FML JANSA
«Aus meinem Leben»
VI B
DER ERSTE WELTKRIEG
Beim 5.Armeekommando,
dann beim Kommando der Südwestfront
25.XII.1914 - 24.IX.1915
Die Balkanstreitkräfte wurden nach dem unter Führung des Feldzeugmeisters Potiorek erlittenen Echec von der unmittelbaren Unterstellung unter den Monarchen gelöst und wieder dem AOK in Teschen unterordnet. Dieses hatte in der gleichen Zeit, da die Serben triumphieren konnten, den Russen in der von FM Conrad meisterhaft durchkämpften Schlacht von Limanowa-Lapanów endgültig Halt geboten.
Baron Conrad löste das Kommando der Balkanstreitkräfte auf und vereinigte alle Streitkräfte an der öst-ung. Südgrenze unter den Befehl des 5.Armeekommandos. Zum neuen Kommandanten dieser 5.Armee wurde GO.Erzh.Eugen mit FML Alfred Krauß als Armeegeneralstabschef ernannt. Ich kannte beide Herren nicht und erwartete meine Einteilung zu einem Brigade-, Divisions- oder Korpskommando.
FML Krauß befahl einen nach dem anderen von uns Generalstabsoffizieren zu sich und ließ sich von jedem einzeln referieren. Als ich ihm meine Stellung im Kommando der Balkanstreitkräfte erläuterte, nickte er beifällig und sagte zu mir: "Nicht die Generalstabsarbeit hat versagt, sondern die ganze Anlage der Offensive aus Bosnien heraus war verfehlt; das ist die Schuld Potioreks als seinerzeitigem Chef des Operationsbüros und General Conrads, der diesen falschen Aufmarsch nicht schon in Friedenszeit geändert hat. Den Serben hätte man, wie seinerzeit Prinz Eugen und Laudon, von Norden nach Süden anfassen müssen. Sie kommen in die Operationsabteilung, ins Organisationsreferat, dem Obstlt.Zimmer vorstehen wird." Ich bat, daß mein treuer Helfer, Hptm.Beran bei mir bleiben dürfe, was er bewilligte.
Ich kann nicht leugnen, daß diese Verfügung des FML Krauß wie eine auszeichnende Anerkennung von mir empfunden wurde. Meine Arbeiten über den Rahmen des alten Kommandos hinaus müssen also bekannt und gutgeheißen worden sein.
Als Chef der Operationskanzlei nahm sich Krauß seinen bewährten Generalstabschef bei der 29.Division und seinem "kombinierten Korps", den hervorragend tüchtigen Obstlt.Hiltl. Der Chef der Nachrichtenabteilung Obstlt.Gellinek wurde zu meiner großen Freude durch jenen der bisherigen 5.Armee, Hptm.Solarcz, ersetzt, mit dem mich in der Folge eine herzliche Freundschaft verband. Auch den Obstlt.Wachtel behielt Krauß im neuen Kommando, unterstellte ihn jedoch dem von der alten 5.Armee übernommenen Nachschubleiter Obst.Theodor Körner, was seinen als Armee-Artilleriechef beibehaltenen, inzwischen auch zum Obersten beförderten Bruder Richard veranlaßte, mir zu sagen, "Na, da krieg mer jetzt an Bremsklotz angehängt."
Mein neuer unmittelbarer Vorgesetzter, Obstlt.Zimmer, war ein spät in den Generalstab gekommener älterer Herr und an der Kriegsschule unter FML Krauß Lehrer gewesen. Er selbst zeigte keinerlei Initiative, war dankbar für alle Ideen und Arbeiten von Beran und mir und erbat immer nur genaue Information über alle unsere Gedanken und Befehlsentwürfe, bevor er bei Krauß zum Referat antrat. Er kam strahlend zurück, wenn Krauß ihn belobte, was sehr häufig geschah, und sagte dann immer gutmütig, daß er Krauß gemeldet habe, daß Gedanken und Arbeiten nicht von ihm, sondern von uns seien. Überhaupt atmete die ganze Atmosphäre dieses neuen Kommandos wohltuende Sicherheit, Ruhe und Ordnung. So kamen wir endlich auch dazu, unser gefährliches Manko an Schlaf nachzuholen.
Zum Landeschef für Bosnien und die Hercegovina war der kroatische FM Stefan Sarkotic ernannt worden, der als Führer der 42.kroatischen Honvéd-Division in den vergangenen fünf Monaten ein glänzendes Bewährungszeugnis erbracht hatte.
Unser Befehlsbereich erstreckte sich unverändert von der Südspitze Dalmatiens bis Orsova an der Donau. Daß Bosnien-Hercegovina einen eigenen Landeschef bekommen hatte, entlastete uns sehr.
Erzh.Eugen führte eine eigene Tafel, die von der Hofküche besorgt wurde. Zu persönlichen Diensten hatte er nur den sehr bescheidenen Ulanenoberleutnant Baron Skrbensky. Ständige Gäste an der Hoftafel waren FML Krauß, der Verbindungsoffizier der Marine, Fregattenkapitän Graf Welsersheimb, und der Vertreter des Ministers des Äußeren, Herr von Masirevich und nach ihm Herr v.Storck. Alle anderen Herren des Stabes wurden turnusweise (je drei oder vier) zur Tafel geladen, so daß man etwa alle 14 Tage die Gelegenheit hatte, seinen Armeekommandanten zu sehen und zu sprechen. Die Unterhaltung vermied grundsätzlich aktuelle dienstliche Angelegenheiten. Der Erzherzog war ungemein leutselig; jeden seiner Gäste zog er vor, bei und nach der Tafel ins Gespräch, erkundigte sich über Familienverhältnisse, Ausbildung, Dienstleistungen und erzählte dann sehr anregend und mit feinem Humor gewürzt von seinen Lebenserfahrungen und Reisen. Er war der einzige kaiserliche Prinz, der eine höhere militärische Ausbildung durch Besuch der Kriegsschule erworben hatte.
Ganz anders als Potiorek machte der Erzherzog täglich einen Spazierritt und besuchte mindestens an zwei Tagen der Woche die Truppen und deren Kommandos. Hierzu benütze er Auto und Eisenbahn. Die ungarische Fluß- und Seeschiffahrtsgesellschaft hatte ihm überdies ihren schnellen Luxusdampfer Zsofia hercegnö zur dauernden Verfügung gestellt. Wenn der Erzherzog dieses Schiff zur Fahrt nach Semlin benützte, von wo wir die Lage Belgrads und die Angriffsverhältnisse für diese Stadt studierten, so waren wir Generalstabsoffiziere immer eingeladen. Der Schiffskapitän servierte zu dieser Zeit noch Kaviar in solcher Menge, daß wir diesen mit Eßlöffeln konsumieren konnten. Verpflegungsmangel gab es damals noch keinen. Auf solche Fahrten lud der Erzherzog auch immer seine Gäste ein, deren häufig recht viele kamen.
Unter diesen Gästen waren auch Würdenträger und Verwaltungsbeamte des "deutschen Ritterordens", dessen Hochmeister der Erzherzog war. Der Orden, während der Kreuzzüge ins heilige Land gegründet, hatte später seinen Sitz in Marienburg an der Nogat zum Schutz Ostpreußens. Nach dem Abfall des hohenzollerischen Hochmeisters Albrecht zum Protestantismus und Erhebung des Ordensgebietes zum Herzogtum Preussen wurde der Orden nach Österreich verlegt, wo er sich dem freiwilligen Sanitätsdienst widmete. "Hoch- und Deutschmeister" waren seither nur mehr österreichische Erzherzöge, die gleichzeitig Inhaber des k.u.k. Wiener Inf.Rgt.Nr.4 waren, das dieser Inhaberschaft gemäß den Namen "Hoch- und Deutschmeister" bekam. Zum Besitz des Ordens gehörte unter anderem in Wien die Ritterordenskirche in der Singerstraße und das Palais am Parkring sowie das Schloß mit dem Weingut bei Gumpoldskirchen. Adelige Österreicher durften dem Orden gegen einen Jahresförderbeitrag angehören und das "Marianerkreuz" tragen, das in der Armee spöttisch "die adelige Hundemarke" genannt wurde. Ich gehörte seit 1913 dem Orden zu, was den Erzherzog bei unseren Begegnungen öfter zur Ansprache "Mein lieber Marianer", abwechselnd mit "Herr Hauptmann", veranlaßte. Der Orden hatte aus seinen Mitteln der Armee Spitäler und Sanitätskolonnen zur Verfügung gestellt.
