FML JANSA
«Aus meinem Leben»
VI F
DER ERSTE WELTKRIEG
Beim deutschen Armeeoberkommando 14 in Italien,
dann Urlaub in Wien und Verlobung
9.X.1917 -15.III.1918
In Wien angekommen stieg ich wieder im Hotel Elisabeth in der Weihburggasse ab, wo ich mein gewohntes Zimmer 20 mit Bad im ersten Stock bezog. Es war kalter Herbst und das Hotel nur mangelhaft geheizt. Das Personal schien abgemagert und bedrückt. Das mir gebotene Frühstück bestand aus einem Glas undefinierbarer Brühe und einem winzigen Stück Schwarzbrot, weswegen ich gebeten wurde, mir Lebensmittelkarten zu beschaffen, da mir sonst nichts geboten werden dürfe; die Hotels würden diesbezüglich von der Polizei streng kontrolliert.
Mein erster Weg war zu meinem Schneider Szonda in der Wollzeile. Gern wartete ich darauf, mir die Majorsdistinktionen auf meiner Feldbluse ordentlich annähen zu lassen. Auch bat ich, den dort deponierten Waffenrock zu ergänzen. Der mir gezeigte Brennesselstoff für eine neue Bluse war so miserabel, daß ich darauf verzichtete, eine Bluse machen zu lassen; vielleicht würde ich an meinem neuen Bestimmungsort Besseres zu kaufen bekommen.
Dann suchte ich meinen Bruder Heinrich in seinem Amt in der Herrengasse auf. Das Wiedersehen war herzlich, aber es schmerzte einander so schlecht aussehend zu finden. Bei mir waren es die Folgen des kranken Darms, bei meinem Bruder der Hunger. Heinrich hatte nach dem Tode unseres Vaters seine große, kostspielige Wohnung in der Hießgasse aufgegeben und eine billige am Neubau, in der Hermanngasse bezogen. Wir aßen in irgendeiner Auskocherei etwas fett- und geschmackloses, und am Nachmittag besuchte ich die Familie, in der die kleine Anni immer noch schwer an der englischen Krankheit litt. Der Hunger sah allen Menschen aus den Augen - und man konnte nicht helfen! Die egoistische Absperrung der Länder gegen die Großstadt Wien, mit ihren damals 2 Millionen Menschen, war wohl die ausnahmslos alle Völker der Monarchie beschämendste Handlung. Alles war überall knapp geworden; aber in Wien herrschte bereits Hungersnot. Und trotzdem kein Ende des schrecklichen Krieges abzusehen! Am besten sprach man gar nichts, weil das früher geübte Mut zusprechen verlogen klang und einfach nicht geglaubt wurde. Zwar war die militärische Lage auf allen Kriegsschauplätzen durchaus günstig für uns, der Hunger jedoch würgte nach und nach alles ab.
Am folgenden Tag fuhr ich nach Baden zum AOK. Dessen kompletter personeller Umbau durch Kaiser und König Karl beeindruckte mich wenig, da ich ja auch das erste kaum gekannt hatte. So drang ich direkt zum Chef der Operationsabteilung, GM.Baron Waldstätten, vor, der zugleich Stellvertreter des Chefs des Generalstabes war; weil Generaloberst Baron Arz stets den reisenden Kaiser begleitete und daher sein Amt kaum ausfüllen konnte, war Waldstätten der eigentliche Chef des Generalstabes. Er war bestimmt eine der besten und fähigsten Persönlichkeiten des k.u.k. Generalstabes und Kaiser Karl, dessen Generalstabschef er beim XX.Korps in Südtirol gewesen war, schätzte ihn hoch. Er erinnerte sich nicht mehr an mich, und ich hatte keinen Anlaß, mich in sein Gedächtnis zu rufen.
Streng den Vorschriften gemäß meldete ich mich. GM.Waldstätten reichte mir die Hand und erläuterte: "Gegen Italien ist aus dem Raume Flitsch-Karfreit eine Offensive in Vorbereitung, die unsere Verteidigungsfront vom Isonzo vorverlegen soll. Der Angriff wird von GdI.Otto v.Below geführt werden, der dich, an Stelle des jetzt bei ihm eingeteilten Obst.Metzger, als Verbindungsoffizier verlangt hat. Wir haben keinen Anlaß dieses Ansuchen zu verweigern. Fahre also nach Krainburg und löse dort Metzger ab. Deine Stellung wird nicht leicht sein, weil Seine Majestät einen Überwachungsdienst der deutschen Kommandos und Truppen veranlaßt hat, der unsere Bevölkerung vor deutschen Requisitionen schützen soll." Das war alles. Ich stellte meinerseits auch keine Frage. Wozu auch? Mit Below und seinem Stabschef Böckmann würde ich gut zurechtkommen.
Im Nebenzimmer bekam ich von Waldstättens Hilfsorgan den schon vorbereiteten schriftlichen Marschbefehl nach Krainburg mit dem Beifügen, meinen Auftrag und meine Bestimmungsstation streng geheimzuhalten. Ich orientierte mich noch in Baden über die Bahnverbindung, die eine Abreise erst am nächsten Morgen ermöglichte. So fuhr ich wieder nach Wien zurück und besuchte nocheinmal meinen Bruder im Büro. Merkwürdigerweise wurde diesmal in Wien nichts über die bevorstehende Offensive gesprochen. Ich glaubte nicht, daß die Wiener Tratschkreise sich gebessert hätten, vielmehr dürfte sie der Hunger für alle Kriegsereignisse teilnahmslos gemacht haben. Als Staatsbeamter wußte mein Bruder um die Verschwiegenheitspflicht und stellte keine Frage über meine neue Einteilung. Mit einem herzlichen Händedruck trennten wir uns.
Am nächsten Morgen bestieg ich am Südbahnhof den fahrplanmäßigen Zug nach Triest, den ich nachmittags in Laibach verlassen mußte, um einen Anschluß nach Krainburg zu bekommen. In Marburg stand das Kommando der Südwestfront (KdoSWF) unter Erzh.Eugen, in Adelsberg das Kommando der Heeresgruppe FM Boroevic.
Am vorangegangenen Abend und während der Fahrt war mir einiges durch den Kopf gegangen: nichts war also aus der erhofften Stelle eines Divisionsgeneralstabschefs geworden; wieder war ich zum Verbindungsoffizier bei einem deutschen Armeekommando bestimmt worden. Ein eigenartiges Geschick! Es war als Generalstabsoffizier nicht leicht, eine Frontverwendung zu bekommen. Offensive gegen Italien war ja recht, reichlich spät allerdings. Daß unsere Angriffe immer in den Herbst fallen müssen! Mitte Oktober war im Hochgebirge täglich Schnee zu erwarten. Daß Gen.v.Below den Angriff führen werde, war gut. Zwar hatte er in Frankreich nicht sonderlich reussiert, und ich hatte im abgelaufenen Halbjahr nichts weiter von ihm gehört. Wenn er jetzt aber in Italien den Angriff kommandieren würde, dann mußte es wahr sein, daß Hindenburg ihn seinen besten General genannt hatte. Dieser "beste deutsche General" hatte nun mich ausdrücklich zu sich verlangt - Donnerwetter, das war schon eine gewaltige Auszeichnung! Weit vorausschauend hatte er damit seine Abschiedsworte in Skoplje vor mehr als einem halben Jahr wahrgemacht. Da würde es vor mir wohl keine Geheimnisse geben; ich würde alles aus erster Hand erfahren. Das stimmte mich freudig.
So freudig war ich gestimmt, daß ich zu drängen begann und überlegte, garnicht in Marburg zu unterbrechen, um mich bei Erzh.Eugen und dessen Generalstabschef zu melden. Wer war das überhaupt? Gen.Krauß kommandierte doch das I.Korps in der Bukowina; Salis-Samaden hatte ich bei der 3.Armee in Galizien getroffen. Ja, wer dann? Ich wußte es nicht. Da müßte ich eigentlich doch zur Orientierung in Marburg aussteigen! Schließlich unterließ ich es, weil es mich nach vorne zu Below zog; dort würde ich schon alles erfahren.
Am Nachmittag stieg ich in Krainburg, diesem unansehnlichen slovenischen Städtchen, aus. Das 14.Armeekommando war rasch gefunden; die vertraute viereckige Standarte vor dem Schulhaus zeigte es an. Ich trat ein: lauter fremde Gesichter! Viele Bayern. Auf die Frage, wo ich den österreichischen Verbindungsoffizier treffen könne, wurde ich in ein kleines Zimmer gewiesen, in welchem ich Obst.Hugo Metzger mißlaunig fand.
Wir kannten uns aus unserer gemeinsamen Dienstzeit in Sarajevo; dort hatte er als Hauptmann und Major beim 48.Divisionskommando Dienst getan und die wenig reizvolle Tochter seines Divisionärs, FML Eisler, geheiratet. Danach kam er nach Wien ins Etappenbüro des Generalstabes und wollte mich dorthin nachziehen; das hatte ich damals abgelehnt, was ihn wiederum verschnupft hatte: ich hätte das Etappenbüro "nicht nobel genug" gefunden. Sein älterer Bruder war durch Jahre der Stellvertreter FM Conrads gewesen und kommandierte jetzt die 1.Division bei Tolmein.
Als er mich eintreten sah, äußerte Metzger seine Freude, daß ich endlich da wäre; er habe um seine Ablösung gebeten, weil ihm eine Zusammenarbeit mit den hochfahrenden Deutschen einfach unmöglich sei; er könne bei ihnen nichts durchsetzen, sie wüßten alles besser, ekelhaft. (Derselbe Metzger war dann in den Jahren nach Hitlers Machtergreifung in Deutschland ein schwerer Nazi!) Sollte ich ihn kränken durch Mitteilung der wahren Ursache seiner Abberufung? So bat ich ihn bloß um ein paar Informationen. Ich erfuhr, daß nicht Glt.v.Böckmann, sondern Krafft v.Dellmensingen Generalstabschef bei Below sei, den Metzger nur bei seiner ersten Meldung kurz gesehen habe; Ia sei auch nicht Mjr.v.Becker, der Afrikaner, sondern ein preußischer Mjr.v.Willisen"mit einer ganz großen Schnauze"; sonst nur bayrische Generalstabsoffiziere. Über den Aufmarsch vermochte mich Metzger nur unbefriedigend aufzuklären; er wußte zu wenig, beklagte sich nur, daß ihm "diese eingebildeten Deutschen" nicht alles mitteilten. Nach alledem sagte Metzger, er hätte mir nun "alles übergeben" und fahre sofort vom Kommando weg. Ich dankte ihm und verließ sein Zimmer nach flüchtiger Handreichung.
Auf dem Gang begegnete ich dem bayrischen Generalstabsmajor Schwink, den ich aus Serbien kannte, wo er beim deutschen Alpenkorps eingeteilt gewesen war. Er begleitete mich gleich zum "Chef". Glt.Krafft v.Dellmensingen kannte ich bisher lediglich dem Namen und guten Ruf nach. Vor dem Krieg war er Chef des bayrischen Generalstabes gewesen, welcher in der deutschen Armee technisch besonders hoch gewertet wurde, da er im Gegensatz zum preußischen, der im Frieden auch mit organisatorischen Aufgaben befaßt war, ausschließlich seiner Fortbildung auf taktischem und operativem Gebiet obliegen konnte. Ein Rest bayrischer Eigenständigkeit kam auch an der Uniform zum Ausdruck: die bayrischen Generalstabsoffiziere trugen den Rockkragen mit einer blau-silbernen Borte eingefaßt.
Glt.Krafft war mit einer Wiener Bürgerstochter verheiratet, einer Kalliwoda (Kotzen- und Bettdeckenfabrik), und kannte Österreich und seine Armee mit all' ihren Stärken und Schwächen besser als andere reichsdeutsche Generäle. Nach Kriegseintritt Italiens war er mit seinem bayrischen Alpenkorps an den ersten Abwehrkämpfen in Osttirol erfolgreich beteiligt, dann in Serbien und bei der Niederschlagung Rumäniens im engen Verein mit öst-ung.Verbänden hervorragend bewährt. Leider waren ihm dabei von unserer Seite nicht immer mannhaft offene Charaktere begegnet. Besonders von Tirol hatte er den Obstlt.Pfersmann in übler Erinnerung, wie er mir das gelegentlich einmal sagte. Er brachte österreichischen Generalstabsoffizieren daher Mißtrauen entgegen, was ich gleich bei meiner ersten Meldung zu fühlen bekam.
Krafft, eine mittelgroße, etwas beleibte Erscheinung, erhob sich bei meinem Eintritt von seinem Schreibtisch und eröffnete mir nach meiner Meldung, daß "er" in der Zusammenarbeit mit österreichischen Generalstabsoffizieren hinsichtlich deren Aufrichtigkeit nicht immer die besten Erfahrungen gemacht habe; mir gehe in dieser Hinsicht ein besonders guter Ruf der Loyalität voran, weshalb Gen.v.Below mich ausdrücklich zum Armeekommando angefordert habe; deshalb begrüße auch er mich und erwarte von meiner Seite positive Mithilfe und keine Erschwernisse; ich sei hier in einem rein bayrischen Stab mit Ausnahme des Ia, der Preuße sei, sich allerdings in verschiedenen Verwendungen derart bewährt habe, daß Krafft ihn bei sich behalten habe; mit Willisen möge ich ungescheut alles besprechen, was mir am Herzen liege. Das war ein eigenartiger Empfang. Auch sonst machte Krafft im Gegensatz zum prächtigen Böckmann in Makedonien einen etwas nervösen Eindruck. Ohne Erwiderung verbeugte ich mich und war entlassen.
Der gute Mjr.Schwink hatte draußen auf mich gewartet, um mich gleich im ganzen Kommando herumzuführen und bekannt zu machen. Willisen empfing mich kameradschaftlich: "Ich habe von Ihnen bestes gehört; wir wollen in guter Kameradschaft zusammenarbeiten!" Außer Mjr.Schwink, der als Ib in der Operationsabteilung die rechte Hand Willisens war und mit dem mich bald herzliche Freundschaft verband, sind mir noch Mjr.Grf.Sponer und Hptm.Fehr wegen ihrer hervorragenden Qualitäten in lebhafter Erinnerung geblieben. Sponer oblag die Regelung aller Marschbewegungen und die materielle Versorgung der deutschen Divisionen. Da die Italiener überrascht werden sollten, wurden die deutschen Divisionen erst in der letztmöglichen Zeit in die vordere Kampffront eingeschoben. Auch die Plazierung und Munitionierung der starken deutschen Artillerie durfte nur in der Nacht geschehen. Alle diese Bewegungen auf den wenigen schmalen Gebirgsstraßen mit meisterhafter Präzision zu disponieren, war das hohe Verdienst des immer völlig ruhigen, unbestechlich klar alle Schwierigkeiten erfassenden und lösenden Grafen Sponer. Hptm.Fehr leitete den Einsatz der deutschen Flieger, welche die damals noch neue Luftbildvermessung zur Ermittlung der Schießgrundlagen für die Artillerie ebenso gründlich bewirkten, wie sie die nötige Aufklärung unauffällig erflogen.
Noch am Abend des ersten Tages durfte ich mich beim Oberbefehlshaber der Armee melden, bei Otto v.Below, dem mir gewogenen Freund. Dessen persönlicher Adjutant, der alte ostpreußische Obstlt.v.Hatten, war seinem hohen Herrn nach Makedonien auch in Frankreich verblieben und nach Italien gefolgt. Jetzt brachte er irgendeine Weisung in die Operationsabteilung, wo er mir begegnete und mich freundlich aufforderte, gleich mit ihm zum Oberbefehlshaber zu kommen, wo er mich auch umgehend anmeldete. Als ich eintrat, stand Below schon in seinem Arbeitszimmer, hinter ihm Krafft. Meine Meldung ließ er mich gar nicht zu Ende sprechen, sondern streckte mir seine Hand entgegen: "Also, hab' ich recht gehabt, als ich Ihnen in Üsküb auf Wiedersehen in Italien sagte? Alte Liebe rostet nicht! Sie sind mir herzlich willkommen! Bleiben Sie gleich zum Essen da; das wird wenig sein; denn Ihr österreichisches Höchstkommando hat uns unter polizeiliche Bewachung gestellt. Aber dafür können Sie ja nichts, das hat ihr Kaiser befohlen." Ich war beglückt über so viel Herzlichkeit dieses sonst allgemein als kurz angebunden und etwas rauh bekannten Mannes, und obendrein freute ich mich, daß der Bayer Krafft v.Delmensingen das mit angehört hatte.
Beim äußerst schmalen Abendessen war mir der runde Tisch mit dem drehbaren Holzaufsatz wohlvertraut. Alles mußte ich nun erzählen, wo ich im vergangenen Halbjahr gewesen war und was ich getan hatte. Dann begann Below mich über die ihm unterstehenden öst-ung.Verbände und deren Kommandanten zu befragen. Ich mußte einwenden, daß ich noch gar keine Gelegenheit hatte, mich zu orientieren, wie die Kriegsgliederung aussehe. "Aber Sie waren doch mit den Truppen in Serbien und dann auch hier." meinte Below. Ja, erwiderte ich, wenn es sich um das XV.Korps bei Tolmein und am Krn handle, dann könne ich versichern, daß diese national durchaus gemischten Truppen zu den besten gehören und den deutschen durchaus ebenbürtig seien. Darauf fragte Below, wie es bei Flitsch aussehe mit der Gruppe Krauß. Da horchte ich auf: ich wußte ja noch nichts vom Aufmarsch und fragte daher, was für ein General Krauß das sei, ob am Ende gar Alfred, der zuletzt mein Kriegskommandant in den Karpaten gewesen war. Krafft sprang ein und sagte ja, das wäre das I.öst-ung.Korpskommando. Da konnte ich eine echte Lobeshymne loslassen: ja, Gen.Krauß sei im Frieden Kriegsschulkommandant gewesen, hätte bei Kriegsbeginn in Serbien die 29.Division und dann das kombinierte Korps mit großer Auszeichnung geführt, die öst-ung. Balkanarmee reorganisiert und den Großteil nach Galizien abgegeben; seiner Entschlußkraft wäre es zu danken gewesen, daß die Italiener gleich am Isonzo zum Stehen gebracht wurden. Darauf sagte Below: "Na wenn Sie ihn kennen, dann umso besser! Orientieren Sie sich jetzt einmal zwei Tage gründlich über alles. Glt.v.Krafft wird Anweisung geben, daß Ihnen alles ganz offen gesagt wird. Und dann fahren Sie zur Gruppe Krauß, schauen sich dort um, und berichten mir nachher!"
