FML JANSA
«Aus meinem Leben»
VI C
DER ERSTE WELTKRIEG
Beim Oberkommando Mackensen
24.IX.1915 - 5.II.1916
Temesvár hatte im Frieden eine große Garnison und war Sitz des VII.Korpskommandos gewesen. Jetzt beheimatete diese nach den Türkenkriegen Prinz Eugens durch General Mércy dem sumpfigen Boden abgerungene Stadt das öst-ung. "Militärkommando" und zahlreiche Ersatzkörper aller Waffen des Heeres und der Honvéd. Temesvár, fast ganz von zugewanderten Schwaben erbaut, galt als Hauptstadt des Banates, eines Ländergebietes, das historisch nicht zu Ungarn gehört hatte, sondern diesem erst durch die Kaiserin Maria Theresia, uzw. gegen den Einspruch ihres Sohnes Josef, eingegliedert worden war. Die Stadt mit ihrer alten Festungsumwallung war untrüglich deutsch; das "ungarische" nur aufgepfropft, was man deutlich wahrnehmen konnte. Der Banater Dichter Müller-Gutenbrunn hat das Schicksal der Schwaben unter ungarischer Herrschaft in einigen guten Romanen beschrieben. Diese Bücher sind lesenswert, weil nach dem Ende des Krieges 1918 das Banat zum Teil den Serben, zum andern den Rumänen zugesprochen wurde, die natürlich kein Interesse hegen, die kulturelle Erschließung dieses Gebietes durch die kaiserliche österreichische Armee als historisch unbestreitbare Wahrheit für die Nachwelt zu bewahren.
Am 24.September 1915 früh kam ich in Temesvár an. Beim militärischen Bahnhofkommando erhielt ich die nötigen Adressen. Für mich war staunenswerterweise sogar schon ein Quartier sichergestellt, wohin mich ein Fuhrwerk brachte. Das Quartier war im großen, prunkvoll gebauten Haus (ich glaube, es war eine Bank), in dem auch die Büros des OK Mackensen lagen. Der Doppelposten vor dem Eingang, zwei deutsche Landsturmmänner, präsentierten das Gewehr.
Auch hier machte ich mich gründlich zurecht und ging zuerst über den Platz in ein bescheidenes Haus, in dem das dem OK Mackensen zugeteilte öst-ung. Etappenkommando amtierte. Sein Leiter war der mir aus der gemeinsamen Dienstzeit in Sarajevo wohlgesinnte Mjr.Viktor Franz, der Sohn eines reichen Prager Rechtsanwaltes. Er war dort bei der 48.Division als Hauptmann eingeteilt gewesen und kam 1912 ins Etappenbüro des Generalstabes nach Wien. Den Krieg hatte er bisher im Etappen-Oberkommando in Teschen mitgemacht. Franz begrüßte mich mit der alten Herzlichkeit, die uns alle, die wir in Bosnien gedient hatten, fürs Leben verband. Von ihm erfuhr ich nun alles für mich Wissenswerte. Er hatte einen großen Stab. Ihm oblag nicht nur die Versorgung der öst-ung.Verbände beginnend mit allen Bedürfnissen von der Munition und mit den Gefallenenlisten endend, sondern auch die Ausstattung der deutschen Truppen mit Gebirgsartillerie, Überschiffungsmitteln und Gebirgstrains, soweit sie dieser bedurften. Die deutsche Etappe, die Quartiermeister-Abteilung hieß, unterstand dem mir schon gut bekannten Obstlt.Hentsch.
Franz wiederholte öfter, ich möge mir von den Deutschen ja nicht imponieren lassen; das seien überhebliche Menschen, die man immer wieder in ihre Schranken weisen müsse. Im gleichen Sinne äußerte sich der hinzu gekommene öst-ung. Verbindungsoffizier Obst.d.Generalstabes v.Lustig-Prean, der demonstrativ die Uniform eines Feldjäger-Obersten trug, weil er das Kärntnerische Feldjägerbataillon durch Monate vor dem Feind geführt hatte. Ich hörte, daß GFM v.Mackensen am 20. nach Temesvár gekommen sei, sich aber momentan in Wien zur Audienz bei Kaiser und König Franz Joseph befinde.
Franz drängte mich jetzt weg, damit ich meine Meldung bei GM.v.Seeckt noch vor dem gemeinsamen Mittagstisch erstatten könne. Obst.v.Lustig kam gleich mit, um mich Seeckt vorzustellen. Ich hatte Lustig bisher nicht gekannt; seine betont legere Haltung und Sprache gefielen mir wenig, obwohl er sich gegen mich herzlich kameradschaftlich zeigte.
Nach Anmeldung durch einen "Hilfsoffizier" traten wir bei Seeckt ein. Der General stand auf, Monokel im rechten Auge. Etwas befremdet hörte ich, wie Lustig ihn mit "Herr von Seeckt" ansprach und sagte, daß er den Generalstabsoffizier für die Operationsabteilung bringe. Ich straffte mich wie bei jeder Meldung vor einem Vorgesetzten und sprach dann unseren öst-ung. Dienstvorschriften gemäß: "Herr Generalmajor, Hauptmann des Generalstabskorps Alfred von Jansa meldet gehorsam seine Einteilung in die Operationsabteilung des Oberkommandos und seinen Dienstantritt."
Seeckt machte eine knappe Verbeugung, reichte mir die Hand und meinte, ich sei ihm willkommen. Dann wandte er sich frostig an Lustig und sagte ohne Handreichung in knapper betonter Kürze: "Ich danke Herr Oberst, ich habe mit Herrn Hauptmann noch zu sprechen." Damit war Lustig entlassen. Seeckt erklärte mir, er habe einen mit den Balkanverhältnissen vertrauten jungen Generalstabsoffizier, der seine Ausbildung unter FM v.Conrad genossen hatte, angefordert; da diese jungen österreichischen Generalstabsoffiziere den deutschen in graphischen Darstellungen überlegen seien, "bäte" er mich, die eigene Lagekarten-Darstellung zu übernehmen. Als ich mit einer Verbeugung sagte, daß ich mit dieser Materie gut vertraut sei, nickte Seeckt zustimmend und meinte, so sei er von Conrad über mich orientiert worden und auch Obst.v.Bartenwerffer hätte ihm berichtet. Das nahm ich als Stichwort, um Seeckt den begreiflichen Wunsch von FML Krauß vorzutragen, über die kommenden Ereignisse auf diesem Kriegsschauplatz eingehender orientiert zu werden, als dies sonst durch die öffentlichen Tagesberichte geschehe. Krauß habe mir als Gegendienst eine laufende Orientierung über die Südwestfront zugesagt. Seeckt erklärte sich damit einverstanden, daß ich täglich die von ihm genehmigten Berichte an unser öst-ung. AOK auch an FML Krauß weitergebe. Die Südwestfront interessiere ihn sehr; er werde mir täglich am Nachmittag eine Referatstunde freihalten. Abschließend sagte er, daß ich ja wisse, daß alles Geschehen in der Operationsabteilung streng geheim sei, daß ich über Mjr.v.Bock ausschließlich ihm unterstünde und besonders dem Obst.v.Lustig keinerlei Auskünfte geben dürfe. Dessen Orientierung obliege ausschließlich Mjr.v.Bock und ihm selbst. Er neigte leicht den Kopf, ich machte in der mir anerzogenen korrekten Weise meine Verbeugung und war fürs erste entlassen. Mit der Aufnahme durch Seeckt war ich zufrieden; mehr konnte ich nicht erwarten; und daß er in die Orientierung von FML Krauß eingewilligt hatte, freute mich besonders.
Zwischen Seekt und Lustig schien eine Spannung zu bestehen, über die ich mir den Kopf zu zerbrechen keine Zeit hatte. Seeckts Zimmer stieß an einen großen Raum, in den ich nun trat. Das war der Arbeitsraum der Operationsabteilung, in dem ich Mjr.v.Bock als Ia (so lautete die preußische Bezeichnung für das, was wir Österreicher Chef der Operationsabteilung nannten) in gleicher Weise wie Seeckt meine Meldung erstattete und der mich freundlich begrüßte und darauf hinwies, daß schon ein Haufen Arbeit auf mich warte. Sonst waren da noch ein GenStabsHptm.Dunst als Ib und Blankenhorn als Ie. Der Ic, ein Hptm.Soldan, arbeitete bei Mjr.Franz. Die Bekanntmachung mit diesen Offizieren erfolgte nur kurz durch Namensnennung und beiderseitige Verbeugungen. Dann war auch schon Zeit, sich in den riesigen Speiseraum zu begeben.
Wenn man österreichischen Kommandostellen nachsagte, daß sich bei ihnen zuviel Personen häufen, so übertrafen die hier beim Essen zusammenkommenden Menschen an Vielzahl alle österreichischen Befehlsstellen. Ich wurde durch Mjr.v.Bock generell vorgestellt, bloß dem als Gast im Hauptquartier weilenden General Herzog v.Mecklenburg persönlich. Dann sagte Bock zu mir, ich sei heute sein Gast, was bedeutete, daß er für uns beide eine Flasche Sekt bestellte. Die Offiziere der Operationsabteilung besaßen im Stab eine besonders hohe Geltung, auch gegenüber nach Charge und Rang höheren Offizieren anderer Dienstverwendungen. An der Hufeisentafel waren wir vier Offiziere in der Mitte eines Längsarmes plaziert, wobei sich als fünfter auch der Hptm.Soldan zu uns setzte. In Abwesenheit Mackensens präsidierte GM.v.Seeckt die Tafel.
