FML JANSA
«Aus meinem Leben»
Im Atemholen sind zweierlei Gnaden:
die Luft einziehen, sich ihrer entladen;
jenes bedrängt, dieses erfrischt;
so wunderbar ist das Leben gemischt.
Du danke Gott, wenn er dich preßt,
und dank ihm, wenn er dich wieder entläßt.
J.W.v.Goethe
EINLEITUNG
Nun also habe ich mein siebzigstes Lebensjahr beendet und bin - wie manche eingelangte Glückwünsche es ausdrücken - in das Patriarchenalter eingetreten.
Ich habe diese Zäsur auch zum Anlass genommen, um meine zur Ausgleichung der durch die Hitlerzeit erlittenen materiellen Einbußen ausgeübte kommerzielle Tätigkeit einzustellen. Die Firma Siems & Klein KG, in der ich genau acht Jahre als Konsulent und Handelsvertreter gearbeitet hatte, entließ mich nur ungern, jedoch in nobler Weise.
Oft bin ich von verschiedenen Seiten aufgefordert worden, über die vergangenen Jahre - die eine reichlich bewegte Zeit umschließen - schriftliche Aufzeichnungen zu machen. Das habe ich bisher nie getan, weil ich mich stets nur als winziges Rädchen in dem unendlich großen Getriebe betrachtet habe, dessen Erlebnisse und Darstellungen herzlich unbedeutend und uninteressant sein würden. Mich hat vom Schreiben aber auch meine merkwürdig kritische Lebensbetrachtung abgehalten: einerseits zählte ich mich immer zu den Menschen, die jedem anderen von Haus aus offen, ehrlich und vertrauend entgegenkommen; andererseits bin ich im Eingehen auf Freundschaften und Bindungen aller Art höchst zurückhaltend gewesen, mit einer einzigen Ausnahme, meinem ersten Kompaniekommandanten, dessen Nichte später auch meine Frau und das einzig wirklich geliebte weibliche Wesen in meinem Leben wurde. In einer mir selbst unverständlichen Paradoxie habe ich aber sonst bei allen Menschen und Ereignissen die unguten, schwachen, fehlerhaften Momente viel schärfer gesehen und empfunden als die guten. Vielleicht darum, weil ich mich selbst immer mit großer Gewissenhaftigkeit analysierte und dabei immer viel mehr Negatives als Positives feststellte. Ich fürchtete darum, daß meine etwaigen schriftlichen Aufzeichnungen mehr schaden als nutzen könnten; denn gegenüber meiner kritischen Anschauung schönfärbend unwahr werden wollte ich nicht. Wenn ich nun als Greis doch zu schreiben beginne, so tue ich es nur für mich und nicht für die Öffentlichkeit. Ich will sehen, was dabei herauskommt. Vielleicht werden der Abstand von den Zeiten und Dingen und die Lebensreife mich das Gute und Schöne an allem heute mehr betonen lassen, als ich es früher getan hätte. Ich will es hoffen.
Wenn ich nun rückblickend mein Leben überschaue, so erfüllt mich zunächst eine zutiefst empfundene Dankbarkeit meinen Eltern gegenüber, die mich trotz ihrer vorgerückten Lebensjahre (mein Vater zählte bei meiner Geburt 54, meine Mutter 37 Jahre) gesund und widerstandsfähig in die Welt setzten. Weiters bin ich in tiefster Demut Gott dem Allmächtigen dankbar, dessen unendliche Gnade mich so sichtbar und fühlbar in entscheidenden Stunden den richtigen Weg finden ließ und dort, wo ich fehlte, mich stets vor den bösen Folgen der Fehler bewahrte. Die gelegentlich hingeworfene Bemerkung eines mir wohlgesonnenen Kameraden - es war der hochverdiente Generalstabsoberst Hubka -, daß ich gleich einer Katze aus den verwickeltsten Lagen immer auf die Pfoten zu stehen komme, brachte in heiterer Form zum Ausdruck, was ich mir selbst sowie meinen Kameraden und Untergebenen allem Protektionismus zum Trotz immer wieder einzuschärfen bemüht war: der wirklich Tüchtige ringt sich im Leben durch!
Sowohl väterlicher-, als auch mütterlicherseits aus Offiziersfamilien stammend habe ich mit 18 Jahren als kaiserlicher Fähnrich meine Laufbahn begonnen und nach 52 Jahren Arbeit in einer zum zweitenmal gewordenen Republik als Kaufmann geendet. Diese Jahre sehen mich in Frieden und Krieg im Truppendienst und Generalstab, als Maurer aufgedingt und als Baumeisterschüler, beim Aufbau des Bundesheeres der ersten österreichischen Republik, als Stabschef und Kommandanten einer Brigade, als österreichischen General bei der Weltabrüstungskonferenz in Genf, als Militärattaché, als Sektionschef im Heeresministerium, als Chef des Generalstabes, ausgewiesen aus Österreich, für unwürdig erklärt, ein deutsches Ruhegehalt zu beziehen, und konfiniert in Erfurt, als Versicherungsvertreter, Handelsangestellten und nach dem Ende des „tausendjährigen” Nazi-Traumes wieder rehabilitiert in Wien.
Und meine Gemütsverfassung, mein Seelenzustand: vergrämt und verbittert? Nein! Stolz und auftrumpfend? Nein! Es erfüllt mich ruhige Ausgeglichenheit. Wohl habe ich meine geliebte Frau schon nach 16jähriger Ehe verloren; aber meine Töchter sind trotzdem brave, tüchtige, zuverlässige Menschen geworden. Es lastet kein Druck auf meinem Gewissen: ich habe niemandem bewußt geschadet, aber ich durfte öfter helfen. Mich erfüllte nie ein streberischer Drang, irgendetwas zu erreichen; mein Ehrgeiz bestand nur darin, auf jedem Posten, auf den ich gestellt wurde, das Beste, was aus mir herauszuholen war, zu leisten. Meine Laufbahn im öffentlichen Dienst ist von selbst geworden, ohne daß ich mich je um irgendeinen Posten oder eine Garnison beworben hätte.
So hat mir das Schicksal nichts versagt; im Gegenteil, es hat mich schon in frühen Jahren und später immer wieder auf verantwortliche, interessante, anregende Posten voll Bewegung geführt und mich schließlich zur nie erträumten höchsten militärischen Würde eines Chefs des Generalstabes für die gesamte bewaffnete Macht Österreichs erhoben.
Die darauf folgende Verurteilung durch Hitler und seine Schergen habe ich nie als Kränkung empfunden. Im Gegenteil, ich war stolz und bin es noch, daß ich diese Inkarnation des Bösen frühzeitig in ihrer ganzen Erbärmlichkeit erkannt und in meinem Wirkungskreise unter Anspannung aller meiner Kräfte das Möglichste getan habe, um den Einbruch dieses Ungeistes nach Österreich zu verhindern. Daß es schließlich anders kam, lag nicht an mir. Der Gedanke allerdings, daß möglicherweise durch den mutigen Einsatz des Heeres das grauenhafte Geschehen des II.Weltkrieges hätte abgewendet werden können, wird mich bis an mein Lebensende begleiten.
 
Am 4.Mai 2011 präsentierte der Böhlau Verlag in Wien
das umfangreiche, bebilderte, kommentierte und
mit einer Einführung versehene Buch:

P.BROUCEK (Herausgeber)
Ein österreichischer General gegen Hitler
Feldmarschalleutnant Alfred Jansa
Erinnerungen
Auslage in Wien I im Mai 2011 © 2011 by DMGG