem gleich um Heranführung von Reserve-Überschiffungsmitteln mit Pionieren, sowie um eine Bereitstellung von mindestens zwei weiteren Divisionen zur Erfolgsausnutzung.
Das AOK schien lange in seiner endgültigen Kräftegruppierung zu schwanken und stellte schließlich dem 6.AK anheim, den Flußübergang mit seinen eigenen Kräften zur Unterstützung der Nachbarn zu unternehmen. Eine Stärkung der 6.Armee lehnte das AOK ab. FML Willerding war nicht der Mann, seine Auffassung anderen zu oktroieren. Wir kannten die Absicht des AOK nur in großen Zügen und stellten keine neuerlichen Anträge. Dafür wurde das mit den eigenen Kräften Mögliche mit einer Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit vorbereitet, wie ich sie in keinem anderen Stab besser erlebt hatte. Meine Berichte ans AOK wiesen auf diese musterhafte Arbeit wiederholt hin mit dem Antrag, an der Zusammensetzung dieses brillanten Stabes ja nichts zu ändern.
Im AK bestand natürlich reges Interesse für die Maßnahmen der südlich benachbarten Isonzo-Armee, die zur Führung eines Hauptangriffes berufen war. Da ich ja überall freie Bewegungsmöglichkeiten hatte, legte mir FML v.Willerding nahe, beim Kommando der Isonzo-Armee Informationen einzuholen. Generalstabschef bei der von GO.Wurm geführten Isonzo-Armee war Obst.Körner. Beide Persönlichkeiten kannte ich gut. Es war darum für mich nicht schwierig, dort ausreichende Orientierung zu erhalten. Entsetzt stellte ich fest, daß nirgends ein eng zusammengehaltener Angriffskeil gebildet wurde, sondern die Divisionen und Korps aus den Gefechtsstreifen, die sie in der Verteidigungsstellung innehatten, einfach gradaus vorzugehen hatten. Ich machte Körner gegenüber kein Hehl aus meiner ungünstigen Beurteilung eines solchen Kräfteansatzes, der doch den Mißerfolg in sich trage. Er hingegen war der Auffassung, daß eine Beschränkung auf einen engen Angriffsraum unnötig sei, weil jede Division in sich genügend Angriffskraft besitze; ein Angriffskeil werde durch Reserven erst dort zu bilden sein, wo ein Einbruch über den Piave gelinge. Diese Auffassung war nur aus seiner jahrelangen Verwendung in der Abwehr am Isonzo zu erklären. Vergeblich versuchte ich ihn nocheinmal durch Schilderung der Angriffsvorbereitungen innerhalb unserer 6.Armee von der Notwendigkeit der Schaffung eines Angriffsschwergewichtes zu überzeugen. Dabei sah ich auf Körners Arbeitstisch die »Arbeiterzeitung« liegen und muß ein verduztes Gesicht gemacht haben; spontan begann er, nur die Arbeiterzeitung schreibe die ungeschminkte Wahrheit und jeder sollte nur diese lesen. Das reichte mir, und ich empfahl mich.
FML v.Willerding zuckte nur bedauernd die Achseln, als ich von meinem Versuch berichtete, Obst.Körner zu beeinflussen; er war der Meinung, es sei nicht unsere Sache, Unbelehrbare umzustimmen. Bei der Isonzo-Armee war ein Obstlt.Kvaternik in gleicher Eigenschaft eingeteilt wie ich bei der 6.Armee, daher unterließ ich es, meinen schlechten Eindruck über die Offensive-Vorbereitungen bei der Isonzo-Armee nach Baden zu berichten; das war Aufgabe Kvaterniks.
Das Verhältnis zwischen Willerding und mir hatte sich zu großem gegenseitigen Vertrauen entwickelt. Er lud mich stets ein, ihn bei seinen Frontbesuchen zu begleiten. Am 15.Juni, dem Beginn der großen Offensive über den Piave, bat er mich, ihn auf den Beobachtungsstand Moncader zu begleiten, der einen prachtvollen Überblick über den ganzen Montello und den unteren Piave bot, den die Isonzo-Armee im Hauptangriff zu überschreiten hatte. Erzh.Josef war zum XXIV.Korpskommando vorgefahren und Obst.Schattel blieb in Vittorio am Telephon. Unser Angriff mit den beiden Divisionen des XXIV.Korps gelang glatt. Die Italiener wurden völlig überrascht, so daß unsere beiden Divisionen schon am frühen Vormittag über die höchste Erhebung des Montello hinausgelangt waren. Die dort gestandenen italienischen Fliegerverbände verlegten sich nach hinten, so daß unser Raum nicht einmal von Fliegern belästigt wurde. Hier hätten jetzt Reservepioniere neue Brücken bauen und Reservedivisionen in großer Zahl hinübergeführt werden sollen, ähnlich wie bei der Offensive im Herbst. Man hätte den Italienern eine neue Katastrophe bereiten können. Aber solche Reserven waren nicht da: das AOK hatte unsere diesbezüglichen Anträge abgelehnt.