Bevor wir Platz nahmen, trug ein als Reserveoffizier eingerückter Opernsänger, am Klavier von einem anderen Künstler begleitet, eine Arie vor. Das geschah täglich, wobei sich Sänger und Schauspieler, die auch als Reserveoffiziere da waren, abwechselten.
Zu Beginn der Mahlzeit instruierte mich Mjr.v.Bock über den exerziermäßig stramm zu erledigenden Tischkomment: Seeckt werde mir während des Essens als Begrüßung zutrinken; da habe ich mich in Habtacht-Stellung zu erheben, das gefüllte Glas vor die Brust zu halten und nach einer Verbeugung in einem Zug bis auf den letzten Tropfen zu leeren, danach das Glas wieder vor die Brust zu nehmen, eine zweite Verbeugung zu machen und dann erst wieder Platz zu nehmen. Nur Gleichgestellte dürften beim Zutrinken sitzenbleiben. Na schön! Bei uns Österreichern blieb man sitzen, auch wenn der Erzherzog einem zutrank; deshalb galten wir ja als schlapp.
Gleich nach der Suppe trank Mjr.v.Bock mir sitzend zu. Generalprobe: ich stand stramm auf, worauf sich auch Bock erhob. An der großen Tafel entstand durch diese Sitte eine die Konversation störende Unruhe, denn viele tranken vielen zu, so daß man immer wieder Leute aufstehen, die Absätze zusammenschlagen und sich setzen sah. Und während der Braten serviert wurde, kam richtig eine servierende Ordonnanz zu mir mit der strammen Meldung, daß "Herr General von Seeckt Herrn Hauptmann zuzutrinken wünscht." Bock schenkte mir gleich mein Glas voll. Ich stand auf, wendete mich zu Seeckt und benahm mich nach Belehrung, was Bock nachher mit "gut gemacht" klassifizierte. Dann ließ mir der Herzog v.Mecklenburg Gleiches melden, Obstlt.Hentsch ebenfalls, bei dem ich noch garnicht Zeit gefunden hatte, mich zu melden. Es waren das solcherart in den nächsten Tagen unruhige Mahlzeiten. Als mich Blankenhorn einmal fragte, ob mir diese auszeichnende "appellmäßige" Art des Zutrinkens nicht gefalle, erwiderte ich taktvoll, daß ich das prächtig fände; im Stillen dachte ich mir aber, daß bei uns in Österreich bei der Fütterung nicht einmal im Stalle "Habt acht" kommandiert werden durfte, um die Pferde bei ihrem Fressen nicht zu stören.
Die Zubereitung der Speisen war ausgezeichnet. Als ich das meinem Nachbarn anerkennend sagte, lachte er und meinte, das sei echt österreichisch. Da ich nicht verstand, was er damit meinte, erklärte er mir, daß seit der Begegnung österreichischer und preußischer Kommandos in Polen, jede deutsche Stelle österreichische Köche erbitte. Für uns kochten da auch Österreicher.
Nach dem Essen nahm ich mir sofort die Befehle für die Truppenbereitstellungen an den Strömen her. Ich trug das beim Lesen gewonnene Bild nach unserer österreichischen Generalstabstechnik mit Farbstiften in die Karten. Dunst und Blankenhorn schauten mir anerkennend zu und staunten, wenn ich gleich Bemerkungen einflocht, zB. daß man diese oder jene Formation dem Gelände nach besser an einem anderen nahegelegenen Ort befohlen hätte, wo ihre Deckung gegenüber dem erhöhten Südufer günstiger gewesen wäre.
Die deutschen Generalstabsoffiziere zeichneten mit abwaschbaren Farben nur einzelne Striche in ihre Karten, was natürlich nicht jenen dauernden Überblick gewährte, wie wir es auf Conrads Befehl in der Kriegsschule eingedrillt bekommen hatten. Sie mußten alles im Kopf behalten; bei uns wurde das Gehirn durch das Schaubild entlastet.
Die fertige Darstellung war für GM.v.Seeckt gedacht, und ich begann gleich mit einer Kopie für meinen Gebrauch. Kaum war ich fertig, kam auch schon Mjr.v.Bock mit der Aufforderung zum Chef einzutreten, der wolle mich sprechen.
Ich nahm die für Seeckt bestimmte Karte gleich mit. Der war erfreut so rasch bedient zu werden, betrachtete lange die Karte und fragte mich dann, was ich über den Aufmarsch dächte, ich wäre ja lange bei FML Krauß gewesen. Ich antwortete, daß ich noch nicht verstünde, warum man das österreichische VIII.Korps direkt auf Stadt und Festung Belgrad ansetze, was angesichts der erhöhten, dominierenden Lage Belgrads für das VIII.Korps schwerste Verluste bringen werde. Seeckt meinte, das sei doch nur die Ausführung des Aufmarschplanes, den FML Krauß entworfen habe. Ich verneinte das und sagte, daß Krauß wegen dieser Schwierigkeit Belgrad nicht direkt angreifen, sondern durch die Übergänge bei Kupinovo und Ram, die vor zwei Jahrhunderten Laudon und Prinz Eugen bewirkten, Belgrad als reife Frucht, ohne direkten Angriff, pflücken wollte.
Seeckt rief Mjr.v.Bock. Es stellte sich heraus, daß GdK.v.Tersztyanszky nach unserem Abgang an die Südwestfront den Angriffsplan Krauß wohl im Großen beibehalten hatte, jedoch den direkten Angriff auf Belgrad aus Prestigegründen hinzugefügt hatte; inzwischen war Tersztyanszky aber wegen einer Differenz mit dem ungarischen Ministerpräsidenten durch Gen.Kövess ersetzt worden; dieser war mit dem direkten Angriff auf Belgrad angesichts der für die damalige Zeit "enormen" Menge an mittlerer und deutscher schwerer Artillerie einverstanden. Dazu erbat ich die Erlaubnis zu einer Fahrt nach Neusatz, um mich bei Gen.Kövess, dem Kommandanten der 3.öst-ung.Armee, vorzustellen, was Seeckt genehmigte. Sonst war ja dem Aufmarschplan Krauß Rechnung getragen worden: bei Kupinovo sollte das XIX.öst-ung.Korps und bei Semendria-Ram die deutsche 11.Armee übergehen.
Während wir noch sprachen, trat der deutsche Artilleriechef bei Mackensen, Gen.Behrendt ein, ein kleiner, sehr beweglicher Herr mit einem hochintelligenten Kopf. Ich nahm sofort Haltung an; Seeckt machte mich mit ihm bekannt und teilte ihm meine Bedenken über die zu erwartenden schweren Verluste beim VIII.Korps mit. Er war der Meinung, daß der direkte Angriff auf Belgrad sicher schwierig sei, aber beim Einsatz der sehr zahlreichen schweren Artillerie, für die auch genug Munition bereitgestellt sei, ohneweiters durchgeführt werden könne. Dann wendete sich Behrendt direkt an mich und sagte still in sich lächelnd, "daß ihm bis jetzt jeder artilleristische Angriffseinsatz gelungen sei".
FML Krauß hatte in seinem Operationsplan auch vorgesehen, daß zwei Divisionen aus Bosnien heraus über Višegrad ins Tal der westlichen Morava vorstoßen sollten, um den über Save und Donau mit den Hauptkräften angegriffenen Serben den Rückzug abzuschneiden und so das serbische Heer für die Zukunft ganz auszuscheiden. Wegen des Truppenerfordernisses gegenüber Italien stand jetzt bei Višegrad bloß eine öst-ung. Division, die 53ste. Diesbezüglich sagte GM.Seeckt zu mir, daß er diese Division zu den Hauptkräften an den rechten Flügel des XIX.öst-ung.Korps heranziehen wolle, das bei Kupinovo über die Save gehen solle. Ich machte ihn aufmerksam, daß dadurch die von FM Conrad erstrebte Rückenbedrohung der Serben durch das westliche Morava-Tal verloren ginge und infolge der Schmalspurbahn in Bosnien der Transport so lange dauern würde, daß die Division für den am 5.10. geplanten Übergang kaum zurechtkommen könne. 12 deutsch-öst-ung. Divisionen mit der sehr starken Artillerie der Heeresgruppe erschienen mir für den Übergang über die Ströme Save und Donau ausreichend. Seeckt antwortete darauf, daß er es trotzdem für richtig halte, diese Division zu den Hauptkräften heranzuziehen, weil man an der entscheidenden Stelle nie stark genug sein könne. Das Abschneiden der Serben von ihrer Rückzuglinie, die nur entlang der Eisenbahn über Skoplje (Üsküb) nach Saloniki führen könne, sei Aufgabe der Bulgaren, die ja mit zwei Armeen vier Tage nach unserem Angriffsbeginn auf Niš und Skoplje vorstoßen werden. Ich kam noch einmal auf die Belassung der 53.Division bei Višegrad und die Bedeutung von deren Vorgehen im westlichen Morava-Tal zurück, da sie ja bei den Hauptkräften angesichts der Stärke der Bulgaren doch nicht notwendig sein werde. Seeckt verblieb jedoch bei seinem Entschluß, die 53.Division zum XIX.Korps an die Hauptkräfte heranzuziehen.