Wir verabschiedeten uns, und meine Position im Kommando war geklärt: Belows Auftrag an Krafft, mir alles ganz offen zu sagen, in meiner Gegenwart ausgesprochen, mußte von ihm und seinen Herren befolgt werden. Diese außergewöhnliche Stellung schuf in der Folge allerdings ein besonderes Verhältnis: ich wurde persönlicher Verbindungsoffizier Belows zu öst-ung. Verbänden, denen er über das Ausmaß der schriftlichen Befehle seinen persönlichen Einfluß aufdrücken wollte. Deshalb arbeitete ich nur wenig im Kommando mit dem Generalstab, sondern war fast dauernd bis an den Piave unterwegs, um Belows Wünsche bei den öst-ung. Kommandostellen mit dem von mir geforderten Nachdruck zur Geltung zu bringen. Da keine öst-ung. Instruktion für den Dienst von Verbindungsoffizieren bestand, ich auch von österreichischer Seite keinerlei Anweisung für meine Tätigkeit erhalten hatte, ich zudem alle von Below direkt oder in seinem Namen von Krafft erteilten Weisungen als im öst-ung. Interesse gelegen erkannte, führte ich diese nach bestem Können aus.
Die einzigartigen Erfolge Belows in Italien, die zum Niederbruch des italienischen Heeres führten und dessen kümmerliche in zweieinhalb Jahren im Karst erkämpften Terraingewinne in zwei Wochen wegwischten und die Italiener unter Verlust von 300.000 Gefangenen und fast allem Kriegsmaterial bis hinter den Piave, im wahrsten Sinne des Wortes, "jagten", sind im VI. Band des Werkes «Österreich Ungarns letzter Krieg» im Abschnitt "Herbstoffensive in Italien" mit allen zur Orientierung nötigen Karten so eingehend und lesenswert beschrieben, daß ich nachfolgend wie üblich meine persönlichen Erlebnisse schildern werde.
In den nächsten beiden Tagen, es mußte bereits der 20. und 21. Oktober gewesen sein, erhielt ich in der Operationsabteilung eine eingehende Orientierung. Dort traf ich wieder den mir vom Angriff über die Donau nach Serbien bekannten Artilleriechef, Gen.Behrendt, der mich über die bedeutenden Differenzen zwischen unseren Landkarten und den von den deutschen Fliegern gemachten Photos aufklärte. Viel schwere österreichische und deutsche Artillerie war in Stellung gebracht worden, deren Einschießen aus Überraschungsgründen nur sporadisch erfolgte. Die Schußdaten für die vielen neu eingesetzten Batterien wurden auf Grund jener schon seit Jahren im Angriffsraum tätigen öst-ung. Batterien und der Luftbildvermessung errechnet. Erstmalig sollte in diesem Krieg nach kurzem Gasbeschuß und ebenso kurzem Wirkungsbeschuß durch die Infanterie sofort gestürmt werden; dadurch sollten die Italiener, die an tagelanges Artillerieschießen vor Beginn der Infanterieangriffe gewöhnt waren, in ihren Stellungen überrumpelt werden. Diese Neuerung gefiel mir.
Dann lernte ich den mir bisher unbekannten öst-ung. Obstlt.Schäfer kennen, der den Etappendienst für die öst-ung. Divisionen zu leiten hatte; eine außerordentlich fähige und seriöse Persönlichkeit. Von ihm hatte ich für mich nur ein kleines, starkes Personenauto mit einem guten Fahrer sowie die nötigen Landkarten zu erbitten. Er teilte mir einen ganz eigenartigen schmalspurigen Rennwagen zu, der zwei hintereinander angeordnete Sitze hatte; vorn saß der Fahrer, dahinter ich. An diesen Wagen ließ ich das schwarzweißrote Quadrat des deutschen Armeekommandos und einen schwarz-gelben Wimpel anbringen. Mit diesem ausgezeichnet gelenkten, auf den schmalen Straßen wendigen, mit einem starken Motor ausgerüsteten Wagen durcheilte ich in den nächsten Wochen viele hundert, ja tausend Kilometer. Der Fahrer, ein junger draufgängerischer Ungar und im Zivilleben Rennfahrer, fuhr unermüdlich und sicher; mit staunenswertem Geschick verstand er, auf den stets mit Truppen und Fuhrwerken vollen, nur eine schmale Fahrtrinne freigebenden Straßen und, wo unbedingt nötig, auch abseits derselben durchzukommen und dabei die Truppen kaum zu belästigen. Das Wetter war trostlos: Regen, Regen und in den höheren Lagen Schneematsch. Der Wagen war offen; in ärgster Not konnte man lediglich ein Segelleinendach aufstellen. Der Fahrer trug einen festen Gummimantel, einen ähnlichen bekam ich von Schäfer.
Am 22.Oktober war ich bei GdI.Krauß in Kronau. Gleich mir war er erst kürzlich nach dem Westen gekommen und hatte mit drei öst-ungarischen und einer deutschen Jägerdivision das Becken von Flitsch zu durchstoßen. Der General empfing mich wohlwollend und orientierte mich persönlich über alles Wissenswerte: Er verfügte in der Edelweiß- und 22. Schützendivision über die besten österreichischen Alpentruppen und in der 55. über eine der in Bosnien formierten, hervorragend bewährten Gebirgsdivisionen. Krauß war froh, unter deutschem Befehl zu stehen, welches Gefühl ich durch die Beschreibung des Oberbefehlshabers zu stärken vermochte. Er erläuterte mir eingehend seine Angriffsdispositionen, bei denen er gegenüber dem in Österreich-Ungarn gelehrten und auch von Glt.v.Krafft geübten Vorführen der Truppen über die Höhenlinien die Hauptangriffe in den Talsenken zu führen befohlen hatte. Ich erfaßte diesen operativen Gedanken und ihre Vorteile sofort, weil ich in Kirlibaba zwei russische Vorstöße in den Talsenken um unsere dortige Dadul-Stellung herum am meisten gefürchtet hatte. Zudem war bei Krauß das deutsche Giftgaswerfer-Bataillon unter einem mir aus Makedonien bekannten Pioniermajor eingesetzt, das ein neues besonders rasch tödlich wirkendes Gas hier für seine spätere Anwendung in Frankreich erproben sollte. Die Zuversicht auf einen großen durchschlagenden Erfolg - wie er ja später auch tatsächlich erreicht wurde - erfüllte Krauß, auf seinen Stab und die Truppen mächtig ausstrahlend, so stark, daß mir das Herz im Leib lachte.
Am Abend konnte ich Gen.v.Below in allerbestem Sinne referieren. Trotzdem blieb dieser der Gruppe Krauß gegenüber immer etwas mißtrauisch. Die Ursache lag wohl darin, daß er Krauß nicht kannte, diese Gruppe infolge der Gestaltung des Gebirges selbständig, ohne den dauernden unmittelbaren Einfluß Belows zu operieren hatte und die Gruppe Krauß den Nordflügel seiner Armee bildete, von dem er ganz besondere Energie forderte.
Inzwischen hatte ich auch in Erfahrung gebracht, daß als Generalstabschef beim vorgesetzten KdoSWF GM.Konopicky tätig war; mir war er als Kommandant der 4.Gebirgsbrigade aus dem ersten serbischen Feldzug und als Generalstabschef unter Baron Kövess während des zweiten Krieges in Serbien bekannt. Wie ich feststellen konnte, informierte das AK Below das vorgesetzte KdoSWF gewissenhaft genau, so daß sich für mich Meldungen dorthin erübrigten.
Glt.Krafft hatte meine Berichterstattung an Below mitangehört und wiederholt zustimmend genickt. Nachher beschied er mich in sein Zimmer und gab mir dort den Angriffsbefehl der uns südlich benachbarten 2.Isonzo-Armee zu lesen, deren Nordflügel gleichzeitig mit uns angreifen sollte. Ich las den Befehl genau und stieß einen unbeabsichtigten Mißfallenslaut aus, als ich las, daß die Infanterie erst zehn Minuten, nachdem die Artillerie das Feuer von der feindlichen Front verlegt hatte, zum Angriff antreten sollte; das hatten wir schon vor drei Jahren im ersten serbischen Feldzug als falsch erkannt; die Infanterie hatte mit dem letzten Artillerieschuß in der feindlichen Stellung zu sein, damit die feindliche Infanterie nicht Zeit finde, ihre Maschinengewehre gegen die Angreifer in Stellung zu bringen. Darauf meinte Krafft, er brauche mir also nichts zu erklären; er sei nicht befugt, in fremde Armeebereiche dreinzureden; anderseits seien wir jedoch am Gelingen des Angriffes der 2.Isonzo-Armee als unserem unmittelbaren Nachbarn sehr interessiert. Er bäte mich, hinüberzufahren und eine Korrektur zu erreichen, wie es mir am besten schiene. Zudem erfuhr ich, daß angesichts der Aussichtslosigkeit einer Wetterbesserung der 24.Oktober als erster Angriffstag festgelegt worden war.
Eile war geboten. Dennoch verschob ich meine Fahrt nach Loitsch auf den frühen Morgen, weil die Straßen in der Nacht von den in ihre Angriffsräume vormarschierenden Truppen voll belegt waren.
Als Generalstabschef der erst küzlich errichteten 2.Isonzo-Armee fungierte der ebenfalls aus Ostgalizien herübergekommene Oberst Baron Salis-Samaden, den ich zuletzt in Stryi beim 3.Armeekommando getroffen hatte. Mit einem alten verehrten Generalstabsoffizier hoffte ich leicht zu sprechen. Salis, dem ich zunächst mitteilte, daß ich mich als Verbindungsoffizier bei der Nachbararmee vorstellen komme, empfing mich mit alter Herzlichkeit. Danach lenkte ich das Gespräch auf seine Angriffsdispositionen, die bei der 14.Armee großes Interesse gefunden habe; nur glaube man dort, daß es sich bei der 10-Minuten-Differenz zwischen der Vorverlegung des Artilleriefeuers und dem Sturm der Infanterie um einen Schreibfehler handle. Salis wurde zurückhaltend und erwiderte, daß dies kein Schreibfehler sei, sondern die Geschütze derart ausgewerkelt seien, daß man der Infanterie ein Hineinlaufen ins eigene Artilleriefeuer nicht zumuten könne. Zufällig trat auch der Artilleriechef der Armee, Obst.Paul, ein, den Salis sogleich über unser Gespräch informierte. Diesem erklärte ich, daß wir den Grundsatz, wonach die eigene Infanterie mit dem letzten eigenen Artillerieschuß in der feindlichen Stellung sein müsse, schon mit Richard Körner in Serbien beim Angriff auf die Jagodnja erarbeitet hatten und man lieber ein paar Verluste durch eigenes Artilleriefeuer in Kauf nahm, als daß die stürmende Infanterie von den feindlichen Maschinengewehren niedergemäht und dadurch der Angriff zum verlustreichen Mißerfolg werde. Nach einigem Hin- und Herreden sagte Salis zu, die Sache nochmals genau zu durchdenken. Mehr konnte ich nicht erreichen. Ich hütete mich zu sagen, daß mich eigentlich Glt.v.Krafft herübergesandt hatte; Salis wird nach dem großen Mißerfolg, den seine 3.Armee in Stanislau erlitten hatte, von deutscher Seite ein paar kräftige Äußerungen eingesteckt haben, die ihn jetzt besonders empfindlich machten; denn so herzlich er mich begrüßt hatte, so kühl und abweisend behandelte er mich nun wegen meines Vorhaltes, hinter dem er wahrscheinlich eine deutsche Initiative vermutete. Mit Rücksicht auf den früh festgesetzten Angriffsbeginn und die belasteten Straßen dankte ich für seine Einladung zum Mittagstisch, ließ mir vom Proviantoffizier nur je ein Stück Maisbrot und Käse für den Fahrer und mich geben und war noch vor Einbruch der Dunkelheit wieder in Krainburg. Ich bekannte Krafft unverhohlen meine Zweifel am Erfolg meiner Mission; er zuckte die Achseln und meinte zu wissen, daß unsere österreichischen Herren überempfindlich seien.
Tatsächlich mißlang am 24. der Angriff bei der 2.Isonzo Armee. Ihre Truppen kamen erst vorwärts, als jene der 14.Armee auf dem westlichen Isonzo-Ufer die Italiener schon im Rücken bedrohten.
Den spannungsreichen 23. verbrachte ich in der Operationsabteilung, um mir noch einmal alle Aufmarscheinzelheiten einzuprägen; weitere Entsendungen durch Below erwartend, wollte ich keine Einzeichnungen in meine Karten machen, um ja nichts zu verraten, etwa bei Gefangennahme. Es regnete unaufhörlich in Strömen. Die armen Truppen lagerten zum Großteil im Freien ohne Dach überm Kopf! Die Spannung wuchs mit jeder Stunde. Der Angriff mußte meiner Auffassung nach auf den ersten Anhieb durchschlagend gelingen oder er versteinerte zu einem hoffnungslosen Stellungskrieg, da der Regen in den hohen Bergen bereits als Schnee niederging. Der Isonzo und natürlich auch alle anderen Wasserlinien waren angeschwollen.
Krafft ließ noch an die betroffenen Divisionen die Nachricht durchgeben, daß der Offizier, der den als entscheidend für den Angriffserfolg beurteilten Matajur zuerst ersteige, den Orden Pour le Mérite erhalten werde. Sonst forderte Belows Angriffsbefehl ein ununterbrochenes durch Tag und Nacht fortgesetztes Vordringen der Truppen! Das war ein klassischer Befehl im Sinne des Prinzen Eugen v.Savoyen! In meinem geschwächten Gesundheitszustand fühlte ich jeden Nerv in mir zucken. Mein Fahrer mußte den Wagen genau durchsehen und volltanken, damit es ja keine Panne gebe. Diesmal konnte ich auch an den sonst so ruhigen deutschen Herren eine nervöse Spannung wahrnehmen. Die Telephone standen ununterbrochen in Benützung: es wurde fortwährend kontrolliert, ob alle Befehle klaglos durchgeführt wurden. Das Resultat war stets befriedigend. Von Kleinigkeiten abgesehen klappte alles wie am Schnürchen: Mjr.Sponer hatte prachtvolle Arbeit geleistet.
Bei den knappen Gesprächen in den Pausen versicherte ich den deutschen Herren immer wieder, von österreichischen Truppen wären hier Höchstleistungen zu erwarten, die bei der Gebirgsvertrautheit noch die deutschen Divisionen übertreffen würden. Willisen antwortete, wir würden dies in Udine mit italienischem Sekt feiern, wenn ich recht behielte; hier im Inland gebe es nur sauren Wein.
Um 2h früh begann unser Gasschießen und währte bis 4h. In Krainburg hörten wir ein ununterbrochenes Grollen der Artillerie, das langsam schwächer wurde. Bald kamen Meldungen, daß der Gasbeschuß gut wirken müsse, weil das anfangs sehr heftige Erwiderungsfeuer der italienischen Artillerie immer schwächer werde. Dann trat für zwei Stunden Ruhe ein. Um 6h begann das Höllenkonzert der tausenden von Geschützen aller Kaliber, in dem dann die Infanterie nächst Tolmein um 8h, jene bei Krauß um 9h bei Regen und Nebel zu stürmen begann.
Meldungen auf Meldungen trafen ein, die bis zum Abend das Bild eines Erfolges an der ganzen Armeefront erbrachten.
Schon am nächsten Morgen begann Gen.v.Below seine anfeuernde Tätigkeit mit einer Beweglichkeit, wie ich sie im Krieg noch nie erlebt hatte und die mich in helle Begeisterung versetzte. Seinen Stab mit Glt.Krafft ließ er wegen der Telephonverbindungen zunächst noch in Krainburg und bestieg morgens nach erfolgter Orientierung über die während der Nacht eingelangten Meldungen mit seinem Adjutanten das Auto und brauste los; mir hatte er noch tags zuvor befohlen, ihn zu begleiten, also fuhr mein kleiner Wagen hinter dem seinigen. Das Vorwärtskommen war nicht leicht, weil die Straßen teils mit vormarschierenden Divisionen belegt waren, die den Angriffstruppen unmittelbar zu folgen hatten, teilweise bereits mit zurückmarschierenden italienischen Gefangenen. Wir kamen bis Tolmein, wo der Oberbefehlshaber alle vorbeikommenden Kommandanten befragte, die Truppen besah und nach vorne wies. Das Wetter hatte sich gebessert; die Sonne lugte von Zeit zu Zeit hervor. Der Isonzo war noch mehr angeschwollen und österreichische Pioniere begannen, Brückengerät und Pontons bereitzulegen. Rund um uns, besonders auf den Höhen nördlich Tolmein, tobten überall noch Kämpfe, und wir hielten nicht nur im Artilleriebeschuß, sondern auch Infanteriegeschoße schwirrten um unsere Köpfe. Als wir uns zur Heimfahrt nach Krainburg wandten, hatten die Pioniere eine Brücke über den Isonzo fertiggebracht, die promt von den Truppen überschritten wurde.