Des Erzherzogs vornehme Liebenswürdigkeit und Güte gewannen ihm bald alle Herzen von Offizieren und Mannschaften, so daß zwischen der Armee und ihrem Kommandanten ein viel persönlicheres, zu hohen Leistungen anspornendes, unendlich viel wohltuenderes Verhältnis als vorher bestand. Seine militärische Führerbegabung konnte ich nicht beurteilen.
Denn sein Armeegeneralstabschef war eine alles beherrschende, geistig hochragende Persönlichkeit, die sich in den vergangenen fünf Monaten als Kommandant der 29.Inf.Div. und später des "Kombinierten Korps Krauß" (27. und 29. Division) die Anwartschaft auf den Militär-Maria-Theresienorden erworben hatte; davon waren wir alle überzeugt. Krauß war Sudetendeutscher und als solcher betont deutsch gesinnt. Er war ein kritischer Geist und selbstbewußter Charakter, dessen ungeschminkte und wenig zurückhaltende Äußerungen ihn in der hohen Generalität wenig beliebt gemacht hatten. Sein Verhältnis zum Erzherzog war dauerhaft sehr gut. Zu seinen Untergebenen war Krauß stets bestimmt, aber auch ruhig und höflich. Mich rief er schon nach kurzer Zeit öfter zum Referat, was meinen unmittelbaren Vorgesetzten, Obstlt.Zimmer, gottlob durchaus nicht kränkte; ja sein passives Naturell schien ihn sogar froh zu machen, wenn er sich solcherart die Vorbereitung eines Referates ersparen konnte. FML Krauß besprach mit mir organisatorische Maßnahmen und ließ sich besonders gern über Truppen und Kommandanten des XV. und XVI. Korps, die er noch wenig kannte, berichten; offensichtlich schätzte er meine Liebe und Bewunderung für diese wunderbaren Verbände und ließ mir in deren Retablierung und Ausbau fast völlig freie Hand. Über seine Beurteilung des Erzherzogs sind mir zwei Bemerkungen von ihm in lebendiger Erinnerung geblieben: Einmal, als ich ihm einen Befehlsentwurf wegen härterer Disziplinierung der Ersätze für das VIII.Korps vorlegte, sagte Krauß zu mir: "Sie haben vollkommen recht, aber der Befehl muß viel milder gefaßt werden. Der Erzherzog ist eine furchtbar weiche Natur; so unterschreibt er mir den Befehl nicht." Das zweite Mal sagte er mir Monate später an der italienischen Front fast genau die gleichen Worte, als nämlich Gen.Boroevic wegen ungehörigen Einsatzes von Marschformationen zur Rechenschaft gezogen werden sollte, was ich später noch im Einzelnen beschreiben werde.
Die aus Serbien zu uns kommenden Nachrichten erzählten übereinstimmend von großer Erschöpfung der Armee, von Unruhen in den von Serbien erst 1912 eroberten makedonischen Gebieten und bald auch von Cholera und Flecktyphus, die das sanitär nur primitiv versorgte Land nicht eindämmen konnte. So hatte Potioreks Offensive, trotz des blamablen Rückzuges, der Monarchie an der Südgrenze wenigstens vorübergehend Ruhe geschaffen. Die Serben waren zu einem Vorstoß über Save und Donau einfach nicht mehr fähig. Deshalb konnten sich unsere Truppen in staunenswert kurzer Zeit seelisch und körperlich erholen. Denn FML Krauß übertrug die unmittelbare Grenzbeobachtung fast ausschließlich nur Landsturm-Verbänden, um die aktiven Truppen für schlagkräftige Unternehmungen, sei es in der Abwehr oder für eine nochmalige Offensive, bereit zu machen. Feldmäßige Befestigungen, deren abwehrende Fähigkeit man genug kennengelernt hatte, wurden für alle im Grenzdienst befindlichen Verbände, aber auch an geeigneten Abschnitten weiter hinten in Angriff genommen. Pioniere wurden zum Bau von Brücken bei tit über die Theiss, bei Csenta über die Temes eingesetzt, um rasche Truppenbewegungen von Syrmien ins Banat zu ermöglichen; der versandete Kanal zwischen Donau und Temes wurde ausgebaggert, um Überschiffungsgeräte unbehindert und überraschend nach Pancsova bringen zu können. Die schwerfälligen selbständigen Landsturmformationen, die im unmittelbaren Grenzschutzdienst nicht benötigt wurden, reihten wir in die aktiven Verbände ein, wodurch besonders das kroatisch-serbische XIII.Korps und die ungarische 40.Honvéd-Division volle Kriegsstände erreichten.
Anfang Januar kam vom AOK angesichts der schweren Kämpfe mit den Russen in den Karpathen und in der Bukowina die Anfrage, ob der Erzherzog Truppen nach Norden abgeben könnte. Mit bewunderswerter Sicherheit und Verantwortungsfreude wurden sofort das XIII.Korps, das durch die Kämpfe ebenfalls rühmlich bekannte Kombinierte Korps und die 40.Honvéd-Division angeboten. Dabei erhielt das Kombinierte Korps die Nummer XIX und den bewährten FML Trollmann als Kommandanten. Diese Verbände waren bereits erholt, in den Ständen komplett und mit Bewaffnung und Ausrüstung in Ordnung. Noch während die Transporte dieser Verbände nach Norden liefen, bot unser prachtvolles Armeekommando auch noch das inzwischen gleichfalls gut retablierte Prager VIII.Korps für den Kampf gegen Russland an. Zusammen war das eine 7 Divisionen starke Armee.
Bei uns blieben bloß die beiden öst-ung. Balkankorps XV und XVI. Diese möglichst stark zu machen, gut zu gliedern und auch zu vermehren, war nun mein besonderer Ehrgeiz. Dafür fand ich beim Generalstabschef des in der Bocche di Cattaro verbliebenen 47.Divisionskommandos, Obstlt.Schuppich, und dem schon so oft genannten Artilleriechef, Obst.Richard Körner, wunderbare Unterstützung.
In der Bocche di Cattaro hatte das Festungsartillerieregiment bei fast gar keinen Verlusten so viel Ersätze bekommen, daß Schuppich aus diesen überzähligen Mannschaften, aktiven und Reserve-Offizieren, drei Infanteriebataillone formierte und uns zur Verfügung stellte. Wir benannten sie "Jäger"bataillone und gaben ihnen kampferprobte Infanterieoffiziere als Kommandanten. Sie erhielten mit Zustimmung des AOK die in der Friedensreihe der Feldjägerbataillone fehlenden Nummern 3, 15 und 26 und im Banat eigene schwäbisch-ungarische Ersatzkörper. Ähnlich konnte aus den zahlreichen unausgenützten dalmatinischen Ersätzen ein fünftes Bataillon des Inf.Rgt.Nr.22 formiert werden. Danach und nachdem auch die Erzeugung von Gewehren und Maschinengewehren in Steyr in Gang kam, wurde es möglich, die Zahl der Maschinengewehre in jedem Bataillon von 2 auf 4 zu erhöhen.
Obst.Körner brachte im Einvernehmen mit dem verdienstvollen Artillerieorganisator des AOK, Obst.Ottokar Pflug, eine Reihe von Gebirgsgeschützen, darunter schon einige der wunderbaren neuen Škoda-Gebirgsgeschütze (deren Serienerzeugung Potiorek-Merizzi so verzögert hatten), Feldgeschütze, 15cm-Haubitzen und sogar zwei 30½cm-Mörser für uns zustande.