Demnach ist die Darstellung im Werk «Österreich-Ungarns letzter Krieg» (im III.Band auf Seite 191), wonach die Heranziehung der 53.Division an das XIX.Korps an die Save infolge eines Mißverständnisses geschehen wäre, nicht richtig. GM.v.Seeckt hatte diese operative Chance ganz bewußt und trotz meiner gegebenen Orientierung über Sinn und Zweck des Aufmarsches dieser Division bei Višegrad ausgeschlagen. Seine Entscheidung mußte als endgültig angesehen werden, da er, dh. das OK Mackensen, die volle Verantwortung für das Gelingen des Feldzuges trug.
Seeckt befragte mich auch über den Kampfwert der öst-ung. VIII. und XIX. Korps. Ich orientierte ihn, daß nur das Kommando des VIII.Korps mit dem Prager VIII.Korps ident war. Seine beiden Divisionen 57 und 59 stammten aus den seinerzeitigen Balkanstreitkräften und gehörten zu den besten Divisionen des k.u.k. Heeres. Beide hatten unter ihren bewährten Kommandanten schon im ersten serbischen Feldzug Außergewöhnliches geleistet, waren also mit dem hiesigen Kriegsschauplatz voll vertraut. Allerdings haben beide Divisionen in den ersten beiden Isonzo-Schlachten schwere blutige Verluste erlitten und ihre sehr guten Ersätze aus den Marschformationen waren verbraucht. Das XIX.Korps hatte in FML Trollmann einen hervorragend bewährten Kommandanten, bestand jedoch zur Gänze aus Landsturmformationen, die bisher nur in der Abwehr eingesetzt worden waren. Ihr offensiver Einsatz bedurfte ruhiger Führung und Stützung durch starke Artillerie. Hingegen galt die stets bravourös geführte Donauflottille mit ihren Monitoren als starker Kraftfaktor.
Mein erstes Referat bei Seeckt hatte über eine Stunde gedauert. Während dieser Zeit mußte Mjr.v.Bock den beiden Hauptleuten etwas von meinem Erstaunen über den Einsatz des VIII.Korps direkt auf Belgrad gesagt haben. Denn als ich jetzt in den Arbeitsraum der Operationsabteilung zurückkam, empfing mich Hptm.Dunst mit der spitzen Bemerkung, ich wäre mit Seeckts Aufmarschplanung nicht zufrieden gewesen, doch sei es in der Operationsabteilung nicht üblich, den Chef korrigieren zu wollen. Kühl erwiderte ich, daß ein österreichischer Generalstabsoffizier geschult sei, auf gestellte Fragen frank und frei seine Meinung zu äußern.
Dann rief ich Major Franz in der Etappe an und bat ihn um Karten des italienischen Kriegsschauplatzes, in die ich aus dem Gedächtnis die Lage eintrug, wie sie bei meinem Abgang von der Südwestfront bestanden hatte. Ich teilte Mjr.Bock und Hptm.Dunst mit, daß ich vom Chef ermächtigt worden war, die Lagemeldungen der Heeresgruppe Mackensen ans AOK, sobald Seeckt sie genehmigt hätte, auch ans KdoSWF durchzugeben; dazu erbat ich von Dunst die letzten Meldungen. Mjr.Franz vom Etappendienst teilte ich dies ebenfalls mit und bat um eine direkte Hughes-Verbindung mit Marburg; das war rasch geschehen. Da es sich nicht um ein die Operationen der Heeresgruppe Mackensen betreffendes Geheimnis handelte, gab ich davon auch Obst.v.Lustig Kenntnis. Dann gab ich eine Zusammenfassung der Lagemeldungen der letzten Tage nach Marburg durch, wo sie von Hptm.Hubicki entgegengenommen wurden, welcher mir dafür die letzten Veränderungen an der Südwestfront zusendete. Damit begann sich ein für die nächste Zeit gültiger Vorgang einzuspielen.
Am Abend war der Generalfeldmarschall von Wien zurückgekommen. Da er über keine eigenen Büroräume verfügte, sondern im Lauf des Vormittags selbst in die Operationsabteilung und zu Seeckt kam, wurde ich ihm durch diesen vorgestellt. Der Marschall war eine prächtige soldatische Erscheinung. Er nahm meine Vorstellung freundlich auf und erzählte gleich, daß ihn "des Kaisers Franz Joseph Majestät" (wir Österreicher sagten "Seine Majestät der Kaiser") durch seine geistige Frische und seine detaillierte Orientiertheit über alles Kriegsgeschehen tief beeindruckt habe; er wünsche uns Österreichern, der Kaiser möge uns noch lange erhalten bleiben. Bei der folgenden Mittagstafel kam wieder eine Ordonnanz mit der Meldung zu mir, daß der Herr Generalfeldmarschall mir zuzutrinken wünsche. Diesmal hatte ich Mjr.Bock eingeladen, somit war genügend Sekt zur Hand, um mein Glas randvoll zu füllen und dann stramm den Trinkkomment zu absolvieren.
Am Nachmittag meinten Dunst und Blankenhorn, daß ich meinen Eintritt in die Operationsabteilung noch nicht gefeiert hätte. Ich versprach dieser Aufforderung am übernächsten Tag zu genügen. Am Tag davor wollte ich zur 3.öst-ung.Armee fahren.
Für diese Fahrt bekam ich einen deutschen Kraftwagen angewiesen und in Neusatz war man erstaunt, aus dem von einem deutschen Soldaten gelenkten Wagen mit dem Zeichen des Heeresgruppenkommandos, einen österreichischen Offizier aussteigen zu sehen. Zuerst konnte ich mich beim Generalstabschef der 3.öst-ung.Armee, GM.Konopicky, melden. Diesen Herrn kannte ich bereits aus dem ersten serbischen Feldzug und von der italienischen Front, wo er die 4.Gebirgsbrigade stets überlegt, geschickt und mit Erfolg geführt hatte. Er begrüßte mich freundlich und wollte viel über das Kommando der Heeresgruppe wissen. Allzuviel konnte ich noch nicht erzählen, da ich ja erst zwei Tage dort verbracht hatte. Aber ich schnitt auch hier den Ansatz des VIII.Korps direkt auf Belgrad an und erzählte, wie es seinerzeit dem hervorragenden Artilleristen Körner selbst mit einem 30½cm-Mörser nicht gelungen sei, die serbischen, in der Festung Kalimegdan für uns unsichtbar installierten Geschütze niederzukämpfen. Danach fuhr ich mit dem Artilleriestabsoffizier, der dem öst-ung. Armee-Artillerie-General zugeteilt war, Hptm.Kubena, nach Semlin. Er orientierte mich über den allerdings imponierend starken Artillerieaufmarsch, und ich zeigte ihm von der eingerichteten Artilleriebefehls- und Beobachtungsstelle den Teil der Kalimegdan-Mauer, wo wir im vergangenen Frühjahr die den Donaustrom beherrschenden serbischen Geschütze festgestellt hatten, ohne sie vernichten zu können. Die Artillerieoffiziere, die unserem Gespräch zuhörten, waren zuversichtlich. Kubena sagte, er werde noch je eine mittlere Kanonenbatterie hier und gegenüber in Pancsova in Stellung bringen, die in direktem Schuß die gegenüberliegenden Kasematten-Scharten bearbeiten werden. Ich wünschte ihnen ein "Glück auf Barbara" und fuhr nach Neusatz zurück. Dort stellte ich mich Exzellenz Kövess vor, der mich zum Mittagstisch einlud. Um wieviel einfacher und bescheidener ging hier alles zu! Auf dem Rückweg sprach ich noch kurz beim VIII.Korpskommando vor, bei dem ich ja den FML Graf Scheuchenstuehl und Obst.Sündermann vom ersten serbischen Feldzug her kannte.
Ich kehrte so rechtzeitig nach Temesvár zurück, daß ich noch die Verbindung mit der Südwestfront aufnehmen und deren letzte Angaben in die Lage-(wir Österreicher sagten damals "Evidenz-")Karte eintragen konnte. Als ich gegen Abend zu GM.v.Seeckt gerufen wurde, vermochte ich ihm nicht nur über meinen Besuch beim 3.Armee- und beim VIII.Korpskommando, sondern auch über den Kriegsschauplatz an der italienischen Grenze zu berichten. Er zeigte sich sehr interessiert, und alles in allem fand ich ihn durchaus nicht schwierig, wie ich es nach der Bemerkung Bartenwerffers in Marburg erwartet hatte. Das Referat dauerte wieder über eine Stunde. Zum Schluß sagte mir Seeckt, daß er am folgenden Tag abends nach Orsova reisen werde; ich möge ihn begleiten, sonst nehme er von der Operationsabteilung niemanden mit.