Am folgenden Tag, den 26., fuhren wir wieder los. Das Wetter war schlecht. Der reißende Isonzo hatte die von den Pionieren am Vortag erbaute Brücke abgerissen und das Material abgetrieben. Artillerie und Trains, die den vordringenden Infanteriekräften folgen sollten, standen vor dem unüberschreitbarem Isonzo. Below befragte den leitenden Pionieroffizier, wann eine neue Brücke fertig sein werde. Der konnte natürlich keine präzise Antwort geben, wann das Hochwasser abgelaufen und neues Baumaterial da sein werde. Da gab mir Below den Befehl, in Tolmein zu bleiben und den Brückenbau mit aller Kraft vorwärtszutreiben. Er selbst fuhr südwärts über die Brücke bei Auzza den vorstürmenden Truppen nach.
Was sollte ich nun tun? Ich wußte, daß unsere hervorragenden Pioniere auch ohne besondere Antreibung das Menschenmögliche tun würden. Nach einiger Überlegung begann ich, mit den beiden Pionierkommandanten (denn bei Tolmein war der Bau von zwei Brücken vorgesehen) zu reden und zu fragen, wie ich helfen könnte den Brückenneubau zu beschleunigen. Wir kamen überein, daß man den Ablauf des Hochwassers abwarten müsse, was ja bei den italienischen Torrenten meist ebenso rasch erfolgt wie ihr reißender Anstieg. Die Zeit bis dahin müsse zur Materialheranschaffung genützt werden, wofür es zwei Möglichkeiten gab: erstens das abgeschwemmte, aber von den Pioniersicherungen bei der Auzza-Brücke geborgene Material heranzuführen und zweitens das in den Marschkolonnen weiter hinten eingeteilte, aber meist unbespannte Material mit Autos vorzuholen.
So suchte ich zuerst Mjr.Sponer telephonisch zu erreichen. Nach Schilderung der Lage und dem Auftrag des Oberbefehlshabers versprach dieser, das Möglichste zu tun, und schaffte mir tatsächlich bis zum Abend österreichisches Brückengerät mit deutschen Autos heran. Nach dem Gespräch mit Sponer fuhr ich südwärts nach Auzza, wo ich viel Brückenmaterial an beiden Isonzo-Ufern geborgen sah. Wer aber sollte das nach Tolmein schaffen, wo doch alles über den Isonzo vorwärts hastete? Während ich recht ratlos überlegte, sah ich einen österreichischen General zu Fuß herankommen; bei näherem Hinsehen erkannte ich Gen.Kaiser, der in Friedenszeiten Kommandant der 10.Gebirgsbrigade in Sarajevo gewesen war. Ich meldete mich bei ihm; er begrüßte mich kameradschaftlich. Ich erfuhr, daß er nun Kommandant des II.öst.Korps sei und erst kürzlich aus dem Osten herübergekommen war, um den Befehl über drei in Reseve folgende Divisionen der 2.Isonzo Armee zu führen. Diese Divisionen könnten erst folgen, wenn die jetzt von anderen benützte Auzza-Brücke leer würde. Da meldete ich ihm die Situation bei Tolmein und meinen Auftrag, worauf ich ihn bat, mir mit Pionieren und Bespannungen seiner Divisionen das vor uns liegende gestapelte Material nach Tolmein zu schaffen. Der kluge General war dazu bereit, und bis zum Abend war eine beträchtliche Menge des vom Hochwasser abgetriebenen Materials nach Tolmein geschafft. Dort hatten inzwischen unsere hervorragenden Pioniere alles Holz, das im zerschossenen Tolmein und in der Nähe zum Brückenbau geeignet war, gesammelt. Das Wasser war soweit gefallen, daß die Pioniere mit dem Bau einer neuen Brücke beginnen konnten und mit dem von Mjr.Sponer herandisponierten Gerät bis zum Morgengrauen auch die zweite Brücke zustandegebracht hatten.
In den späten Nachmittagstunden waren viele hohe Persönlichkeiten des mir aus der Sarajevoer Zeit so lieben XV.Korps vorbeigekommen; ich sprach mit Generalstabschef Obst.v.Pohl, dem Kommandanten der 50.Division GM.Gerabek, traf mit Hptm.Beran zusammen, der beim Prinzen Schwarzenberg geblieben war, welcher nun die 55.Division kommandierte. Alle waren von Kampffreude und rastlosem Drang nach vorn erfüllt.
Dann fuhr ich nach Krainburg, wo ich noch rechtzeitig ankam, um Below beim Morgenrapport den fertiggestellten Bau beider Isonzo-Brücken zu melden, über die nun Artillerie und Trains westwärts marschierten. Er nickte befriedigt und fragte, ob ich gleich wieder mitkommen könne. Gottlob dauerte es diesmal noch eine Weile, bis der Oberbefehlshaber reisefertig war. Ich nützte die Zeit, um Sponer zu danken und mich über die letzten Meldungen zu informieren. Willisen kam auf mich zu und sagte strahlend, daß ich rechtgehabt hätte. Die öst-ung.Divisionen leisteten Großartiges, mehr als ihnen befohlen sei! Inzwischen hatten die Kameraden in der Operationsabteilung an meine Übernächtigkeit gedacht und mir heißen Kaffee und einen kräftigen Imbiß kommen lassen; auf meine Frage nach dem Chauffeur hieß es: "Keine Sorge, lieber Freund, den hat Sponer schon betreut!"
Below und ich fuhren ein weiteres Mal im gewohnten Konvoi los. In Tolmein ließ er wieder halten, belobte die Pioniere und besah die hinübersetzenden Truppen. Dann fuhren wir weiter nach Cividale. Dort erhielten wir die traurige Nachricht, daß der über seine vorderste Infanteriespitze vorgefahrene Kommandeur des 51.Deutschen Korps, Gen.Berrer, von Italienern in seinem Wagen erschossen worden war. Below bestellte gleich den Kommandeur der württembergischen 26.Division, Glt.v.Hofacker zum neuen Korpskommandanten.
Jetzt war klar: in 4 Tagen hatten wir alle Stellungen der italienischen 2.Armee glatt durchstoßen, wodurch die gesamte italienische Front ins Wanken geriet. Below erwog zum erstenmal die Möglichkeit, einen Teil seiner Division nach Süden einschwenken zu lassen, um der italienischen 3.Armee den Rückzug vom Isonzo zum Tagliamento abzuschneiden, was zu Kollisionen mit den nun auch vordrängenden Truppen der 2.Isonzo-Armee führen mußte. Wir fuhren kreuz und quer von einer Division zur anderen, und überall trieb Below mit machtvollen Worten nach vorne, um den Italienern an den Fersen zu bleiben.
Bei der Heimkehr fanden wir Glt.v.Krafft verärgert vor. Mit dem Heeresgruppenkommando Boroevic und dem weit hinten in Marburg verbliebenen KdoSWF war es zu Auseinandersetzungen wegen der Gefechtsstreifen zwischen der von Below geführten 14.Armee und der Boroevic unterstehenden 2.Isonzo-Armee gekommen. Erzh.Eugen hatte wohl den Wünschen Belows stattgegeben, doch blieb eine Verstimmung, weil der Anschein entstand, daß man die 14.Armee, die den Durchbruchsieg mit deutschen und öst-ung. Truppen in einem kaum für möglich gehaltenen Elan erfochten hatte, nun in der Ausnützung des Erfolges aus kleinlichen Prestigegründen hemmen wollte. Unter Aufbietung meiner ganzen Redekunst versuchte ich zu überzeugen, daß dem bestimmt nicht so sei, vielmehr die weitab gebliebenen österreichischen hohen Kommandos die sich stundenweise ändernde Lage einfach nicht zu übersehen vermochten. Beim erregbaren Krafft blieb eine Gereiztheit zurück.
Von der uns unterstellten Gruppe Krauß fehlten die erwarteten Detailmeldungen, die bei den Schwierigkeiten, die das zum Teil Hochgebirgscharakter tragende Gelände, welches die Krauß'schen Divisionen zu überwinden hatten, begreiflich waren. Stets wiederholte ich, man möge Vertrauen zu Krauß haben; dessen glänzende Alpentruppen würden das Menschenmögliche vollbringen, das Nachbauen der Telephonleitungen sei im Gebirge bei dem elenden Wetter eben schwierig. Below brummte jedoch, er wolle Krauß mindest einen Tagesmarsch vor seiner sonstigen Armeefront haben, damit er die Tagliamento-Übergänge für die Armee öffne.
Bei der morgendlichen Lagebesprechung am nächsten Tag, dem 28. oder 29., herrschte über die genaue Lage der Gruppe Krauß immer noch kein klares Bild. Below erteilte mir den Befehl, zu Krauß zu fahren, die genaue Lage seiner Kräfte festzustellen und ihn zu rastloser Verfolgung bei Tag und bei Nacht namens des Oberbefehlshabers zu verhalten. Das Kommando Below werde sich nach Cividale vorverlegen; ich möge es bei meiner Rückkehr dort suchen. Das war ein prächtiger Auftrag für einen Generalstabsoffizier! Nur hatte ich keine Ahnung, wo Gen.Krauß zu finden war. Gewiß war er von Kronau seinem Korps nachgeeilt. Nach Kronau zu fahren und sich von dort nach vorn durchzufragen, erschien mir angesichts der vollgestopften Straßen zu langsam. So entschloß ich mich, gleich über Cividale nach Udine und von dort nordwärts nach Gemona zu fahren, in der Hoffnung, daß ich diese Straße schon freigekämpft finden und durchkommen werde.
Bis Udine ging es mehr oder weniger glatt. An der ganzen Straße dahin lagen zu Tausenden voll bewaffnete Italiener. Unsere in der Verfolgung rastlos vordrängenden deutschen und öst-ungarischen Truppen ließen sich keine Zeit, die sich massenhaft ergebenden Italiener zu entwaffnen. Man wies sie einfach nach hinten und sie marschierten frohgemut und singend in die Gefangenschaft; ja, ich wurde während meiner Fahrt öfter mit Rufen "Eviva Germania, eviva Austria, abasso la guerra!" akklamiert. Es wäre ihnen ein Leichtes gewesen, einzelne fahrende Offiziere abzuschießen und mir war bei dem Gedanken an den gefallenen General Berrer nicht immer wohl, hatte ich doch bloß eine Pistole am Leib und einen Karabiner im Auto. Die Italiener waren allerdings Ehrenmänner. Berrer hatten sie noch im Kampf erschossen. Als Gefangene waren sie harmlose, ja sogar hilfsbereite, freundliche Menschen. Alle sahen gut genährt und gekleidet aus - welch ein Unterschied zu unseren hungrigen, schlecht angezogenen öst-ung. Soldaten!
In Udine sah es wüst aus. Die Einwohner waren geflohen und die erobernden Regimenter der deutschen Divisionen brachen die Läden und Haustore einfach auf und nahmen sich, was sie brauchten und leider auch was sie nicht brauchten! Tote lagen auf den Straßen, niemand fand Zeit, sie zu bestatten. Auch ich nahm aus einem Delikatessenladen Brot, Wurst und Käse ins Auto, wozu mir italienische Soldaten noch zwei Flaschen Chianti zusteckten und lachend und freundlich riefen: "Eviva Austria, la guerra finita!" Ja, finita war die guerra für sie. Wir hatten noch lange weiter zu kämpfen, uns gab man keinen Frieden!
Von Udine nordwärts gegen Gemona fuhren wir vorsichtiger, da wurde zum Teil noch gekämpft, aber nach Einbruch der Dunkelheit erreichte ich den Ort. Wie froh war ich, dort ein Bataillon Kaiserschützen der 22.Division zu finden. Ich weiß nicht mehr den Namen des Hauptmannes, der es kommandierte. Wir tauschten unser Wissen aus. Ich erfuhr, daß die Edelweiß-Division unter GM.v.Wieden nach Tolmezzo dirigiert sei. Und nördlich Gemona bei Venzone hörte man schießen. Also mußte diese hervorragende Division übers hohe Gebirge hinweg schon das obere Tagliamento-Tal erreicht haben. Großartig! Wo Krauß sei, war unbekannt; aber den Kommandanten der 22.Division müsse ich südlich Gemona, etwa in Tarcento, suchen. Das Kaiserschützenbataillon hielt in Gemona Rast und wollte bei Morgengrauen über den Tagliamento. Das war gut; ich konnte den Kommandanten in seiner Absicht nur bestärken. Ein Suchen in der Nacht war sinnlos, und wir übernachteten bei den Kaiserschützen.
Im Morgengrauen fuhr ich nach Tarcento, wo ich das unglaubliche Glück hatte, den Kommandanten der 22.Division, GM.Müller, meinen ehemaligen Lehrer in Befestigung an der Kriegsschule, zu treffen. Meldung, herzliche Begrüßung, Austausch der Lagemeldungen und weiteren Absichten; ich erfuhr, Gen.Krauß werde heute in Nimis südlich Tarcento erwartet. Dort fand ich ihn tatsächlich und konnte ihm den Auftrag Belows vermitteln. Bester Laune zeigte mir Krauß auf der Lagekarte alle Einzelheiten seines Korps. Die Leistungen der Truppen waren größer als man gefordert hatte. Ehrlicher überzeugt sagte ich, er habe mit seinem Korps eine richtige Theresien-Orden-würdige Leistung vollbracht; Krauß lächelte und meinte, daß seine Divisionäre wirklich ordenswürdig wären; nur über die deutsche Jägerdivision klagte er, er hätte sie mit Absicht beim großen Durchbruchsangriff als Reserve bestimmt, um die große, sieghafte Tat allein durch österreichische Divisionen (Edelweiß-, 22., und 55.) vollbringen zu lassen; die geschont nachmarschierenden deutschen Jäger hätten jedoch alle von den österreichischen Verbänden eroberten Geschütze, Autos usw. mit weißer Lackfarbe als "deutsche Beute" bezeichnet. Das habe er nicht erwartet und darum jetzt die Jägerdivision nach vorne gezogen und in die Angriffs-, richtiger Verfolgungsfront eingeteilt. Über die von mir überbrachte Anfeuerung Belows war Krauß keineswegs ungehalten, im Gegenteil: er sagte, das sei eine glänzende Armeeführung, welche eben nur die Deutschen zuwege brächten.
Während ich noch mit Gen.Krauß sprach, brachte sein Generalstabschef, Obst.Primavesi, die Nachricht, daß die Italiener südlich Gemona am Ostufer des Tagliamento noch eine Brückenkopf-ähnliche Stellung besetzt hielten. Die 22.Division bereite den Angriff vor, habe jedoch zu wenig Artillerie. Darauf eilte Krauß mit seinem Artilleriechef, dem berühmten Richtkreiskonstrukteur Obst.Baumann, nach vorn und befahl, in gleicher Weise wie es v.Below übte, auf dem Schlachtfeld ungeachtet des italienischen Geschoßhagels den Einsatz der näher herankommenden Artillerie der 55.Division.
Nachdem ich Gen.Krauß begleitet hatte und als gegen Mittag sicher sein konnte, daß die Italiener hier rasch geworfen sein würden und er scharf über den Tagliamento nachdrängen werde, meldete ich mich ab. Ich wollte über Udine nach Cividale; aber ich brauchte gar nicht nach Cividale zu fahren: Below hatte mit dem engsten Stab in denselben Räumen, in denen drei Tage vorher noch der italienische General Cadorna amtiert hatte, sein Hauptquartier aufgeschlagen. Below saß mit Mjr.v.Hatten an einem weißgedeckten Tisch und wurde - ich traute meinen Augen kaum - von italienischen Soldaten bedient. "Kommen Sie, Herr von Jansa, lassen Sie sich's gutsein, und erzählen Sie." Ich meldete von der Gruppe Krauß, alles was ich erfahren hatte, und er war sehr zufrieden. Kaum hatte ich meinen Vortrag beendet, als die italienischen Ordonnanzen schon ein Gedeck für mich brachten, mir pasta asciutta und ein riesiges Beafsteak servierten. Da lachte Below wohlwollend und meinte: "Diese Ordonnanzen behalten wir; die wissen wenigstens, wo alle guten Sachen sind!" Ich aß mit großem Appetit. Danach sagte Below zu mir: "Lassen Sie sich oben ein Zimmer anweisen und schlafen Sie sich einmal gründlich aus! Sie haben das nötig." Das Gebäude war das größte Hotel Udines. Nachdem ich meinen Chauffeur versorgt hatte, legte ich mich in dem mir von einer italienischen Ordonnanz geöffneten eleganten Zimmer in ein prachtvoll breites Bett und schlief tief bis zum nächsten Morgen. So eine erhabene Befriedigung über die geleistete Pflicht innerhalb grandioser militärischer Erfolge habe ich in meinem Leben nie wieder erlebt. Die Generäle Krauß und Below waren mir militärische Lichtgestalten, die mich noch im Traum erfüllten. Umso zufriedener durfte ich ruhen, als es unseren braven Truppen ebenfalls gutging. Wenigstens in den ersten Wochen war uns das eroberte italienische Land mit seinen reichen militärischen Vorräten, die von den rasch flüchtenden Italienern nicht durchwegs vernichtet werden konnten wie das Paradies: seit Jahren ungesehene Delikatessen aller Art, köstliche Weine, aber auch Wäsche und Uniformen bester Qualität, waren in Überfluß da! Bescheiden wie wir Österreicher waren nahm ich lediglich ein paar Stück Wäsche und eine feldgraue Bluse, auf die mir ein italienischer Soldat, der im Zivilberuf Schneider war, meine Majorsdistinktion tadellos aufnähte. Die Bluse hatte ich sehr nötig gehabt: meine war bereits ganz dünn gewesen und überdies völlig durchnässt worden.