Da die Gebirgsbrigaden in der ursprünglichen Friedensorganisation verschieden stark an Infanterie waren, was sich nicht bewährt hatte, stimmte FML Krauß meinem Antrag zu, alle Gebirgsbrigaden mit je fünf Bataillonen gleich stark zu machen, wodurch mehr Gebirgsbrigaden und daher auch mehr Infanteriedivisionen gebildet werden konnten, für welch letztere uns das AOK die Nummern 57, 58 und 59 zuwies. Da eine 50.Division schon während der Kämpfe in Serbien gebildet worden war, so bestanden bis zum Mai 1915 beide, im Frieden bloß 4 Divisionen habenden Korps, zusammen aus 6 Divisionen, wozu noch die selbständige 59.Division in Sarajevo kam. Das erleichterte die Dispositionsfähigkeit und Versorgung sehr wesentlich. Zudem bekam jede Gebirgsbrigade eine zweite Gebirgsbatterie, jede Division eine Divisionsartillerie, bestehend aus je einer Feldkanonen-, Gebirgs- und Feld-Haubitzbatterie.
Jedem Korps konnten zwei 15cm-Haubitzbatterien beigegeben werden, und als Armee-Artillerie gewannen wir zwei 30½cm-Mörserbatterien und eine Anzahl aus Festungsgeschützen feldmobil gemachter schwerer Batterien. Dazu kamen neu uns vom AOK überlassene Granaten- und Minenwerfer.
Dadurch war die Schlagkraft dieser Korps bedeutend erhöht. Leider starb in dieser Zeit der aus Kränkung über den Rückzug aus Serbien gesundheitlich geschwächte sehr bewährte Kommandant des XV.Korps GdI.v.Appel an Typhus. Sein Nachfolger wurde der uns vom AOK zugewiesene FML Fox.
Da wir jeden Monat pro Bataillon eine Marschkompanie erhielten, hatten die Feldformationen bald nicht nur volle Kriegsstände, sondern die unverbrauchten Marschformationen wurden mit den verwundet gewesenen und geheilten Offizieren und Unteroffizieren bis Mai selbst bataillonsstark.
Die Schulung der Truppen und höheren Verbände wurde auf Grund der gewonnenen Kriegserfahrungen intensiv betrieben. Das XV. und XVI. Korps waren dadurch noch kriegstüchtiger geworden, als sie es bei Kriegsbeginn gewesen waren. Wenn ich von Truppen-Besichtigungen und Aussprachen nach Peterwardein zurückkam, war ich jedesmal hell begeistert: sie waren prachtvoll. Um die Schulung für alle Teile gleich gut zu halten, beantragte ich, daß alle jetzt reichlich auf Urlaub gesendeten Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften der Feldformationen in diesen sofort durch die gleiche Zahl aus den Marschformationen zu ersetzen waren und die rückkehrenden Urlauber - mit Ausnahme der Kommandanten - nicht in die Feldformationen, sondern in die Marschformationen einzuteilen seien. FML Krauß nannte das eine gute Idee und genehmigte den diesbezüglichen Befehlsentwurf. Auf diese Art erfaßten die intensive Gefechtsausbildung und die Schießübungen der Artillerie nach und nach alle Personen der ganzen Armee, die bis zum Mai 1915 in ihren starken Marschformationen hervorragend ausgebildete und mit Feldformationen schon bekannte und vertraute Ersätze für die künftigen Kampfverluste gewann.
Zur Bedeutung dieser Maßnahme kann ich andeuten, daß nach dem Einsatz unserer Armee an der italienischen Front im Mai 1915 durch unsere 7 Divisionen der Angriff der ganzen italienischen Armee in zwei Schlachten völlig abgeschlagen werden konnte, weil unsere großen blutigen Verluste in diesen Kämpfen stets rasch durch ausgezeichnet ausgebildete Ersätze wettgemacht werden konnten.
Bei der Neuorganisation der Trains und Anstalten für beide Korps hatte ich zahlreiche Besprechungen mit dem Leiter der materiellen Gruppe, Obst.Theodor Körner, zu führen. Da die Zahl der Tragtiere aus Bosnien-Hercegovina beschränkt war, kam als Lösung ein gemischter Train zustande: jede Gebirgsbrigade bekam 1 bis 2 Tragtierkolonnen, sonst aber bespannte Wagen. Dadurch konnten die Korpskommandanten Gebirgsbrigaden, die in straßenarmem Gebirge zum Einsatz kamen, ganz mit Tragtieren versehen und jenen, die an Straßen oder fahrbaren Wegen zu kämpfen hatten, dafür nur fahrbare Trains zuweisen. Dabei lernte ich Obst.Körner als einen außerordentlich genauen und gewissenhaften Chef der materiellen Gruppe kennen, der - immer etwas darüber gekränkt, daß er nicht in der Operationsabteilung tätig sein konnte - sich bei Überprüfung der jeden Monat von den Truppen einlangenden Standesausweise in einer mir zwecklos scheinenden, von den Truppen als Sekkatur empfundenen Kleinkrämerei verlor. Er wurde von dem das Armee-Etappenkommando leitenden Obst.v.Landwehr an Einfallsreichtum sehr übertroffen. Richard Körner hatte schon recht mit der Behauptung, daß wir mit seinem Bruder einen Bremsklotz angehängt bekommen hatten. Theodor Körner machte stets einen unfrohen, lehrmeisterhaften Eindruck und streute abfällige Bemerkungen über den Generalstab, dem er doch selbst angehörte, sowie über höhere Führer und die kaiserliche Militärkanzlei ein, die mich verblüfften. Ich wußte damals noch nicht, daß dieser auch seinen gescheiten und tapferen Bruder Richard öfter als Taugenichts, gar als Lumpen bezeichnende Mann Sozialdemokrat war. So etwas hatte ich für einen Generalstabsoffizier ausgeschlossen gehalten.
Über unsere organisatorischen Arbeiten wurde dem AOK unter Vorlage der graphischen Darstellungen und Personalstandesnachweisungen regelmäßig berichtet. Diese Berichte verfaßte ich zusammen mit Hptm.Beran. Sie wurden vom Gruppenchef Obstlt.Zimmer FML Krauß zur Genehmigung vorgelegt.
Einmal kam ein vom Armeeoberkommandanten Erzh.Friedrich gezeichnetes Anerkennungsschreiben ans Armeekommando, das die zweckmäßige organisatorische Arbeit und die klare, keinerlei Rückfrage erfordernde Berichterstattung hervorhob. FML Krauß schrieb mit Bleistift an den Rand: "Hptm.v.Jansa zur Kenntnis; ist hauptsächlich sein Verdienst." Kurze Zeit darauf sagte mir Obstlt.Zimmer, daß er bei FML Krauß meine Auszeichnung mit dem Kronenorden beantragt habe; Krauß wäre schon einverstanden gewesen, als zufällig Obstlt.Wachtel dazukam und - ungefragt - gleich seine Meinung kundtat, daß der Kronenorden eine viel zu hohe Auszeichnung für einen so jungen Hauptmann wäre, welche er erst als Oberstleutnant bekommen hätte; Krauß habe darauf entschieden, daß ich für das "Signum laudis" mit der Kriegsdekoration zu beantragen sei. Da mir Zimmer das sozusagen zu seiner Entschuldigung , unter vier Augen mitgeteilt hatte, dankte ich ihm und war zufrieden. Ich habe nie nach äußeren Anerkennungen gestrebt. Auch zu Wachtel habe ich nichts gesagt, obwohl ich darin seine Revanche sah für seinen Glauben, ich hätte seinerzeit GM.Böltz gegen ihn beeinflußt, was ich nie getan hatte. Böltz konnte einfach seine Art nicht vertragen.