Von meinen deutschen Kollegen wurde das wieder spitz aufgenommen, doch konnte ich mit dem Hinweis parieren, daß sich bei Orsova eine nur öst-ung. Gruppe befinde und es ganz natürlich sei, daß sich der Chef für diesen Besuch einen österreichischen Generalstabsoffizier mitnehme. Übrigens werde ich morgen meinen Einstand in die Operationsabteilung feiern; darauf meinte Dunst noch, ich möge das aber nobel machen und den Champagner nicht wegsparen. Selbigen Abends bestellte ich im gegenüberliegenden Kaffeehaus, wo man zum Unterschied gegen Marburg noch Delikatessen in Hülle und Fülle bekommen konnte, ein reichliches Gabelfrühstück mit ungarischem Pörkölt, Sandwiches und zwei Flaschen Törley-Pezsgö, das ein Kellner nach 10h in die Operationsabteilung bringen sollte.
Das erste Frühstück wurde den Mitgliedern der Operationsabteilung durch Ordonnanzen immer im Arbeitsraum auf den Arbeitstisch gestellt. Da gab es für jeden von uns dreien eine große Kanne ganz lichtbraunen, doch wohlschmeckenden Kaffee, ein winziges Kännchen Milch, ein paar Scheiben Wurst und Brot. Jeder frühstückte, ohne die Arbeit zu unterbrechen. Dunst hing den ganzen Tag am Telephon, fragte alle Stellen nach Neuigkeiten ab und gab die ihm von Mjr.Bock aufgetragenen kurzen Befehle weiter; Blankenhorn schrieb ausschließlich nur das Kriegstagebuch, in dem er alles Geschehen in einer den GM.v.Seeckt recht zur Geltung bringenden Weise beschrieb. (Bei uns in Österreich wurden die Tagebücher von einem Generalstabsoffizier - das war oft ich gewesen - rein sachlich und nur mit Schlagworten geführt.); ich las die während der Nacht eingelangten Meldungen und Berichte, um sie in die Lagekarte einzutragen, für die mir der deutsche Chef der Nachrichtenabteilung, ein Mjr.Frederici, die jeweils eingelangten Meldungen über den Feind brachte. Organisatorisch oder administrativ hatte die deutsche Operationsabteilung nichts zu tun. Das wurde alles dem Generalquartiermeister Oberstlt.Hentsch zugeschoben, der wieder mit der öst-ung. Etappe unter Mjr.Franz zusammenarbeitete.
Am nächsten Vormittag brachte der Kellner das bestellte Gabelfrühstück, und es wurde von den deutschen Herren mit Freude verzehrt, auch Mjr.v.Bock nahm seinen Teil. Da trat - unerwartet frühzeitig - der Generalfeldmarschall ein; seine Stirn legte sich beim Anblick der Sektflaschen in Falten, und er fragte unwirsch, was das zu bedeuten habe. Ich trat vor und meldete, daß ich der Gastgeber aus Anlass meiner Einteilung in die Operationsabteilung sei. Der Marschall sagte, schon weniger unwirsch, ich möge die "preußische Einfachheit" nicht in Versuchung bringen, und ging in Seeckts Zimmer. Nach ein paar Minuten durchschritt er wieder unseren Arbeitsraum und verabschiedete sich durch ein Kopfnicken. Hierauf nahm Mjr.v.Bock sein Glas und trank mir zu mit den Worten, es sei ordentlich von mir gewesen nicht zu sagen, daß sie mich zu dieser kleinen Feier aufgefordert hätten. Dem schlossen sich Dunst und Blankenhorn an und damit war die ganze Geschichte beendet. Meine Stellung gegenüber den deutschen Herren war freilich ansehnlicher geworden.
Mit der preußischen Einfachheit, die der Marschall betont hatte, war es für unsere österreichischen Augen nicht so weit her: die deutschen Herren waren gebührenmäßig weit besser gestellt als wir. Der österreichische Generalstab war im Umgang mit Truppenoffizieren von großer Bescheidenheit nach Sprache, Bekleidung und dem ganzen Benehmen; er war der Truppe gegenüber stets so hilfsbereit, daß es mitunter den Anschein hatte, daß der österreichsiche Generalstab durch sein Verhalten die Truppe fast um Verzeihung bäte, daß seine Arbeitsräume nicht im vordersten Schützengraben lägen. Das Ansehen, das sich die Operationsabteilung im Stab Mackensen erzwang, wäre bei uns undenkbar gewesen. Schon daß vor der Eingangstür in die Operationsabteilung Tag und Nacht zwei Landwehrmänner als Wache saßen, die bei jedem Aus- und Eingang eines von uns Vieren aufsprangen und sich erst wieder setzten, wenn die Tür geschlossen war, hätte man in einem österreichischen Stab lächerlich gefunden. Während wir unsere Uniformen schlicht, aus dem gleichen feldgrauen Stoff wie die Truppe trugen, kamen die deutschen Herren mit ihren erdbeerroten Streifen an den tadellos gebügelten Hosen und der Litewka, dem kleinen Gesellschaftsrock der preußischen Offiziere, mit glänzenden Knöpfen ins Büro. Den Mantel trugen sie grundsätzlich mit aufgestelltem Kragen, damit dessen erdbeerfarbenes Unterfutter sie schon von weitem als Generalstabsoffiziere erkennen ließ. Ihre Sprache zu den Truppenoffizieren, auch jenen im eigenen Stab, war hart und kurz angebunden; fast immer mit Ausstellungen und Forderungen verbunden. Oft schüttelte ich darüber den Kopf, auch bei den vielen Telephongesprächen, die Hptm.Dunst führte. Allerdings erreichten sie dadurch einen Gehorsam ohne Widerspruch. Kein Truppenoffizier dachte daran, es sich mit einem Herrn der Operationsabteilung zu verderben.
Wie bei jeder Frontfahrt hatte ich für den Abend nur die Felduniform mit einem Mantel und in einer kleinen Handtasche Wasch-und Rasierzeug mitgenommen; mir kam garnicht in den Sinn, auch meinen Offiziersdiener mitzunehmen. So erwartete ich GM.v.Seeckt am breiten Korridor. Wie erstaunt war ich, als er mit langer Hose, Lackschuhen und dunklem Mantel zur Fahrt nach Orsova aus dem Zimmer trat. Ein Auto brachte uns zum Bahnhof, wo ein Extrazug, bestehend aus einer Lokomotive und einem Schlafwagen für uns zwei Offiziere wartete. Seeckt gab dem begleitenden Eisenbahn-Zugführer die Weisung, den Zug so abzustellen, daß unsere Nachtruhe nicht gestört werde und ihn eine Stunde vor Ankunft in Herkulesbad, die er für 8h früh wünsche, zu wecken. Dann sagte er zu mir, es sei wohl am besten, wenn wir gleich zur Ruhe gingen. Sein Offiziersdiener und zwei deutsche Ordonnanzen betreuten uns und stellten gleich die Frage, was sie uns servieren dürften. Ich erbat für morgen 7h Kaffee. Darauf meinte die Ordonnanz, das wäre selbstverständlich, aber was jetzt zum Nachtessen? Da ich schon vor der Abfahrt im Kasino gegessen hatte, lehnte ich alles ab. Ob und was sich Seeckt bestellte, weiß ich nicht. Für mich war es das erste Mal im Leben, daß ich überhaupt in einen Schlafwagen gestiegen war. Ich legte mich bald nieder; beim Einschlafen wollten mir die Preußen durchaus nicht so schlicht und bescheiden erscheinen, wie sie es gern wahrgehabt hätten.
In Herkulesbad meldete sich um 8h am Zug der Kommandant der schwachen öst-ung. Landsturmsicherungen, ein aus dem Ruhestand für Kriegsdauer geholter General Fülöpp mit seinem Adjutanten. Zwei Autos standen bereit, uns nach Orsova zu bringen, wo der rasche Lauf der zwischen steilen Berghöhen dahineilenden Donau Seeckt sichtlich beeindruckte. Von österreichischer Seite war an einen Donauübergang der Landsturmtruppen nie gedacht worden, weil das gegenüberliegende bewaldete serbische Land ganz von selbst in unsere Hände fallen mußte, wenn unsere Hauptkräfte im Morava-Tal von Semendria aus südwärts vordrangen. Die Notwendigkeit, auf dem Donau-Weg den Türken und Bulgaren bald Munition zukommen zu lassen, verleitete nicht nur Seeckt dazu, einen Versuch zum Donauübergang bei Orsova zu machen, sondern später auch die deutsche Heeresleitung unter Falkenhayn, das aus Tirol herangezogene deutsche Alpenkorps dort sinnlos anzusetzen, denn als es dort ankam, hatten die Serben diesen Landzwickel längst geräumt.
