FML JANSA
«Aus meinem Leben»
VI A
DER ERSTE WELTKRIEG
Beim 6.Armeekommando
25.VII.1914 - 25.XII.1914
Die folgende Erzählung ist keine Darstellung des Krieges. Der findet im österreichsichen Generalstabswerk «Österreich-Ungarns letzter Krieg» in sieben Bänden mit reichlichstem Kartenmaterial eine ausgezeichnete, mit großer Objektivität geschriebene Schilderung. Hier erzähle ich lediglich von meinen persönlichen Eindrücken und Erlebnissen, die keine große Taten enthalten, weil die Stellung eines jungen Generalstabshauptmannes im allgemeinen und meine speziellen Verwendungen im besonderen dazu kaum Gelegenheit boten.
Als am 26.Juli die vom Kaiser am 25. unterschriebene Mobilisierungsorder der für den Krieg gegen Serbien-Montenegro bestimmten öst-ung. Streitkräfte bei uns bekannt wurde, war die nach dem Attentat auf Erzh.Franz Ferdinand spontan aufgelebte und zur Tat treibende Stimmung des loyalen Bevölkerungsteiles eigentlich schon abgeflaut. Ob die verspätete Aktion des Außenministeriums richtig war, wurde von uns in Bosnien von Haus aus bezweifelt. Die Untersuchungen des Gesandten Wiesner und des Militärauditors Dr.Schager hatten zwar den eindeutigen Beweis erbracht, daß das Attentat von Serbien aus angezettelt worden war, konnten aber die erhoffte Lokalisierung des Krieges nicht erreichen. Ja ich möchte fast glauben, daß eine sofortige Reaktion Österreich-Ungarns vielleicht von der Welt verständnisvoller aufgenommen worden wäre. Aber damals war es nicht unsere Sache uns darüber den Kopf zu zerbrechen.
Da der 26.Juli Annentag war, an dem viele Bekannte im Garnisonskasino ihren Namenstag feierten, gingen wir paar Kameraden auch dorthin nachtmahlen. Der große Saal war voll besetzt, wir konnten nur mit Mühe Platz finden, zufälligerweise nahe neben dem Tisch an dem die beiden Brigadiere GM. Schenk und Böltz mit ihren aus Russland stammenden Gattinnen, Söhnen und Töchtern saßen. Die Stimmung war animiert und die Garnisonsmusik spielte als Zugaben zu ihrem Programm patriotische Märsche, die mit viel Applaus bedankt wurden. Als dann die Musik den Radetzkymarsch und gleich anschließend den Prinz Eugen-Marsch intonierte, kannte die patriotische Stimmung der vielen Offiziere aller Nationen der Monarchie keine Zurückhaltung mehr, sondern brach in jubelnde Zustimmung zu dem bevorstehenden Kriege aus. Und da entstand die peinliche Situation, daß die Frauen Schenk und Böltz von so heftigen Weinkrämpfen befallen wurden, daß ihre Männer sie hinausführen mußten und nicht mehr wiederkehrten. Mich bedrückte dieser Vorfall umsomehr, als GM.Böltz ja unser Armeegeneralstabschef war und am folgenden Tag seine Amtstätigkeit bei uns zu beginnen hatte. Verstimmt und sorgenvoll ging auch ich bald weg.
In den nächsten Tagen wurden unsere Büros zu einem Bienenhaus. Das Armeeinspektorat wurde zum 6.Armeekommando, zu dem eine Reihe von Offizieren einrückte, für deren Unterbringung schon in den Mobilisierungsarbeiten vorgesorgt worden war. GM.Böltz bezog den neben meinem Arbeitszimmer gelegenen Kanzleiraum Merizzis, während in mein Zimmer der Chef der Operationsabteilung, Obst.Fleck v.Falkhausen und als Artilleriereferent Obstlt.Richard Körner (der Bruder unseres nachmaligen Bundespräsidenten) kamen. GM.Böltz bestimmte, daß ich in meinem Zimmer neben ihm zu bleiben habe, in dem wir jetzt also zu dritt arbeiteten. Fleck wurde mein unmittelbarer Vorgesetzter an Stelle von Merizzi. Körner kannte und verehrte ich schon seit 1912, als er gelegentlich der Standeserhöhungen und zur Erprobung des neuen Gebirgsgeschützes vorübergehend zu uns gekommen war. Richard Körner gehörte dem Artilleriestab an, war Lehrer an der Artillerieschießschule in Hajmáskér gewesen, war einer der glänzendsten Artilleristen, den die Monarchie besaß, immer heiter und guter Laune und zeichnete mich schon seit 1912 mit seinem Vertrauen und freundschaftlicher Herzlichkeit aus.
Dann kam zur Leitung des Nachrichtendienstes der bisherige Militärattaché in Belgrad, Obstlt.Gellinek, eine mir vom ersten Begegnen an unsympathische Persönlichkeit schon wegen der grenzenlosen Überheblichkeit die serbische Armee zu unterschätzen. Das stand in diametralem Gegensatz zu der uns in Sarajevo gebildeten Meinung. Seine Auffassung bestärkte FZM Potiorek in der Unterschätzung der Serben und beeinflußte vielleicht auch den Chef der Operationsabteilung in gleich falschem Sinne.
An sonst prominenteren Persönlichkeiten rückten zu uns noch ein:
Der Gesandte v.Masirevich als Vertreter des Ministeriums des Äußeren,
Franz Graf Harrach, in dessen Auto vier Wochen vorher das erzherzogliche Paar erschossen wurde, und
Graf Paul Teleki der bedeutende Geograph und nachmalige durch Selbstmord endende ungarische Ministerpräsident, als kriegsfreiwillige Automobilisten.
Die Mobilisierung und der Aufmarsch der 5.Armee an der unteren Drina in dem durch die 11.Gebirgsbrigade bewachten Grenzraum sollte gleichzeitig mit jenem der 2.Armee nördlich der Save bis 12.August beendet sein. Demgegenüber brauchte unsere in Bosnien-Hercegovina mobilisierende 6.Armee wegen der einzigen, schmalspurigen Bahn um eine Woche länger, konnte daher erst frühestens am 18.August im Raum Sarajevo-Foca-Višegrad-Romanja planina versammelt sein.
Den Oberbefehl über die drei Armeen sollte Erzh.Friedrich mit FM Conrad als Chef führen.