Im Rahmen der Stellenbesetzungen, mit denen ich nichts zu tun hatte, ließ mich FML Krauß kurz darnach rufen und sagte mir, daß er dem bisherigen Kommandanten des DragonerRgt.Nr.14, Obst.Prinz Schwarzenberg, der mit 3 Schwadronen in der Save-Donau-Sicherung eingesetzt war, das Kommando der 12.Gebirgsbrigade geben wolle, jedoch einen besonders tüchtigen Generalstabsoffizier für ihn brauche; ob ich Hptm.Beran dafür geeignet halte. Ich antwortete, daß Beran zuverlässig die höchste Eignung in seinem Können und seinem Wesen dafür habe; allerdings sei ich bisher nur bei Armeekommandos gewesen, weshalb ich bäte, doch mich als ersten Generalstabsoffizier zur 12.Gebirgsbrigade einzuteilen. Krauß erwiderte, daß Beran eingeteilt werde, weil er mich noch im Armeekommando brauche; daran fügte er erläuternd, daß der Krieg lange dauern und ich noch genug Gelegenheit haben werde, an die Front zu kommen. Anschließend sprach er einiges über die italienische Front, deren Studium uns inzwischen aufgetragen worden war, und sagte, daß er zum Studium der dort angeblich befindlichen Feldbefestigungen den Chef der Operationsabteilung Obstlt.Hiltl senden werde; als neuen Chef der Operationsabteilung habe er Obst.Frhrn.v.Salis-Samaden, welcher ebenfalls unter Krauß Lehrer an der Kriegsschule gewesen war, erbeten, zu dessen unmittelbarer Unterstützung er mich in Aussicht genommen habe. Dann fügte er ein paar Sätze über die Kunst der höheren Führung an und kritisierte FM Conrad: wir hätten, meinte er, eine Armee von 7 Divisionen, die durch fünf Monate dauernde Kämpfe gut aufeinander abgestimmt waren, nach Norden abgegeben; anstatt diese Armeen geschlossen an entscheidender Stelle einzusetzen würden die Korps und Divisionen zum simplen Löcherstopfen an verschiedene Stellen der Front verwendet, ohne dadurch eine Änderung der schweren Gesamtlage herbeizuführen. Das sei eine traurige höhere Führung!
Solch scharfe Kritiken gegenüber einem jungen Hauptmann über den höchsten Führer, der kurz zuvor bei Limanowa-Lapanów einen entscheidenden Sieg erfochten hatte, gehörten zu seinem Charakterbild. Ob er recht hatte, konnte ich nicht beurteilen. Theoretisch war seine Meinung sicher richtig; ob aber nicht zwingende, bei uns nicht bekannte Umstände Baron Conrad zu jenem geteilten Einsatz gezwungen hatten, wußten wir nicht. Mir, der ich Conrad sehr hoch verehrte, taten solche harten Urteile weh.
Die operative Tätigkeit unseres Armeekommandos in den kampflosen Monaten bis Mai 1915 umfaßte drei Gebiete:
a) die detaillierte Vorbereitung der planmäßigen Abwehr einer serbischen Offensive, falls den Serben auf der Donau vom Schwarzen Meer her russische Truppen zur Unterstützung zugeführt würden (Nachrichten aus verschiedenen Quellen ließen das nicht ganz ausgeschlossen erscheinen);
b) die detaillierte Aufmarschplanung für einen neuen Angriff unserseits auf Serbien über Save und Donau hinweg, wobei eine Mitwirkung deutscher Kräfte in Erwägung zu ziehen war, weil der deutschen Heeresleitung die Munitionsversorgung der türkischen Armee, die an den Dardanellen in schwerem Kampfe gegen englisch-französische Kräfte stand, über Serbien-Bulgarien sehr am Herzen lag, und
c) das Studium von Maßnahmen an unserer Südwestgrenze von Tirol bis Triest für die Abwehr des früher oder später sicher zu erwartenden italienischen Angriffes.
Unmittelbar war ich an diesen Arbeiten bisher nicht beteiligt, erhielt jedoch laufend von ihnen Kenntnis, weil ja die Reorganisation aller unserer Streitkräfte diesen Aufgaben möglichst gewachsen sein sollte. Diese Organisationstätigkeit umfaßte darum nicht nur das XV. und XVI. Korps, sondern es mußte auch der Kampfwert der im unmittelbaren Flußsicherungsdienste stehenden Landsturmverbände gehoben werden, was mit der Zeit auch gut gelang. Die Pioniere mußten verstärkt, das Brückengerät retabliert, Überschiffungsmittel bereitgestellt werden. Wir hatten also alle Hände voll zu tun, und die Arbeit riß vom frühen Morgen bis zum späten Abend nicht ab. In den Nächten allerdings konnten wir zumeist schlafen.
In dieser Zeit kam ich auch zum erstenmal mit reichsdeutschen Offizieren in Berührung und zu gemeinsamer Arbeit.
Da traf zuerst Obstlt.Hentsch ein, ein unfroher, pessimistischer Sachse, der von der deutschen Obersten Heeresleitung beauftragt war, unser Kommando für Munitionstransporte in die Türkei zu bestimmen. Solche Transporte hätten nur auf der Donau mit Dampfern und Schleppern, an Belgrad und Semendria vorbei, geführt werden können. Für ein Gelingen bestand gar keine Aussicht, weil die serbische Artillerie solche Transporte beschießen und versenken würde. FML Krauß, der für alles Reichsdeutsche ein besonders warmes Herz hatte, teilte mich Hentsch sozusagen als Ehrenoffizier zu, unbeschadet meiner Arbeit in der Organisationsgruppe. Das erste war, daß Hentsch, Fregattenkapitän Graf Welsersheimb, Obst.Richard Körner und ich zusammen nach Semlin fuhren, um die überhöhte, weit ins Land schauende und die Donau völlig beherrschende Lage Belgrads auf Hentsch wirken zu lassen, was ihn auch sichtlich beeindruckte. Um seinen Auftrag zu erfüllen, bestand er jedoch darauf, eine Vorbeifahrt wenigstens zu versuchen. Übereinstimmend war die Meinung, daß der Versuch, wenn überhaupt, nur bei stürmischem Wetter und in der Nacht eine Chance haben könnte. Wie vorauszusehen war, mißlang er: die serbische Artillerie beschoß den Dampfer sofort als er Semlin verließ, so daß an eine Vorbeifahrt an Belgrad garnicht gedacht werden konnte.
Hentsch reiste ab. In der nächsten Zeit erfuhr ich, daß er jener unglückliche Mann war, der von Moltke zur Berichterstattung an die Front gesendet, so düster berichtet hatte, daß die Marne-Schlacht deutscherseits verloren gegeben wurde. Zwar wäre sie nach allen späteren Urteilen auch ohne Hentsch verloren gegangen, aber der Armee war in Hentsch der "schwarze Peter" geworden, dem jeder die Schuld zuschob, um sie von sich selbst abzuwehren.
Richard Körner, Welsersheimb und ich fuhren in nächster Zeit wiederholt an die Donau, um festzustellen, ob sich die serbische Artillerie nicht niederkämpfen ließe. Dabei sah ich erstmals unseren 30½cm-Mörser im Feuer, das Geschütz, das den Deutschen Anfang August 1914 den Weg durch Belgien freigeschossen hatte. Es war zunächst eine große Enttäuschung: das Geschoß (die Bombe) hatte, für die Bekämpfung von Panzerwerken konstruiert, einen so starken Verzögerungszünder, daß wir keinerlei Wirkung beobachten konnten; es muß tief in die Erde eingedrungen und dort explodiert sein und nur einen kleinen Erdhügel aufgeworfen haben. Körner veranlaßte natürlich sofort die Herstellung von Aufschlagzündern. Die Explosionswirkung mit den neuen Zündern war enorm, aber es gelang weder bei Belgrad, noch bei Semendria die serbische Artillerie zum Schweigen zu bringen; diese war in Kasematten der alten von den Türken erbauten und später von uns in der Zeit der Türkenkriege verstärkten Festungswerke so gut versteckt, daß wir sie nicht finden konnten. Das ergab für uns die Lehre, daß der künftige Angriff von uns über die Donau sehr starke Artillerie und sehr viel Munition benötigen werde.
Als Obstlt.Hentsch nach einigen Wochen wiederkam, hatten wir einen neuen nächtlichen Fahrversuch so ausgeklügelt, daß Monitore der Donauflottille die Transportschiffe feindwärts mit ihren Panzern abschirmen sollten und unsere Artillerie die serbischen Batterien durch Beschießung zumindest an gutem Zielfeuer behindern mußte. Wie viel Geschick und Tapferkeit von Handels- und Kriegsmarine dabei gefordert wurde, läßt sich leicht vorstellen. Aber auch dieser Versuch mißlang unter namhaften Verlusten. Hentsch war nun endlich selbst überzeugt, daß Munitionstransporte in die Türkei erst möglich sein würden, wenn man ganz Serbien erobert haben würde. Wann dies zu geschehen hätte, hing vom AOK und der deutschen Heeresleitung ab. Mit unseren Kräften allein konnte kein solcher Angriff gemacht werden.