Bald bekamen wir von Obst.Schattel die Telephonmeldung, daß der Angriff der Isonzo-Armee mit dem uns benachbarten XVI.Korps nicht gelungen sei. Nur der äußerste Südflügel der Isonzo-Armee war über den Piave gekommen und dort am Westufer ebenso isoliert, wie unsere zwei Divisionen am Montello. Darüber bekam ich beinahe einen Tobsuchtsanfall, weil ich Körner den Mißerfolg seiner miserablen Planung vorausgesagt hatte.
Inzwischen mußten italienische Beobachter Willerding und mich am Moncader gefunden haben, da plötzlich ein Hagel von Artilleriegeschoßen auf uns niederging. Wir fanden kaum Zeit, in den vorbereiteten Deckungsgraben zu springen, blieben jedoch unverletzt. Leider wurden die Telephondrähte durchschossen, so daß es keinen Sinn hatte, länger am Moncader zu verbleiben. Wir stiegen ab und fuhren nach Vittorio zurück. Dort hörten wir, daß auch FM Conrads Angriff in Südtirol gescheitert war, ebenso wie ein vorangegangener Angriff am Tonale-Pass nächst der schweizerischen Grenze. Und dann erfuhren wir, daß das AOK nunmehr versuchte, uns Reserven zuzuführen, um unseren Montello-Erfolg auszunützen - zu spät.
Durch die Mißerfolge bei der Isonzo Armee und der Heeresgruppe Conrad freigeworden, vereinigten die englisch-französisch-italienischen Flieger ihren Bombenhagel auf unsere beiden Divisionen am Montello und auf die von den Pionieren schon begonnenen Brücken über den Piave zum Montello. Unsere Flugabwehr arbeitete hervorragend und schoß, besonders über dem Brückenschlag bei Susegana, mehrere Feindflieger ab. Es mußte angesichts der jetzt enormen Überlegenheit der Feindflieger in unserem Raum die Nacht abgewartet werden, um unseren beiden Divisionen am Montello neue Kräfte aus den langsam herankommenden Reserven zuzuführen.
Die ganze Offensive stand unter keinem guten Stern: nicht nur, daß die Angriffe der Isonzo-Armee und Conrads mißlungen waren, am 15. abends setzte auch noch ein Wetterumschlag mit wolkenbruchartigen Regenfällen ein, die sofort den Piave hoch anschwellen ließen, alle unsere mühselig erbauten Brücken wegrissen und das unersetzliche Brückengerät abschwemmten, so daß das AOK schließlich die Offensive aufgab und die Zurücknahme unserer Truppen vom Montello über den Piave befahl. Das konnte natürlich erst nach Abfluß des Hochwassers in der übernächsten Nacht geschehen. Wie sehr unsere verhungerten Regimenter den Entente-Truppen überlegen waren, zeigten sie in diesen kritischen drei Tagen: von unserer Artillerie am Ostufer und den Fliegern unterstützt schlugen sie alle massierten Angriffe am Montello so gründlich ab, daß ihnen in der vierten Nacht, als sie den Rückzug über den Piave vollführten, kein Feind folgte und die Rücküberschiffung fast verlustlos abgewickelt werden konnte. Die Entente-Truppen nahmen die Räumung des Montello durch uns erst am späten Vormittag wahr und folgten erst in der nächsten Nacht in ihre alten Stellungen am Piave zurück.
Das Scheitern der k.u.k.Armeen hätte bei Kriegsbeginn oder etwa noch ein Jahr danach leicht überwunden werden können, wie es die mehrfachen vergeblichen Angriffe über den Karpathen-Kamm zur Befreiung Przemysls bewiesen hatten. Zu Ende des vierten Kriegsjahres jedoch waren die Nerven von Armee und Hinterland so schwach geworden, daß in Österreich und Ungarn ein Sturm der Entrüstung losbrach, der bereits zeigte, wie sehr der Glaube an ein erfolgreiches Kriegsende allgemein verlorengegangen war.
Aus Baden erhielt ich nun eine Unzahl von Fragebögen zur Erhebung und Meldung aller Ursachen des Versagens unseres Angriffes. Auch wurde die genaue Erhebung der Stimmung der Truppen verlangt. In den nächsten Wochen war ich wieder Tag und Nacht unterwegs und sprach bis zu den Kompanie- und Batteriekommandanten herunter mit fast allen Offizieren unserer 6.Armee. Das Ergebnis war für unser AOK in Baden alles eher als schmeichelhaft. So schrieb ich denn auch in einem meiner Berichte klipp und klar, daß insbesondere bei den Offizieren das Vertrauen in die Führung durchs AOK geschwunden war. Als ich diesen Teilbericht, wie jeden anderen, FML v.Willerding vor Absendung vorlegte, las er ihn Wort für Wort leicht schmunzelnd durch und meinte endlich, der Bericht lasse an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Er stand auf, reichte mir die Hand und sagte wieder: "Sie sind ein anständiger Mensch!" Offenbar war das die höchste Anerkennung, die er auszusprechen vermochte.