In den folgenden Tagen hatte ich Gen.v.Below nur auf kurzen Stichfahrten zu begleiten, die er von Udine aus nach allen Seiten zu den Truppen unternahm. In dieser Zeit beschäftigte ihn intensiv der Wille, mit dem Nordflügel über den Tagliamento weit nach Westen zu kommen und dann auf beiden Ufern nach Süden zu stoßen, um auch die 3.italien.Armee zu zerschlagen. Überdies verlangte er, daß FM Conrad jetzt aus Tirol, beiderseits der Brenta, in den Rücken der Italiener stoßen solle, um sie ganz zu vernichten.
Dieser starke Wille Gen.v.Belows kollidierte mit den Vormarschkolonnen unserer 2.Isonzo-Armee unter FM Boroevic. Der am Nordflügel der 2.Isonzo-Armee kommandierende Gen.Kaiser war nach Udine geeilt, wo er mich aufsuchte. Nach Orientierung über die Lage war er großzügig genug, seine Division einen Tag lang anzuhalten. Boroevic hingegen befahl von weit hinten, daß alle deutschen Divisionen, die in seinen Heeresbereich nach Süden eingeschwenkt waren unter seinen unmittelbaren Befehl zu treten hätten, was Below rundweg ablehnte. Das zur endlichen Regelung angerufene Höchst-KdoSWF unter Erzh.Eugen saß noch 250 km hinten in Marburg und kam daher wie bereits erwähnt mit seinen Befehlen immer zu spät.
Allmählich stellte sich heraus, daß die 3.italienische Armee unter Zurücklassung aller Geschütze und unermeßlichen Materials in raschem Rückzug über den Tagliamento entkommen war, weil sie von der 1.Isonzo-Armee nicht stark genug festgehalten worden war. Darauf schwenkte unsere 14.Armee mit ihren Divisionen wieder nach Westen. Aber die Italiener hatten alle Tagliamento-Brücken gesprengt, der Fluß selbst führte Hochwasser und das erforderliche Kriegsbrückengerät war bei dem hastenden Vormarsch zu weit abgeblieben. Darum erschien es Below nötig, daß sein Nordflügel, die Gruppe Krauß, mit Vehemenz vorgehe und den Italienern, die den Tagliamento vor der Armeemitte verteidigten, in den Rücken komme. So erhielt ich am 4.November spätabends den Auftrag, Gen.Krauß noch einmal vorzutreiben. Zwar war ich überzeugt, daß die Divisionen des Generals einer Antreibung nicht bedürften, doch da der Befehl an mich erteilt war, orientierte ich mich gründlich über alle Einzelheiten der 14.Armee, ließ meinen Rennwagen bereitmachen und fuhr von Udine nach Nordwesten los. Das Wetter hatte sich endlich zum Guten gewandelt. Der Himmel war sternklar und auch der Mond mag zeitweise hervorgelugt haben. Ohne Zwischenfall trafen wir in Fagagna ein, wo sich das Korpskommando Krauß etabliert hatte.
Auch in seinem Bereich hatten die Italiener die Brücken über den Tagliamento gesprengt. Aber bei Cornino war die Sprengung nicht voll gelungen; in der Nacht zum 4. turnten sich an der in den Tagliamento hängenden Eisenkonstruktion der Eisenbahnbrücke Soldaten der 55.Division uzw. Bosniaken unter Hptm.Redl einzeln hinüber. Im Stab Krauß war ich jetzt gut bekannt. Ich beschloß, die Ausweitung des nächtlichen Überganges stärkerer Kräfte bei Cornino abzuwarten und erbat inzwischen genaue Aufklärung. Die Edelweiß-Division war schon nach Tolmezzo im obersten Tagliamento-Tal gelangt, vor ihr die 94.Division der 10.Armee sogar schon bis Ampezzo; in den Kampf um den Übergang bei Cornino (Stazzione per la Carnia) hatte auch schon die 12. deutsche Division eingegriffen; dem Korps Krauß war es gelungen, die zu lange im Gebirge verbliebenen italienischen Divisionen 36 und 63 des XII.italien.Korps mit allen Waffen und noch unübersehbarem Material gefangenzunehmen. Die Stimmung im Korps war euphorisch und erreichte am 5. morgens, als auch der Übergang über den Tagliamento sicher gelungen war, einen Höhepunkt. Die Verfolgung wurde sofort über den Fluß hinüber fortgesetzt.
Mit diesen frohen Nachrichten kehrte ich zu Below zurück, wo mich Glt.v.Krafft abfing, dem ich rasch berichtete. Er sagte mir darauf, daß Kaiser Karl mit Generaloberst Arz eingetroffen sei und momentan bei Below weile. "General von Below hat Sie bei ihrem Monarchen sehr gelobt!" Der Kaiser wolle von Udine zu Krauß, und da ich eben von Krauß käme, wäre ich der beste Führer des Kaisers dahin. Kaum war das gesagt, öffnete sich die Tür von Belows Zimmer und Kaiser Karl trat heraus.
In seiner Plötzlichkeit machte dies einen mächtigen Eindruck auf mich, meinen jugendlichen Kaiser unmittelbar vor mir zu sehen; ich hatte nicht einmal Zeit gehabt meine Adjustierung ein bißchen zurechtzuzupfen. Glt.v.Krafft sagte: "Majestät, hier ist Major von Jansa; er kommt gerade vom Korps Krauß." Ich meldete mich bei Seiner Majestät vorschriftsmäßig; hinter ihm standen der Chef unseres Generalstabes, Baron Arz, und GM.Lobkowitz. Der Kaiser reichte mir die Hand mit den Worten "Sie steigen dann zu mir ins Auto! Der dicke Lobkowitz wird ein bissl zusammenrücken müssen! - Aber jetzt muß ich noch zu Glt.v.Krafft." Schon nach 2-3 Minuten kam der Kaiser aus Kraffts Zimmer, von diesem nicht mehr begleitet.
Während dieser Minuten konnte ich mich Baron Arz und Prinz Lobkowitz vorstellen. Wir stiegen wortlos in den Hof ab, wo das kaiserliche Auto wartete: ein offener sechssitziger Wagen. Ich bedeutete meinem Chauffeur, daß er uns folgen solle. An der Rückwand des Autos nahmen der Kaiser und links von ihm Baron Arz Platz. Vorne saß rechts der Chauffeur und links von ihm irgendein Aristokrat des freiwilligen Automobilkorps, dem der Wagen gehörte. Auf den linken aufklappbaren Hilfssitz im inneren Wagen stieg beschwerlich der beleibte Prinz Lobkowitz und rechts von ihm, also unmittelbar vor dem Kaiser und ihm den Rücken zeigend, kam ich zu sitzen. Ich wies dem Fahrer gleich nach Verlassen des Hotelhofes den Weg durch Udine und dann auf die gerade Straße nach Fagagna. Die Ausfahrt aus Udine stimmte mit der Einzeichnung in unserer Karte, die der Kaiser in der Hand hatte, nicht überein, und er machte mich darauf aufmerksam; ich konnte lediglich erwidern, daß die Italiener die Straße anscheinend begradigt hatten und unsere Karte veraltet sei. Wir kamen nur allmählich vorwärts, weil die Straße von den Regimentern der 200.deutschen Infanteriedivision zu ihrer Nordwestverschiebung an den Tagliamento benützt wurde. An den Marschkolonnen konnte das Auto, wegen der nicht gerade mustergültigen Marschdisziplin, oft nur schwer vorbeifahren.
Nach rund einer halben Stunde erreichten wir Fagagna, wo der telephonisch benachrichtigte Korpsstab am Straßenbankett vorm Gebäude, das als Büro diente, aufgestellt, Seine Majestät erwartete: der Korpskommandant, hinter ihm in einem Glied der Generalstabschef, Artilleriechef und einige sonstige Offiziere. Das Auto hielt, der Kaiser stieg aus und trat auf Gen.Krauß zu, dem er die Hand reichte; den Offizieren des Stabes nickte er salutierend zu. Krauß erörterte dem Kaiser die Lage und hob den gelungenen Übergang über den Tagliamento und die frische Gefangennahme von zwei italienischen Divisionen hervor. Was der Kaiser darauf zu Krauß sagte, konnte ich nicht verstehen; das Geräusch vorbeimarschierender deutscher Regimenter verschlang die Worte.
Doch sah ich Lobkowitz dem Kaiser ein rotes Etui reichen, dem dieser eine große Medaille entnahm und Gen.Krauß an die Brust heftete; es war die von Kaiser Karl neu gestiftete "besondere allerhöchste Anerkennung". Krauß erbleichte sichtlich; die Auszeichnung war neu gestiftet und hatte in der Armee noch kein Ansehen; der von Krauß nach allen seinen hohen Verdiensten gewiß verdiente und wohl auch erwartete Theresien-Orden war hingegen ausgeblieben. Nach den Ordens-Statuten war zwar das eingesetzte Ordenskapitel für Verleihungen zuständig, der Kaiser freilich, der sich gleich nach seinem Regierungsantritt über viele militärische Bestimmungen glatt hinweggesetzt hatte, hätte auch hier eine eigenwillige Tat setzen können, und die wäre von der Armee verstanden worden. Die Herbstoffensive in Italien war für die weitere Widerstandskraft der Monarchie von entscheidender Bedeutung: eine zwölfte Isonzo-Schlacht in der Abwehr hätte, der übereinstimmenden Beurteilung aller hohen Kommandostellen nach, nicht mehr erfolgreich geschlagen werden können; deshalb war ja auch die deutsche Hilfe erbeten worden. Das der Offensive von öst-ung. Seite anfangs gesteckte Ziel war bloß die Wiedergewinnung des Isonzo Tales und der Jeza-Höhe gegenüber Tolmein - jetzt stand man am Tagliamento und drängte noch weiter über diesen Fluß nach Westen vor! Das war ein weit größerer Erfolg, als ihn der ursprüngliche Befehl verlangt hatte, also eine den Bedingungen für die Verleihung des Militär-Maria-Theresien-Ordens voll entsprechende Tat, deren Verdienst sich Below, Krafft und Krauß teilten. Ich wußte nicht, daß Kaiser Karl bei seinen Frontbesuchen spontan Orden verleihen würde, aber wenn schon, dann hätte ich für Below das Kommandeurkreuz, für Krauß und Krafft je das Ritterkreuz des Maria-Theresien-Ordens umsomehr erwartet, als ja Kaiser Franz Joseph 1914 den deutschen General v.Moltke für die verlorene Marne-Schlacht mit dem Kommandeurkreuz dieses Ordens auch spontan ausgezeichnet hatte. Der großartige General Krauß war schwer gekränkt worden.
Zurück im kaiserlichen Auto sagte ich zu Lobkowitz, der links von mir saß, "Durchlaucht, haben Sie General Krauß erbleichen gesehen? Der General hat sicher das Theresienkreuz erwartet!" Lobkowitz erwiderte heftig: "Ja, das ist jetzt ganz anders. Die bisherige Ordensschenkerei hat aufgehört. Auch für die Deutschen!" Ob der Kaiser gehört hatte, was wir da im Auto gesprochen hatten, weiß ich nicht. Lobkowitz hatte mir jedenfalls sehr laut geantwortet.
In Udine sagte Baron Arz zum Kaiser: "Majestät, jetzt lassen wir Major von Jansa wieder aussteigen!" Das Auto hielt, ich stieg aus, stellte mich stramm auf die Seite des Kaisers und salutierte. Da griff der Kaiser in seine Brusttasche und gab mir einen Brief mit den Worten: "Den Brief der Kaiserin bestellen Sie bitte!" Dann reichte er mir flüchtig die Hand, und der Wagen entschwand. Adressiert war der Brief an den Prinzen Elias v.Parma, der als Generalstabschef bei einer öst-ung.Division eingeteilt war, die ich erst feststellen mußte.
Ich schritt die Hoteltreppe hinauf, um noch v.Below über das Ergebnis meiner nächtlichen Orientierung beim Korps Krauß zu berichten. Als ich an der Tür von Glt.v.Krafft vorbeikam, trat dieser zufällig heraus, um sich anscheinend auch zu Below zu begeben. Als er mich sah, öffnete er wieder die Tür in sein Zimmer und bat mich einzutreten. In seinem Zimmer sagte er mir, sehr erregt, ungefähr, daß er mich um eine Intervention bitten müsse: Seine Majestät habe ihm das Militärverdienstkreuz II.Klasse verliehen, was offenbar ein Irrtum sei: da er bereits den Orden der Eisernen Krone I.Klasse in diesem Krieg erhalten habe, könne er doch jetzt nicht eine derart geringe Auszeichnung erhalten! Nach dem bei Krauß Erlebten war dies leider wohl kein Irrtum gewesen. Ich versprach, gleich der Geschichte nachzugehen, sobald ich Below referiert hätte.
Darauf gingen wir gemeinsam zum Oberbefehlshaber. Ich erzählte meine Feststellungen beim Korps Krauß und dessen Absichten bezüglich des Vormarsches über den Tagliamento zur Livenza. Darüber war Gen.v.Below erfreut und meinte, ich erfülle seine Wünsche stets sehr gut; das habe er auch meinem Kaiser gesagt. Dann sagte v.Below, Seine Majestät habe ihm das Großkreuz des Leopold-Ordens mit Kriegsdekoration und Schwertern verliehen. "Das ist eine hohe Auszeichnung." meinte er und fügte lachend hinzu: "Bekommen werde ich den Orden natürlich erst nach vielen Monaten, bis die Ordenskanzlei alle Schreibereien gemacht haben wird." Als ich gratulierte und die Meinung äußerte, daß angesichts seiner hohen Stellung der Orden bald kommen dürfte, lachte er abschließend: "Nein, nein, ich weiß, bei Euch dauern Ordenssachen sehr lange!" Tatsächlich war sein Orden, solange er in Italien weilte, nicht eingetroffen. Wenigstens war dieser wunderbare Mann zufrieden.
Als ich vors Hotel trat, sah ich das kaiserliche Auto. Anscheinend hatte sich der Wagen verfahren; Generaloberst Arz rief mir nämlich zu: "Wo geht's da heraus nach St.Vito?" Ich sprang hinaus und zeigte das kleine schmale Gäßchen, das man durchfahren mußte, um die Landstraße zu gewinnen, und nahm die Gelegenheit beim Schopf, um zu fragen, ob die Verleihung des Verdienstkreuzes II.Klasse an Glt.v.Krafft nicht ein Irrtum sei, was dieser glaube. Der Kaiser erwiderte freundlich lächelnd: "Nein, nein, die deutschen Herren dekoriere ich nicht höher als unsere Generale!" Ich salutierte, und bald war das Auto meinen Augen entschwunden.
Ja, dachte ich, wie soll ich das nun Krafft beibringen? Dann glaubte ich, daß es keinen Sinn habe das hinauszuzögern; ich hatte ja den Orden nicht beantragt. So ging ich zu Krafft und meldete ihm, daß ich zufällig nochmals Seiner Majestät dem Kaiser und König begegnet wäre und was Seine Majestät mir direkt geantwortet habe. Krafft stieg das Blut in den Kopf, er bekam an der Schläfe eine dicke Ader und brummte etwas wie eine Überlegung, ob er den Orden annehmen könne. Ich hielt es fürs Klügste, nichts zu erwidern und nur zu fragen, ob ich den Nachmittag für die mir vom Kaiser aufgetragene Briefbestellung freinehmen könne, was er bejahte. Nach einigen Telephonanfragen wußte ich, wo Prinz Elias zu finden war, und übergab ihm den Brief der Kaiserin gegen Bestätigung.
Zwischen dem Kaiser, Arz und Below schienen die vielen Reibungen mit Boroevic und dem KdoSWF zur Sprache gekommen zu sein. Arz schien keinen voll befriedigenden Ausgleich angebahnt zu haben. Jedenfalls stand fest, daß die Offensive fortgesetzt würde. Vom KdoSWF kam sogar auf einmal ein Befehl, der uns bis an die Brenta wies. Das war wieder zu viel des Guten, weil es mit dem Nachschub von Munition und Brückengerät noch nicht klappte; die Wiederherstellung der Eisenbahnen, deren Brücken die Italiener gesprengt hatten, konnte mit dem Vorwärtsstürmen unserer Truppen nicht Schritt halten.
Da ließ mich Glt.v.Krafft am 7.11. abends zu sich bitten: "Wir müssen Ihre Fähigkeiten in einer delikaten Sache wieder in Anspruch nehmen. Wir können doch nicht gegen jeden Befehl des Erzherzogs Eugen remonstrieren; aber alle von ihm kommenden Aufträge tragen den rasch wechselnden Verhältnissen nicht Rechnung und geben zu dauernden Reibereien mit unseren Nachbarn Anlaß; das Kommando der Südwestfront ist einfach zu weit hinten. Versuchen Sie bitte, das Kommando mit dem Erzherzog nach vorne, etwa her nach Udine zu bringen. Wir würden für Quartiere und Verpflegung alle nötigen Vorsorgen treffen. Wollen Sie sich dieser Aufgabe widmen?" Mir war die Schamröte in die Wangen gestiegen; mußte da wiedereinmal erst ein Impuls von deutscher Seite eine selbstverständliche Führungspflicht in Schwung bringen? Krafft hatte mein Rotwerden offenbar bemerkt und meinte, daß es ein für mich gewiß peinliches Ansinnen von Below und ihm sei, aber die Kriegslage erfordere es. Ich machte eine knappe Verbeugung mit der Versicherung, daß ich mein Bestes zu leisten versuchen werde.
Daß ich mich dadurch beim Erzherzog nicht beliebt machen würde, war mir ebenso klar, wie der Umstand, daß Belows Lob meiner Person gegenüber Seiner Majestät dem Kaiser und König meiner Geltung beim Monarchen nicht dienlich gewesen war, denn jetzt galt anscheinend schon ein vernünftig gutes Auskommen mit den Deutschen als schlechtes Österreichertum. - Krafft hatte vollkommen recht. Ich durfte mich seinem vernünftigen Verlangen nicht versagen; es wäre Feigheit vor den eigenen Vorgesetzten gewesen! Hatte ich doch von Potioreks Unbeweglichkeit in Erinnerung, daß sie eine gewichtige Ursache unserer Niederlage in Serbien war! So suchte ich meinen Chauffeur auf, um ihm zu sagen, daß wir am nächsten Morgen so früh als möglich fahren mußten.