FZM Potiorek änderte an der schon im Frieden für unsere 6.Armee vorgearbeiteten Versammlung nichts, so daß ganz Montenegro gegenüber nur die 14.Gebirgsbrigade in der Bocce di Cattaro und die 3.Gebirgsbrigade in der Hercegovina um Nevesinje-Avtovac, gestützt auf die Grenzfestungen, verblieben. Dieser Entschluß war kühn und richtig; es handelte sich in der Folge darum, so wie wir es mit Merizzi geplant hatten, die langwierige Versammlung der 6.Armee ruhig abzuwarten und auch gegenüber einem raschen serbischen Vordringen auf Sarajevo nicht die Nerven zu verlieren, um sie bei einem Vordringen über Višegrad-Goražde in einer Umfassungs-, richtiger Einkreisungsschlacht auf der Romagna vernichtend zu schlagen.
Aber schon das erste tastende Vorfühlen der serbischen Užice-Gruppe an die Drina veranlaßten Obst.Fleck, GM.Böltz das Verschieben der 9. und 10. Gebirgsbrigade von Sarajevo nach Višegrad und Goražde vorzuschlagen. Mein Einspruch dagegen wurde von Fleck brüsk zurückgewiesen und dann sein Vorschlag über Vortrag von GM.Böltz bei FZM Potiorek von diesem genehmigt. Zwei Brigaden waren damit vorzeitig in falscher Richtung verausgabt worden.
Im übrigen vollzogen sich Mobilisierung und Aufmarsch unserer 6.Armee reibungslos in bester Weise. Mein Antrag bei Fleck, Potiorek zu bestimmen, sich in kurzen raschen Autotouren den Truppen zu zeigen, wurde von diesem abgewiesen. Das hätte Merizzi bestimmt durchgesetzt. So aber bekam niemand den Armeekommandanten zu Gesicht; der lebte wie ein Mönch im Konak eingeschlossen, sein Verhältnis zu GM.Böltz war, wie ich es von diesem wiederholt hörte, frostig kühl. Nur Mjr.Wachtel war viel um ihn, was begreiflicherweise den Unmut des Armeegeneralstabschefs hervorrief. Deshalb entstand zwischen Wachtel und Böltz bald ein ungutes, gespanntes Verhältnis.
In der Operationsabteilung führte ich die Evidenz der eigenen Truppen, das war das auf der Generalkarte 1:200.000 täglich festgelegte Schaubild der Standorte der eigenen Truppen als Grundlage für alle zu fassenden Entschlüsse und Befehle, deren Ausarbeitung mir zukam, soweit sie nicht der sehr tätige Böltz persönlich verfaßte oder Fleck niederschrieb. Mit mir arbeitete der rangjüngere Hptm.Beran und der für uns auf dem Gebiet des Eisenbahnwesens zuständige GenStabHptm.Brendl.
Ordnungsgemäß hätte Mjr.Wachtel in die operativen Angelegenheiten nichts dreinzureden gehabt. Seine Aufgabe lag in der materiellen Versorgung der Truppen in Zusammenarbeit mit dem Armee-Etappenkommando unter GM.Lenz. Doch entsprach es seiner Eigenart, sich in alles einzumischen und - ob gewollt oder ungewollt möchte ich nicht beurteilen - um den Feldzeugmeister eine unsichtbare, aber dichte Absperrung zu legen, was in der Folge zu einem großen Unglück wurde, weil er nicht den geistigen Einfluß auf ihn gewinnen konnte, den Merizzi gehabt hatte. So kam es, daß dieser, eigensinnig und durch Merizzis Einfluß mißtrauisch geworden, mit seinem natürlichen Berater, dem Armeegeneralstabschef, in ein immer schlechteres Verhältnis geriet und aus dem abgeschlossenen Konak einfach nicht herauszubringen war.
Potiorek meldete dem AOK (Erzh.Friedrich/Conrad), daß er mit der 6.Armee ab 18.August über die Leitlinie Višegrad-Užice-westl.Moravatal vorzurücken beabsichtige. Denn der erwartete rasche Einbruch der Serben nach Bosnien war nicht erfolgt. Sie blieben vielmehr sowohl bei Višegrad, als auch bei Goražde an der Drina stehen und ließen nur ihre weitschießenden Geschütze in unseren Raum wirken.
Bald jedoch änderte sich die Lage grundlegend. Die Mobilisierung Russlands löste die österreichische und die deutsche Gesamtmobilisierung aus, die von jener Frankreichs und Englands beantwortet wurde. Dazu kam bald die Verständigung vom AOK, daß Italien an Stelle seiner Bündnispflicht die Neutralität unter der Bedingung zugesagt habe, daß der in Montenegro gelegene Lovcen-Berg von uns nicht angegriffen würde. Ein solcher Angriff unserseits war zwar mangels an Kräften garnicht geplant, aber diese Bedingung erwies die ganze Infamie Italiens, wie sie Conrad immer vorausgesagt hatte. Unsere Außenpolitik hatte es also zuwege gebracht, die ganze Welt zu unseren Feinden zu machen.
Aus diesen Umständen gingen Erzh.Friedrich mit Conrad auf den Hauptkriegsschauplatz nach Galizien ab. FZM Potiorek wurde zum "Kommandanten der Balkanstreitkräfte" ernannt. Dazu wurde ihm auch die 5.Armee in Nordbosnien unterstellt, während die 2.Armee nördlich der Save und Donau, nach Freiwerden der Eisenbahnen, das war ab 18.August, nach Galizien abzugehen hatte.
Bei uns entstand nun die Frage, ob ein eigenes Führungskommando für die Balkanstreitkräfte aufzustellen war und wer das Kommando der 6.Armee übernehmen sollte. Ein solche Lösung wäre sinnvoll gewesen, weil die Führung einer Armee, namentlich im Gebirge, eine große Mobilität des Armeekommandanten erforderte, während die Gesamtführung auf einem ganzen Kriegsschauplatz mehr Ruhe und Stabilität brauchte. Eine solche Möglichkeit vorausschauend hatten wir mit Merizzi für dieses hohe Kommando den kleinen Ort Doboj im Bosnatal in Aussicht genommen, weil er günstig zwischen beiden Armeen lag und so wie Sarajevo ein Knotenpunkt von Straßen, Eisenbahnen, Telegraphen- und Telephonlinien war. Ich besprach die Sache mit Mjr.Wachtel wegen der materiellen Versorgung: mit meinem Vorschlag, ein kleines Kommando der Balkanstreitkräfte zu formieren und die Führung der 6.Armee GdI.v.Appel oder FML Wurm zu übertragen, dessen Korpskommando FML Trollmann (bisher 18.Division) zu führen hätte, war er ausnahmsweise einverstanden, und wir trugen ihn gemeinsam Obst.Fleck und in dessen Gegenwart dem Generalstabschef GM.Böltz vor. Letzterer war nicht dafür mit der Bemerkung des Truppenoffiziers, daß damit wieder nur ein "überflüssiges" Kommando aufgezogen würde, sagte jedoch zu, Potiorek den Gedanken vorzutragen. Der lehnte ab. Wieder fehlte die Einflußkraft Merizzis auf den Feldzeugmeister; andererseits hatte jener in den vorangegangenen Jahren ja alles getan, um ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Potiorek und Böltz zu verhindern. Potiorek war nun Kommandant der Balkanstreitkräfte, Kommandant der 6.Armee und blieb auch politischer Landeschef für Bosnien und die Hercegovina, vereinte also drei gleichzeitig auszuübende Machtbefugnisse in seiner Person. Das wirkte sich sehr bald für die ihm unterstellte 5.Armee ebenso verderblich aus, wie es in der Folge die 6.Armee praktisch führerlos machte. Denn Potiorek fühlte sich durch die Führung der Landesregierung und der 5.Armee immer behindert, bei der 6.Armee, so wie es sich gehört hätte, persönlich nach dem Rechten zu sehen. Der Armeekommandant wurde zum Stubenhocker, den an der Front niemand zu Gesicht bekam. Ob dieses Sich-in-seine-vier-Mauern-Verkriechen Potioreks Grundnatur entsprach oder eine Folge des Schocks beim Attentat war, als ihm gegenüber im gleichen Wagen der Thronfolger mit seiner Gemahlin erschossen wurden, wage ich nicht zu entscheiden.