Die Depression, die mich wegen der gewiß nicht ganz unbegründeten Angriffe auf unseren Generalstab von allen Seiten erfaßte, im Verein mit dem ungesund heißen Klima der oberitalienischen Tiefebene, ließ meinen bereits überwunden geglaubten Darmkatarrh mit einer Heftigkeit wieder auftreten, die mir jede Bewegung und besonders das Autofahren auf den holperigen Straßen zur Qual machte. Dazu kam die elende, fast fettlose Ernährung. Mein armer Offiziersdiener litt ebenso, während mein Pferdewärter Kern unbelästigt blieb. Der meinte nachher einmal zu mir, daß er geglaubt habe, ich werde nicht mehr mit dem Leben davonkommen. Der Armeearzt Dr.Hochmann sagte, ich müsse den südlichen Kriegsschauplatz ehestens verlassen und erwirkte mir einen Kurplatz in Karlsbad. Ich bekam den Krankenurlaub bewilligt und reiste Ende August dorthin über Wien.
Was meine vielen Ersuchen um Einteilung an die Front nicht vermocht hatten, schufen meine letzten Berichte. Gelegentlich meiner Meldung in Baden sprach mir Obst.Beyer seine Anerkennung über meine ungeschminkt klaren Berichte aus, fügte jedoch hinzu, daß ich mich mit diesen nicht beliebt gemacht hätte. Als ich mich anschließend bei Baron Waldstätten meldete, teilte mir dieser schroff mit, daß meine Verwendung beim AOK nun beendet sei und ich zu einer Division käme; daran schloß er den Wunsch für meine rasche Genesung.
Die heißen Quellen und Schlammpackungen halfen mir in Karlsbad gut. Auch hier war die Verpflegung alles andere als kurmäßig: Sauerkraut beherrschte jede Mahlzeit. Trotzdem war mein Gedärm nach dreiwöchiger Kur beruhigt und ich durfte drei Wochen Rekonvaleszentenurlaub anschließen. Von Karlsbad reiste ich direkt nach Abapuszta, wo ich von meiner Braut und ihrer Mutter liebevoll erwartet wurde. Beide hatten meinen Bruder samt Familie zur Erholung eingeladen, die ich dort schon antraf. Eine Woche später kam auch ihr Vater auf Urlaub, zuletzt mein künftiger Schwager Georg nach einer überstandenen leichten Gelbsucht.
Das Wiedersehen mit Judith war unendlich beglückend, wenn wir auch nicht so ungestört zusammenleben konnten, wie das erstemal im Frühjahr nach unserer Verlobung; Judith mußte ihrer Mutter in der Besorgung ihrer Hausfrauenpflichten viel helfen. Alle offenen Fragen bezüglich der Heiratsausstattung hatten wir in unseren täglichen, ausführlichen Briefen abgehandelt.
Mitte September hatte der Außenminister Graf Burian ein Friedensangebot "an alle" gerichtet. Das hob unsere Stimmung; wir konnten ja damals noch nicht ahnen, wie sehr der Friedenswille Kaisers und Königs Karl von der Entente mißbraucht werden würde.
Um den 16.Oktober traf meine Ernennung zum Generalstabschef der 10.Budapester Kavalleriedivision ein; sie stand in Südtirol. Der Urlaub von Judiths Vaters war ebenfalls zu Ende; gemeinsam fuhren wir über Budapest nach Wien, wo wir schon manch ungute Auflösungserscheinungen der gewohnten Ordnung wahrnehmen konnten.