Als zweiter deutscher Offizier kam ein GenStabsHptm.Oertel, ein Preuße, mit dem Auftrag, für den Einsatz deutscher Truppen am Balkan organisatorische und geographisch-landeskundliche Behelfe zu verfassen. Natürlich wurde er in der Hauptsache an mich verwiesen und zur Orientierung über das serbische Heer an den Leiter der Nachrichtenabteilung. Wir halfen ihm selbstverständlich nach besten Kräften und lebten durch Wochen hindurch in guter Kameradschaft zusammen. Gescheiter und gründlicher als wir erschienen mir weder Hentsch noch Oertel. Als Berliner Kind hatte Oertel jedoch im Gegensatz zum stets gedrückten Hentsch guten Humor. Und uns hatte er eigene Fronterfahrung voraus, da er den Krieg gegen Frankreich als Infanterieoffizier begonnen und erst nach einer Schußverletzung am Bein und deren Ausheilung in den deutschen Generalstab aufgenommen worden war.
Da im März die Absicht des öst-ung. AOK bekannt wurde, unsere 5.Armee an die italienisch-österreichische Grenze zu transportieren, wurden uns zur Täuschung der Serben abwechselnd einige deutsche Infanteriebataillone und Batterien gesendet, die wir in den Save- und Donau-Sicherungsabschnitten zeigten und dann nach Verschiebungen in andere Räume unauffällig wieder abtransportierten. Wie man im serbischen Generalstabswerk nachlesen kann, erreichte diese Maßnahme ihren Täuschungszweck ausgezeichnet, denn auch Russen und Italiener erwarteten, daß wir mit deutscher Unterstützung im späten Frühjahr 1915 einen dritten Angriff auf Serbien beginnen würden.
Anfang April 1915 kam Obst.Baron Salis als neuer Chef der Operationsabteilung zu uns. Da alle reorganisatorischen Maßnahmen in der Hauptsache abgeschlossen waren, erhielt Obstlt.Zimmer einen rekonvaleszenten Truppenoffizier als Gehilfen, und ich kam zu Salis, wo wir uns nun hauptsächlich für unsere Verwendung gegen Italien einzuarbeiten hatten. Wir erfuhren, daß zur Zeit unter dem Oberbefehl des GdK.Rohr an der ganzen tirolisch-kärntner-krainisch-küstenländischen Grenze nur schwache Abteilungen von Standschützen, wenigen Landsturmsoldaten und den stabilen Ersatzkörpern der Korpsbereiche XIV Innsbruck und III Graz einen Schleier bildeten und an feldmäßigen Befestigungen, besonders im küstenländischen Gebiet von Tarvis südwärts bis zur Adria arbeiteten; weiters, daß die deutsche Regierung und Heeresleitung unseren Kaiser dauernd bedrängte, durch freiwillige Abtretung des Südteiles von Tirol und des Küstenlandes mit Görz und vielleicht sogar Triest an Italien, dieses von einer Kriegserklärung an uns abzuhalten; streng geheim erfuhren wir noch, daß in nächster Zeit von Galizien keinerlei Truppen an die italienische Grenze abgesendet werden könnten, weil ein entscheidender Schlag gegen Russland in Vorbereitung sei, zu dem alles dort vereinigt werden müsse; schließlich wurde uns mitgeteilt, daß Deutschland aus handelspolitischen Gründen absolut vermeiden wolle, selbst mit Italien in Kriegszustand zu geraten, anderseits aber in Bayern zu rein defensiver Verwendung uzw. "nur auf österreichischem Gebiete" ein Alpenkorps unter dem Chef des Generalstabes, Krafft v.Dellmensingen, zu bilden begonnen habe. Wie stark dieses "Korps" sein werde, erkannten wir erst später: es war lediglich der Bezeichnung nach ein Korps, in Wirklichkeit bloß eine Division.
Obst.Salis war ein vornehmer, kluger Mann von klarem operativen Denken und ruhig entschiedener Art, welche das mitunter aufbrausende Wesen von FML Krauß rasch zu mildern verstand. Von Haus aus betrug er sich kameradschaftlich und redete mich nie mit "Herr Hauptmann", sondern stets nur mit "lieber Jansa" an. Das XV. und XVI. Korps kannte er fast garnicht, weil er von der russischen Front kam, doch glaubte er mir unzweifelhaft, wenn ich ihm die hervorrragende Kampfkraft dieser Verbände und die Tüchtigkeit ihrer Kommandanten schilderte. Es war ein ideales, schönes Zusammenarbeiten, das uns in Freundschaft auch bei späteren Begegnungen in Erinnerung geblieben ist. - Als ich nach langen Jahren selbst Chef des Generalstabes geworden war, schrieb mir dieser vorzügliche Mann einen der liebsten Glückwünsche.
Anfang Mai 1915 war es so weit: die ängstliche Zurückhaltung gegenüber Italien konnte aufgegeben werden. Niemand glaubte mehr an die Möglichkeit, Italien vom Kriegseintritt abhalten zu können. Am 2. und 3. Mai war die Durchbruchschlacht gegen die Russen bei Gorlice erfolgreich geschlagen worden und weitere Erfolge waren dort durchaus zu erwarten.
Am 11.Mai kam der Befehl, eine Division an die italienische Grenze zu senden, damit der erwartete Vormarsch der Italiener bereits von der Grenze an verzögert werden könne. Aus eisenbahntechnischen Gründen wählten wir die 57.Division unter FML Goiginger, die in der Zeit vom 15. bis 21. Mai beim Doberdo, am Plateau knapp östlich des Isonzo ausgeladen wurde.
Zwischen dem AOK in Teschen und uns konnte man mit dem Hughes-Buchstabentelegraphen (uzw. für jedermann unabhörbar, daher verläßlich geheim) Gespräche führen, was noch den Vorteil hatte, daß das Gespräch an beiden Orten auf dem abrollenden Papierstreifen als Dokumentation festgehalten wurde. Aus einem solchen Gespräch gewannen wir die Gewißheit, daß das AOK schwere Auseinandersetzungen mit der deutschen Heeresleitung hatte über das, was an Truppen an der serbischen Grenze bleiben sollte und was gegen Italien freizumachen war. Salis und ich meldeten Krauß diese Gespräche. Nach kurzer Überlegung wurde eine Denkschrift verfaßt, die dem AOK Lage und Entscheidung erleichtern sollte; sie gipfelte im Antrag, unsere 5.Armee mit dem letzten Mann ihrer Feldformationen gegen Italien einzusetzen, das der viel gefährlichere Feind als Serbien sei. Sofort nach Genehmigung durch den Erzherzog wurde sie nach Teschen gesendet. Am 19.Mai kam der ersehnte Befehl zum Abtransport unserer Armee nach dem Küstenland, die zunächst in den Raum westlich von Agram zu führen war.
Deutlich erinnere ich mich, wie wir am 21.Mai vom Telegramm unseres Militärattachés in Rom, Mjr.Viktor Frhr.v.Seiller, ans AOK Kenntnis bekamen, wonach Italien später kampfbereit sein werde, als bisher angenommen worden war. Das veranlaßte den entschluß- und verantwortungsfreudigen FML Krauß sofort zum Befehl an den die Transporte regulierenden Hptm.Brendl, die Transporte weiter bis an die italienische Grenze laufen zu lassen. Dadurch erreichte das XV.Korps zeitgerecht seinen Verteidigungsraum um Santa Lucia-Tolmein und das XVI.Korps konnte die 58.Division noch unbehelligt bei Görz westwärts des Isonzo in einen Brückenkopf und die 48.Division als Reserve nach Dornberg bringen. Damit waren dem Italiener die Türen nach Österreich gerade noch rechtzeitig vor der Nase zugeschlagen worden.
Am 26.Mai fuhren wir als "Kommando der Südwestfront" (KdoSWF) nach Marburg in die Südsteiermark.
Ungefähr zu gleicher Zeit verlegte das AOK das beim Vordringen über die Karpathen überzählig gewordene VII.Korps nach Kärnten. Zur Verstärkung der Verteidigung Tirols rückte dort das deutsche Alpenkorps ein.
Unserem KdoSWF unterstanden nun
das Landesverteidigungskommando Tirol (GdK.Dankl)
die Armeegruppe GdK.Rohr in Kärnten-Krain und
die 5.Armee im Küstenland, deren Kommando GdI.Boroevic übernommen hatte.