Ich war daher erstaunt, als Seeckt von Fülöpp verlangte, ihm zu erklären, wie er den Donau-Übergang bewirken wolle. Anstatt grad herauszusagen, daß hier bisher nur an den Feind täuschende Demonstrationen gedacht worden sei, begann er, leider sachlich nicht sehr überlegt, herumzureden und von Seeckt viel Artillerie, Pioniere, Übergangsmittel und weißgottwas noch alles zu verlangen. Der schwieg sich dazu aus und blieb auch bei dem gebotenen Frühstück gemessen kühl. Auf der Rückfahrt im Zug sagte Seeckt zu mir, daß ihm Fülöpp keinen guten Eindruck gemacht habe. Dem konnte ich zustimmen, orientierte ihn jedoch auch gleichzeitig über die Tatsache, daß nach operativer Lage, Qualität der Landsturmtruppen und Mangel an Mitteln von FML Krauß bei Orsova lediglich an Demonstrationen zur Feindtäuschung gedacht worden war. Da fragte er mich erstaunt, warum ich ihm das nicht früher gesagt hatte, worauf ich jetzt antworten konnte, daß mir die Herren in der Operationsabteilung gesagt hätten, es sei nicht üblich, den Chef ungefragt zu belehren. Seeckt lachte und meinte, daß er mich von diesem Brauch enthebe; ich könne ihn auch ungefragt auf Dinge aufmerksam machen, die ich für wichtig hielte. Das war deutlich, und ich versäumte nach unserer Heimkehr nicht, Mjr.v.Bock, Dunst und Blankenhorn davon Mitteilung zu machen, was sie schweigend hinnahmen.
Am 5.Oktober begann die für die damalige Zeit überwältigend erscheinende artilleristische Niederkämpfung der serbischen Stellungen am Save- und Donau-Südufer und wurde durch 24 Stunden aufrechterhalten. Die Überschiffung der Infanterie begann am 6. bei Dunkelheit, wobei sich leider zeigte, daß es weder bei Belgrad, noch bei Semendria gelungen war, die serbische Artillerie ganz niederzukämpfen. Das verursachte große Verluste bei unseren Überschiffungsstaffeln sowohl für das deutsche XXII.Reserve Korps auf der großen Zigeuner-Insel, als auch für das deutsche III.Korps bei Semendria, ganz besonders aber bei unserem öst-ung. direkt auf die Stadt Belgrad angesetzten VIII.Korps. Bei Ram gelang es dagegen den deutschen Truppen die Serben zu überraschen.
Während sich die gelichteten Überschiffungsstaffeln mühselig am Südufer von Save und Donau festsetzen konnten, brach das gefürchtete schlechte, regennasse Herbstwetter los, dem bald auch der Ostwind, Kossava genannt, folgte, der die Donau zu meterhohen Wellen aufpeitschte und die weitere Überschiffung über 24 Stunden verhinderte. Das brachte bange Stunden für die Führung und die Truppen, deren bravouröse Tapferkeit aber schließlich die Krise überwand. Allerdings büßte die 59.öst-ung.Division dabei vor Belgrad 1000 Mann an Ertrunkenen und Erschossenen ein, ganz wie ich es befürchtet hatte.
Die Serben leisteten, obwohl sie über die Ostgrenze ihres Landes auch von der ganzen bulgarischen Armee angegriffen wurden, so harten und zähen Widerstand, daß das anfänglich überlegene Lächeln auf den Lippen der deutschen Offiziere sehr bald erstarb und sie von einem "ebenbürtigen Gegner" an Härte und Zähigkeit "gleich den Engländern" zu sprechen begannen. Dabei waren die Serben jetzt, infolge ihrer großen Verluste im Herbst und Winter 1914/1915, lange nicht mehr die Gleichen wie bei Kriegsbeginn. Jetzt begann Deutschen und Bulgaren allmählich auch das Verständnis aufzugehen für die Leistungen Österreich-Ungarns unter FZM Potiorek, der mit völlig unzureichender Artillerie kämpfen mußte.
Auch in diesem Kapitel werde ich die Einzelheiten der Kämpfe nicht schildern; sie sind im III.Band von «Österreich-Ungarns letzter Krieg» erschöpfend dargestellt. Nur meine persönlichen Erlebnisse und Eindrücke, die ich während dieser Zeit im Stab Mackensens gewann, will ich hier schildern.
Zunächst einmal ist die Frage zu lösen, ob der erste öst-ung. Aufmarsch der Streitkräfte an der unteren Drina tatsächlich ein grober Fehler des Generalstabes war, wie FML Krauß es seinerzeit zu mir sagte und in seinem Werk «Die Ursachen unserer Niederlage» beschrieben hat.
Die ungeheuren Schwierigkeiten des Vormarsches und der Versorgung von Armeen waren bei dem Nord-Süd-Angriff Mackensens über die gewaltigen Stromhindernisse hinweg um nichts geringer als vor Jahresfrist bei dem West-Ost-Angriff Potioreks. Die serbischen Straßen waren als einfache Schotterstraßen erbaut; nach Einsetzen des herbstlichen Regen-, in den höheren Lagen auch Schnee-Wetters wurden sie in kürzester Zeit zu einem Schlammbrei, der den Nachschub für die nur langsam, unter andauernd schwersten Kämpfen, vordringenden Divisionen fast zum Erliegen brachte. Die Eisenbahn, deren Brücke über die Save ebenso gesprengt war wie die zahlreichen Viadukte der Bahn im Berggelände südlich von Belgrad, wurde trotz des Einsatzes ausreichender, technisch trefflich geschulter Pionier- und Eisenbahn-Truppen erst richtig benützbar, als die serbische Armee aus dem Land herausgedrängt war. Darin liegt auch der Grund, daß die von der Führung wiederholt angestrebte Einkreisung und Vernichtung der Serben trotz doppelter Überlegenheit der deutschen, österreich-ungarischen und bulgarischen Streitkräfte nicht gelang und diese, wenn auch stark zerzaust, über das Amselfeld und Montenegro nach Korfu entkommen konnten, von wo sie die allierten Seestreitkräfte in den Raum nördlich von Saloniki zur Retablierung schafften. An diesen trostlosen Verkehrsverhältnissen wäre auch die sofortige Fortsetzung des Angriffes gegen die französisch-englischen Streitkräfte bei Saloniki gescheitert, selbst wenn die deutsche Heeresleitung sie gewollt hätte.
Man hätte den Angriff gegen das serbische Landgebiet, das nach jahrhundertelanger Verwahrlosung unter der Türken-Mißherrschaft seit 1880 nur mühselig erste Anfänge einer Zivilisation zugeführt bekommen hatte, nicht in den Spätherbst und Winter legen dürfen, sondern im Frühsommer beginnen müssen. Das war aber wegen des durch den Kriegseintritt Italiens chronisch gewordenen Kräftemangel der Zentralmächte nicht möglich gewesen. Umso höher ist darum der nach dem serbischen Feldzug unter der direkten Leitung FM Conrads, nur von öst-ung.Streitkräften mitten im Winter durchgeführte Angriff auf Montegengro zu bewundern, der diesen kleinen, aber nach seiner Lage am adriatischen Meer gefährlichen Feind völlig ausschaltete.
Die Befehlsgebung des deutschen Generalstabes unter GM.v.Seeckt enttäuschte mich sehr: nichts war von deutscher Gründlichkeit wahrzunehmen. Die meisten Befehle wurden von Seeckt persönlich verfaßt. Sie enthielten - und auch da nicht immer ausreichend - rein operative Anweisungen. Sie hätten durch den Ia und den Ic in materieller Beziehung ergänzt und damit hinsichtlich ihrer Durchführbarkeit überprüft werden müssen. Wenn überhaupt, geschah das nur oberflächlich unter dem Motto: "Der Chef darf nicht korrigiert werden." Wenn ich diese Befehle vor ihrer telephonischen Durchgabe zu Gesicht bekam, so machte ich Mjr.v.Bock und Hptm.Dunst auf ihre Mängel und Unvollständigkeit stets aufmerksam. Manchmal wurde meinen Einwänden stattgegeben, oft aber auch nicht. Betrafen diese Befehle nur deutsche Kommandos und Truppen, so beharrte ich - begreiflicherweise - nicht auf meiner Meinung; betrafen sie jedoch die öst-ung.Armee und deren Truppen, so gab ich nicht nach und ging wiederholt zu Seeckt, der meine Vorstellungen fast immer berücksichtigte. Daraus ergab sich, daß die öst-ung.Nachschubleitung unter Mjr.Franz gut, rasch und richtig arbeiten konnte, während der deutsche Oberquartiermeister Obstlt.Hentsch wiederholt mit dem Vorwurf in die Operationsabteilung kam, daß die Befehle für ihn angesichts der enormen Schwierigkeiten im Verkehrswesen fast undurchführbar seien. Man möge doch besser überlegen, bevor man so unvollständige, wenig durchdachte Befehle hinausgebe. Mich erstaunten solche Einwände nicht; sie wurden mir aber peinlich, wenn er sich, bei den deutschen Offizieren auf kein Verständnis stoßend, direkt an mich wandte mit dem Hinweis, daß sein österreichischer Kollege bessere und vollständige Befehle erhalte. Ich bemühte mich ja, Mjr.von Bock auf nötige Ergänzungen oder Berichtigungen aller Befehle aufmerksam zu machen, hatte jedoch kein Recht, andauernd in innerdeutsche Verhältnisse dreinzureden; ohnedies bekam ich schon viele Befehle durch Bock und Dunst erst nachträglich zur Kenntnis, weil sie meine vielen Einsprachen als überheblich mißdeuteten.