In Wien fragte mich der Vater, ob ich nicht einen gescheiten Geldfachmann wüßte, den man über Geldanlagen befragen könnte. Ich hatte mein erspartes Geld in der bosnischen Landesbank, die ein affiliertes Institut des Wiener Bankvereins war, und wußte, daß der Sarajevor Bank-Filialdirektor in Wien am Schottenring amtierte und mein Spargeld auf den Wiener Bankverein umgebucht hatte; so schlug ich dem Vater vor, diesen Herrn aufzusuchen. Ich wurde von ihm freundlich aufgenommen und stellte ihm meinen künftigen Schwiegervater vor. Im Laufe des Gesprächs stellte ich Vaters Frage, wie man freie Geldbeträge plazieren solle; der brave, ehrliche Hebräer stand auf, vergewisserte sich, daß beide gepolsterten Türen fest verschlossen waren, und sagte dann zu mir, daß er jetzt nicht als Bankfachmann, sondern als alter Freund zu mir spreche: "Kaufen Sie alles, was Sie bekommen können, nur keine Papiere." Vater und ich, mit Geldsachen unvertraut wie Kinder, fragten: "Was meinen Sie unter alles, was man bekommen kann?" Lächelnd erklärte er uns: "Alles an Waren, gleich ob es Knöpfe, Eisenartikel oder Lebens- und Futtermittel sind; nur keine Papiere!" Als wir aus dem Bankhaus auf die Straße traten, sahen wir uns an und lachten. In seinem Patriotismus konnte es der Vater einfach nicht fassen, daß ungarische Staatspapiere ihren Wert verlieren könnten. Ich hingegen benötigte laufend Bargeld für Zahlungen von Hotel, Schneider, Essen usw., deshalb ließ ich mein Konto stehen.
Später begleitete ich den Vater zur Südbahn, mit der er zu seinem Regiment nach Quero fuhr. Dann begab ich mich nach Baden, um den genauen Standort meiner Division zu erfahren. Dort wurde ich orientiert, daß die Lage am Balkan äußerst gefährdet sei; die Bulgaren hätten Ende September auf eigene Faust um Waffenstillstand gebeten, ihre Truppen verließen einfach ihre Stellungen; daher würde unter Erzh.Josef eine nur aus ungarischen Divisionen bestehende neue Front zum Schutz Ungarns und Bosniens aufgebaut. Meine 10.Kavalleriedivision sei in Verlegung von Südtirol an die untere Drina; ich führe am besten direkt nach Bijeljina, um dort die Truppen, so wie sie einträfen, gleich in den Sicherungsdienst einzusetzen; am Balkan kommandiere bis zum Eintreffen des Erzherzogs FM Kövess mit FML Konopicky als Generalstabschef. So kam ich nocheinmal auf den Balkan zurück.
Ich bestieg einen Zug nach Budapest und fuhr von dort weiter nach Bosnisch Brod, um über Tuzla nach Bijeljina zu gelangen. Überall erkannte ich bereits bedenkliche Auflösungserscheinungen. Um den Wünschen des Präsidenten Wilson entgegenzukommen, hatte Kaiser Karl am 16.Oktober ein Manifest erlassen, demzufolge alle Nationen der Monarchie eigene nationale Staaten bilden sollten, die er unter seiner Oberregierung beisammen zu erhalten hoffte; damit waren die alten, die Monarchie zusammenbindenden Gesetze gelöst. Das hörte ich unterwegs und las verschiedene Ungereimtheiten in den erlangbaren ungarischen Zeitungen.
In Tuzla traf ich mit dem Brigadekommandanten Obst.Frhr.v.Alberti zusammen, der mit dem ersten Transport der 10.Kavalleriedivision, dem HusarenRgt.Nr.5, eingelangt war. Er hatte dieses Regiment nach Bijeljina vorbefohlen, doch sei die Disziplin durch Emissäre der ungarischen Regierung so gelockert, daß sich immer wieder Leute, auch Offiziere, eigenmächtig von der Truppe entfernten. Am nächsten Tag fuhr ich nach Bijeljina vor, fand aber kein Husarenregiment: das war verschwunden. Von einem Feind war auch nichts wahrzunehmen, und die Telephone funktionierten nicht. Also fuhr ich nach Tuzla zurück, berichtete Alberti von meinen Wahrnehmungen und fragte ihn, ob er wisse, wann die anderen Truppen der Division folgen sollten; das wußte er nicht. Der Bahnhofkommandant informierte mich, daß der neue ungarische Kriegsminister, ein Oberst Béla Linder, allen ungarischen Truppen die sofortige Niederlegung der Waffen befohlen habe. FM Kövess sei von Belgrad in Ujvidék eingetroffen; jetzt sei aber das Telephon unterbrochen, er bekäme nach keiner Seite mehr Verbindung.
Unter diesen Umständen konnten wir in Tuzla nichts erfahren. Ich schlug Alberti vor, zum nahen Höchstkommando zu fahren, wo noch am ehesten die Transportdaten unserer Kavalleriedivision zu erfahren sein würden. Bald befanden wir uns in Ujvidék. Nach meiner Meldung bei Konopicky hörte ich von diesem, sein Kommando wisse gleichfalls nichts; die zuständige Feldtransportleitung Szabadka habe mitgeteilt, daß auf den Eisenbahnen Chaos eingetreten sei und von geregelten Transporten nicht mehr gesprochen werden könne. Vom Befehl des ungarischen Kriegsministers Linder an alle ungarischen Truppen, die Waffen sofort niederzulegen, habe man auch gehört und der Feldmarschall bemühe sich persönlich um Sprechverbindung mit Budapest, da man dort auch eine Sprechverbindung mit dem AOK in Baden verhindere.