Die durch den bevorstehenden Abtransport der 2.Armee entstandene Lage, wonach Potiorek allein mit der 5. und 6. Armee die Sicherung der Südgrenze der Monarchie, mit Kräften, die den Serben und Montenegrinern keineswegs überlegen waren, zukam, erforderte neue Entschlüsse. Daß man die serbische Bedrohung am besten durch ein offensives Vorgehen nach Serbien abwenden konnte, war jedermann klar; man mußte allerdings beide Armeen näher aneinander heranführen, um eine ausreichende Kraft zu bilden. Das konnte entweder durch eine Südverschiebung der 5.Armee, oder eine Nordverschiebung der 6.Armee erfolgen. Da die 6.Armee aber erst eine Woche später als die 5. voll kampfbereit sein konnte, wäre es nahegelegen, während dieser Woche die 5.Armee südwärts in den Raum Janja-Zvornik-Vlasenica-Srebrenica marschieren und von dort aus ostwärts die Drina überschreiten zu lassen.
Wohl drängte das Außenministerium aus politischen Gründen auf einen raschen Beginn der Feindseligkeiten. Das durfte die Kriegführung freilich nicht zu falschen Entschlüssen verleiten.
Tatsächlich befahl Potiorek der 5.Armee, aus ihrem Aufmarschraum an der unteren Drina die Offensive schon am 12.August in der Richtung Valjevo zu beginnen. Sie sollte möglichst viele serbische Kräfte auf sich ziehen, denen er mit der erst am 18.August über die mittlere Drina bei Višegrad vorbrechenden 6.Armee in den Rücken kommen wollte.
Als GM.Böltz diesen Befehl Potioreks zur Ausfertigung an die 5.Armee brachte, war ich so entsetzt, daß ich, ohne den Zwischenvorgesetzten zu beachten, Böltz direkt beschwor, den Feldzeugmeister umzustimmen und davor zu warnen, die bloß fünf Divisionen starke 5.Armee allein durch 6 Tage der mindestens elf Divisionen starken serbischen Armee entgegenzuwerfen. Böltz horchte auf, begann zu überlegen und erkannte des Feldzeugmeisters Meinung, man müsse die befristete Anwesenheit der 2.Armee nördlich der Save-Donau nützen, als schwaches Argument. Da ganz Slavonien und Ostbosnien serbische Bevölkerung hatte, mußte man doch annehmen, daß der bevorstehende Abtransport der 2.Armee nach Galizien in Belgrad schon bekannt geworden war. Ich suchte und fand in Richard Körner einen Gleichgesinnten, der Böltz ebenfalls beredete.
Plötzlich erschien Merizzi aus dem Spital. Rasch orientierte ich ihn und beschwor ihn, Potiorek doch von seinem Befehle abzubringen. Der Major zuckte jedoch mit die Achseln und meinte, ich wisse ja, daß Potiorek ihn nicht empfange; er habe ins Banat abzugehen.
Schließlich ging Böltz doch nocheinmal zu Potiorek und kam bald mit der simplen Erklärung zurück, "Befehl ist Befehl", worauf Obst.Fleck den Befehl an die 5.Armee ausfertigte.
Inzwischen waren die Aufmarschtransporte der 5.Armee durch einen Bahnunfall verzögert worden, was den Armeekommandanten GdI.Frank zum Antrag veranlaßte, den Offensivbeginn vom 12. auf den 14. August zu verlegen. Gleichzeitig erschien von der 5.Armee ein Generalstabsoffizier - ich glaube es war der kluge Obst.v.Landwehr - um die besonders das VIII.Prager Korps betreffende Aufmarschverzögerung zu erklären und den Verschiebungsantrag des Armeekommandanten zu begründen. Aber auch das war vergebens; Potiorek beharrte auf seinem Befehl, der anscheinend auf Überlegungen fußte, die er als Chef des Operationsbüros vor fünfzehn Jahren für den Kriegsfall mit Serbien angestellt hatte. Daß Serbien seither, unterstützt von Russland und Frankreich, gewaltig aufgerüstet und erst kürzlich seine Kriege gegen die Türkei und Bulgarien siegreich bestanden hatte, schienen Potiorek-Böltz nicht wahrhaben zu wollen. In ihrer Fehlmeinung wurden sie vom geradezu sträflich überheblichen Obstlt.Gellinek bestärkt, der als ehemaliger Miltärattaché in Belgrad immer wieder äußerte, die serbische Armee sei unserer gegenüber völlig inferior; abgesehen vom kühnen Kriegertum der Serben und ihrer in zwei Kriegen gewonnenen Erfahrung war dies allein schon wegen deren artilleristischer Überlegenheit über die 6.Armee eine frivole Behauptung. Zu allem Überfluß hieß das AOK die Absichten Potioreks gut und übernahm dadurch die Mitverantwortung.
Es kam, wie es kommen mußte: Die 5.Armee erlag mit ihren sich glänzend schlagenden 5 Divisionen in achttägigen schweren Kämpfen der feindlichen Übermacht. Als die 6.Armee am 20.August mit ihrem Vormarsch begann, war die 5.Armee schon über die Drina zurückgegangen. Mir stieg die Schamröte ins Gesicht über diese Niederlage einer Großmacht gegenüber dem kleinen Serbien.