Als KdoSWF behielten wir nicht auch noch das Kommando über die 5.Armee; damit wurde der Erfahrung aus dem Fehler Potioreks Rechnung getragen. Den Befehl über die Sicherungstruppen an der Save-Donau gegen Serbien erhielt GdK.v.Tersztyanszky. Unsere dort eingearbeitete Nachrichtenabteilung mit Hptm.Solarz blieb in Peterwardein.
Der Serbe rührte sich auch nach dem Abtransport der 5.Armee gegen Italien nicht. Das zeigte, daß die schweren Kämpfe unter Potiorek trotz der taktischen Niederlage ihren strategischen Zweck - die Sicherung der Südgrenze der Monarchie - voll erreicht hatten, somit die erlittenen schweren Verluste nicht vergeblich gewesen waren. Ja man muß fast glauben, daß anderenfalls unsere 5.Armee, wenn auch siegreich in Serbien stehend, nicht gegen Italien freizumachen gewesen wäre. Diese seltsame Fügung nahm mir endlich das bedrückende Gefühl der Niederlage von der Seele und gab mir, so wie den Truppen des XV. und XVI. Korps die Zuversicht, mit unserer hart erworbenen Kriegserfahrung die uns an Zahl viermal überlegene italienische Armee niemals nach Österreich eindringen zu lassen. Es war wunderbar, bei allen Truppen aller Nationen der Monarchie den gleichen starken Willen zu fühlen, dem Italiener seinen Treuebruch zu vergelten.
Während wir in Peterwardein in Kasernzimmern untergebracht waren, steckte man unser KdoSWF ins Marburger Gymnasium. Ich wurde bei einem Gymnasialprofessor einquartiert, der mich ebenso wie seine Frau freundlich aufnahm. Meinen Hausleuten begegnete ich in der Folge nur selten und kurz, da der Dienst im Kommando vom frühen Morgen bis spät in die Nacht währte und ich überdies jede Woche mindestens einmal Nachtinspektion im Kommando hatte.
Zu diesem Kommando wurde Mjr.v.Seiller als Chef der Nachrichtenabteilung beordert. Sohn eines Diplomaten, war er ein sprachgewandter, hervorragend tüchtiger Offizier. Er hatte eine so feine Einfühlung in die italienische Armee gewonnen, daß er uns für operative Befehle stets ein tadellos zutreffendes Feindbild liefern konnte. Zwischen ihm und mir hatte sich in kurzer Zeit eine aufrichtige Freundschaft entwickelt, die bis heute währt.
Als Verbindungsoffizier der deutschen obersten Heeresleitung kam der klar und richtig denkende GenStabObst.v.Bartenwerffer zu uns, dem FML Krauß eine besondere Stellung einräumte: bei Salis und mir in der Operationsabteilung konnte er ein- und ausgehen, wie er wollte.
Zur Nachrichtenabteilung stieß der ostpreußische GenStabHptm.Frantz, um seine Heeresleitung über die Italiener auf dem Laufenden zu halten. Beim Mittagstisch saß er neben mir, und ich mochte ihn ob seines trockenen Humors gut leiden; er konnte mir viel von den unter Hindenburg und Ludendorff in Ostpreußen mit den Russen geschlagenen Schlachten erzählen, was mich natürlich brennend interessierte. Bei Mjr.v.Seiller hingegen, dem er unmittelbar zugeteilt war, fand er nur wenig Sympathie, was den Dickhäuter aber kaum berührte.
Trotz der weiten Entfernung zur Front kam ich öfter nach vorne, weil mich Obst.Richard Körner, dem Krauß die Oberleitung der gesamten Artillerie für die Abwehr übertragen hatte, häufig bei Salis ausbat, um ihn zu begleiten und seine Anordnungen mit dem Willen der Operationsabteilung zu koordinieren. Dabei erwies sich Körner wiederum als glänzend befähigt: er ließ die Batterien so weit als möglich an die Infanterielinien heranbringen, um ihre Schußweiten überkreuzend auszunützen und ihr Feuer gruppenweise einheitlich von einem Befehlsstand zu leiten.
Außer Grenzkämpfen kleineren Charakters zwischen den erstklassigen Alpinis und unseren Standschützen und Landsturmsoldaten blieb zu unserem großen Erstaunen jeder energische Angriff des übermächtigen Italieners aus.
Erst am 23.Juni begann andauerndes Schießen der an leichten und besonders an schweren Geschützen vielfach überlegenen italienischen Artillerie auf unsere küstenländische Front von Tolmein bis zum Meer; gottlob fügte es unseren Truppen nur geringe Verluste zu, weil die Italiener anscheinend die genaue Lage unserer Stellungen noch nicht erkannt hatten. Dieses Feuer dauerte drei Tage und Nächte ununterbrochen. Erst dann setzte die italienische Infanterie zu Massenstürmen an, die jetzt von unserer Artillerie und der überall bravourösen Infanterie so gründlich abgewiesen wurden, daß bei Abschluß der italienischen Angriffe am 7.Juli alle unsere Stellungen gehalten waren. Ebenso erging es allen italienischen Angriffen gegen Tirol.
Nur an der kärntner-krainischen Front zeigte sich, daß die aus der ungarischen Tiefebene stammenden Truppen des vom Armeeoberkommando dorthin disponierten VII.Korps dem überall mindestens 2500 m hohen Gebirge der karnischen Alpen nicht gewachsen waren. Deshalb verfügte FML Krauß sofort nach dem Abflauen der als "1.Isonzoschlacht" benannten Kämpfe den der Gesamtlage nach garnicht ungefährlichen Austausch der Truppen. Die braven Ungarn kamen herunter auf das Doberdo und dafür die uns über Laibach vom AOK zugeführte halbe 44.tirolische Landwehrdivision in den Raum von Tarvis und die 48.Division, die im Frieden in Sarajevo gestanden war, mit ihrer 11. und 12. Gebirgsbrigade nach Kärnten in das Plöckenpass-Gebiet.
Dieser Truppenaustausch war noch nicht völlig durchgeführt, als die Italiener am 18.Juli schon wieder ein Massenfeuer auslösten und damit die 2.Isonzoschlacht begannen, die erbarmunslos bis zum 10.August tobte. In dieser Schlacht waren die täglichen Verluste am Plateau von Doberdo, wo der Kampf sich um den Monte San Michele und den Monte dei sei Busi konzentrierte, und im Brückenkopf von Görz so schwer, daß GdI.Boroevic die sorgsam gehüteten Marschformationen als Reserven verwendete und selbständig wie Feldformationen in den Kampf treten ließ. Als dies bei uns bekannt wurde, bekam FML Krauß seinen roten Kopf und bestimmte Erzh.Eugen in Begleitung von ihm, mir und dem technischen Referenten am 29.Juli zu Boroevic nach Laibach zu fahren; bei der Unterredung der hohen Generäle war ich nicht zugegen, hörte aber im Vorraum, daß sich die Stimmen sehr stark erhoben; als Krauß herauskam, war er hoch erregt und nannte Boroevic einen Truppenmörder.
Wir fuhren dann weiter in den Kampfraum des Doberdo Plateaus zum VII.Korpskommando nach Kostanjevica. Korpskommandant war Erzh.Joseph, der sich ganz als Ungar fühlte. Er war von hervorragender Tapferkeit und Tag und Nacht bis in den vordersten Linien seiner Truppen. Hier wurden mit ihm alle möglichen Maßnahmen zur Verminderung der ungeheuer großen blutigen Verluste durchgesprochen. Krauß forderte eine Aussprengung von Schützengräben ins Felsgestein sowie die Suche und das Aufbrechen von Höhlen, die ja im Karstgestein erfahrungsmäßig überall vorhanden sein müssen. Bohrgeräte sollten herangebracht werden. Erzh.Joseph hingegen verlangte besonders die Vermehrung schwerer Geschütze mit viel Munition. Hier stießen wir wieder auf die Sünden der ungenügenden Friedensrüstung, an denen insbesondere Ungarn schuld war.
Dem quälenden Wassermangel zu steuern, hatte schon der Etappenkommandant der 5.Armee, Obst.v.Landwehr, den Bau einer Wasserleitung begonnen, die aber noch Monate bis zu ihrer Fertigstellung brauchte. Bis dahin mußten die braven Tragtiere mit den Getränkefäßchen und Schläuchen auf ihren Rücken während der Nacht zu den Truppen kommen, damit die Soldaten ihre Feldflaschen füllen konnten. Auch die sanitären Vorsorgen mußten vervielfacht werden. Mit der Befriedigung all' dieser Notwendigkeiten waren wir in der Folge schriftlich und telegraphisch ununterbrochen tätig.