Kurz darauf wurde ich Zeuge, wie ein Generalstabsmajor des Kommandos Kövess dem Feldmarschall den Gehorsam verweigerte, nach Budapest zu fahren, um dort die Lage zu klären; er sei Österreicher, des Ungarischen nicht mächtig, und wolle sich in der offenbar schon revolutionierten Stadt nicht hilflos Gefahren aussetzen. Das geschah vor mehreren Offizieren und ohne daß der Marschall die Verhaftung des Unbotmäßigen verfügt hätte. Mit Konopicky war ich in den großen Arbeitsraum eingetreten. Kövess kannte mich von den Karpathen-Kämpfen des Vorjahres und erblickte mich. Ohne meine Meldung als Generalstabschef der 10.Kavalleriedivision abzuwarten, wandte sich der Feldmarschall an mich mit den ungefähren Worten, meine Division werde ohnehin nicht eintreffen, er "bäte" mich darum, nach Budapest zu reisen, um dort die Lage zu erkunden und ihm zu berichten. Sofort antwortete ich mit einem lauten "Jawohl, Herr Feldmarschall". Dem Dienstverweigerer warf ich einen verachtenden Blick zu: so weit war also der Verfall der ruhmreichen k.u.k. Armee fortgeschritten, daß ein Generalstabsoffizier seinem höchsten Vorgesetzten den Gehorsam versagte, ohne daß Kommandant oder Generalstabschef dessen sofortige Maßregelung verfügt hätten! Damals konnte ich das nicht fassen, verstehen kann ich es bis heute nicht. Da war ja mein aus dem Banat stammender Offiziersdiener besser: als er von meiner Reise nach Budapest hörte, bat er mich wenigstens, ihn in seine nahegelegene Heimat zu entlassen; der arme Kerl war gesundheitlich sehr geschwächt, und ich stellte ihm einen Entlassungsschein aus, damit er nicht wie so viele andere als Deserteur galt.
Obst.Alberti blieb beim Kommando Kövess, während ich überlegte, wie ich am besten und raschesten nach Budapest käme. An eine Eisenbahnfahrt, selbst mit einer einzelnen Lokomotive war bei der gelösten Ordnung und dem schon in Erscheinung tretenden Kommunismus nicht zu denken. Auch eine Autofahrt erschien angesichts der voraussichtlichen Anhaltungen durch desertierte Soldaten aussichtslos. So blieb nur die Donaufahrt. Zuerst verlangte ich ein Patrouillenboot der Donauflottille, vernahm jedoch, daß diese noch zur Gänze in der unteren Donau Sicherungsdienst für die zurückgehenden deutschen Truppen versehe. Im Einvernehmen mit dem beim Kommando Kövess die Transporte bearbeitenden Herrn kam lediglich ein starker Remorqueur in Frage, der seine Maschinenkraft in erhöhte Geschwindigkeit legen sollte.
Noch am frühen Nachmittag konnte ich losfahren. Auf dem Schiff hatte sich auch Obst.Laxa eingefunden, der seinerzeitige Militärattaché in Sofia, der zur vom AOK aufgestellten Waffenstillstandskommission für den Balkan gehört hatte, die von der kommunistischen Regierung Ungarns aufgelöst worden war. Der Schiffskapitän lud noch Getreidesäcke, aus denen er eine Schutzwehr um seinen Kommandosteg erbauen ließ, auf dem auch eine Radiostation eingerichtet war.
Im Gespräch mit Laxa, der nach seiner Ablösung als Militärattaché als Regiments- und Brigadekommandant mit Auszeichnung gekämpft hatte, erfuhr ich erstmals den sicheren Auseinanderfall der Monarchie. Er selbst war Kroate und dem Grafen Stephan Tisza beigeordnet worden, als dieser im Auftrag des Kaisers in Agram und dann in Sarajevo mit den Kroaten und Serben über deren nationale Wünsche verhandeln sollte. Ergrimmt erzählte mir Laxa, daß Tisza in hochfahrender Weise in Agram wie in Sarajevo alle Wünsche der kroatischen und serbischen Politiker nach ihrem Zusammenschluß zu einem nationalen Staat brüsk abgelehnt und in Sarajevo sogar mit Gewaltmaßnahmen gedroht habe, weil er die Integrität des ungarischen Staates nicht antasten lassen wollte; darauf habe er von den serbischen Politikern in Sarajevo die Antwort erhalten, daß dann der Zusammenschluß der Südslawen außerhalb der Monarchie erfolgen werde; diesem Zusammenschluß mit den Serben des Königreiches Serbien hätten auch die Kroaten zugestimmt, und er, der alte, treue kaiserliche Offizier, gehöre nun zu einem der Monarchie feindlichen Staat! Das deckte die ganze Tragik des Geschehens in erschütternder Weise auf. Obst.Laxa verließ das Schiff in Mohacs, um sich nach Agram zu begeben.