Selbstverständlich mußte nun der Vormarsch der 6.Armee gestoppt und diese an die 5. herangeführt werden, was von Haus aus hätte geschehen müssen. Da GdI.v.Appel, der Kommandant des XV.Korps, sich nicht gern von den erfolgreichen Kämpfen gegen die serbische Užice-Gruppe abhalten ließ, erhielt ich den Auftrag, ihn persönlich über das Unglück der 5.Armee zu orientieren und zum Anhalten seines Vordringens zu bestimmen. So kam ich zum erstenmal an die Front und ins serbische Artilleriefeuer, denn Appel hatte seinen Befehlstand mitten in seine angreifenden Truppen verlegt. Bevor ich zu ihm kam, traf ich seinen Generalstabschef, den prächtigen Obst.Mihaljevic mit einem roten Kopf. Er hatte gerade wegen der befohlenen Einstellung des Angriffes eine harte Auseinandersetzung mit Appel gehabt und in deren Folge um seine Einrückung zur Truppe gebeten. Um mich vor der direkten Aussprache mit dem gröblichst schimpfenden General zu bewahren sagte er mir, er habe die Einstellung des Angriffes bereits mit Appel ausgehandelt, meine Intervention sei nicht mehr nötig, ich würde von jenem auch nur gröblich beschimpft werden. Während dieses Gespräches mit Mihaljevic entdeckte mich Appel und rief mich zu sich. Sein Jähzorn war bereits verflogen und als ich ihm den Befehl zur Einstellung seines Angriffes übermittelte, bestätigte er mir knurrend, daß er Mihaljevic die entsprechende Durchführung schon aufgegeben habe; ich möge ihn über die Einzelheiten orientieren, wie es zum Rückzug der 5.Armee gekommen sei. Das tat ich ausführlich, aber ohne Potiorek bloßzustellen. Die nun geplante Zusammenführung beider Armeen zu einheitlicher Aktion befriedigte Appel. Mein anschließender Versuch, Mihaljevic zur Rücknahme seines Wunsches nach Ablösung als Generalstabschef zu bestimmen, schlug jedoch fehl.
Als ich zu Böltz zurückkehrte und ihm Meldung erstattete, meinte er, das passe ihm sehr gut; Obst.Fleck werde Generalstabschef beim XV.Korps und ich habe dessen Agenden beim Armeekommando zu übernehmen, "weil ich vom isolierten Angriff der 5.Armee abgeraten hatte". Aber ich dürfe Potiorek keine Lagezeichnung auf der Generalkarte 1:200.000, sondern nur auf der Spezialkarte 1:75.000 machen, damit dieser nicht wieder Entfernungen unterschätze, wie jene, die zwischen der 5. und 6. Armee bestanden hatte.
So wurde ich für die kommenden Ereignisse praktisch Chef der Operationskanzlei - eine regelrechte Ernennung wagte Böltz wegen meines zu geringen Dienstgrades nicht. Er selbst straffte sich nun und wurde Potiorek gegenüber hart, was nach und nach zum absurden Verhältniss führte, daß sein mündlicher Verkehr mit dem Feldzeugmeister immer seltener wurde. Bei Entscheidungen schrieb er seine Meinung auf einen Zettel und ließ ihn bei Potiorek; kam der Zettel mit einem ja zurück, so war es gut. Schrieb Potiorek nein, dann rief mich Böltz und wir durchdachten den Antrag noch einmal. Fanden wir, daß Potiorek Unrecht hatte, so schrieb Böltz seinerseits "ja", oder "ich beharre auf meinem Vorschlag". So wanderte ein Zettel oft drei bis viermal hin und her, und Böltz bewahrte diese Zettel zu seiner Deckung auf.
Mir ist bis heute unverständlich, warum sich die beiden Männer unter den geschilderten Umständen nicht trennten. Tatsache blieb, daß GM.Böltz wohl eine gewisse Berücksichtigung durch den Feldzeugmeister erfuhr, jedoch keinen beherrschenden Einfluß gewann.
Ebenso erstaunlich war, daß FZM Potiorek nach der die Monarchie bloßstellenden Niederlage, die das schwankende Bulgarien davon abhielt, in den Krieg einzutreten, die Gunst des Kaisers und dessen Militärkanzlei nicht verlor. Im Gegenteil, Potiorek wurde in der Folge von der Unterordnung unter das AOK gelöst und mit seinen Balkanstreitkräften dem Kaiser unmittelbar unterstellt. Bei seinen Streitkräften verblieben sogar um dreieinhalb Divisionen mehr, als ursprünglich für diesen Kriegsschauplatz nach Eintritt Russlands in den Krieg geplant gewesen waren. Potiorek war eben die dem Kaiser durch seinen Freund, den langjährigen Chef des Generalstabes Grafen Beck, nahegebrachte Persönlichkeit, während GdI.Baron Conrad vom Erzh.Franz Ferdinand dem Kaiser oktroyiert worden war. Auch die täglich prompte, rosarot persönliche Berichterstattung Potioreks an die Militärkanzlei, die scharf von Conrads herber Zurückhaltung abstach, mag das ihre beigetragen haben. Im Gegensatz zur Friedenszeit bekam ich diese persönlichen Briefe Potioreks nie zu Gesicht.
Mein Verhältnis zum Chef der Nachrichtenabteilung und besonders zu dem die materielle Versorgung bearbeitenden Offizier wurde schwierig. Obstlt.Gellinek hatte mir die Feindnachrichten zu liefern, Mjr.Wachtel hingegen seine die Versorgung der Truppen betreffenden Verfügungen auf Grund der von mir bearbeiteten operativen Befehle durchzuführen. Obwohl ich beide Herren immer wieder direkt an GM.Böltz wies, schickte dieser sie oft hinaus mit den Worten: "Geht's doch zum Jansa, der gibt euch die Anweisungen!" Besonders Wachtel fiel Böltz aller Anerkennung seiner Fähigkeiten zum Trotz durch sein outriertes Benehmen so auf die Nerven, daß er dessen Gegenwart oder Referat kaum ertragen konnte. Obwohl ich - und da ist Gott mein Zeuge - bei Böltz immer wieder zugunsten Wachtels sprach, mußte sich bei diesem der Gedanke festsetzen, daß ich die Animosität gegen ihn stütze, was mich damals freilich nicht bedrückte. Und da Wachtel sich bei Potiorek als ein schlechter "Merizzi-Ersatz" eingeschlichen hatte, ich ihm somit ein Gutteil der Schuld am schlechten Verhältniss Potiorek-Böltz zumaß, war er mir bald in seiner überheblichen Art, sich in alles besserwisserisch einmischen zu wollen, ebenso zuwider.