Dem quälenden Wassermangel zu steuern, hatte schon der Etappenkommandant der 5.Armee, Obst.v.Landwehr, den Bau einer Wasserleitung begonnen, die aber noch Monate bis zu ihrer Fertigstellung brauchte. Bis dahin mußten die braven Tragtiere mit den Getränkefäßchen und Schläuchen auf ihren Rücken während der Nacht zu den Truppen kommen, damit die Soldaten ihre Feldflaschen füllen konnten. Auch die sanitären Vorsorgen mußten vervielfacht werden. Mit der Befriedigung all' dieser Notwendigkeiten waren wir in der Folge schriftlich und telegraphisch ununterbrochen tätig.
Daß wir die Italiener in zwei großen Materialschlachten abgewiesen und dadurch den Hauptkräften ihren Siegeslauf von Gorlice bis Brest-Litowsk ermöglich hatten, stärkte das Selbstbewußtsein und Vertrauen in Führung und eigene Kraft wunderbar. Dabei ahnten wir damals noch nicht, daß den zwei ersten Abwehrschlachten noch neun weitere Materialschlachten folgen würden, bevor wir selbst zum Angriff auf die Italiener schreiten konnten.
Zwischen Krauß und Boroevic war eine ungute, unheilbare Spannung eingetreten. Krauß verlangte die Absetzung von Boroevic, welche Erzh.Eugen jedoch ablehnte. Krauß und ich waren untröstlich, daß die mit so viel Umsicht und Mühe ausgebildeten Marschformationen des XV.und XVI.Korps schon nach zwei Schlachten durch ihren "sinnlosen Einsatz als Kampftruppen", wie Krauß sagte, von Boroevic verbraucht worden waren. Bei einem Referat, das ich in Gegenwart von Baron Salis über die Schaffung neuer Ersätze erstattete (diese mußte sich zunächst auf die Auflösung und Einreihung von Landsturmverbänden, die keine Offiziere mehr hatten, in die Feldformationen beschränken), bekam Krauß wieder seinen roten Kopf und brummte zu mir, der Erzherzog sei viel zu weich.
Hinsichtlich der Vermehrung der schweren Artillerie wandten wir uns auch über Obst.v.Bartenwerffer an den deutschen Bundesgenossen, der wohl Versprechungen machte, uns dann jedoch bloß eine einzige 13cm-Kanonenbatterie überließ.
Dafür war FM Conrad trotz dem dauernden Truppenbedarf im Norden bemüht uns zu helfen: so kamen nach und nach alle Kaiserjäger- und Gebirgsschützen-Regimenter und auch einige 30½cm-Mörser zu uns.
Bei Plazierung dieser Mörser geschah das Unglück: unser hervorragender Artillerist Richard Körner wurde auf der Autofahrt zum Kastel von Görz von einer italienischen Granate zerrissen. Als hätte er eine Ahnung, hatte er einige Tage vorher zu mir gemeint: "Was glaubst du, Jansa, werden wir nach dem Blutgeschäft noch einmal im Smoking in der Oper sein?" "Das steht bei Gott." Sein Todeskampf im zerfleischten Körper währte noch 24 Stunden. Danach war er einer der vielen tausend Toten, die wir in dem grauenvoll zerschossenen und zerwühlten Friedhof von Görz zur Ruhe betteten. Sie war freilich keine, weil italienische Granaten den Friedhof immer wieder umpflügten.
Mit der Führung des XV.Korps bei Tolmein und am Krn war FML Krauß nicht einverstanden. Gen.Fox wurde durch FML v.Stöger-Steiner ersetzt. Bei diesem wurde an Stelle von Obst.Fleck Obst.Theodor Körner als Generalstabschef eingeteilt. Sehr bewährte sich hingegen in den harten Kämpfen um den Kreuzberg-Sattel in Tirol neben den wunderbar tapferen Standschützen das bayrische Alpenkorps.
Mitte September wurde ich zum Fernschreiber gerufen. Dort meldete sich mein alter Regiments- und Kriegsschulkamerad Miklós v.Ghyczy aus der Personalabteilung des AOK: "Du wirst wieder am Balkan gebraucht und sollst in die Operationsabteilung von Mackensen kommen. Hast du Lust dazu?" Ich antwortete darauf ungefähr, ich wäre schon gern dabei, wenn es wieder gegen den Serben ginge, möchte jedoch keine Zusage machen, ohne vorher Krauß und Salis zu fragen; darauf Ghyczy: "Das hätte ich mir denken können; bist halt der alte brave Soldat geblieben. Aber tummel dich mit der Antwort." Ich nahm den Papierstreifen über das Gespräch aus dem Apparat und ging damit zu Salis. Der sagte, das sei ihm sehr unangenehm, und nach kurzem Nachdenken: "Komm, gehen wir gleich zu Krauß." Bei dem hatten Salis und ich zu jeder Zeit ungehinderten Eingang. Ich meldete Krauß und zeigte ihm den Gesprächsstreifen. Er dachte eine Weile nach, sah Salis an und sagte dann zu mir: "Es stört eine Ablehnung vielleicht Ihre Karriere; aber mir wäre schon sehr recht, wenn Sie bei uns blieben." Darauf dankte ich für sein Vertrauen und versprach abzulehnen. Also ging ich wieder zum Fernschreiber, ließ Ghyczy in Teschen an den Apparat bitten und teilte ihm mit, daß ich auf Wunsch von FML Krauß bitte, von meiner Einteilung zu Mackensen abzusehen; Ghyczy antwortete, er werde dies dem Chef melden. Den Kontrollstreifen zeigte ich Salis und ging an meine Arbeit.
Nach ein paar Tagen kam der schriftliche Befehl des AOK, demzufolge ich in die Operationsabteilung des OK Mackensen versetzt wurde und rasch nach Temesvár abzureisen habe. FML Krauß, der diesen Befehl zuerst bekommen hatte, ließ mich rufen und sagte etwa, daß er wissen möchte, warum diese Leute beim AOK Anfragen stellten, wenn sie dann doch machten, was sie wollen; dann gab er mir den schriftlichen Befehl in die Hand. Ich ging zu Salis in die Operationsabteilung; er las das Schreiben und gab es mir mit den Worten zurück, unsere Trennung täte ihm leid.
Ein paar Tagen zuvor war GenStabsHptm.Alfred v.Hubicki zu uns versetzt worden. Er wurde zu meinem Nachfolger in der Operationsabteilung bestimmt, und so hatte ich ihm meine Agenden zu übergeben. Nach zwei Tagen konnte ich mich abmelden. Hiebei zeigte mir Salis den von Obstlt.Zimmer und ihm verfaßten Zusatz zu meiner Dienstbeschreibung, der allerhand Gutes und Schönes enthielt; am meisten berührte mich die eigenhändig geschriebenen Begutachtung von FML Krauß: "Überragt den Durchschnitt seiner Kameraden."
Zur Verabschiedung wurde ich an die Tafel des Erzherzogs geladen. Dieser trank mir mit den Worten zu, daß ich sicher einer interessanten Zeit entgegenginge, in der man meine eingehenden Balkankenntnisse brauchen werde. Krauß äußerte beim Abschied den Wunsch, ich möge ihn eingehender über den Verlauf der Dinge "da drunten" orientieren; er werde mich im Gegenzug übers Geschehen an der Südwestfront informieren lassen. Danach verabschiedete ich mich im ganzen Kommando. Als ich zu Bartenwerffer kam, sagte er in etwa, daß ich es bei Gen.v.Seeckt, dem Stabschef Mackensens, anfangs nicht leicht haben werde; er sei aber der Meinung, daß ich mich durchsetzen werde.
Schließlich bestieg ich mit meinem Offiziersdiener, einem Banater Schwaben, den Zug nach Wien. Die Verbindung über Wien war noch immer rascher, als die der Karte nach gerade Strecke über Agram-Neusatz. Mein braver niederösterreichischer Pferdewärter Kern mit seinem bosnischen Gehilfen und meinen 3 Rössern (1 großes und 2 Gebirgspferde) wurden mir nach Temesvár nachgesendet.