Trotz der starken Beanspruchung aller Straßen durch Truppen und Nachschubtrains gelang es meinem ausgezeichneten Fahrer am 8.November knapp vor Mittag Marburg zu erreichen. Während der spätherbstlich schönen Fahrt hatte ich hin und her überlegt, wie ich meine Mission taktvoll und erfolgreich absolvieren könnte. Den Generalstabschef des Erzh.Eugen kannte ich aus dem ersten und zweiten Krieg in Serbien gut: FML Theodor Konopicky hatte sich als Kommandant der 4.Gebirgsbrigade als unerschrockener General erwiesen und war im zweiten serbischen Krieg als Generalstabschef von FM Kövess bei der 3.Armee seinen vormarschierenden Truppen immer rasch nachgefolgt. Wie war dieses weite Abbleiben (die Luftlinie Udine-Marburg betrug über 250 km) zu erklären? Erzh.Eugen kannte ich schließlich auch als einen, der sich keinem vernünftigen Vorschlag entzog. Wer war Chef der Operationsabteilung? Das wußte ich nicht. Nun, das Rätsel sollte sich bald klären.
Im bekannten Schulgebäude erstieg ich den ersten Stock, trat beim Chef der Operationsabteilung ein und erblickte einen Generalstabsobersten vor einer Schultafel stehen und auf dieser die Lage der aufgemalten Armeen mit Schwamm und Kreide berichtigen, anscheinend nach den eingegangenen Meldungen. Ich erkannte Obst.Becher, der vor langen Jahren in Preßburg zugeteilter Offizier bei der dem Inf.Rgt.Nr.72 vorgesetzten Brigade gewesen war; er hatte bei uns im Offizierskasino am Mittagstisch teilgenommen und war mir durch sein breites, von unreiner Haut gezeichnetes Gesicht in Erinnerung geblieben. Auch er erkannte mich gleich als den seinerzeitigen "guten Rekrutenbändiger" beim Inf.Rgt.Nr.72, und die Begrüßung war herzlich.
Ich begann damit, daß ich mich als Verbindungsoffizier beim deutschen AOK 14 endlich einmal vorstellen komme, was bisher durch das atemberaubende rasche Vormarschtempo nicht möglich gewesen wäre. Becher quittierte diese Besuchsabsicht höflich, stellte ein paar Fragen, die ich ihm alle ausführlich beantworten konnte. Dann sah er plötzlich auf die Uhr und meinte, er müsse eilen, es sei schon halb 1h, er dürfe seine Frau beim Mittagstisch nicht warten lassen. Ich horchte auf und fragte, ob Becher in Marburg in Garnison gewesen wäre, was er verneinte und sagte, daß doch alle ihre Familie nach Marburg nachgezogen hätten. Dann enteilte er "nach Hause". Ich muß ein sehr dummes Gesicht gemacht haben. Was, die Herren leben hier mit ihren Familien wie im Frieden? Ist das vielleicht der Grund ihres Klebens an Marburg? Nachdem ich den Chauffeur versorgt hatte, begab ich mich zum bekannten Speisesaal des Kommandos; ich traf nicht allzuviel alte Bekannte, bekam jedoch ganz gut zu essen. Auch Kautsky war da, der Kanzleioffizier Potioreks in Sarajevo; mit dem konnte ich mich aussprechen: er aß "heute nur im Kasino, weil seine Frau Waschtag hatte". Das genügte mir: die Herren leben hier also tatsächlich wie im tiefsten Frieden. Ich fragte, wann Konopicky nachmittags ins Büro käme? Halb 4h. Ob er gleichfalls die Frau in Marburg habe? Ja. Ob ich mich für nachmittags beim Erzherzog anmelden könne? Ja. Der war ja als Deutschordensritter gottlob ledig! Als Kautsky gegangen war, überlegte ich, wie ich dieses Kommando mobil machen konnte. Daß ich auf Gen.v.Belows Wunsch gekommen sei, das durfte ich keinesfalls sagen, das hätte sofort eine Oppositionsstellung hervorgerufen. Aber ich konnte die vielen Reibereien hinsichtlich der Befehlsgebung betonen und andeuten, daß Seiner Majestät des Kaisers und Königs Frontbesuche die Unsichtbarkeit des Erzherzogs unangenehm auffällig machen.
Obst.Becher wollte ich gar nicht mehr sprechen, ging lieber um halb 4h direkt zu FML Konopicky. Dieser nahm meine Meldung freundlich auf, und ich erzählte ihm, welch ungünstigen Eindruck es mache, daß man den Erzherzog und ihn vorn nie zu sehen bekomme, wo doch der junge Kaiser ununterbrochen die Fronttruppen besuche. Er, Konopicky sei seinerzeit in Serbien immer an der Front gewesen; was halte denn das Kommando jetzt, wo endlich die ganze Front in Bewegung gekommen sei, fast 300 km hinten zurück? Konopicky machte einen schwachen Einwand bezüglich der Telephonverbindungen und Udine, das allein in Frage käme, wo jedoch Below sitze. Nun war es soweit, wie ich hoffte. Ich sagte, bei seinem Elan habe Below Udine wahrscheinlich schon wieder verlassen, das Kommando der Südwestfront könne noch heute nach Udine fahren; man lebe dort unvergleichlich besser als im Hinterland, es gäbe dort reichlich und wunderbar zu essen usw. Na ja, meinte Konopicky, aber sie könnten doch nicht plötzlich abreisen und ihre Frauen da lassen. Ich erwiderte: "Oh ja", es wäre ja nur für kurze Zeit; überdies fänden die Frauen in den italienischen Städten noch Dinge, die sie seit Jahren nicht mehr gesehen hätten. Konopicky schwankte und wollte das überlegen. Ich ripostierte, daß nichts zu überlegen sei; er müsse morgen früh mit dem engeren Führungsstab nach Udine kommen; ich verbürge mich fürs tadellose Funktionieren aller telegraphischen und telephonischen Verbindungen, beste Unterbringung und reichlich gute Verpflegung. Ohne seine Antwort abzuwarten nahm ich den Telephonhörer, verlangte Udine und dort GenStabsMjr.Schwink. Dem sagte ich vor Konopicky, daß das Südwestfrontkommando am übernächsten Tag, also am 10.November, in Udine eintreffen werde; ich bäte um Unterkunftsvorbereitung und komplette Versorgung für zunächst etwa 20 Offiziere. Jetzt gab ich den zweiten Hörer Konopicky in die Hand, und der hörte mit, wie Schwink mir sagte, das sei ja großartig, Below verlasse morgen Udine; er, Schwink, werde sorgen, daß alles tadellos "klappe". Ich dankte und legte den Hörer auf. Konopicky sah mich ganz erstaunt an und meinte, daß ich eine kolossale Position bei den Deutschen haben müsse, wenn ein Anruf genüge, um alles ins Lot zu bringen. Schmunzelnd erwiderte ich, er wisse ja, daß Below meine Einteilung bei sich direkt gefordert habe.
Ohne Kränkung der Herren, mit ein bißchen Schlauheit war das Kommando für die sofortige Verlegung nach Udine in Schwung gebracht. Da die Straßen recht zerfahren waren und das Kommando nicht wie ich mit einem kleinen Rennwagen durchkommen konnte, schlug ich vor, morgen vormittags aufzubrechen, nur bis Klagenfurt zu reisen und erst am 10. in Udine anzukommen. Zwar hätte ich mich nun empfehlen und zurückfahren können, fürchtete jedoch, Konopicky könne am Ende umgestimmt werden; so blieb ich, um die Abreise zu kontrollieren. Zudem dunkelte es bereits, und mein Chauffeur brauchte Schlaf. Während ich noch überlegte, sagte Konopicky zu mir: "Jansa, du alter Bosniak, bleibst aber da und führst uns persönlich nach Udine!" Freudig stimmte ich zu. Inzwischen war der erzherzogliche Adjutant mit der Einladung zum Abendessen beim Erzherzog eingetreten; ich bat ihn, Seiner k.u.k.Hoheit zu melden, daß ich so schmierig kommen müsse, weil ich keine Uniform zum wechseln habe; Skrbensky meinte lächelnd, die Stiefel könne ich mir doch noch putzen lassen, was ich mit der Bemerkung quittierte, daß ich mir sogar die Hände waschen wolle. Ich verabschiedete mich von Konopicky mit der Feststellung, daß er mit seinem engeren Stab und mir morgen, den 9.November, um 10h nach Klagenfurt starte!
Dann ging ich in die Telephonzentrale, wo ich eine schalldichte Zelle wußte, und rief Krafft an. Er war von Schwink bereits übers Gelingen meiner Mission unterrichtet und meinte, das hätte ich auch wieder gut gemacht. Ich bat ihn um verläßliche Vorbereitung von Unterkunft und Versorgung, was er auch zusagte.
Zum Abendessen hatte der Erzherzog, solange ich beim Kommando gewesen war, nie jemand eingeladen; es war eine Ausnahme. Als ich mich bei ihm meldete, sagte er in gewohnter Vornehmheit, er hätte mich gleich für Abend zu sich gebeten, weil ich ja wahrscheinlich bald wieder zurück zum AOK 14 müsse. Das bescheidene Essen nahmen wir zu dritt: Erzh.Eugen, Baron Skrbensky und ich. Entgegen der früheren Übung, bei Tisch keine dienstlichen Angelegenheiten zu berühren, erzählte ich, daß des Kaisers rastlose Frontbesuche die Truppe sehr günstig beeindrucken. Der Erzherzog erwiderte, daß er auch für seine Person sehr oft gemeint habe, man müsse vorfahren; sein Stab habe ihn aber abgehalten, weil er sonst zulange vom Kommando abwesend wäre. Ich entgegnete, daß das richtig sei und deshalb das Kommando nach Udine müsse, von wo aus die Truppen in kurzen Autofahrten erreichbar seien. Der Erzherzog meinte darauf lachend, daß er mir offenbar danken müsse für die Mobilmachung seines Stabes. Er würde auch gern morgen fahren. Warum Konopicky den Stab teile? Ich erwiderte, daß ich es persönlich für durchaus zulässig hielte, wenn Seine k.u.k.Hoheit gleich morgen führe; FML Konopicky wolle aber die Kontinuität der Führung gewahrt wissen, die durch das vorläufige Verbleiben Seiner k.u.k.Hoheit mit Obst.Becher in Marburg sichergestellt sei; dann wolle er aber auch für den kleinen Hofstaat Seiner k.u.k.Hoheit die Unterkunft und Sicherung selbst beeinflußen, was angesichts der zahllosen italienischen Gefangenen begründet sei. Ich durfte dem Erzherzog noch einiges über die impulsive Führungsart Gen.v.Belows erzählen und flocht so nebenbei auch die Enttäuschung Kraffts darüber ein, daß er von Seiner Majestät nur das Verdienstkreuz 2.Klasse erhalten hatte. Der Erzherzog erwiderte nichts und erhob sich bald zu meiner Verabschiedung. Er begab sich stets sehr früh zur Ruhe.
Für meine Nachtruhe wählte ich das zweite Bett im Offiziersinspektionszimmer, von dem aus jederzeit alle Telephonverbindungen zu erhalten waren und gab nach Udine noch bekannt, daß ich bis morgen 10h hier in Marburg und ab 5h nachmittag in Klagenfurt erreichbar sei. Mjr.Schwink erwiderte mir, daß ich das AOK in Pordenone suchen solle.
Die Fahrt nach Klagenfurt und tags darauf über Villach-Raibl-Flitsch-Karfeit-Cividale nach Udine machte mir viel Freude, weil ich damals Kärnten kaum kannte. Ich saß im Auto neben FML Konopicky, der vieles wissen wollte und dem ich auch westwärts Cividale die Stelle zeigen konnte, wo Gen.v.Berrer den Tod gefunden hatte. Die Masse der nach Osten marschierenden italienischen Gefangenen und die Menge des überall noch ungeordnet liegenden Materials beeindruckten sehr. Gegen Abend trafen wir in Udine ein. Im großen Hotel empfingen uns ein deutscher Doppelposten und einer der Versorgungsoffiziere mit einigen deutschen Ordonnanzen aus dem Stab Belows. Alle Vorsorgen waren einwandfrei getroffen. Im Vorraum des Speisesaales standen silberne Aufsätze mit allen denkbar guten Dingen und Getränke als Aperitif bereit. Konopicky nahm ein paar Nüsse und brummte, daß er gar kein anderes Nachtmahl brauche. Ich lächelte nur und wies auf den Speisesaal, wo uns bald von den mir schon bekannten italienischen Ordonnanzen ein Diner serviert wurde. Die österreichischen Herren waren verblüfft und bald auch begeistert. Konopickys Laune hob sich immer mehr, ja bei meiner Abmeldung sagte er mir sogar ein herzliches Danke.
Ich übernachtete noch in meinem Hotelzimmer, wo mein Offiziersdiener schon mein kleines Gepäck reisefertig gemacht hatte, und fuhr am nächsten Morgen in Richtung Pordenone weiter. Mich empfing das gleiche Bild wie an den vorangegangenen Tagen: frohgemut vormarschierende, in allen Sprachen singende eigene Truppen, an den Straßenrändern lagernd, zahllose Italiener mit ihren Waffen "Eviva Germania, eviva Austria, abasso la guerra!" rufend. Die Trains unserer Truppen waren oft drollig anzusehen: italienische 2-rädrige Karren mit starken Maultieren der Italiener bespannt, wie ich sie noch nicht gesehen hatte; alles improvisiert, denn die eigenen Trains mit den verhungerten kraftlosen Pferden vermochten nur selten ihren Truppen zu folgen. Die Pferde der deutschen Truppen hingegen sahen noch wohlgenährt aus. Das regte zum Nachdenken an: das zu dreiviertel agrarische Österreich-Ungarn vermochte seine Armee nicht ausreichend zu ernähren; das hoch industrialisierte Deutschland hatte auch viel Mangel, aber seine Heere waren noch immer besser versorgt. Welch ein Unterschied! Der anscheinende Überfluß in den eroberten italienischen Gebieten würde bald aufgezehrt sein. Was dann? Diese vielen neuen Kriegsgefangenen und die Zivilbevölkerung würden wir dann auch noch ernähren müssen. Die armen satten Italiani würden bald nicht mehr "Eviva" rufen, sondern Hunger haben. Die ahnten ja noch gar nicht, mit welch verhungerten Truppen wir sie so vernichtend geschlagen hatten.
In Pordenone fand ich nur mehr einen Rest vom AOK 14. Below war schon gestern wieder um 50 km westwärts geeilt und hatte seinen Sitz in Vittorio aufgeschlagen. So war seine intiative, die Befehle aus dem Wagen heraus erteilende Führernatur wieder voll zur Geltung gekommen.
Wie mir der in Pordenone zur Nachführung des zweiten Teiles des Stabes verbliebene Mjr.Schwink erzählte, lag Below viel daran, daß die am Gebirgs-Südfuß vordringende Gruppe Krauß raschestens den Oberlauf des Piave überwinde, um dem Gros der Armee südlich davon den Übergang zu erleichtern. Als er in Vittorio die beiden Korpskommandanten Krauß und Scotti fand, die sich dort etablieren wollten, soll Below beiden Herren gesagt haben, in Vittorio werde er schlafen; die Korpskommandos mögen sich weiter vorne Quartiere suchen! Dieser massive Druck war sein letzter gelungener Impuls, die Verfolgung so weit wie möglich vorzutreiben. Am Piave hatten sich die Italiener, gestützt von herangeführten französischen und englischen Divisionen zu nachhaltiger Verteidigung gesetzt, und unsere Kräfte waren allen Nachschubmöglichkeiten so sehr vorangeeilt, daß den Truppen Munition und Brückengerät zu fehlen begann.
Meine Weiterfahrt von Pordenone nach Vittorio geschah wieder durch ganze Kolonnen neu gefangener Italiener, die alle garnichtmehr daran dachten von ihren Waffen Gebrauch zu machen. In Vittorio fand ich das Armeekommando in der hart am Gebirgsfuß schön gelegenen Villa Morosini etabliert, während Below eine kleinere Villa bezogen hatte. Für mich war als Kanzleiraum in der Villa Morosini, in der auch gegessen wurde, ein kleiner Erkerraum mit wunderbarer Aussicht reserviert. Mein Wohnraum lag in einer Nachbarvilla. Diese Details erwähne ich, weil wir in Vittorio lange Zeit verblieben.
Meine Meldung bei Below und Krafft noch am gleichen Abend erwähnte die Übersiedlung des KdoSWF nach Udine kaum mehr. Below brummte, daß ihm der Druck Conrads aus Tirol heraus zu langsam sei. Meine Erklärung, es sei eben November und in den Alpen liege bereits hoher Schnee, wollte er nicht recht gelten lassen.
Die kriegerischen Ereignisse bis zum Jahresende 1917 sind dem erwähnten Werk «Österreich-Ungarns letzter Krieg» zu entnehmen. Die Offensive der 14.Armee hatte sich nach Erreichen des Piave in rund 120 km Entfernung von den Eisenbahnendpunkten erschöpft. Versuche, den Piave im Handstreich zu überschreiten, schlugen fehl. Die Vorbereitungen einer neuen Offensive über den Piave setzten die Wiederherstellung der Eisenbahnen voraus, was jedoch nicht vor Jahresende zu erwarten war.