Hingegen waren mir der Artilleriereferent und der auch viel dienstältere Eisenbahnreferent treue Freunde. Körner in seiner frischen, frohen Art kam, wenn er nicht an der Front war, mit einem frohen "Servus, was gibt's Neues?" zu mir und sprach alle artilleristischen Maßnahmen mit mir gründlichst durch. Er hegte berechtigten Groll auf Potiorek, weil dieser die Einführung des neuen Gebirgsgeschützes um ein Jahr verzögert hatte. Wenn zufällig Wachtel sich in dieser Zeit zu mir verirrte, wurde Körner still und abweisend. Öfter sagte er zu mir: "Wann werdet Ihr den endlich rausschmeissen?"
Die unguten Verhältnisse im "Kommando der Balkanstreitkräfte und 6.Armeekommando" wurden natürlich von all den vielen Unterorganen, Ordonnanzoffizieren, freiwilligen Automobilisten usw. bemerkt und höhnisch bekrittelt.
Auch jetzt war bei Potiorek die Aufstellung eines neuen 6.Armeekommandos und seiner Beschränkung auf die höhere Führung im Kommando der Balkanstreitkräfte nicht zu erreichen. Sein Machthunger klammerte sich an alles und sein Selbstgefühl schien unter der von ihm verursachten Niederlage keineswegs gelitten zu haben. Eines konnte ihm jedoch abgerungen werden: die Verlegung des Standortes des Kommandos von Sarajevo nach Doboj und später nach Tuzla, also näher an die 5.Armee heran und in Tuzla auch nahe genug an die Kampffront an der Drina.
Während die 5.Armee, die bei den unglücklich beendeten Kämpfen viele Verluste an Menschen und Kriegsmaterial erlitten hatte, sich hinter der unteren Drina retablierte, wurde die 6.Armee im Fußmarsch und mit Eisenbahn an die 5.Armee heran, in den Raum um Zvornik-Ljubovija-Vlasenica geführt. An der mittleren Drina bei Višegrad-Goražde-Foca, dann in der Hercegovina blieben nur schwache Kräfte zur Sicherung.
Der Grundgedanke war, die Serben mit beiden Armeen über die Drina hinüber in ihrem Land wieder anzugreifen und, wenn schon nicht zu vernichten, so doch wenigstens so zu binden und zu schwächen, daß sie für die Südgrenze der Monarchie keine Gefahr mehr bedeuten konnten.
Bis zur Beendigung der Bereitstellung zu diesem Angriff verging viel Zeit, in der sich FZM Potiorek als sehr großzügiger, nervenruhiger, hoher Führer erweisen konnte und sein großes militärisches Renomée wieder rechtfertigte.
Die von Russland gedrängten und über den stattgefundenen Abtransport der k.u.k. 2.Armee nach Russland gut unterrichteten Serben versuchten nun ihrerseits die Save nordwärts zu überschreiten. Während sie das bei Mitrovica gegenüber der von FML Alfred Krauß (er war bis Kriegsbeginn Kommandant der k.u.k. Kriegsschule gewesen) geführten 29.Inf.Div. schwere Verluste und fast fünftausend Gefangene kostete, gelang ihnen das Eindringen nach Syrmien, di. das Land zwischen Save und Donau, wo es nur schwache Landsturmsicherungen gab.
Darüber waren die Ungarn entsetzt. Sie, die durch mehr als ein Jahrzehnt jede Weiterentwicklung der k.u.k. Armee sabotiert und in den letzten Jahren sogar das normale Rekrutenkontingent verweigert hatten, schrieen jetzt durch ihren Ministerpräsidenten, Graf Stephan Tisza, Zeter und Mordio beim Kaiser. Dessen Militärkanzlei reichte diese Schreiben an Potiorek weiter. Sicher und ungerührt erwiderte der Feldzeugmeister, daß sein am 8.September beginnender neuer Angriff über die Drina die Serben sehr rasch von ihren Extratouren zurückzwingen werde. Das geschah dann auch tatsächlich.
Vorher will ich noch eine mich betreffende Episode erzählen. Zum gemeinsamen Angriff mit der 5.Armee zogen wir natürlich alle irgendwie und -wo entbehrlichen Truppen zusammen. So wurde aus drei Bataillonen der 14.Gebirgsbrigade in der Bocce di Cattaro und zwei Bataillonen der 3.Gebirgsbrigade, die auf der Linie Nevesinje-Avtovac die Montenegriner meisterhaft in Schach hielt, eine neue Gebirgsbrigade unter GM.Snjaric gebildet. Artillerie für sie und zur Verstärkung anderer Brigaden hatte der prächtige Richard Körner herangezaubert: bei der Firma Škoda in Pilsen für Chile und China bestimmte Gebirgsbatterien, die wegen des Krieges nicht ausgeliefert werden konnten, wußte er für uns freizulösen.
Im Raum Višegrad-Goražde, gegenüber der etwa 20.000 Soldaten zählenden serbischen Užice-Gruppe und den etwa 15.000 Montenegrinern im Sandschak hatten wir die fünf Bataillone starke 8.Gebirgsbrigade stehen gelassen, welche die Südflanke der ostwärts angreifenden 6.Armee und auch die Richtung über die Romanja planina nach Sarajevo zu decken hatte. Potiorek wollte nun diese unsere Südflanke gegen etwa 35.000 Serben und Montenegriner sichernden Kräfte auf ein Minimum reduziert und das Gros zur angreifenden Hauptkraft herangezogen wissen. Das geradeheraus zu befehlen scheute er sich; aber wenn der dort befehligende GM.Andrian selbst sagen würde, daß er seine Aufgabe mit bloß 1-2 Bataillonen erfüllen und drei an die Hauptkräfte abgeben könnte, so wäre ihm dies angenehm, denn dann trüge Andrian die Verantwortung. Also ließ Potiorek mich rufen: "Fahren Sie zu Andrian und knöpfen Sie ihm von der 8.Gebirgsbrigade soviel ab als möglich!" Das war wieder einer jener diabolischen Aufträge, wie sie Merizzi im Frieden geübt hatte.
Hptm.Brendl charterte mir eine Lokomotive. Zuerst fuhr ich von Doboj das Bosnatal aufwärts und dann auf der Waldbahn im Krivajatal nach Han Pjesak, wo mich schon ein Pferd erwartete, das mich zu GM.Andrian trug. Ich brachte mein Anliegen vor. Der alte Herr roch den Braten sofort und meinte "Zu befehlen traut sich das der hohe Generalstab nicht, aber ich soll meinen Buckel dafür herhalten!" Allerdings kannte mich GM.Andrian als ehrlichen Arbeiter, und so begannen er, sein Generalstabsoffizier und ich die Lage ruhig durchzusprechen. Tatsache war, daß die Serben ihm gegenüber seit Wochen völlig passiv waren und auch die Montenegriner wenig Angriffslust zeigten. Ob das so bleiben würde, wenn die 6.Armee zum Angriff über die Drina schritt, ob da Serben und Montenegriner nicht versuchen würden, durch ein Vordringen über die Drina der 6.Armee in Flanke und Rücken zu kommen, das konnte niemand sagen. Andrian hatte jetzt ein Bataillon bei Višegrad, eines im Raum Foca-Goražde und drei als Reserve bei Rogatica stehen.