Allein zog ich weiter nach Budapest, Zeit genug, um die mir unverständlich rasche Auflösung der Monarchie zu überdenken. Was sollte nun folgen? War dieser entsetzliche, von mir trotz aller Skepsis in Bezug aufs Kriegsende so nicht vorausgesehene Auflösungsprozeß eines alten Staates, dessen Armee sich doch bis zuletzt gut geschlagen hatte, wirklich unaufhaltbare Tatsache geworden? Bald sollte ich eine böse, jedoch klare Antwort erhalten.
Der Remorqueur legte in den ersten Nachmittagsstunden des 8.Novembers am Ofener Ufer an. Sogleich stieg ich die Höhe zur Burg hinauf. Als ich den saloppen Posten vor dem alten Honvédministerium fragte, ob der ungarische Kriegminister hier amtiere, zeigte er auf einen schlanken, die steile Treppe vor mir emporsteigenden Offizier und sagte "Ez a miniszter!" Rasch sprang ich die paar Stufen nach und meldete mich als Abgesandter von FM Kövess; Linder fuhr mich schreiend an, warum ich mich nicht ungarisch melde; korrekt erwiderte ich, die Sprache des k.u.k. Heeres sei deutsch und ich im übrigen Österreicher. Dabei hatten wir einen Vorraum durchschritten und waren ins Ministerzimmer eingetreten. Im Vorraum hatte es wüst ausgesehen: herumlungernde, rauchende Soldaten und Zivilisten, unter denen ein laut sprechender katholischer Priester (später erfuhr ich, daß er Schwabe war und Hock János hieß) sich auf sein Volksmandat berief, um zum Minister zu gelangen, von dem freilich beim Durchschreiten niemand Notiz nahm. Auch im Ministerzimmer saßen ein paar fragwürdige Gestalten; vor ihnen und am Ministerschreibtisch standen volle und halb geleerte Kognakflaschen. Linder nahm gleich einen ordentlichen Schluck, worauf er auf deutsch fragte, was ich eigentlich wolle. Kaum hatte ich die unklare Lage in Ujvidék geschildert und das Verlangen nach Freigabe der Telephonverbindung zum AOK nach Baden gestellt, als Linder zu schreien begann, es gebe keine Armee mehr, er habe doch allen in Ungarn befindlichen Truppen die Niederlegung der Waffen befohlen, er wolle keine Soldaten mehr sehen und wenn Kövess ihm nicht gehorche, so werde er ihn verhaften und erschießen lassen. Das war von Linder teils deutsch, teils ungarisch gesagt worden, wobei er immer wieder nach der Kognakflasche griff. Ich erkannte, daß hier alle betrunken waren, und verlangte jetzt auf ungarisch die Freigabe der Telephonverbindung für mich nach Ujvidék und nach Baden. Linder brüllte, ich möge zum Präsidialchef gehen und von dort telephonieren, wohin ich wolle, nur müssen alle in Ungarn befindlichen Truppen die Waffen niederlegen, weil Ungarn mit niemand mehr im Krieg sei; er wolle keinen Soldaten mehr sehen! Nun drang der katholische Geistliche laut rufend ins Ministerzimmer und wiederholte in einem fort: "Mi egy öndllo' Kösztársaság vagyunk (Wir sind eine unabhängige Republik)!" Ich sah, wie sich Linder vor diesem Abgeordneten tief verbeugte, und verließ das Zimmer.
In der Präsidialabteilung traf ich deren Chef, Generalstabsoberst Bobo Láng, allein. Seine Übernächtigkeit und Ratlosigkeit waren auf den ersten Blick zu erkennen. Wir kannten uns nur flüchtig, so daß ich es für gut hielt, mich vorzustellen; gleich daran schloß ich die Frage: "Láng, ja was ist denn nur los bei Euch?" Er antwortete in hoffnungslosem Ton: "Du siehst es doch selbst, der Kommunismus!" Von ihm konnte ich allmählich erfahren, daß die ungarische Regierung des kommunistischen Grafen Károlyi, der noch von König Karl installiert worden war, geglaubt hatte, ein aus dem Verband der Monarchie ausgeschiedenes Ungarn werde billig davonkommen; deshalb der Befehl zur sofortigen Waffenniederlegung und die Erklärung, daß für Ungarn der Krieg beendet sei. Graf Tisza war ermordet worden; Kaiser Karl hatte den Oberbefehl niedergelegt und um Waffenstillstand gebeten, der schon am 3.November eingetreten war; FM Kövess war bestimmt zum Oberkommandierenden der teilweise noch kämpfenden Armee eines nicht mehr bestehenden Staates; Südslavien, Böhmen und Ungarn hatten sich nämlich für unabhängig erklärt.