Man hätte sich mit dem erreichten Erfolg zufriedengeben und eine Konsolidierung der überbeanspruchten Truppen fürs Frühjahr durchführen sollen. Darüber waren die Meinungen der deutschen und österreichisch-ungarischen Heeresleitungen, der Heeresgruppenkommandos Conrad und Erzh.Eugen, aber auch innerhalb der 14.Armee noch nicht geklärt. Die fürs Frühjahr in Frankreich geplante deutsche Offensive beanspruchte Ende November eigentlich nur Glt.Krafft maßgeblich. Gen.v.Below hing eine Weile noch dem Gedanken einer Angriffsfortsetzung in Italien an. Seine impulsive Natur widersetzte sich trotz aller Hemmnisse einem Operationsstillstand.
Die Stimmung im Kommando war derart unausgeglichen und teilweise verdrossen, daß ich Anfang Dezember ein schriftliches Ansuchen ans k.u.k. AOK richtete, mich endlich einmal zum Generalstabschef einer Division zu ernennen oder zur Truppe einzuteilen. Das Ansuchen kam freilich nicht über Udine hinaus. FML Konopicky schickte es mir kurzerhand zurück mit der Verständigung, daß das KdoSWF mich beim deutschen AOK 14 nicht entbehren könne; ich habe in meiner Einteilung zu verbleiben! Es legte mir den Orden der Eisernen Krone III.Kl. mit der Kriegsdekoration und den Schwertern bei, der mir auf den Antrag des XXVI.Korpskommandos inzwischen vom Kaiser verliehen worden war. Das Dekret der Ordenskanzlei sollte nachfolgen; ich habe es jedoch bis zum Kriegsende nicht erhalten; ich mußte mich mit der Kundmachung der Verleihung im Militär-Verordnungsblatt des Kriegsministeriums begnügen.
Fast zu gleicher Zeit eröffnete mir Krafft, daß v.Below mich beim König von Preußen für die Auszeichnung mit dem Hohenzollerischen Hausorden beantragt habe, welchen deutsche Generalstabsoffiziere, die das Eiserne Kreuz I.Klasse schon hätten, als hohe Auszeichnung erhielten; der Antrag sei jedoch mit Hinweis auf meine österreichische Staatsbürgerschaft und die von Kaiser Karl eingeschränkten Ordensverleihungen an deutsche Offiziere abgelehnt worden; Below sei darüber recht verärgert gewesen; als Ersatz habe er, Krafft, bei seinem König meine Auszeichnung mit dem Bayrischen Militär-Verdienstorden III.Kl. mit Kriegsdekoration und Schwertern beantragt, der im allgemeinen nur vom Regimentskommandanten aufwärts verliehen werde. Und er heftete mir den Orden selbst an die Brust (das mit 7.1.1918 datierte Dekret der bayerischen Ordenskanzlei bekam ich im Januar zugesendet). Ich bedankte mich sowohl bei Krafft, als auch bei Below, der mir sagte: "Tragen Sie den Orden mit Stolz! Sie haben ihn verdient!"
Glt.v.Krafft entwarf noch den Befehl für die Einrichtung der Dauerstellung am Piave. Dieser enthielt als neue Gesichtspunkte die Aufstellung von Vorposten unmittelbar am Flußufer, die Zurücknahme der Hauptkampflinie so weit vom Fluß abgesetzt, daß die italienische Artillerie sie nur mit ihren Fernkampfgeschützen erreichen konnte, und die Plazierung der eigenen Artillerie so weit hinten, daß sie das Flußbett des Piave in seiner ganzen Breite mit ihrem Feuer beherrschen, selbst aber von den italienischen Geschützmassen aus deren Normalpositionen nicht erreicht werden konnte. Die von den Divisionen hiernach bezogenen Stellungen ließ er durch Generalstabsoffiziere überprüfen, wobei den bayrischen Offizieren die Kontrolle der österreichischen und mir jene der beiden deutschen Divisionen in der Front zukam.
Mitte Dezember traf der deutsche Befehlshaber in der Mark Brandenburg, Gen.v.Kessel, mit seinem Stabschef zu einem Frontbesuch ein. Nach Besichtigungen an der Piave wünschte er auch nach Tirol zu reisen. Below bat mich, ihn dahin zu geleiten. So fuhren wir mit einem starken deutschen Kraftwagen nach Bozen ins Hauptquartier FM Conrads. Ich hatte die Ehre beim Abendessen zur Linken des Feldmarschalls zu sitzen. Nachdem Kessel bald zur Ruhe gegangen war, unterhielt sich Conrad noch eine Weile mit mir allein. Ich mußte ihm viel von Gen.v.Below und dessen impulsiver Kommandoführung erzählen. Danach nahm Conrad das Wort, um mich mit seinen Gedankengängen vertraut zu machen, wobei ich den Eindruck gewann, er wolle seine Gedanken bei einem Generalstabsoffizier deponiert wissen, falls es ihm selbst nicht mehr möglich würde, seine Denkwürdigkeiten niederzuschreiben.
Zuerst erklärte er mir, daß der Erfolg gegen Italien wieder nur eine halbe Maßnahme sei. Im Krieg gegen die ganze Welt fehlten eben die Kräfte. 1916 war mit dem Angriff aus Tirol nur die Hälfte seines Planes, sozusagen nur unser rechter Arm, in Schwung gekommen; jetzt habe man mit dem linken Arm zugeschlagen, aber für den rechten fehlten die Kräfte. Das sei eben die Folge, daß man 1908 seinem Kriegsantrag nicht Gehör geschenkt habe. Und wenn wegen der Kämpfe gegen Rußland immer wieder viel debattiert werde, so möchte er selbst mir sagen, daß die Monarchie durch irgendeine verteidigungsweise Aufstellung des Heeres niemals zu schützen gewesen wäre; Ungarn mit dem Karpatenbogen konnte nur in Galizien durch Ost-West und West-Ost-Bewegungen vor russischen Einbrüchen gesichert werden. So habe er als Chef des Generalstabes geführt. Wenn Rußland heute völlig am Zusammenbrechen sei, so hätten nicht die "Deutschen", wie das immer gesagt werde, sondern die k.u.k. Armee den Hauptteil am Erfolg für sich zu buchen; denn während fast das ganze deutsche Heer in Frankreich an der Marne gescheitert sei, hätten Österreich-Ungarns Heere nicht nur die eigene Monarchie, sondern auch das deutsche Reich vor der russischen Invasion bewahrt. Die k.u.k.Armee sei, trotz aller an ihr im Frieden begangenen Sünden, das beste Heer, das die habsburgische Dynastie jemals besessen habe; das hätten die jetzigen Kämpfe in Italien neuerlich bewiesen. Über die nächste Zukunft sprach der Feldmarschall nichts; dem tiefen Ernst seines Wesens konnte ich allerdings entnehmen, daß er ihr mit geringer Hoffnung entgegensah. Er schien mir stark gealtert. Tief ergriffen drückte ich seine Hand, als er sie mir zum Abschied reichte. Es war das letztemal, daß ich ihn gesehen und gesprochen hatte. Am nächsten Morgen fuhr ich zeitig in der Früh über Trient-Belluno zurück nach Vittorio.
In den erzwungen ruhigen Dezembertagen kam ich mit den Herren der Operationsabteilung in mehr Gespräch als im turbulenten Oktober und November. Der Verkehr war korrekt und höflich, doch fehlte ihm der herzlich warme Ton, wie er in Makedonien geherrscht hatte. Viel wurde von den kommenden Ereignissen in Frankreich gesprochen. Die zur Schau gestellte Zuversicht schien mir nicht echt; alle sahen wir dem nächsten Kriegsjahr mit Sorge entgegen. Auch mein Verhältnis zu Below wurde getrübt: er und alle deutschen Herren schrieben sich mit Recht zu, den Impuls zu den großen Siegen gegeben zu haben und forderten auf allen Gebieten, besonders bei der Teilung der militärischen Beute, mehr als ihnen nach der von uns als gerecht empfundenen Aufschlüsselung zukam. Das führte dauernd zu Reibereien, weil ich, zur Wahrung der öst-ung. Interessen verpflichtet, öfter als mir lieb in Erinnerung bringen mußte, daß unsere öst-ung. Truppen sich nicht nur hervorragend geschlagen hatten, sondern gerade bei den letzten Kämpfen im Gebirge erfolgreicher gewesen waren als die deutschen.
Um Weihnachten stellte die deutsche oberste Heeresleitung eine schwere Bombenstaffel zur Verfügung. Meine damaligen Zweifel möchte ich auch heute noch aufrechterhalten, ob es klug war, gerade am hl.Abend die Stadt Padua, Sitz des italienischen Oberkommandos, mit schweren Fliegerbomben bewerfen zu lassen. Die Italiener antworteten am ersten Weihnachtsfeiertag mit leichten Bomben auf Vittorio; sie hatten natürlich Hemmungen eine italienische Stadt mit schweren Bomben zu belegen. Die kleinen Bomben genügten, um in Vittorio in einer Viertelstunde alle Fensterscheiben zu zertrümmern; sie konnten erst nach langer Zeit ersetzt werden.
Gleich nach diesem Fliegerangriff erschien Gen.v.Below im Kommando in der Villa Morosini zur Verabschiedung, da er mit Glt.Krafft nach Frankreich abberufen worden war. Mir reichte er lachend die Hand mit den Worten: "Überall Scherben, Herr von Jansa, das bedeutet Glück im Neuen Jahr!" Ich vermochte nicht so froh zu lachen, der Abschied von diesem hochverehrten General fiel mir schwer. Leichter war der Abschied von Krafft, der mir trotz aller seiner hervorragenden militärischen Gaben als ein "verpreußter Bayer" erschien und als solcher meine Achtung, nicht aber meine Anhänglichkeit gewonnen hatte.
Mjr.Willisen und der württembergische General Hofacker führten das AOK in den letzten Dezembertagen, bis GdK.Graf zu Dohna als neuer deutscher Armeeoberkommandant eintraf, bei dem Gen.Hofacker als Generalstabschef verblieb. Das galt nur für kurze Zeit, denn es fand eine große Umgruppierung statt: alle deutschen Truppen gingen nach Frankreich ab und mit ihnen das deutsche 14.AOK; es wurde durch ein neu aufgestelltes öst-ung. 6.Armeekommando unter Erzh.Josef ersetzt.
Meinen ersten Erholungsurlaub nach dreieinhalb Jahren erbat ich für Mitte Jänner. Er wurde mir vom Armeekommando unter der Bedingung bewilligt, daß ich ihn erst nach Orientierung des ablösenden öst-ung. 6.Armeekommandos antreten dürfe.
Anfang Jänner 1918 wurde ich nach Udine zum KdoSWF befohlen, dessen Auflösung Kaiser Karl im Zuge der Umgruppierungen befohlen hatte. Erzh.Eugen, zum Feldmarschall ernannt, verabschiedete sich nach einer Ansprache, in der Gen.Konopicky die hohen Verdienste des Erzherzogs hervorhob, mit ein paar kurzen an den ganzen Stab gerichteten Dankesworten und reichte jedem von uns die Hand. Der Erzherzog trat wieder in den Ruhestand, aus den ihn weiland Kaiser Franz Joseph nach der Niederlage Potioreks in Serbien geholt hatte. Die Trennung von diesem hervorragend verdienstvollen, sich immer in schlichter Weise zeigenden Mann ging mir nahe; hatte ich doch von ihm stets nur Güte erfahren! Auch von Gen.Konopicky war der Abschied herzlich. Er kam auf meine Ablösungsbitte zu sprechen und meinte mit ihrer Abweisung recht gehabt zu haben, da ich jetzt das neue Armeekommando einzuführen habe.
Um den 20.Jänner 1918 traf der Generalstabschef des neuen 6.Armeekommandos FML v.Willerding ein. Ich kannte ihn bisher nicht, hatte aber von seinen außerordentlichen Qualitäten als Divisionär gehört. Insbesondere klärte ich ihn über die von Glt.Krafft für die Dauerstellung am Piave gegebenen Befehle. Willerding überzeugte sich durch sofortige Frontbesuche von der Zweckmäßigkeit aller Verfügungen und gewährte mir, nachdem am 22.1. auch Erzh.Josef eingetroffen war und sich der neue Armeestab konsolidiert hatte, mit 27.1. Urlaub.
Urlaub und Verlobung
Ende Jänner bis Mitte März 1918
Mjr.Schmid vom Artilleriestab, mit dem ich in den vergangenen Wochen viel zusammen gearbeitet hatte, trat gleichfalls einen Urlaub an. Wir fuhren gemeinsam mit allen möglichen Verbindungsmitteln zunächsteinmal nach Triest, weil man von dort auf der großen Südbahn am raschesten nach Wien kommen konnte.
Triest, das die Italiener in zweieinhalbjähriger Anstrengung nicht erobern konnten, mochte ich. Darum blieb ich einen Tag dort, während Schmid weiterreiste. Von Triest wurden ebenfalls deutsche Truppen an die französische Front gefahren. Zufällig begegnete ich dort Rittmeister Grafen Haugwitz, der den Abtransport seiner Division regelte; ich kannte ihn von der russischen Front her; im Sturmkurs in Nyáradszereda hatten wir damals Freundschaft geschlossen, weil er sich als Schlesier stets halb zu Österreich gehörig fühlte. Haugwitz lud mich zu einem Abendessen ins Hotel Imperial, wo es staunenswerterweise noch einigermaßen zu essen und zu trinken gab. Welch ein schöner erster Urlaubsabend, trotz der ernsten Gespräche, die wir über die Zukunft unserer Staaten führten! Noch weit entfernt das schreckliche Ende im Herbst 1918 zu ahnen, erschien sie uns schwer genug. Der während des Krieges vom deutschen Politiker Naumann propagierte Gedanke eines vereinigten Mitteleuropas, bei dem ein enger Zusammenschluß Deutschlands mit Österreich-Ungarn die kleindeutsche Bismarck-Politik wieder gutmachen sollte, beschäftigte damals viele Köpfe. Als wir darauf zu sprechen kamen, war es mir eine Freude zu hören, daß Haugwitz die Unterordnung der Hohenzollern unter das Haus Habsburg als selbstverständlich ansah. Und Haugwitz war sicher nicht der einzige Deutsche, der eine solche Lösung als besten Ausgleich im Falle eines von uns verlorenen Krieges ansah.
Gelöster als jemals zuvor reiste ich am folgenden Tag nach Wien. Der große Erfolg in Italien und mein dort wieder gefüllte Magen hoben alle Lebensgeister. Ich fühlte mich auch freier als sonst, hatte ich ja noch keine Diensteinteilung. Ich überdachte, was ich eigentlich mit meinem Urlaub anfangen sollte; ich war in meinem Leben wenig auf Urlaub gewesen. Als der Zug vom sonnig schönen Semmering ins Tal rollte, gerieten wir in dichten grauen Nebel, und ich überlegte, mit meinem Bruder auf den Semmering zu fahren. Trotz regelmäßiger geldlicher Unterstützung Heinrichs hatte ich selbst rund 20.000,- Kronen auf der Bank, was damals noch ziemlich viel erschien; außerdem trug ich mein mehrmonatiges Gehalt, das ich mir erst kurz vor Urlaubsantritt hatte auszahlen lassen, bei mir. So reich war ich noch nie gewesen; obendrein benutzten Militärpersonen die Eisenbahnen damals noch kostenlos.
Gegen Mittag des 29.Jänner erreichte ich Wien. Lange mußte ich suchen und warten, bis ich einen Fiaker mit mageren Pferden fand, der mich mit meinem schon recht unansehnlich gewordenen Koffer ins Hotel Elisabeth brachte. Dort bekam ich wieder das übliche Zimmer. Der Nachmittag reichte gerade noch, mir am Platzkommando Lebensmittelkarten zu besorgen, dann war es finster. Mit einem Päckchen Konserven, das ich in Triest hatte kaufen können, begab ich mich zu meinem Bruder. Die Wiedersehensfreude war groß. Und das Abendessen bereitete diesmal keine Schwierigkeiten.
Heinrich erzählte mir, daß unser gemeinsamer Freund, der inzwischen zum Oberst beförderte Adám v.Reviczky, bei seiner Mutter in Wien auf Urlaub sei. Wenn ich ihn sehen wollte, müßte ich mich eilen, denn sein Urlaub sei bald zu Ende. Ich hatte meinen einstigen verehrten Kompaniekommandanten zuletzt kurz vor Kriegsbeginn in Steinamanger besucht, wo er Bataillonskommandant im Inf.Rgt.69 war. Dann riß die Verbindung ab. Ich freute mich sehr, diesen distinguierten, ritterlichen Offizier wiederzusehen.
Also beschloß ich, meine Absicht, mich in Baden beim AOK zu melden, aufzuschieben und gleich am nächsten Vormittag Adám aufzusuchen. Am nächsten Vormittag klingelte ich in der Goldeggasse, wo mir eine junge, schwarzhaarige Dame öffnete. Ich nannte meinen Namen und fragte, ob ich Herrn Obst.v.Reviczky sprechen könnte. Nein, der sei im Diana Bad und komme erst zu Mittag. Und schon schloß sich die Tür. War das die kleine Judith? Schöne große Augen hatte sie ja gehabt, sehr höflich war sie aber nicht gewesen; na, vielleicht war mein verwildertes Aussehen schuld: um Adám nicht zu versäumen, hatte ich noch nicht meinen obligaten ersten Weg zum Schneider in der Wollzeile gemacht, wo eine gute Uniformgarnitur auf mich wartete. Adám im Dianabad zu suchen wäre sinnlos gewesen. Besser ging ich zum Schneider, damit er meine Sachen ins Hotel sende. Nach einem armseligen Mittagessen im Hotel zog ich mich friedensmäßig an und klingelte gegen 4h nachmittags wieder in der Goldeggasse. Diesmal öffnete Adám persönlich und schloß mich mit großer Herzlichkeit in seine Arme. Er führte mich in eines der beiden Zimmer und begann mich gleich um Entschuldigung zu bitten, daß seine Nichte mich am Gang abgefertigt hatte, aber sie wäre beim Wohnungaufräumen gewesen und in diesem Zustand nicht gewillt, sich zu zeigen. Diese Aufräumetoilette hatte ich gar nicht bemerkt - so sind wir Männer! Mir waren nur ihre schönen Augen geblieben.