Für die Abwehr eines echten Angriffes der Serbo-Montenegriner reichten seine fünf Bataillone nicht aus, dazu mußten ihm gegebenenfalls neue starke Kräfte von der 6.Armee zugeführt werden; für ein hinhaltendes Kämpfen in den stark bewaldeten, von unseren Truppen gut gekannten Gebieten bis zum Eintreffen der Verstärkungen konnte bei geschickter Führung, für die GM.Andrian ja bekannt war, mit zwei Bataillonen in der Front und einem in Reserve ausgekommen werden. Zwei Bataillone könnte er nach meinem Dafürhalten Potiorek zur Verfügung stellen. GM.Andrian dachte hin und her und schließlich stimmten er und sein Generalstabsoffizier zu und setzten gleich zwei Bataillone nordwärts zur 6.Armee über Vlasenica in Marsch. Auch ich war zufrieden: die Absprache war reell und konnte von beiden Seiten vertreten werden.
Als ich Potiorek nach meiner Rückkehr das Ergebnis meldete, fuhr er mich grob an: "Mehr haben Sie nicht zuwege gebracht? Das ist der heutige Generalstab! Ihr seid ja alle nichts wert!" Damit drehte er sich um und verkroch sich in sein Wigwam. Über solche Grobheit war ich nur einen Moment verblüfft, jedoch in keiner Weise gekränkt, denn ich war sicher, vernünftig gehandelt zu haben und nicht augendienerisch. Als ich das Ganze GM.Böltz mit der Bitte vortrug, mich zur Brigade Snjaric als Generalstabsoffizier einzuteilen, fuhr der mich scharf an. "Sei nicht so zimperlich! Das möchte dir passen, mich in dem Sauhaufen allein zu lassen. Du bleibst!"
Vierzehn Tage später, als Serben und Montenegriner auf die Romanja planina vorbrachen, war man froh, GM.Andrian mit drei Bataillonen und zwei Batterien dort zu haben, der den Feind mit staunenswerter Kraft und großem Geschick zu bremsen verstand.
Unsere Hauptkräfte brachen am 8./9., diesmal fest in sich geschlossen und bestens vorbereitet, über die Drina vor. Während die 5.Armee auf vorbereitete Feindstellungen traf, überraschte die 6.Armee in ihrer Wucht und ausgezeichneten infanteristischen Schlagkraft die Serben so sehr, daß diese alle ihre in Ungarn eingebrochenen Kräfte sofort zurückriefen. Das Kampfgelände der 6.Armee war 800-900 m hohes Mittelgebirge und sehr schwierig. Trotzdem wurden die Serben in oft blutigst hin- und herwogenden Nahkämpfen in acht Tagen überall über den Hauptkamm des Gucero-Rückens geworfen. Glanzvoll bewährten sich die niederösterreichischen Bataillone meiner 9.Gebirgsbrigade, bei der ich einst Generalstabsoffizier gewesen war. Aber auch sonst kann man über diese erfolgreichen Kämpfe nur das hohe Lied der prachtvollen mittleren und unteren Führung und einer wunderbaren Tapferkeit und Treue der Truppen singen. Am Billieg kamen 2 Bataillone des Inf.Rgts Nr.22, lauter serbische Dalmatiner, unter dem dalmatinisch-autochtonen Major Turudija zum Einsatz. Als die Serben das in den Nahkämpfen erkannten, riefen sie herüber: "Ihr seid doch Serben, kämpft doch nicht gegen uns!" Turudija und seine Leute aber gaben die derbsten serbischen Flüche zurück, warfen die Serben und machten viel Gefangene.
Aber zum durchschlagenden, entscheidenden Erfolg fehlte uns die artilleristische Kraft. Bald erstarrten die Fronten in Schützengräben, genau so, wie man es zehn Jahre vorher am mandschurischen Kriegsschauplatze erlebt hatte. Dazu waren unsere Verluste sehr schwer, natürlich auch jene der Serben. Es regnete viel und auf dem 900m hohen Šanac war schon Schnee gefallen.
Auch der Übergang des FML Alfred Krauß bei Jarak über die Save konnte die serbische Front nicht zum Einsturz bringen, es mußten einfach schwere Angriffsmittel herbeigeschafft werden. Vernünftigerweise wurde dem Ganzen Halt geboten, Rast gegeben, die Stellungen für die Abwehr wurden solid eingerichtet und die Marschkompanien zur Komplettierung der Stände eingereiht, die Verwundeten abgeschoben und die Toten begraben. Die Front wurde genau studiert, wo man sie und mit welchen Mitteln am besten werde bezwingen können. Die etwa sechzig gefangenen serbischen Offiziere sagten alle aus, daß ihre Armee von den Kämpfen sehr hergenommen sei und schwere blutige Verluste erlitten habe.
Dem serbischen Oberbefehlshaber, General Putnik, war es endlich gelungen seine Užice-Gruppe und die Montenegriner nach Bosnien einbrechen zu lassen. GM.Andrian zog sich, den Feind immer wieder anfassend, langsam nach Norden zurück und es kam in den nächsten Wochen zu der im Frieden oft durchdachten Schlacht auf der Romanja planina, die FZM Potiorek mit bewundernswerter Ruhe erfolgreich beendete, indem er aus der Angriffsfront jenseits der Drina freigemachte Reserven heranführte. Allerdings hatte uns auch FM Baron Conrad, der die Schwierigkeit der Lage erfühlte, durch Zuschub von je einem steirischen und einem Tiroler Landsturmregiment geholfen. Die Serben und Montenegriner in Bosnien wurden dabei so zerschlagen, daß sie in den folgenden vier Kriegsjahren keinen Fuß mehr auf unser Gebiet zu setzen wagten.