Dadurch ergab sich einmal ein grotesker Fall: Mitte November, als die westliche Morava zum Teil schon überschritten war, gab GM.v.Seeckt der 10.öst-ung.Gebirgsbrigade über ihr vorgesetztes Korps-u.Armeekommando hinweg eine nach Süden gerichtete Marschlinie. Den Befehl erhielt ich erst zur Kenntnisnahme, als Hptm.Dunst ihn schon an das öst-ung.AK telephoniert hatte. Als ich den Auftrag auf der Karte verfolgte, erkannte ich, daß Seeckt eine Bezirksgrenze für einen Saumweg angesehen hatte, was weder von Bock, noch von Dunst nachgeprüft worden war. Ich ging direkt zu Seeckt und machte ihn in bescheidener Form auf seinen Irrtum aufmerksam. Seeckt empfand die Geschichte peinlich und sagte, er wolle die Gebirgsbrigade in der angegebenen Richtung angewiesen haben; den Weg möge sie sich selbst suchen. Kaum war ich in den Raum der Operationsabteilung zurückgekommen, kam schon unser Verbindungsoffizier Obst.Lustig auf mich zu: der Generalstabschef der 3.Armee habe ihn angerufen, weil der 10.Gebirgsbrigade kein Weg, sondern eine Gebietsgrenze als Marschlinie befohlen worden sei. Ich erwiderte gleich, daß ich die Sache bereits in Ordnung gebracht habe. Für Lustig, der sich mit Seeckt ja schlecht stand, war dies offenbar eine Gelegenheit, ihn bloßzustellen, und er ging in dessen Zimmer. Fast zu gleicher Zeit wurde ich vom Generalstabschef der 3.Armee angerufen, der mir wieder den Auftrag für die 10.Gebirgsbrigade als unausführbar vorhielt. Die drei deutschen Generalstabsoffiziere verfolgten gespannt mein Gespräch. Ruhig meldete ich Konopicky, daß mir dieser Befehl leider verspätet zur Kenntnis gekommen sei, ich jedoch von Seeckt ermächtigt worden sei, dem 3.Armeekommando zu melden, daß in dem ergangenen Befehl die Bezirksgrenze nur den Wunsch der Heeresgruppe ausdrücke, in welcher Richtung sie die 10.Gebirgsbrigade angesetzt wissen wolle; den Marschweg in diese Richtung möge sich die Brigade selbst suchen. Damit war die peinliche Angelegenheit ohne Bloßstellung des deutschen Generalstabes eingerenkt. Lustig hatte meine letzten Worte ebenfalls gehört, nickte mir zu, und verließ den Raum.
Was sich zwischen Seeckt und Lustig begeben hatte, wußte ich nicht. Am nächsten Nachmittag trat ich bei jenem zu meinem Referat an und hielt über die schweren Kämpfe am Isonzo Vortrag; er war freundlich wie immer. Dann sagte er mir, daß der Sohn eines Jugendfreundes von ihm, InfHptm.Gräser, nach einer schweren Verwundung ausgeheilt zum Kommando käme. Seeckt wolle ihn für die Generalstabslaufbahn vorbereiten; er bäte mich, ihm dabei zu helfen und dem jungen Mann an die Hand zu gehen. Das sagte ich ihm gern zu. Schon hatte ich mich verbeugt, um das Zimmer zu verlassen, als Seeckt mich nocheinmal ansprach: ihm gefalle Obst.Lustig nicht, er brauche ihn auch nicht im Kommando; ich könnte von der Operationsabteilung aus auch die Agenden eines öst-ung.Verbindungsoffiziers führen. Auf mein Schweigen replizierte Seeckt, ich könne diese seine Meinung dem öst-ung.AOK melden. Darauf wiederholte ich meine Verbeugung und ging.
Wenn Seeckt mir dadurch irgendeine Anerkennung ausdrücken wollte, so brachte mich diese in große Verlegenheit. Lange dachte ich nach, wie ich mich richtig zu verhalten hätte; schließlich entschied ich mich, weder Obst.Lustig davon zu erzählen, noch unserem AOK Meldung zu erstatten. Seeckt gehörte entschieden zu den Männern im deutschen Heer, die unseren Chef des Generalstabes voll anerkannten; dieses Verhältnis zu erhalten, erschien mir wichtig. Im Gegensatz zu Lustig fand ich es verständlich, daß Seeckt sich bemühte, bei seinem vorgesetzten deutschen Chef des Generalstabes in dauerndem Ansehen zu bleiben. Daß zwischen FM Conrad und Gen.v.Falkenhayn gegensätzliche strategische Auffassungen bestanden, wußten wir; solange es vermeidbar war, sollten wir diese Gegensätze nicht durch kleinliches Verhalten vertiefen. Dies umsoweniger, als sich die Deutschen ängstlich um ihr Prestige bemüht zeigten, was an sich garnicht nötig gewesen wäre, weil in ganz Österreich-Ungarn jedermann die deutsche Überlegenheit auf militärischem Gebiet gern und von neidlos bis bewundernd gesteigert anerkannte.
Dazu ein charakteristisches Beispiel: Nach der Überschiffung bei Belgrad hatte unsere öst-ung. 59.Division den befestigten Kalimegdan zu gleicher Zeit erstürmt, als die über die Zigeunerinsel von Westen in Belgrad kampflos eindringende deutsche 43.Division den Konak, den serbischen Königspalast, erreichte; dort reichten sich beide Divisionen die Hand. Der deutsche Heeresbericht brachte die Nachricht, deutsche Truppen hätten die serbische Hauptstadt erobert; der öst-ung. Tagesbericht meldete, daß öst-ung.Truppen Belgrad erstürmt hätten. Mackensen war darüber so verärgert, daß er mich anfuhr, wieso sich Österreich deutschen Lorbeer aneigne? Ein Glück, daß ich beide Berichte zuvor gelesen hatte. Ich erinnere mich genau, wie ich in streng militärischer Haltung erwiderte: "Herr Generalfeldmarschall, nicht ich berichte an das k.u.k.Armeeoberkommando. Es ist jedoch Tatsache, daß die k.u.k.59.Division mit der verlustreichen Erstürmung des Kalimegdan Belgrad zu Fall gebracht hat." Mackensen erwiderte nichts, drehte sich um und verließ die Operationsabteilung.
Eine ähnliche Differenz gab es später nach der Erstürmung von Kragujevac. Nur sagte Mackensen nichts mehr zu mir. War das der Einfluß Seeckts? Ein drittes solches Vorkommen des Negierens österreichischer Verdienste begab sich in Niš; das werde ich später schildern.
Auch sonst zeigte sich der Generalfeldmarschall in einer gewissen Art gehässig-preußisch. Der grandiose Widerstand unserer Truppen am Isonzo, für den Seeckt wiederholt bewundernde Anerkennung äußerte, wurde von Mackensen mit keinem Wort erwähnt. Wenn aber am russischen Kriegsschauplatz öst-ung.Truppen versagten - was ja leider vorkam - durfte ich sicher sein, daß Mackensen mir am nächsten Tag vorhielt: "Sehen Sie, schon wieder haben die Österreicher versagt und deutsches Blut mußte das gut machen!" Sollte ich ihm antworten: "Herr Feldmarschall, die Schlacht an der Marne haben deutsche Truppen allein verloren!"? Dies einem Heerführer, der von unserem Kaiser bewundert und mit Auszeichnungen überschüttet wurde?
Nach solchen Vorfällen entstanden immer Debatten in der Operationsabteilung, bei denen ich Vorwürfe und spitze Bemerkungen, daß man in Österreich einen mehr deutschen Kurs hätte halten müssen, je nach Gesprächsverlauf sachlich erläuternd oder oft auch mit Schärfe zurückwies.
Dabei verdeutlichte ich den Herren ungeschminkt, daß alles Unglück auf ihren Bismarck zurückginge: Während vor 1866, dem von Preußen herausgeforderten Krieg gegen Österreich, dieses immer auf deutschen Menschenzuzug aus dem Reich rechnen konnte, standen nachher in Österreich-Ungarn 11 Millionen deutschsprachige 40 Millionen anderssprachigen gegenüber, in zehn verschiedenen Nationen. Von diesen war das fast 10 Millionen zählende tschechische Volk ausgesprochen deutschfeindlich eingestellt. 35 Jahre lang habe Deutschland Zeit gehabt, seinen Bundesgenossen genau kennenzulernen; die Zeitungen haben alle Schwierigkeiten für die Entwicklung des Heerwesens schonungslos veröffentlicht. Die Deutschen hätten wissen müssen, daß die bei ihnen so beliebten Ungarn durch Jahre sogar das ohnehin viel zu geringe Rekrutenkontingent verweigert hatten. Und wenn Deutschland ihren Kriegseintritt nach dem Mord von Sarajevo als Nibelungentreue darstellten, so müßte es zur Kenntnis nehmen, daß die deutsche Beliebtheit auf Erden uns die ganze Welt als Feinde auf den Hals gehetzt habe. Beide hätten wir eben keine anderen Bundesgenossen gefunden, deshalb sei es klüger einander zu helfen, statt Vorwürfe zu machen.