Bei der langsamen Fahrt konnte ich mir viel durch den Kopf gehen lassen, wozu ich früher keine Zeit gefunden hatte. Der Krieg dauerte nun schon über ein Jahr. Im Heer hatten wir noch keinen Mangel an Nahrung. Die ersten zwei Monatsgagen, die wir in Goldstücken ausbezahlt bekommen hatten, hatte ich meinem Bruder Heinrich für seine Tochter Anni geschenkt. Da ich von Teuerung im Hinterland hörte und nur wenig Geld brauchte, hatte ich einen Teil meiner Monatssolds regelmäßig meinem Bruder weitergereicht. Den Rest hatte ich auf mein Konto bei der bosnischen Landesbank eingezahlt, die ein Zweiginstitut des Wiener Bankvereines war. Wie würde es meinem Bruder, seiner Familie und meinem nun bald 86 Jahre alten Vater gehen? Seit Kriegsbeginn war mir noch kein Tag Urlaub vergönnt gewesen, und das letzte Mal war ich Anfang 1913 nur kurz in Wien gewesen, gelegentlich einer Information im Evidenzbüro des Generalstabes. Das war zu der Zeit, als ich in Sarajevo beim Armeeinspektor auch den Nachrichtendienst zu bearbeiten hatte. Ich überlegte, daß ich mich ohne Gewissensbisse einen Tag in Wien aufhalten können würde. Dann überdachte ich die Gesamtkriegslage; trotz der Erfolge in Russland und der ersten Abwehr Italiens erschien sie mir nicht aussichtsreicher als damals, wo ich von der unglücklichen Marne-Schlacht hörte; inzwischen hatte uns beinahe die ganze Welt den Krieg erklärt; vielleicht mochte es gelingen, Serbien und Montenegro friedensbereit zu machen; das wäre wenigstens ein Anfang.
Vom KdoSWF ging ich eigentlich nicht leichten Herzens weg: dort waren vielkönnende Menschen beisammen, hervorragende Soldaten, und sie besaßen in Krauß und Salis glänzend operative Köpfe. Mein Wirkungskreis war reichhaltig gewesen und ich hatte das Vertrauen meiner Vorgesetzten und meiner Kameraden genossen, ja sogar jenes vieler nichtaktiver Leute, die sich bei so einem hohen Kommando zusammenfinden.
Wohl hatte ich zwei Kriegsauszeichnungen erhalten, war jedoch nie in einer eigentlichen Frontverwendung gewesen. Das Gefühl der Pflicht bewegte mich, auch meinerseits etwas zum ungeheuren Blutzoll beizutragen, der von der Armee gefordert wurde. Für den Posten eines Divisions-Generalstabschefs war ich dem Dienstrang nach noch viel zu jung; aber 1.Generalstabsoffizier bei einer Gebirgsbrigade zu werden, das würde möglich sein - zweimal hatte ich darum angesucht, zweimal war es abgelehnt worden.
Wie würde das nun in einem deutschen Kommando werden? An sich imponierte mir die deutsche Wehrmacht trotz ihres Scheiterns an der Marne: die Vernichtungsschlachten Hindenburgs bei Tannenberg in den Masuren, die gemeinsamen Siege mit uns in Polen bei Lódz und Gorlice waren großartig. Natürlich, in der Wehrmacht dienten nur Deutschstämmige, und diese hatten ihrem Heer im Frieden so viel zugestanden, daß es an Waffen, besonders an Artillerie, Munition und Fliegern ungleich bessergestellt war als unseres. Conrad war ein unübertroffener Stratege, aber das gewisse "Soldatenglück" war ihm auch nicht immer treu. Was meinte eigentlich Bartenwerffer damit, daß ich es bei Seeckt nicht leicht haben werde? Die deutschen Generalstabsoffiziere, die ich bisher kennengelernt hatte, waren uns keineswegs überlegen. Von Seeckt hörte ich erstmals nach Gorlice, wo er Mackensens Generalstabschef gewesen war. Mackensen war nach dieser Durchbruchsschlacht und späteren Erfolgen ungeheuer populär geworden; die Bilder zeigten eine gewinnende soldatische Erscheinung. Von Seeckt hatte ich lediglich erfahren, daß er dem preußischen Junkertum entstamme. Hptm.Oertel hatte seinen Namen nie genannt, und auch Hptm.Frantz wußte mir nichts weiter zu sagen. Wie sollte ich mich benehmen? Frantz hatte sich durch sein ruppiges und mitunter überhebliches Wesen keine sehr angesehene Position in der Nachrichtenabteilung geschaffen. Bei Bartenwerffer hingegen war das anders: sein an sich bescheidenes, höflich zuvorkommendes Wesen, das sich nie eine Kritik über österreichische Verhältnisse erlaubt hatte, war seinem Ansehen und Einfluss zum Vorteil gereicht; im KdoSWF genoß er großes Ansehen und Vertrauen. Das mußte also das richtige Vorbild sein!
In Wien stieg ich im Hotel Kaiserin Elisabeth ab, weil ich dort - nach mehrfachen vergeblichen Versuchen anderswo - Platz gefunden hatte; Zimmer 20 mit Baderaum wurde in der Folge stets mein Logis, wenn mich mein Weg über Wien führte. Am Morgen war ich angekommen, spät abends ging ein Zug über Budapest nach Temesvár, mir blieb also der Tag. Nach gründlicher Toilette besuchte ich erst meinen Bruder in seinem Büro in der Herrengasse. Heinrich erschien mir sorgenvoll und bedrückt. Die Lebensverhältnisse in Wien waren schon schwierig: man bekam zwar noch so ziemlich alles, jedoch nicht glatt und einfach; wegen vieler Dinge mußte man herumlaufen und suchen. Seine Frau Vilma sei da wenig wendig und geschickt. Ihr Kind hatte stark die englische Krankheit krummer Beine, und der notwendige Lebertran war nur im preistreibenden Schleichhandel zu bekommen. Zusammen gingen wir dann in die Hiehsgasse im 3.Bezirk mittagessen, wo Heinrich eine recht teure Wohnung besaß. Unterwegs hatte ich meinen reichlichen Eßvorrat, den mir unser Proviantoffizier vorsorglich mitgegeben hatte, geholt: so setzte ich als unangesagter Gast meine liebe Schwägerin nicht in Verlegenheit.
Während Heinrich wieder ins Büro ging, blieb ich bei meinem guten Vater. Er war in staunenswert gutem Gesundheitszustand und geistig frisch. Natürlich begehrte er alles zu hören, was ich erzählen konnte. Entgegen meiner Überzeugung vermied ich sorgfältig, den Krieg als ungewinnbar zu schildern; im Gegenteil, ich suchte bei Vater und allen, mit denen ich sprach, die Zuversicht zu heben.
Nichts wollte ich über meine neue Dienstbestimmung verlauten lassen, mußte aber zu meinem Entsetzen hören, daß in Wien schon vom bevorstehenden Angriff auf Serbien geredet wurde. Diese Tratschsucht erschien mir ungeheuerlich. Im übrigen gefiel es mir in Wien nicht: zuviel schlecht getragene Uniformen, zuviel schlecht gekleidete Zivilisten, zuviel Frauen in Trauerkleidung. Und die Erzählungen meines Bruders ließen eine ungute Gesamtstimmung erkennen: über den eigenen Generalstab und die Generäle wurde viel geschimpft, dagegen alles Reichsdeutsche emporgehoben. Einerseits übersahen die Leute, daß der eigenen Armee durch Jahrzehnte alles wichtige vorenthalten worden war, andererseits ahnten sie nichts vom kriegsentscheidenden Desaster der Deutschen an der Marne.
Jedenfalls war ich froh, Wien am Abend zu verlassen, um am nächsten Morgen in Temesvár anzukommen.
 
Am 4.Mai 2011 präsentierte der Böhlau Verlag in Wien
das umfangreiche, bebilderte, kommentierte und
mit einer Einführung versehene Buch:

P.BROUCEK (Herausgeber)
Ein österreichischer General gegen Hitler
Feldmarschalleutnant Alfred Jansa
Erinnerungen
Auslage in Wien I im Mai 2011 © 2011 by DMGG