Wir tauschten unsere Erlebnisse seit Kriegsbeginn aus. Adám war 1914 bei Šabac in Serbien durch einen Lungenschuß schwer verwundet und erst nach einem Jahr wieder dienstfähig geworden; danach hatte er nur an der russischen Front gedient und gekämpft; nun sei er zum Kommandanten des oberungarischen Inf.Rgt.Nr.5 ernannt und habe nach den letzten zwei noch freien Urlaubstagen in Innsbruck den Standort seines Regimentes zu erfragen. Kurz darauf wurde uns durch Adáms Mutter ein Tee für zwei gebracht; ich sah sie zum erstenmal, und sie zog sich gleich zurück, nachdem sie meinen Bruder und mich für den gleichen Abend zum Essen eingeladen hatte. Angesichts der Lebensmittelknappheit wollte ich diese Einladung nicht annehmen, wurde aber von Adám beruhigt, daß die Mutter und Stiefschwester Leona von ihm mit Geld und vom Besitz seiner Schwägerin Anna in Ungarn ganz gut versorgt würden. Übrigens sei jetzt auch deren Tochter Judith, seine Nichte, nach Wien zur Großmutter gesendet worden, um nach dem jahrelangen Einerlei am Lande und in der Provinz einmal die Residenzstadt kennenzulernen; und sie habe reichlich Lebensmittel mitgebracht.
Am Abend nahmen wir an einem hübsch gedeckten Tisch Platz: die alte Mutter, Leona, Judith, Adám, Heinrich und ich. Mein Bruder kannte Leona bereits; mir war die entschieden attraktive Dame neu. Die Mutter pendelte in gütiger Behäbigkeit zwischen Zimmer und Küche. Judith war sehr nett gekleidet, jedoch recht zurückhaltend. Das Essen schmeckte, Adám hatte sogar Wein beschafft, und bald kam eine lebhafte Konversation in Gang, die sich bald darum drehte, was Judith in Wien an Schönem gezeigt werden könnte in solch trostloser Zeit. Sie selbst kannte die Stadt noch nicht. Die Großmutter bewegte sich bereits schwer und Leona war von früh bis abends an der Musikakademie tätig, während Adám in zwei Tagen abreisen mußte. Es ergab sich einfach von selbst, daß ich mich anbot, einen Teil meines Urlaubes zu verwenden, um der jungen Dame Wien zu zeigen und sie in die großen Hoftheater zu führen. Judith zögerte meinem Vorschlag zuzustimmen: sie kenne mich ja nicht und habe meinetwegen heute großen Verdruß mit Onkel Adám gehabt. Endlich kam für den kommenden Tag doch die Verabredung zustande, wonach Judith und ich uns vor dem Dianabad treffen sollten, um Onkel Adám abzuholen, gemeinsam mit ihm zu Leona zu spazieren und dort das Mittagessen einzunehmen.
Etwas spät brachen Heinrich und ich auf. Die Straßen waren spiegelglatt. Auf der abschüssigen Prinz-Eugen-Straße fürchtete ich einen Sturz des lieben Bruders, der mit seinem schwachen rechten Bein nicht sicher auftrat. Fest ineinander eingehänkt bemühten wir uns fortzukommen. Es dauerte rund eine halbe Stunde, bis wir zur Theresianumgasse gekommen waren, wo glücklicherweise ein Fiaker ein Ehepaar ablud. Sogleich nahm ich das Fuhrwerk auf, brachte Heinrich mit heilen Knochen nach Hause und mich ins Hotel.
Spät vormittags am 1.Februar trafen Judith und ich uns pünktlich vor dem Dianabad. Sie hatte ein dunkelgrünes Winterkostüm und eine fesche Lederkappe, die ihr prächtig stand. Die ganze Erscheinung war zum Verlieben! Bald kam Adám aus seinem geschätzten Dampfbad, und wir wanderten bei leidlich gutem Wetter durch Rotenturm- und Kärntnerstraße über Ring und Schwarzenbergplatz die Prinz-Eugen-Straße hinauf. Nach dem Mittagessen wurde mir von Großmutter, Leona und Adám die Erlaubnis gegeben, Judith in der nächsten Zeit spazieren und abends ins Theater zu führen. Sie schrieb deshalb sogar an ihre Mutter nach Großwardein. Für den nächsten Tag wurde keine Vereinbarung getroffen, erst am 3.Februar sollte ich Judith am späteren Vormittag in der Währingerstraße von der Universitätszahnklinik (die damals noch dem Garnisonsspital gehörte) abholen. Abends begleitete ich Adám zum Südbahnhof, von dem er damals nach Innsbruck fahren konnte.
Am 2.Februar fuhr ich nach Baden, um mich im AOK zu melden und eine Einteilung zur Truppe oder wenigstens als Divisiongeneralstabschef zu erbitten. Ich kannte im neuen AOK nur den guten Broz, der in der Balkangruppe der Operationsabteilung arbeitete, und in der Italiengruppe Obstlt.Sigismund v.Schilhawsky, mit dem ich auch ein Jahr lang in Sarajevo gedient hatte. Von Italien kommend, schien es mir natürlich, zuerst Schilhawsky aufzusuchen. Aufgrund der schönen Siege unserer Armee in Italien empfing er mich in bester Laune. Nach ein paar Fragen seinerseits bat ich ihn um Rat, an wen ich mich am besten wenden solle, um meine Diensteinteilung bei einer Division oder Truppe zu erreichen. Er meinte, das werde schwierig sein, denn soviel er wisse, hätte mich schon Obst.Beyer angefordert und Waldstätten hätte zugestimmt. Am besten ich ginge selbst gleich zu Beyer. "Wer ist dieser Oberst Beyer?" fragte ich, denn ich kannte nur einen Beyer, mit dem ich in der Kriegsschule gewesen war. "Ja", antwortete Schilhawsky, "Oberst Beyer ist dessen älterer Bruder und in der Operationsabteilung Leiter der Dienstvorschriftengruppe." Er sei der Kandidat für den Chefposten des Instruktionsbüros, wenn dieser Krieg überhaupt einmal ein Ende nehmen werde.
"Hm", dachte ich, "Instruktionsbüro? Das steht hoch im Kurs." Langsam fragte ich mich zu Obst.Beyer durch und stellte mich vor. Er fragte mich, ob ich schon wisse, daß er mich angefordert habe. Ja, erwiderte ich, eben hätte ich das von Schilhawsky gehört; doch wolle ich nicht nach Baden in eine Schreibstube kommen und bäte um meine Einteilung zur Truppe oder einer Division; ich könne doch unmöglich den ganzen Krieg bei höheren und höchsten Kommandos verbringen! Obst.Beyer meinte darauf, er hätte länger mit mir zu reden, ich solle mich setzen. Er war eine markante Erscheinung, dunkelhaarig, mit energischen Gesichtszügen; sein jüngerer Bruder war im Rang der zweite nach mir, der erste mit "sehr gutem" Studienerfolg gewesen; die Beyers schienen intelligente Köpfe zu sein. Gespannt nahm ich Platz, um zu hören, was mir der Oberst zu sagen hatte.
Obst.Beyer begann damit, daß eine Versetzung zur Truppe angesichts des Mangels an Generalstabsoffizieren nicht in Betracht komme. Divisionsgeneralstabschefs gäbe es 70, da käme ich noch immer zurecht; der Krieg werde leider nicht sehr rasch beendet werden können. Und direkt ins AOK käme ich auch nicht. Er möchte mich bei der 6.Armee haben, von der ich komme und deren Kommandos und Truppen ich zum größten Teil schon kenne. Es sei dringend notwendig, die im Angriff gemachten Erfahrungen zu sammeln und in Vorschriften für jene zusammenzufassen, die im jahrelangen Stellungskrieg einseitig geworden wären. Hiefür habe er drei Herren ausgewählt, die er für geeignet halte, ihm zu helfen, je einen für die Isonzo-, die 6te- und die 11. Armee in Südosttirol; auf mich habe Gen.v.Below den Kaiser aufmerksam gemacht. Dann suchte er aus der Schreibtischlade einen Zettel hervor und las die Vormerkung des Chefs des Generalstabes Baron Arz vor: "General Below sagte zum Kaiser über Major v.Jansa: dieser erfaßt operative und taktische Fragen besonders rasch und sicher; hat viel Erfahrung; weiß sich durchzusetzen; ein Generalstabsoffizier, den man im Auge behalten solle." Beyer setzte fort, er sei darauf meinen Dienstverwendungen und Beurteilungen nachgegangen: ich hätte sehr viel erlebt und sei in ähnlichem Sinne von den Generälen Krauß, Mackensen und Seeckt beurteilt worden. Daraufhin habe er mich gewählt, um mich als bevollmächtigtes Organ des AOK im Bereich der 6.Armee in voller Unabhängigkeit zu bewegen, zu sprechen, Eindrücke und Erfahrungen zu sammeln, sie aufzuzeichnen und den gesiebten Niederschlag dem AOK einzusenden. Diese Stellung sei schwierig und erfordere viel Takt; den hätte ich ja bewiesen. Ich möge also jetzt meine vier Wochen Urlaub genießen und dann an die Arbeit gehen.
Wenn es darum ginge, so könne ich ihm gleich eine mir außerordentlich wichtig erscheinende Erfahrung melden: gegenüber den deutschen Kommandanten blieben unsere zumeist viel zu weit hinter der Truppe zurück. Da nicht anzunehmen sei, daß alle unsere höheren Befehlshaber Hasenfüße seien, führe ich diese Schwerbeweglichkeit auf jene Vorschrift zurück, derzufolge, von der Kompanie beginnend, jeder niedere Verband zum nächsthöheren das Telephon zu legen habe. Verfüge man das umgekehrt, so daß jede höhere Stelle zu ihren niederen die Verbindung suchen müsse, so werden schon wegen des bald auftretenden Drahtmangels die höheren Kommandos rascher nach vorn in Bewegung kommen! Beyer replizierte, das sei ein Königsgedanke. Tatsächlich kam ein solcher Befehl des AOK in den nächsten Wochen heraus.
Obst.Beyer verabschiedete mich mit kräftigem Händedruck; ich verbeugte mich und ging. Was hätte ich sonst sagen sollen? Seine Rede war vernünftig und logisch gewesen. Meine künftige Stellung war einzigartig. Hinsichtlich meiner künftigen Generalstabslaufbahn durfte ich zufrieden sein. Nach dem Krieg im Instruktionsbüro des Generalstabes zu wirken statt im Kriegsministerium, war reizvoll, bedeuteten doch Instruktions- und Operationsbüro die Elite möglicher Verwendungen. Tief bewegte mich der Umstand, daß ich diese auszeichnende Einteilung letzten Endes der Beurteilung durch "den besten deutschen General" zu verdanken hatte; nicht eine einfache Anerkennung meiner gegenüber dem Kaiser, sondern die Empfehlung, mich im Auge zu behalten. Darauf durfte ich schon sehr stolz sein, und das galt mehr als jeder Orden! Sollte ich Gen.v.Below schriftlich für seine auszeichnende Beurteilung danken? Er war nicht der Mann derlei Schreibereien Bedeutung zuzumessen. Mein ganzes Leben würde ich im im Herzen dankbar bleiben. Vielleicht fügte es ein gütiges Geschick, daß ich noch ein drittes Mal unter seinen Befehl komme? Dann wollte ich ihm nicht nur mit dem Verstand, sondern mit dem ganzen Herzen dienen!
Den Abend verbrachte ich bei Heinrich und seiner Familie. Ich lud sie ein, mit mir ins Theater zu kommen, wenn ich eine Loge ergattern würde. Heinrich und Vilma sagten gern zu, waren sie doch auch etwas bedürftig nach Anregung und Zerstreuung. Am Nachmittag hatte ich mir von Tomassoni in der Wollzeile die Ankaufsmöglichkeit verschiedener Konserven, Käse, sogar etwas Geflügel und Getränke zusichern lassen. Dies ermöglichte Vilma Judith einzuladen; zudem konnte ich die Kammer Frau Galls, Judiths Großmutter, etwas nachfüllen. Das kostete selbstverständlich Geld, aber ich hatte ja auch viel ersparen können. Im Feld lebte ich ja praktisch umsonst, und da mich die Italiener unfreiwillig mit funkelnagelneuen und hochwertigen Uniformstücken, mit Wäsche und Beschuhung versorgt hatten, brauchte ich auf längere Sicht keine Bekleidungsmittel. Gleich neben dem Hotel Elisabeth gab es ein Theaterkartenbüro, das mich in der Folge prompt bediente.
Für den folgenden Abend hatte ich lediglich im Volkstheater eine Loge bekommen. Mit dieser Karte eilte ich frohgemut in die Währingerstraße, um Judith von der Zahnbehandlung abzuholen. Lang brauchte ich nicht zu warten; sie kam gut gelaunt aus der Klinik. Nun, da wir allein durch Wien streiften, kam unsere Aussprache rasch in Schwung, und wir schlossen unsere Kenntnislücken übereinander seit der letzten Begegnung in Preßburg.
Ich erfuhr, daß sie mit ihren Cousinen Döry durch zwei Jahre in Vevey im Pensionat der Madame Schindler gewesen war. Später war aus London eine Miss Ethel, eine Lehrerstochter, ins Haus gekommen. Judith hatte an der englischen Sprache derart Gefallen gefunden, daß ihre Mutter sie Anfang 1913 als Pensionärin in Ethels Haus gab, von wo aus sie in London die Lehrerinnen-Ausbildung mit großem Interesse und Eifer betrieben hatte. Leider bereitete das Attentat von Sarajevo ihrem Studium ein vorzeitiges Ende; die Mutter rief sie sofort nach Ungarn zurück. Interesse und Liebe für die englische Literatur seien ihr geblieben. Kein Volk habe in seiner Literatur so viel von trockenem Humor erfüllte Geschichten wie das englische. Sie lese viel englisch und kaufe von der Tauchnitz-Edition Bücher, wo sie diese finde. Ihre gute Mutter täte, was ihr möglich sei, für die Kriegsspitäler; sie habe fast ihre ganze, garnicht geringe Bettwäsche den Spitälern geschenkt und sende jede Woche von ihrem Landgut Aba puszta ein Pferdefuhrwerk voll Lebensmittel als Zubuße für die Verwundeten. Judiths Bruder Georg, der das Theresianum besucht, sein Gymnasialstudium jedoch in Ungarn beendet habe, sei bei Kriegsbeginn als Einjährig-Freiwilliger eingezogen worden und diene jetzt als Reserve-Leutnant bei der Artillerie der Budapester Kavalleriedivision; täglich zittere die Mutter um sein Leben. Der Vater sei mit seinem Regiment bei der 20.Division in Italien. Judith selbst wollte sich gern in das Rote Kreuz einreihen lassen, aber die Mutter habe dies trotz ihres opferbereiten Patriotismus' nicht zugelassen. Darauf antwortete ich, daß die Mutter sehr recht gehabt habe; der Dienst in den Kriegsspitälern fordere von so jungen Damen, wie sie sei, unerbittlich viel ungewohnt schwere Arbeit und lasse sie viel zu früh das ganze menschliche Elend kennenlernen.
Am Spätnachmittag holte ich Judith zum Theaterbesuch ab. In der Loge trafen wir mit Heinrichs zusammen, und Judith lernte Vilma kennen.
Die weiteren Tage vergingen ähnlich. Logen nahm ich in der Oper und im Burgtheater. Diese noblen Logen mit ihren Vorräumen boten bei etwas früherem Kommen die wunderbare Gelegenheit, ganz ungestört miteinander zu sprechen bevor die Gäste eintrafen. Zudem waren die Theater geheizt, was beim kalten Februarwetter nicht ohne Bedeutung war.
Von Tag zu Tag sprachen wir uns besser. Ich lernte Judith als einen in seinem Denken grundanständigen, fein gebildeten und erzogenen, warmherzigen und liebenswerten Menschen kennen. Von allem Kommiß, wie ihn manche Offiziersfrauen liebten, war sie weit entfernt; wie mir aus der Preßburger Zeit gut im Gedächtnis geblieben war, hatte ihre Mutter die Stellung ihres Gatten belanglos gefunden und sich stets als landbesitzende Adelsdame aus altem Geschlecht gefühlt. Judith zeigte eine ähnliche Haltung.
Inzwischen war ein Brief ihrer Mutter gekommen, die mich grüßen ließ und durchaus einverstanden war, daß wir die Tage gemeinsam verbrachten. Reviczkys waren zwar keineswegs reich oder Großgrundbesitzer, aber für so arm, daß ihnen die für einen Major des Generalstabes nötige Kaution von 50 000,- Kronen unaufbringbar gewesen wäre, hielt ich sie auch nicht. Zudem lagen ja über 20 000,- Kronen auf meinem Konto. Bei diesen Überlegungen fiel mir auf, daß ich anfing, mir Judith als meine Frau vorzustellen. Warum eigentlich nicht? Wenn sie ebenfalls wollte ...