Diese unschönen Auseinandersetzungen nötigte mir vornehmlich Hptm.Dunst auf, dessen Berliner Schnauze lose saß. Blankenhorn war Badenser und taktvoller. Mjr.v.Bock suchte anfangs stets Dunsts Bemerkungen zu stützen, war dann allerdings bald bemüht, solche Debatten durch irgendeinen Auftrag an Dunst oder mich zu beenden. Dabei bestand zwischen Dunst und mir eine aufrichtige persönliche Hochachtung; aber die Temperamente gerieten manchmal so aneinander, daß Seeckt, der es absolut vermied, mir gegenüber über die öst-ung. Truppen abfällige Bemerkungen zu machen, uns mitunter durch Bock zur Ruhe mahnen ließ.
Tatsache war ja, daß die deutschen Truppen fast überall Hervorragendes leisteten und durch ihr Verhalten oft die Fehler der deutschen Führung gut machten. Bei uns konnte sich der Generalstab immer nur auf die deutschstämmigen Truppen und anfangs auch auf die wenigen kernmagyarischen unbedingt verlassen. Bei den anderen Nationen hing die Leistung von den aktiven Offizieren, Unteroffizieren und den entsprechenden Chargen der Reserve ab. Wurden die Truppen von tapferen Offizieren in ihrer Muttersprache geführt, so leisteten alle ebenso Hervorragendes wie die deutschsprachigen. Mit der Länge des Krieges und den großen blutigen Verlusten des aktiven Offizierskorps sank die Sprachkenntnis; es war nicht immer möglich den zehn Nationen konationale und beherzte Führer zu geben. Überdies verfügte das sprachlich einheitliche reichsdeutsche Heer über ein gleichmäßig gebildetes Reserveoffizierskorps, während das österreichisch-ungarische entsprechend dem Kulturgefälle von West nach Ost abfiel.
Interessant war mir, wie sich die deutsche Führung durchzusetzen verstand. Zunächst fiel die Entsendung sorgfältig ausgewählter Verbindungsoffiziere zu jeder verbündeten Division auf; das waren nicht immer Generalstabs-, nichteinmal immer aktive Offiziere. So stand dem Stab Mackensen dafür eine Reihe militärisch gut geschulter und sogar verschiedene österreichsich-ungarische Sprachidiome beherrschender Reserveoffiziere zur Verfügung, deren hohe soziale Stellung im bürgerlichen Leben ihnen bei unseren öst-ung. Kommandostellen und Truppen von Haus aus eine gute Position gab. Diese hatten die Ausführung der von der Heeresgruppe gegebenen Befehle fortlaufend zu überwachen. Dunst stand mit diesen Herren stets in telephonischer Verbindung und fuhr sie mit einer uns unbekannten Schärfe an, wenn sie Wünsche der Heeresgruppe nicht bis zum kleinsten Detail durchgesetzt hatten. Dadurch war die Führung dauernd in reger Verbindung mit allen Geschehnissen bei der Truppe, der sie durch ihre eigene Beweglichkeit sehr entgegenkam. In den sechs Wochen währenden Kämpfen wechselte das OK Mackensen dreimal seinen Standort. Von Temesvár nach Semendria, nach Kragujevac und schließlich nach Niš. Ach, wie unterschiedlich war diese aktiv vorwärts drängende Führung von jener bürokratischen Potioreks!
Nicht ganz vermochte ich zu ergründen, wie sich Mackensen und Seeckt die Führungsaufgaben teilten, da deren Unterredungen bei verschlossenen Türen stattfanden. Doch war ich der Meinung, daß Mackensen maßgeblich auf alle Entschlüsse Einfluß nahm. Diese Meinung wurde später durch den rumänischen Feldzug erhärtet, in welchem Mackensen den von deutschen Generalstabsoffizieren nicht sehr hoch eingeschätzten GM.v.Tappen als Generalstabschef zur Seite hatte und ebenso erfolgsreich war. Mackensen entstammte der Kavallerie und hatte selbst die Generalstabslaufbahn durchgemacht, was er bei verschiedenen Gelegenheiten betonte und weshalb er auch die Generalstabsarbeit besonders hoch einschätzte.
Ein die deutsche Führungsautorität gut stützendes Recht lag in der unmittelbaren Ordensverleihung durch den Armeekommandanten. Jeder dieser hohen Führer bekam eine nach Zahl der ihm unterstehenden Verbände bestimmte Menge von "Eisernen Kreuzen", die er nach einer vollbrachten tapferen Tat dem Offizier, Unteroffizier oder Soldaten persönlich an Ort und Stelle überreichen konnte. Diese Unmittelbarkeit der Auszeichnung wirkte bei der Truppe natürlich weitaus anspornender als das in Österreich geübte bürokratische Verfahren, das eine Auszeichnung erst nach Genehmigung des "Belohnungsantrages" durch den Monarchen und damit meist erst Monate nach der Tat an den verdienten Kämpfer gelangen ließ, der dann oftmals nicht mehr unter den Lebenden weilte.
Zum Beispiel überreichte mir der Marschall in Kragujevac vor dem Mittagessen im Offizierskasino das Eiserne Kreuz II.Klasse vor den versammelten Offizieren des Stabes mit einer auszeichnenden Ansprache, in der er meine Arbeit in der Operationsabteilung als eine "seine Führertätigkeit unterstützende generalstabstechnische Tat" wertete, und trank mir nachher in üblicher Weise zu.
Ende November war klargeworden, daß das sehr gut geführte, sich gegen eine große Übermacht geschickt und heldenhaft schlagende serbische Heer nicht eingekreist und vernichtet werden konnte. Infolge des durch andauernd elendes Wetter fast unmöglich gewordenen Nachschubs waren die eigenen deutschen, österreichisch-ungarischen und bulgarischen Truppen vor einer ausgiebigen Rast nicht mehr in der Lage, die Verfolgung durch das westlich des Amselfeldes aufsteigende Gebirge fortzuführen. So gelang es einem beträchtlichen Teil des serbischen Heeres, wenn auch unter schweren Einbußen, über Skutari nach Durazzo an die Adria zu gelangen.
Die bei Saloniki gelandeten französischen und englischen Verbände unter Général Sarrail waren zu keiner den Serben helfenden Offensive imstande und blieben in einem Landungskopf um Saloniki stehen. Mackensens Balkanaufgabe war eigentlich beendet. Die deutsche oberste Heeresleitung hatte schon Mitte November begonnen, allmählich ihre Divisionen aus Serbien abzuziehen und in Südungarn zum Einsatz am französischen Kriegsschauplatz zu retablieren. So blieb im Dezember 1915 Mackensen schließlich nur mehr der Befehl über die öst-ung.3.Armee, das deutsche Kommando des IV.Reservekorps mit einer deutschen Division und über die nach Süden auf Monastir abgedrehte 1.bulgar.Armee.
Das öst-ung.AOK wollte am Balkan, wenigstens in seiner Interessensphäre, reinen Tisch machen und auch Montenegro ganz ausschalten. Wir wußten, der deutsche Generalstabschef v.Falkenhayn wollte das nicht. Für Mackensen und Seeckt entstand dadurch eine schwierige Lage. Umsomehr ist hervorzuheben, daß beide FM Conrads Wollen richtig hießen und dessen Weisungen, die 3.öst-ung.Armee nach Ordnung der Nachschublage an der montenegrinischen Nordostgrenze zum Einmarsch nach Montenegro bereitzustellen in vollem Umfang entsprachen.
Die Ordnung des Nachschubes oblag vornehmlich der öst-ung.Etappe und dem deutschen Oberquartiermeister Hentsch. Für die Operationsabteilung kamen ruhigere Tage. Mjr.v.Bock wurde an die französische Front versetzt. Sein Nachfolger wurde Obstlt.Völkers, dessen Charakter sich von dem seines Vorgängers wesentlich unterschied. Völkers war als Ia so, wie ich mir das vorstellte: genau gewissenhaft, präzise. Jeder Befehl wurde von ihm vor Ausgabe auf seine Durchführbarkeit und Vollständigkeit geprüft und nach Bedarf ergänzt. Zu mir war Völkers von gewählter Zuvorkommenheit, so daß ich bedauerte, daß dieser hervorragende Offizier nicht von Haus aus beim Kommando gewesen war. Ich orientierte ihn gern im gleichen Umfang wie Seeckt über die schweren Kämpfe an der italienischen Front, wo gerade die 4.Isonzoschlacht tobte. Sie zeigte, wie unbeschränkt reich die das Meer beherrschenden Mächte an allem Material und ganz besonders an Munition waren. Aus diesem Grund sträubten sich mir die Haare, als ich später erfuhr, daß Falkenhayn Verdun angriff, "um die Franzosen auszubluten", und nicht glauben wollte, daß er gegenüber den Seemächten den kürzeren ziehen mußte!