Nun war ich ebenso niedergeschlagen wie Láng. Seufzend erklärte ich ihm meinen Auftrag und Linders Genehmigung zur Telephonbenützung. Das Telephonieren stünde mir selbstverständlich frei, antwortete er, ich würde aber niemanden erreichen; das gesamte Kommando Kövess sei bereits auf Schiffahrt und werde morgen vormittags in Budapest eintreffen; ich möge mich mit FML Kornhaber ins Einvernehmen setzen, der habe vom Ministerium die Verbindung zu Kövess herzustellen. Auf meine bange Frage, wie es in Debrecen und Umgebung aussehe, bekam ich die Antwort, daß der Kommunismus in ganz Ungarn nach der Macht greife und Gott allein wisse, was geschehen werde.
Nach kurzem Abschied begab ich mich zu Kornhaber, den ich ebenfalls tief deprimiert fand. Er habe den Auftrag das Schiff, auf dem sich FM Kövess befand, durchsuchen zu lassen, damit nicht ungarisches Staatsgut nach Wien mitgenommen werde; diese Mission sei ihm schrecklich peinlich. Ich merkte ihm an, daß er für einen mildernden Rat dankbar wäre. Nach einiger Überlegung schlug ich vor, ich werde ein Radiogramm an Kövess senden mit einer kurzen Schilderung der Lage und der Bitte, alles ungarische Staatsgut am Schiff gesondert zur Ausladung unter Kontrolle der ungarischen Offiziere des Stabes bereitzulegen; Kornhabers Auftrag könne sich dann auf eine kurze Meldung beim Feldmarschall und die Befragung der ungarischen Offiziere auf dem Schiff, ob alles ungarische Staatsgut zur Ausladung vereinigt sei, beschränken. Dankbar erklärte er sich einverstanden. Nach Abgabe des Radiogramms an Kövess bot er mir den Divan in seinem Amtszimmer zur Übernachtung an; dazu bekam ich Brot, Salami und Wein.
Ein Telephonanruf in Baden klärte mich auf, daß sich das AOK mit einem kleinen Arbeitsstab nach Wien, Schwarzenbergplatz, verlegt habe. Über meine 10.Kavalleriedivision konnte ich nichts erfahren. Sie wird sich wie so viele andere Verbände bei Überschreiten der ungarischen Grenze aufgelöst haben.
Am folgenden Morgen teilte mir Kornhaber mit, daß das Schiff von Kövess zur Vermeidung von Aufsehen im südlich gelegenen Handelshafen gegen 11h anlegen und geprüft werde; er bat mich, zuerst aufs Schiff zu gehen und ihn beim Feldmarschall anzumelden. - Den Feldmarschall traf ich im Speisesaal des großen Dampfers an und meldete ihm den bevorstehenden Besuch Kornhabers. Kövess erwiderte: "Was will denn der? Meine goldene Uhr? Die schenke ich ihm, ohne daß er sich herbemüht." Ich erzählte ihm, wie peinlich dieser General von seinem Auftrag berührt sei, und ersuchte ihn, die Lage nicht zu verschärfen. Als der Feldmarschall mir zunickte, holte ich FML Kornhaber. Die Szene lief höflich kühl ab, und nachdem die ungarischen Personen und Güter an Land gekommen waren, dampfte Kövess mit mir nach Wien weiter.
Ich informierte ihn eingehend über meine Besprechungen und Eindrücke in Budapest, wofür er mir in gewogener Form dankte. Gegen Verpflichtung zur Meldung im Kriegsministerium erhielten wir alle unser Gehalt für November und Dezember 1918 mit den entsprechenden Kriegszulagen ausgezahlt und von den Wurst- und Brotvorräten des Schiffes einen Anteil als Wegzehrung.
Am 10.November abends legten wir am Praterkai in Wien an. Die vorangegangene Verabschiedung war schlicht. Seinem engsten Stab und mir sagte der Feldmarschall, daß er folgenden Tags ab 11h vor dem Kriegsministerium am Stubenring uns seine dort eingeholten Nachrichten mitteilen werde. Allerlei Fuhrwerk hatte das Schiff erwartet. So nahmen wir die, welche in gemeinsamer Richtung wohnten, je einen Wagen. Meiner brachte mich zu meinem Bruder Heinrich in die Hermanngasse.
Das Wiedersehen mit der Familie war herzlich, aber bedrückt: die Zukunft lastete schwer auf uns. Mein Bruder riet mir als erstes den Wiener Heimatschein ausstellen zu lassen, ohne den man nichts bekäme. Das besorgte ich gleich zeitig am nächsten Morgen und ging dann auf den Stubenring, wo ich mit einigen Kameraden beim Radetzky-Denkmal auf Kövess wartete. Er trat auch bald aus dem Ministerium mit der lakonischen Mitteilung, daß morgen, am 12.November, Österreich sich als Republik konstituieren werde. In Österreich wandte man sich ebenfalls von seinem Kaiser ab!