Die auf der Romanja freigewordenen, vom Kommandanten des XVI.Korps, FML Wurm, geführten Truppen wurden in der Folge zu einem mächtigen Stoß über Ljubovija am rechten Flügel der 6.Armee eingesetzt, was endlich auch die serbische Hauptkraft zum Zurückweichen brachte. Wir drangen in einem Zug bis an den Ljig-Fluß und die Kolubara vor, machten aber bloß 15.000 Gefangene. Die Serben waren erstklassige Soldaten und schlugen sich hervorragend. Wir hatten sie erschüttert und zurückgedrückt, jedoch nicht vernichtet. Die am Ljig und an der Kolubara neu entflammte Schlacht mußte trotz des dauernd schlechten Novemberwetters und des auf den morastig gewordenen Straßen fast zum Erliegen kommenden Nachschubs durchgekämpft werden, um die entlang der Kampffront im Kolubara-Tal bis nach Valjevo führende serbische Schmalspurbahn für unseren Nachschub frei zu bekommen. Obstlt.Wachtel hatte bereits Lokomotiven und Waggons an die Save bei Obrenovac herankommen lassen. Nach schweren Kämpfen, bei denen wir bereits stark unter dem Mangel an Munition litten, gelang es doch, die Serben neuerdings zum Rückzug in ihre Zentralstellung um Arandjelovac zurückzudrücken. Wir erfuhren, daß aus Frankreich über Saloniki viel Munition für die Serben herankam. Die Serben näherten sich ihrem Zentralausrüstungsdepot Kragujevac immer mehr, während unser Nachschub immer schwieriger wurde. Vorsicht war daher geboten.
Deshalb arbeitete ich einen Befehl aus, wonach das XIII.Korps aus der Front gezogen und als Reserve Potioreks im Raum östlich Valjevo gruppiert werden sollte, was auch den Nachschub für das XVI.Korps im Gebirge südöstlich Valjevos erleichtert hätte; die 5.Armee sollte mit dem VIII. und dem Korps Krauß, aus Schiffen von der Save versorgt, näher an das XV.Korps heranrücken. Dieser Entwurf, den ich Wachtel wegen der Regelung des Nachschubes zum Lesen gegeben hatte, paßte ihm garnicht. Er vertrat die Auffassung, daß eine Reserve nicht nötig sei, und verstand auch Böltz so zu beeinflussen, daß dieser, in Übereinstimmung mit Potiorek, wegen der Absicht durch das Nachdrängen aller unserer Kräfte die Serben nicht mehr zur Ruhe kommen zu lassen, meinen Befehlsentwurf ablehnte. Diesen Stimmungsumschwung beim bisher doch sehr vorsichtig gewesenen Armeegeneralstabschef scheint neben den tatsächlichen Erfolgen unserer Waffen auch der die Feindevidenz bearbeitende Obstlt.Gellinek bewirkt zu haben, der immer davon sprach, daß die Serben schon aus dem letzten Loch pfiffen.
Wir hatten uns endlich mit unserem hohen Kommando auf serbisches Gebiet nach Koviljaca verlegt, was ich aber nicht ausreichend fand uzw. aus nachstehendem Grunde: In unserer öst-ung.Armee war es Vorschrift, daß jede niedere Kommandostelle zu der ihr vorgesetzten das Telephon zu bauen hatte. Wenn nun ein Kommando zu weit hinten blieb, so hemmte es einerseits den Schwung des Vorgehens, anderseits die taktische Führung der Brigaden, weil die Divisions- und Korpskommandos nur beschränkte Telephonkabelmengen besaßen und - um mit ihrem Vorgesetzten in Verbindung zu bleiben - von ihren Truppen weit abbleiben mußten. Wir gehörten (wenigstens Potiorek mit dem engeren Stab) längst nach Valjevo. Doch all mein Drängen bei Böltz war vergebens. Wenn unser Standort Koviljaca für das Kommando der Balkanstreitkräfte als Höchstkommando auch entsprechend war, so genügte er gewiß nicht für das 6.Armeekommando. Dadurch daß Potiorek auch dieses niedere Kommando persönlich führen wollte, war die 6.Armee durch das weite Zurückbleiben Potioreks praktisch führerlos geworden. Trotz der hervorragenden Bewährung aller höheren Kommandanten mußte angesichts unserer hohen Verluste und dem Mangel an allem, gerade jetzt die im schwierigsten Berggelände befindliche 6.Armee fest geführt werden. Das hielt ich für wichtiger als die tägliche ergehende Berichterstattung an die Militärkanzlei Seiner Majestät des Kaisers. Aber was konnte ich noch tun als meine Meinungen und Sorgen mit meinem Mitarbeiter Hptm.Beran besprechen. Unsere konzeptive Arbeit war so ungemein schwierig, daß uns zum Streiten innerhalb des Kommandos kaum Zeit blieb. Unser Befehlsbereich umfaßte den Raum von der Südspitze Dalmatiens bis Orsova an der Donau. Während unsere Befehle für die 6.Armee in allen Einzelheiten durchgearbeitet sein mußten, handelte es sich für die 5.Armee, die Donauflotille, für die Kräfte in Syrmien und im Banat um weit vorausschauende, wohldurchdachte Direktiven. Der Strohsack lag neben dem Schreibtisch mit dem Telephonapparat. Beran und ich ruhten seit Monaten abwechselnd nur stundenweise.
In Koviljaca bekamen wir einen interessanten Besuch: den Chef der Balkangruppe im AOK, Obstlt.Purtscher, mit dem deutschen Obstlt.Hentsch. Die Deutschen waren daran interessiert, die Donau bald so freigekämpft zu haben, daß deutsche Munitionstransporte per Schiff nach Bulgarien und weiter nach Konstantinopel für die bedrängten Türken gefahren werden könnten.
Nach Vorsprache beider Herren bei Böltz und Potiorek orientierte ich Purtscher eingehend. Selbstverständlich bemühte ich mich auch, ihm alle unsere Nöte, besonders den würgenden Mangel an Artilleriemunition und Gewehren zu schildern und um Abhilfe zu bitten. Leider war zunächst nicht viel Hoffnung; der gleiche Mangel herrschte auch an der russischen Front, und die Neuerzeugung in den Fabriken kam nur langsam in Gang. Das waren eben die Sünden, die Ungarn mit seiner sinnlosen Opposition gegen die Armee seit mehr als einem Jahrzehnt an ebendieser begangen hatte. Was an Artillerie mangelte, mußte die Infanterie mit schwersten Blutopfern leisten; darum die besonders hohen österreichisch-ungarischen Verluste auf allen Kriegsschauplätzen.