GM.v.Seeckt nahm für Weihnachten Urlaub nach Wien und Budapest, wo er sich mit seiner Frau treffen wollte. Wiedereinmal war ich von der "preußischen Schlichtheit" recht beeindruckt, als Seeckt, dem ich über Wien und Budapest alle gewünschten Auskünfte gab, mir sagte, er werde ein Dienstauto, vollgefüllt mit Lebensmitteln und Getränken auf Urlaub mitnehmen, und das trotz der bereits erlassenen Sparbefehle mit Benzin und Autoreifen.
Weihnachten begingen wir in Niš, einer kleinen, doch anscheinend wohlhabenden Stadt. Der Generalfeldmarschall schenkte mir ein schönes silbernes Zigarettenetui mit seinem eingravierten Namenszug, ein Zeichen, daß er mich doch nicht ungern mochte.
Am 27.Januar 1916 war Kaiser Wilhelms II. Geburtstag, der mit einem Feldgottesdienst gefeiert wurde, zu dem ein protestantischer Hofprediger gekommen war. Mich beeindruckte, wie der Generalfeldmarschall beim Gottesdienste sein Gesangbuch aus der Tasche zog und laut vernehmlich mitsang. Beim Mittagessen hielt er eine warmherzige Ansprache auf seinen "König". Für die Preußen war ihr Herrscher nie "Kaiser"; sie nannten ihn immer nur "König".
Dem folgte bald eine äußerst unangenehme Geschichte: Der Bulgarenkönig Ferdinand (ursprünglich ein Coburgischer Prinz) besuchte das Hauptquartier. Bei der Abendtafel saßen wie immer deutsche und österreichische Offiziere beisammen. Aber wie betreten waren wir Österreicher und Ungarn, als Mackensen in seinem Toast von deutschen und bulgarischen Truppen und Erfolgen sprach, ohne Österreich-Ungarn auch nur mit einer Silbe zu erwähnen. Wir sahen alle zu unserem ältesten Offizier, Obst.Lustig, der zu mir kam und flüsterte: "Wenn der König uns auch nicht nennt, gehen wir"; unauffällig ging er auf die andere Tischseite, wo alle öst-ung. Offiziere beisammen saßen, und wies sie im gleichen Sinne an. In seiner Ansprache erwähnte der Bulgarenkönig wie Mackensen uns Österreicher und Ungarn mit keinem Wort. Zum folgenden Hurrah standen wir Österreicher auf, ohne unsere Gläser zu erheben, und verließen wie auf Kommando den Speisesaal. Bei Mjr.Franz in der Etappenabteilung wurde beschlossen, daß Obst.Lustig den Vorfall telegraphisch dem öst-ung.AOK zu melden und daran die Bitte aller Offiziere um unsere Enthebung von der Einteilung beim OK Mackensen zu knüpfen habe. Ich bat Obst.Lustig überdies meine Einteilung zur Truppendienstleistung zu fordern.
Klassisch war die dickfellige Verständnislosigkeit aller deutschen Offiziere einschließlich Seeckts und Mackensens: am nächsten Tage wurden wir gefragt, was denn unsere Entfernung aus dem Speisesaal zu bedeuten hätte. Als ich in der Operationsabteilung antwortete, daß wir Österreicher bei den Ansprachen nicht erwähnt worden waren, obwohl doch unser VIII. und XIX. Korps mit schweren Verlusten den gemeinsamen Erfolg erstritten hätten, was, gelinde gesagt, wenig vornehm gewesen wäre, wir alle deshalb um unsere Enthebung von der Einteilung bei Mackensen gebeten hätten, waren die Herren einfach baff. Mackensen sei doch ein deutsches Kommando und der Bulgarenkönig habe doch nur das deutsche Kommando besucht! Der einzige, der sagte, er verstehe uns und bedauere die unbeabsichtigte Kränkung, war Obstlt.Völkers. Als ich noch anfügte, daß ich im besonderen um Einteilung zum Truppendienst gebeten hätte, sah ich erst, daß ich in der Operationsabteilung echte Sympathien gewonnen hatte. Speziell Hptm.Dunst kam auf mich zu, schüttelte mir ohne loszulassen die Hand und sagte: "Hoffentlich bleiben Sie uns erhalten, wir arbeiten doch großartig zusammen".
Am Abend traf die Antwort von FM Conrad ein: er verstehe unsere Haltung; das Verhalten der Deutschen sei überall das gleiche; er könne aus Dienstrücksichten die erbetene Ablösung nicht genehmigen und erwarte vom Takt der österreichischen Offiziere, daß sie weiterhin ihren Obliegenheiten nachkommen; dem Hptm.v.Jansa sei auf sein Verlangen um Truppendienstleistung hin zu bedeuten, daß er und seine Kameraden durch drei Jahre auf Staatskosten für den Generalstabsdienst ausgebildet worden seien, um im Krieg auch Generalstabsdienst zu leisten; dies sei durch Lustig auch dem Generalfeldmarschall und dem Generalstabschef zu melden. - Beide Herren sollen die Mitteilung mit etwas betretenem Lächeln entgegengenommen haben. Mackensen soll dazu geäußert haben, daß er die österreichischen Herren nicht kränken wollte.
König Ferdinand soll sich bei der nachfolgenden Audienz bei Kaiser und König Franz Joseph I über seine Brüskierung durch die öst-ung. Offiziere beklagt haben, ohne daß unser Monarch darauf reagierte.
GM.v.Seeckt behielt mich in der Folge bei den Nachmittagsrapporten über die Ereignisse an der italienischen Front länger bei sich. Er kam wiederholt auf das Mißgeschick zu sprechen, daß es nicht gelungen sei, die Serben ganz zu vernichten. Dann gab er mir aber auch zwei seiner Eindrücke und Erfahrungen anhand von Beispielen mit, die ich für meine militärische Zukunft dankbar stets beachtete.
Zuerst verglich er die blutigen Verluste unserer mit den deutschen Divisionen, wobei sich zeigte, daß unsere ein vielfaches der deutschen betrugen. Seeckt äußerte dabei, daß er die gleiche Erfahrung in Galizien gemacht hätte; es müsse das an schlechter Zusammenarbeit von Infanterie und Artillerie liegen; ich möge das in der Folge beachten und für mich die Lehren daraus ziehen. Die Infanterie müsse in solcher Übereinstimmung mit der Artillerie angreifen, daß sie mit dem letzten Artillerieschuß auch schon im feindlichen Graben sei. Habe die Artillerie nicht genügend Munition, dann könne die Infanterie nicht stürmen! Gleiches hatte ich auch vom gefallenen Richard Körner gelernt; jedoch war mir klar, daß diese Erfahrung in unserem Heer angesichts dessen chronischen Mangels an Artillerie und Munition nicht Gemeingut geworden war.
Zum zweiten schärfte er mir ein, sich immer wieder Reserven zu bilden. Diese Unterstreichung von ihm zu bekommen war mir lieb. Von Haus aus besaß ich die Kenntnis solcher Notwendigkeit und hatte im ersten serbischen Feldzug versucht sie durchzusetzen. Aber Wachtel hatte damals die von mir beantragte Herausziehung des XIII.Korps nach den Kämpfen an der Kolubara konterkariert. Der älteren Generation unseres Generalstabes war das nicht vertraut, worauf ich noch gelegentlich der 12.Isonzoschlacht zu sprechen kommen werde.
So ging der Monat Jänner für uns ohne besondere Ereignisse dahin. Westlich von uns eroberte die 3.öst-ung.Armee ganz Montenegro und stieß südwärts durch Albanien bis an die Vojusa vor. Wir verfolgten diesen Winterfeldzug im hohen Gebirge mit Spannung, und Seeckt kargte mir gegenüber nicht mit voller Anerkennung dieser Leistungen.
Anfang Februar kam der lakonische Befehl, daß ich zum Verbindungsoffizier des AOK bei der 1.bulgar.Armee bestellt werde und nach Vorstellung bei unserem Militärattaché in Sofia nach Bitolja (Monastir) abzugehen habe. Kein spezieller Auftrag, keine nähere Weisung, nichts.
Meine Abmeldung war rasch besorgt. Von allen Seiten bekam ich freundliche Worte zu hören. Obst.v.Lustig zeigte mir nach gepflogener Rücksprache mit GM.v.Seeckt den Zusatz zu meiner Dienstbeschreibung. Es war nur ein Halbsatz: "wird auch von deutscher Seite als erstklassig anerkannt". Und sowohl der Generalfeldmarschall, als auch Seeckt und Dunst schenkten mir ihre Bilder mit Unterschrift.
 
Am 4.Mai 2011 präsentierte der Böhlau Verlag in Wien
das umfangreiche, bebilderte, kommentierte und
mit einer Einführung versehene Buch:

P.BROUCEK (Herausgeber)
Ein österreichischer General gegen Hitler
Feldmarschalleutnant Alfred Jansa
Erinnerungen
Auslage in Wien I im Mai 2011 © 2011 by DMGG