Ich drehte mich auf dem Absatz um und begab mich zur kaiserlichen Militärkanzlei in der Hofburg. Dort war Obst.v.Káry eingeteilt, der vor mehr als Jahresfrist mit mir seine Truppendienstleistung bei der 18.Gebirgsbrigade nächst Kirlibaba absolviert hatte. Káry empfing mich herzlich. Unter Anbot meiner Dienstleistung in jeder Form für den Kaiser bat ich ihn um authentische Orientierung über die Lage von uns kaisertreuen Offizieren. Káry sagte mir, Seine Majestät habe jegliche Aktion von Offizieren zu seinen Gunsten strikt verboten; ein jeder möge dem neuen Staat, dem er sich zugehörig fühle, dienen und könne diesem auch ein Treugelöbnis leisten. Ich äußerte, daß mir eine solche Willensmeinung des Kaisers ganz unbegreiflich sei, weil sich doch Österreich morgen als Republik konstituieren wolle, worauf Káry erwiderte, der Kaiser wisse dies, stelle jedoch den Offizieren ihr Verhalten anheim, mit Ausnahme von kämpferischen Handlungsweisen für ihn, und entbinde sie vom Treugelöbnis; erläuternd fügte er bei, daß für mich keine Schwierigkeiten bestünden: ich sei Österreicher und gehöre eindeutig zu Österreich. Für ihn war das viel schwieriger: er fühlte sich als Ungar, stammte aber aus dem rumänischen Teil Siebenbürgens, der wahrscheinlich ans Königreich Rumänien fallen würde; er wußte noch nicht, ob er sich zu Ungarn oder zu Rumänien bekennen solle, wo sein und seiner Frau Grundbesitz lag. Damit verabschiedete er mich mit kameradschaftlichen Händedruck und allen guten Wünschen für die Zukunft.
Draußen auf dem Heldenplatz sah ich Soldaten in schlechter Haltung mit einer roten Fahne zur Ringstraße ziehen. Der Aufforderung eines solchen Lackels, von meiner Kappe die Rosette mit der Kaiserinitiale abzuschneiden, begegnete ich mit der Erwiderung, das sei meine Sache, nicht seine. In der Nähe standen zwei Polizisten: der rote Aktivist zog es vor, seinem Haufen nachzulaufen. Einer der Polizisten riet mir die Kappenrose abzunehmen, da ich sonst nicht in Ruhe gelassen würde; ich nickte ihm zu. Unbehelligt ging ich über Bellaria und Burggasse zu meinem Bruder. Bei ihm klaubte ich mir aus meinen Sachen Zivilkleidung zusammen.
An einem der nächsten Morgen erschien mein treuer Pferdewärter Kern in der Wohnung mit der Meldung, er sei mit den Pferden von Vittorio in Wien angekommen; sie stünden am Matzleinsdorfer Markt und er hätte auch schon einen Käufer. Ob ich mit dem Verkauf um 3.000,- Kronen einverstanden wäre? Ich sagte zu. Als er mit dem Geld und der Sattelzeugkiste wiederkam, schenkte ich ihm den halben Erlös. Er fuhr auf sein Bauerngut oberhalb Persenbeug. Kern hätte sich mit den Pferden einfach davonmachen können, wie es viele andere taten - sein Akt der Treue war mein letztes Kriegserlebnis.
Damit begann der graue chaotische Alltag. Der Hunger dauerte weiter. Meiner Anschauung nach war er die wesentlichste Ursache des so raschen militärischen Zusammenbruches. Die allgemeine militärische Lage war anfangs November nicht so schlecht; überall standen wir tief in Feindesland; die Armeen hätten den Feind noch weitere Monate von der Heimat fernhalten können, wenn sie zu essen und Schießbedarf bekommen hätten. Beides aber versagte an der inneren politischen Desorganisation, die durch die feindliche Blockade und destruktive Propaganda hervorgerufen worden war. FM Conrad pflichte ich bei, wenn er schreibt, daß nicht die feindlichen Heere, sondern die feindlichen Diplomaten, allen voran der französische Tiger Clemenceau, den Krieg für die Entente gewonnen hatten.
 
Am 4.Mai 2011 präsentierte der Böhlau Verlag in Wien
das umfangreiche, bebilderte, kommentierte und
mit einer Einführung versehene Buch:

P.BROUCEK (Herausgeber)
Ein österreichischer General gegen Hitler
Feldmarschalleutnant Alfred Jansa
Erinnerungen
Auslage in Wien I im Mai 2011 © 2011 by DMGG