Im Gegenzug fragten wir Purtscher nach der Lage der Dinge in Galizien und an der französischen Front. Und da erfuhr ich zu meiner allergrößten Erschütterung, daß der Krieg bereits endgültig verloren sei. Der große Plan habe dahin gelautet, daß die öst-ung.Armee Deutschland im Osten durch 40 Tage den Rücken freihalten müsse; in dieser Zeit werde die deutsche Armee die Franzosen und Engländer so zusammenschlagen, daß sie dort nur geringe Kräfte zurückzulassen brauche und mit ihrem Großteil an die Ostfront kommen werde, um mit unserer Armee gemeinsam auch die Russen zu schlagen. An der Marne sei der deutsche Angriff allerdings schon im August zusammengebrochen und deshalb könne Conrad, der seine Aufgaben in den Schlachten von Krasnik, Komarów und Lemberg voll gelöst habe, von Deutschland nicht genug unterstützt werden. Infam sei es aber gewesen, daß Deutschland das Mißlingen seiner Pläne in Frankreich nicht nur der Öffentlichkeit gegenüber geheimhalte und diese täusche, sondern diese Unaufrichtigkeit auch dem österreichischen Bundesgenossen gegenüber solange getrieben wurde, bis Conrad endlich auf Umwegen über die Auslandsnachrichten das deutsche Unglück an der Marne im ganzen Umfang erfuhr. Ja, die Deutschen scheuten sogar vor der Lüge nicht zurück, die Ursache ihrer Niederlage Conrad in die Schuhe zu schieben: sie hatten nämlich zur Rettung Ostpreußens zwei Korps von Frankreich an Hindenburg nach Ostpreußen gesendet, ließen jedoch verlautbaren, diese Korps hätten zur Unterstützung Conrads abgegeben werden müssen und darum sei die Offensive an der Marne zum Stehen gekommen.
Als ich darauf Purtscher fragte, was denn jetzt geschehen werde, sagte er, Conrad habe beantragt, Russland goldene Brücken zu bauen, um mit ihm zu einem Frieden zu kommen, aber die feindliche Entente wolle von einem Frieden nichts wissen; ja wir müssen noch mit dem Eintritt Italiens und Rumäniens in den Krieg gegen uns rechnen.
Purtscher bat mich, alles Erzählte für mich zu behalten; es habe keinen Sinn das weiterzuerzählen; wir müssten den Krieg weiterführen, so lange bis es unseren Feinden genehm sein werde, Frieden zu machen; wir steckten eben in diesem Finis Austriae, das Conrad vorausgesehen habe; aber der größte Teil seiner Anträge zur Abwendung dieser Gefahr sei ja in den Wind geschlagen worden. Mich trafen Purtschers Mitteilungen ins Mark. Sollten alle Aufopferung, alle Tapferkeit der Truppen, alle großen, blutigen Verluste vergeblich sein? Die Sorge um unsere Monarchie, ohne die ich mir die Welt damals garnicht vorstellen konnte, bedrückte mich derart, daß ich während der kommenden Kriegsjahre kaum mehr froh werden konnte. Aber das war nicht alles; bald galt es im eigenen Befehlsbereich Schwerstes durchzustehen.
Während die Korpskommandos ihre Lagemeldungen regelmäßig bei mir abgaben, meldete mir Hptm.Theil vom XVI.Korpskommandos am 6.Dezember, daß FML Wurm den Armeegeneralstabschef persönlich sprechen wolle. Ich legte den Schalthebel auf Böltzens Telephon um, und da die Tür zu seinem Arbeitsraum zumeist offen war, rief ich ihm zu, daß FML Wurm ihn selbst sprechen wolle. Bald sah ich Böltz ein unglückliches Gesicht machen und hörte ihn fragen, was wir an Reserven fürs XVI.Korps frei hätten. "Nichts!", antwortete ich, "Ich durfte ja das XIII.Korps nicht aus der Front lösen!" Darauf sagte mir Böltz, daß Wurm um Hilfe gebeten habe; die Serben seien zu einem wuchtigen Gegenangriff übergegangen und hätten unsere 50.Division unter FML v.Kalser geworfen. Bald trafen von allen Seiten Meldungen über schwere Angriffe der Serben ein. Statt, wie ich es beantragt hatte, nach Süden ans XV.Korps anzuschließen, hatte sich unsere 5.Armee nordostwärts gezogen, um Belgrad zu nehmen, was ihr auch gelang. Für das Eingreifen zugunsten der 6.Armee war sie nun zu weit weg.
Potiorek, das muß ich anerkennen, versuchte mit großer Nervenruhe und Umsicht die Lage in Ordnung zu bringen. Aber während bei den Serben - wie wir von Gefangenen hörten - der König von Division zu Division eilte, um seine Truppen anzufeuern, hatten unsere Verbände ihren Oberbefehlshaber in den viereinhalb Monaten fast pausenlosen Kampfes nicht ein einziges Mal zu Gesicht bekommen!
Das Ende war, daß wir Mitte Dezember Serbien zum zweitenmal räumen mußten. Das Kommando verlegte sich über Šabac nach der Festung Peterwardein, die Truppen gelangten mit dem Großteil nach Syrmien, mit geringen Kräften nach Bosnien.
Wenigstens war damit die kaiserliche Gunst für Potiorek erschöpft. Sein Abgang aus der Aktivität geschah in guter vornehmer Haltung: am 21.Dezember 1914 meldete er an die Militärkanzlei: "Die Verantwortung für alles Geschehene, mag es sich wie immer zugetragen haben, trifft ausschließlich mich, und ich werde jede Konsequenz dieser mir zufallenden Verantwortung ruhig und mit soldatischer Ergebenheit auf mich nehmen." Er ließ durch seinen Personaladjutanten anfragen, wer eine Photographie von ihm wünsche. Ich erbat und erhielt sein Bild mit einfacher Unterschrift ohne jede Beifügung. Aber gleichzeitig erfuhr ich, daß mir Seine Majestät am 26.November (natürlich über Antrag Potioreks) das Militärverdienstkreuz 3.Klasse mit Kriegsdekoration verliehen hatte.
Am heiligen Abend 1914 erschien zu unserer allergrößten Überraschung der Feldzeugmeister erstmalig in der Offiziersmesse, reichte jedem wortlos die Hand. Dann reiste er in sein Domizil nach Klagenfurt. Ich habe Potiorek durch mehr als drei Jahre treu und ehrlich gedient. Er war zweifellos ein hochbefähigter General, der in seiner Aktivität viele begeisterte Bewunderer gefunden hatte - zu diesen gehörte ich leider nicht.
GM.Böltz übernahm das Kommando der 18.Infanteriedivision. An die Art seines Abschiedes kann ich mich nicht entsinnen. Ich begegnete ihm nicht mehr. Er machte seinem Leben bei Kriegsende als Kommandant in Odessa durch einen Schuß selbst ein Ende.
 
Am 4.Mai 2011 präsentierte der Böhlau Verlag in Wien
das umfangreiche, bebilderte, kommentierte und
mit einer Einführung versehene Buch:

P.BROUCEK (Herausgeber)
Ein österreichischer General gegen Hitler
Feldmarschalleutnant Alfred Jansa
Erinnerungen
Auslage in Wien I im Mai 2011 © 2011 by DMGG