Nach einer Woche wollte ich einen Entschluß fassen. Ich war 33½ Jahre alt, Judith 21½; zwölf Jahre Unterschied war nicht zuviel. Seit meiner Aussprache mit Obst.Beyer in Baden lag eine gute Generalstabslaufbahn vor mir, so daß ich einer Frau eine anständige Existenz bieten konnte. Solche Partien waren in reichen Aristokraten- und Kaufmannskreisen gesucht; zu bescheiden brauchte ich nicht zu sein. Hatte mir nicht der alte Adám oft prophezeit, daß ich einmal seine Nichte heiraten würde? Judith und ihre Mutter waren Kalviner (ihr Vater und Bruder hingegen katholisch), was mich nicht im geringsten bedrückte, denn groß war die Zahl der Mischehen in der kaiserlichen Armee. Judiths religiöse Fundierung imponierte mir: sie kannte die Bibel recht genau, jedenfalls viel besser als ich. Auf ihr Verlangen waren wir einen Vormittag am Zentralfriedhof am Grab meiner guten Eltern gewesen, und dort kam unser Gespräch zwanglos auf Religion und Glauben. Vier Wochen Urlaub vergehen schnell. Wie lange der Krieg noch dauern würde, wußte zwar niemand, indes würde Judith diese häßliche Zeit als Braut schöner überleben. Der letzte Gedanke gab schließlich den Ausschlag, denn ich hatte sie sehr liebgewonnen.
War ein Entschluß einmal gefaßt, war ich gewohnt, zügig zur Tat zu schreiten. Am Sonntag, dem 10.Februar stellte ich Judith vormittags in der Wohnung in der Goldegg-Gasse einfach die Frage, ob sie meine Frau werden wolle, sie möge es sich doch überlegen. Die Antwort war keineswegs ein jauchzendes Ja. Zögernd erwiderte die Schöne, sie möchte schon einwilligen; aber vor zwölf Tagen, als sie mich am Korridor hatte stehen lassen, habe ihr Onkel Adám hinterher schwere Vorwürfe gemacht und gesagt, man dürfe einen künftigen Bräutigam nicht so behandeln; darauf habe sie Adám vor Großmutter und Leona heftig hingeworfen, das sei ein Unsinn, sie werde den Jansa niemals heiraten! Und jetzt solle sie ja sagen? Lachend antwortete ich, daß Logik nicht der Frauen Stärke sei; wenn sie keinen anderen Einwand habe, dann sei ja alles in Ordnung. Ich zog sie an mich und gab ihr den ersten Kuß. Da löste sich alle Spannung, und ich sah ihre Augen strahlen wie nie zuvor. Wir begaben uns in die Helvetische Kirche in der Dorotheergasse. Als wir zu Großmutter zum Essen zurückkamen, präsentierten wir uns als Verlobte, worauf die alte Dame meinte: "Okosan tettek (Gescheit wart Ihr)!" Der «Tannhäuser» abends in der Oper war mir noch nie so schön vorgekommen. Heinrichs waren baff, als wir ihnen unseren Entschluß mitteilten; ich erinnerte meine Lieben daran, daß Krieg war und alle Entschlüsse rasch gefaßt werden mußten.
Am kommenden Tag kauten Judith und ich eine Weile an unseren Federstielen und überlegten, wie wir das am besten ihren Eltern und Onkel Adám schrieben. Von den Herren war kaum rasche Antwort zu erwarten, denn die Feldpost funktionierte langsam; von der Mutter aus Großwardein würde jedoch bald Nachricht kommen. Ich erwartete keinerlei Schwierigkeiten, denn wir waren ja seit fünfzehn Jahren bekannt, und wenn wir auch nicht immer zusammengetroffen waren, so hatten wir einander doch mindestens um Weihnachten alles Gute gewünscht.
Weiterhin besuchten wir die prachtvollen Hoftheater, glücklich über unser Beisammensein. Herrliche Tage für die Seele! Wie das Wetter war, ließ mich unbeeindruckt, schuf ich ja für Judith den Frühling. Am Ring befand sich damals neben dem Kaffee Schwarzenberg die Blumenhandlung Marx; täglich erstand ich nun das schönste Arrangement und ließ es in Judiths Gastwohnung senden; selbst brachte ich stets nur ein Handbukett leise duftender Maiglöckchen mit, welche Judith sehr liebte und an ihr Kleid steckte. Für den morgendlichen Blumenkorb gab sie mir jedesmal einen herzhaften Kuß.
Gegen Donnerstag wurden wir unruhig, weil noch immer keine Antwort von Judiths Mutter gekommen war. Wie das so ist, plagten uns allerlei Gedanken; wir beschlossen freilich, fest zusammenzuhalten und alle etwaigen Schwierigkeiten zu besiegen.
Endlich am nächsten Sonntag, als wir aus der Kirche heimkamen, wurde uns ein Telegramm der lieben Mutter überbracht. Sie war in Abapuszta gewesen, und wir hatten nach Großwardein geschrieben. Das Telegramm besagte bündig, sie sei mit allem einverstanden. Das steigerte unser Glück natürlich. Und am Montag erreichte uns die briefliche Zustimmung von Judiths Vater. Zu unserer größten Freude traf Judiths liebe Mutter am Mittwoch selbst in Wien ein und äußerte den begreiflichen Wunsch, wir mögen mit ihr nach Großwardein fahren, um ihren Bekannten den Bräutigam zu präsentieren; sie wären alle etwas enttäuscht gewesen, als sie von einem Major hörten; in der Truppe wurde diese Charge meist erst mit 45 Jahren erreicht, und man bedauerte, daß sich die jugendfrische Judith mit einem so alten Mann verlobt hatte. Mein Urlaub reichte bis 28.Februar, Zeit genug, um den Wunsch zu erfüllen.
Auf Mutters Verlangen ließen wir uns bei Kosel in der Uraniastraße 2 photographieren; der alte Herr war erfreut, in der düsteren Kriegszeit zwei so glückliche Menschen zu porträtieren, und die Bilder wurden großartig. Beim Juwelier Meyer am Stephansplatz kaufte ich einen goldenen Anhänger und ließ zu Judiths sechs Armreifen einen siebenten mit schönem Brillanten machen. Es lohnt hier ausdrücklich festzuhalten, wie anständig damals alte Firmen ihre Kunden bedienten: Herr Meyer suchte mir den Anhänger, in dem mein Bild Platz finden sollte, selbst aus uzw. aus seinen Vorkriegsbeständen, weil diese noch eine 90prozentige Goldlegierung hatten und von ihm um den "Friedenspreis" verkauft wurden. Da erstand ich gleich auch eine mir gezeigte Schweizer Golduhr, wie sie damals von Damen an langer Kette getragen wurden (später einmal trug sie mir den Vorwurf meiner sonst so gütigen Schwiegermutter ein, daß ich den altmodisch üblichen Golddeckel weggespart hätte).
Nach Vorsprache bei der Zentraltransportleitung im Kriegsministerium erhielt ich für unsere Reise nach Budapest und weiter nach Großwardein ein reserviertes Abteil I.Klasse, was die Damen gewaltig beeindruckte. So reisten wir am 24. zunächst nach Budapest, wo wir im Hotel Vadász kürt (Jägerhorn) abstiegen, das wie das Hotel Elisabeth in Wien vom kleinen Landadel beim Besuch der Hauptstadt benützt wurde.
Der Zufall wollte es, daß wir dort mit einer Cousine der Mutter, Frau v.Döry, zusammentrafen. Diese hatte vor etwa Monatsfrist ihre beiden Töchter Idis und Illi nach Budapest zu Bekannten gesendet, damit sie sich nach Heiratsgelegenheiten umsähen. Auf Vorschlag von Frau v.Döry hätte sich meine liebe Judith ihnen anschließen sollen, ihre Mama hatte jedoch abgelehnt, weil sie von solchem Versuch nichts hielt. Zur Entschädigung hatte sie Judith zur Großmutter nach Wien geschickt. Natürlich bereitete es ihr heitere Genugtuung, den Klagen ihrer Cousine über den erlittenen Mißerfolg mit der Nachricht von Judiths Verlobung zu begegnen und dabei gleich den Bräutigam zu präsentieren. Gemeinsam verbrachten wir einen heiteren Abend, denn die beiden lustigen Töchter hörten gern alle Einzelheiten meiner Begegnung mit Judith, die wir in bester Laune erzählten.
Am Morgen reisten wir nach Großwardein weiter. Zwei Tage später kam ganz unerwartet mein künftiger Schwiegervater auf Urlaub mit einer für uns grandiosen Nachricht: der deutsche und der öst-ung. Feldeisenbahnhof waren übereingekommen, den durch die vielen Kriegstransporte völlig durcheinander gekommenen Bestand an Lokomotiven und Waggons zu ordnen; deshalb wurden für die nächsten drei Wochen alle Transporte und Einzelreisen gesperrt; man hatte zu bleiben, wo man war; jeder Urlaub war automatisch um drei Wochen verlängert. Was für eine unbeschreiblich große Freude für Judith und mich, die wir schon die nahe Trennung schmerzlich empfunden hatten! Glück muß der Soldat haben! Hatte mir dies nicht schon mein erster Kommandant beim Inf.Rgt.Nr.72 gesagt?
Die nächsten Tage wurden benützt, um in Großwardein Besuche bei den Bekannten meiner Braut zu machen. Judiths Eltern bewohnten in der Gerliczy utca im Neubauviertel der Stadt eine hübsche Vierzimmerwohnung. Das Badezimmer lag zwischen 2 Zimmern, von jedem gesondert zugänglich. Mein künftiger Schwiegervater und ich schliefen im einen Raum, die beiden Damen im anderen.
Nach drei oder vier Tagen war ich dem Bekanntenkreis vorgestellt worden, und Judiths Mutter schlug vor, den Rest unseres Urlaubs in Aba puszta zu verbringen. Restbestand eines in früheren Zeiten großen Besitzes, umfaßte das Landgut etwa 450 Joch. Die Mutter hatte es an einen Herrn Gödöny zur Bebauung verpachtet; dieser hatte gemeinsam mit seinem Bruder mehrere nebeneinanderliegende Böden gepachtet und konnte daher rationell wie ein Großgrundbesitzer arbeiten, somit einen guten Pachtzins zahlen; laut Pachtvertrag konnte die Familie ihr Landhaus mit dem großen Obstgarten ungestört nützen und bekam vom Pächter überdies ein tägliches Milchdeputat und - wann immer sie dessen bedurfte - für ihren Wagen Kutscher und Pferde. Herr Gödöny war gerade wegen geschäftlicher Dinge nach Großwardein gekommen und als er hörte, daß wir hinausfahren wollten, stellte er uns seinen Wagen mit frischen Pferden zur Verfügung; dazu schenkte er Judith zur Verlobung ein Schwein, das für die Versorgung in Aba willkommen war. Der Vater hatte in Großwardein noch drei bis vier Tage Besorgungen und wollte mit dem Pächter nachkommen, so daß ich mit den beiden Damen allein hinausfuhr. Beim Überschreiten der Besitzgrenze zog Judith mich an sich und rief stolz aus, jetzt seien wir also auf eigenem Boden. Dieses Stück Land bedeutete ihr sehr viel und ihrer Mutter alles!
Nachdem der Wagen zwischen großen, teils schon mit keimender Saat bestandenen, teils frisch gepflügten Flächen gefahren war, hielt er vor einem unansehnlichen, mit Holzschindeln und Stroh gedeckten Landhaus. Beim Eintritt hingegen erwies sich das Haus als außerordentlich gemütlich, und der Ausblick aus dem großen zentralen Salon in den weiten Garten imponierte besonders dadurch, daß rechterhand ein Stück Eichenwald mit mächtigen, uralten Bäumen anschloß. Während der seinerzeitigen Waldrodung für Obst- und Gemüsegarten wohl absichtlich stehengelassen, ragte knapp vor dem Haus eine mächtige Eiche (die "tausendjährige") gen Himmel; die weiten Rasenflächen und Boskette dahinter waren durch eine alte Nußbaumallee gegen die Felder abgegrenzt wurden. Vom Haus gelangte man über eine große gedeckte Veranda in den Garten, links grünte ein etwa 1 Joch großer Weingarten mit erlesenen Tafeltrauben freundlich herüber. Ausblick und Veranda schloß ich vom ersten Augenblick an in mein Herz; sie boten uns in den folgenden Jahren immer neues Behagen. Leider habe ich den Garten niemals im Mai gesehen, wo er, mit verschiedenartigsten Blüten geschmückt, einen zauberhaften Anblick geboten haben muß; denn die vielen Sträucher und edlen Obstbäume waren von Generationen mit ausgesprochenem Schönheitssinn gepflanzt worden.
Der Vegetationsreichtum setzte mich in Erstaunen, weil der Boden durchwegs aus leicht gebundenem Sand bestand. Bei stärkeren Winden setzte sich der Sand in Bewegung, zum Gedeihen der Gegend gottlob selten. Um diese Wirkung zu begrenzen, waren auf Anordnung der in Ungarn beliebten Königin Maria Theresia die Grenzen der kleinen Güter und die großen Anbauflächen in angemessener Unterteilung mit Akazienreihen bepflanzt, was dem Land ein wenig das Aussehen oberitalienischer Kulturflächen verlieh. Weit und breit gab es keinen Stein, weshalb diese Gegend nur breite Naturwege zwischen den Akazienreihen durchzogen, die bei Nässe gut befahrbar waren, von denen Pferdebewegungen jedoch in der Sommerhitze haushohe Staubwolken aufwirbelten und in deren gelben Sand Wagenräder tief einschnitten.
Im Holz-Lehmbau errichtet, hatte das Herrenhaus einen klug erdachten Grundriß: die Schlafzimmer waren so groß, daß in jedem zwei Betten und eine gepolsterte Sitzmöbelgarnitur mit einem großen Schlafdivan standen, alles gediegene alte Möbel; da konnten drei Personen bequem ruhen. Im geräumigen Mittelsalon gab es drei gepolsterte Garnituren Sitzmöbel, einen riesigen Bücherschrank, einen Schreibtisch und ein Pianino. Zur Beleuchtung standen auf hohen Konsolen schöne Petroleum-Rundbrenner, die an den Abenden ein warmes, mildes Licht gaben. An den Wänden hingen etliche Ölgemälde aus Mutters Familie; jetzt kamen noch Ölbilder des Vaters dazu, in dessen Budapester 1.Honvéd-Rgt. hervorragende Künstler dienten.
Ans Herrenhaus schlossen sich unmittelbar ein Küchen- und Dienstbotenhaus und in weiteren Zwischenräumen die Landarbeiterhäuser an; sie bildeten die rechten und linken Seiten eines großen Rechtecks, das dem Herrenhaus gegenüber vom Getreidespeicher (maglár) und einem langgezogenen Stallgebäude begrenzt wurde. Hinter dem Stallgebäude lag ein eingezäunter Auslauf für Jungvieh und ein großer Schweinestall. In der Mitte dieses Rechteckes, also dem Herrenhaus schräg gegenüber, war dummerweise der Misthaufen plaziert, was über die Sommermonate in allen Häusern eine kaum zu beherrschende Fliegenplage verursachte.
Zur Zeit meines ersten Besuches waren nur die Köchin, der alte Gärtner mit Frau und Kindern und die Frauen der Gutsarbeiter mit ihren Kindern Ungarn. Alle anderen waren gutmütige russische Kriegsgefangene.
Mit großer Freude führte mich meine Braut in diesen Tagen im Garten zu ihrem sommerlichen Lieblingsplätzchen und auch hinaus auf die Felder bis an die Gutsgrenzen.
Die schönen Tage in Abapuszta verflogen rasch. Es wurde viel über Judiths Aussteuer gesprochen, die begreiflicherweise im vierten Kriegsjahr einige Sorgen bereitete. Auch das, was ich hierzu beizusteuern hatte, wurde geregelt. Nach einem rund einwöchigen Aufenthalt auf dem Land fuhren wir wieder nach Großwardein zurück.
Schließlich mußten wir uns trennen. Der Vater reiste direkt zu seinem Regiment ab. Ich hatte von Heinrich ein Telegramm erhalten, wonach ich mich am 18.März in Baden zu melden hätte. Judith regte an, einander täglich wenn auch nur kurz zu schreiben und die Briefe zu numerieren, damit jedes wisse, ob sie alle ankämen - es herrschte ja Krieg. Meine geliebte Braut hatte in den vorangegangenen Jahren sehr viel gelesen und sich sogar mit Übersetzungen englischer Werke ins Ungarische und Deutsche beschäftigt; unter anderem war ihr auch Moltkes Briefwechsel mit seiner viel jüngeren Frau in die Hände gekommen. Diesem entnahm sie Moltkes instruktive Meinung, daß der Mensch nur selten Dinge erlebe, die nach längerer Zeit noch erzählenswert erschienen, weshalb ein Briefwechsel in großen Abständen in der Regel dürftig sei; vielmehr würden die täglichen Kleinigkeiten des Lebens den gegenseitigen Gedankenaustausch befruchten und innig gestalten. Daraufhin haben wir uns täglich geschrieben, und dieser Briefwechsel hat uns noch nähergebracht, als es die verhältnismäßig kurze Zeit unseres Beisammenseins getan hatte. In wunderbarer Einfühlung hatte sie ihren ersten Brief an mich noch während unseres Zusammenlebens in Großwardein geschrieben und an die Adresse meines Bruders gesendet, damit ich nach der langen Heimreise gleich einen Liebesgruß von ihr vorfinden möge. Wie glücklich war ich darüber!
Wir hatten uns entschieden, die Ehe nach Kriegsende zu schließen. Die Betrachtung der innenpolitischen Verhältnisse der Monarchie mit ihrer tatsächlich nicht mehr überwindbaren Hungersnot ließ jeden erkennen, daß das Ende des Dramas nicht mehr lange auf sich warten lassen könne. Wann und wie dieses Ende kommen würde, ahnte damals kaum jemand. Ein Auseinanderfallen der Monarchie erschien allerdings absurd.
 
Am 4.Mai 2011 präsentierte der Böhlau Verlag in Wien
das umfangreiche, bebilderte, kommentierte und
mit einer Einführung versehene Buch:

P.BROUCEK (Herausgeber)
Ein österreichischer General gegen Hitler
Feldmarschalleutnant Alfred Jansa
Erinnerungen
Auslage in Wien I im Mai 2011 © 2011 by DMGG